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„Die Kandidatin“ Muslimfeindlicher Roman von Mr. Tagesschau, Constantin Schreiber

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Seit Anfang 2021 gehört auch Constantin Schreiber zum erlesenen Kreis der Tagesschaumoderatoren. (Quelle: Screenshot Tagesschau YouTube)

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Menschen ab 70 haben kein Wahlrecht mehr, dafür alle ab 16 mit Aufenthaltserlaubnis und in Unternehmen muss mindestens jeder Vierte praktizierender Muslim sein. So stellt sich Constantin Schreiber, Sprecher der 20 Uhr Tagesschau, in seinem neuesten Roman „Die Kandidatin“ Deutschland in der Zukunft vor. Im Buch werden Diversität, Postkolonialismus, Identitätspolitik und ökologisches Bewusstsein zu einer neuen Art Faschismus. Der Roman hat große Parallelen zum Bestseller „Die Unterwerfung“ des französischen Schriftstellers Michel Houellebecq, in dem es um die „Islamisierung“ Frankreichs geht.

Als deutscher Fernsehjournalist kann man kaum mehr erreichen, als Sprecher und damit Gesicht der 20 Uhr Nachrichten der Tagesschau zu sein. Seit Anfang 2021 gehört auch Constantin Schreiber zu diesem erlesenen Kreis. Ein prominentes Gesicht also.

Sein neuester Roman „Die Kandidatin“ sorgt nun zu Recht für Aufregung und Empörung. Es ist Schreibers drittes Buch. Schon mit seinen vorigen Werken, den Sachbüchern „Inside Islam – Was in Deutschlands Moscheen gepredigt wird“ und „Kinder des Korans“ schaffte es Schreiber auf die Spiegel-Bestseller-Liste. Doch auch diese Bücher waren zumindest schon tendenziös.

„Wollt ihr absolute Diversität?“

Sabah Hussein ist in Schreibers Zukunftsroman die Hauptfigur. Sie ist Migrantin, Muslima und Feministin. Als Spitzenkandidatin ihrer Partei hat sie beste Aussichten auf das Kanzleramt. Ihre Partei heißt in Schreibers Roman „Ökologische Partei“, „was natürlich inspiriert ist, sagen wir von der Realität der Gegenwart“, so Schreiber bei einer digitalen Buchpremiere, gemeinsam mit der umstrittenen Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht.

Es gehe Schreiber darum aufzuzeigen, dass eine „unpolitische Mitte komplett verschwunden“ sei, „dass jeder vor die Frage gestellt ist, wo steht er. Links oder rechts?“ Es gehe um die Fragen der Identitätspolitik und um den Umgang mit Religionen. Der Roman beginnt mit einem abgewandelten Goebbels-Zitat: „‚’Wollt ihr absolute Diversität?’, schreit ein junger Mann mit Vielfaltsmerkmal ins Megaphon.“ „Ja”, skandiert die Menge und jubelt.

„Die Antifa“ kämpf an der Seite der islamistischen „Schariabrigade“

Der Roman steuert auf ein ungutes Ende zu, das wird schon zu Beginn deutlich. Gleich auf den ersten Seiten ist zu lesen, dass Rechtsextreme der „Heimatkämpfer“ gegen „die Antifa“ kämpfen, die sich wiederum verbündet hat mit der muslimischen „Schariabrigade“. Kurz vor der Verkündung der Wahlergebnisse dringen die „Heimatkämpfer“ in das Redaktionshaus „Pfote“ ein, ein linkes Presseorgan, und schlagen dort Journalist:innen zusammen. „Die Antifakämpfer und die muslimische Schariabrigade kündigen an, zur Unterstützung zu kommen und die Heimatkämpfer zu vertreiben.“ Nach diesem Auftakt erzählt Schreiber in seiner Dystopie, wie es so weit kommen konnte.

Der Roman begleitet die 44-jährige Sabah Hussein durch den Wahlkampf, schildert ihre Herkunft aus einem Flüchtlingslager, ihre Vorliebe für Luxus, die Verstrickungen in die libanesische Mafia, ihren Machthunger. Dass alles ist immer gepaart mit einer Prise Sexismus: Sabah Hussein findet sich beispielsweise attraktiver als ihre Freundinnen. Und natürlich sind ihre Brüder in Clankriminalität verstrickt. Aber das kann sie geschickt vertuschen.

Die muslimische Kanzlerkandidatin ist ein Kind des Korans

Ihren Hijab hat Hussein zwar abgelegt, aber sie bleibt ein Kind des Korans. Diskret trifft sie sich mit dem Imam Muhammad Abd al-Malik einer Moschee in Neukölln. Sie lässt sich von ihm beraten. Ein Gespräch mit ihm, sich „den entehrenden Blicken von Jungen und Männern“ im Schwimmunterricht ausliefern zu müssen, bringt sie dazu Politikerin zu werden. Immer wieder schwingt das Schreckgespenst der heraufbeschworenen „Islamisierung“ Deutschlands mit. Sabah Hussein möchte, dass mindestens 10.000 Flüchtlinge im Monat nach Deutschland bringen. Muslimische Einwanderung erhöht ihre Wahlchancen. Bei der kommenden Wahl dürfen alle Menschen ab 16 Jahren wählen, auch die mit Aufenthaltsstatus. Alte Menschen, so Schreibers Schreckensszenario, ab 70 Jahren, sind von der Wahl ausgeschlossen.  

Durch weitreichende Quotenregelungen werden „diskriminierte Identitäten“ in Deutschland im Berufsleben begünstigt. So müssen 15 Prozent aller Angestellten homosexuell sein. Im Management dürfen nicht mehr als 25 Prozent Männer sein, „die nicht eine nichtweiße Hautpigmentierung aufweisen“ und in allen Unternehmen muss mindestens jeder vierte Mitarbeitende praktizierender Muslim sein.

Eine Bundespolizistin hat schließlich genug. Bei einem Attentat verletzt die „blonde ostdeutsche Frau“ Sabah Hussein schwer. Sie wollte verhindern, „dass Deutschland von einer Islamistin regiert wird“, sagt sie vor Gericht. Die Richterin in Schreibers Roman ist natürlich eine Legende der antirassistischen Bewegung, die selber ein Hijab trägt.

Überzeichnung bis ins Lächerliche

Der ganze Roman wimmelt nur so vor absurd überzeichneten Stereotypen. Errungenschaften unserer modernen Welt wie Diversität, Feminismus und sexuelle Selbstbestimmung werden extrem verzerrt dargestellt, dass sie – wären sie nicht so lächerlich – beängstigend wirken.

„Gerade spricht die Moderatorin mit der Rapperin BooB Dash über ihren neuen Song Kill All the Whites! Die schwarze Künstlerin erzählt von ihrem Aufstieg aus bitterer Armut und davon, wie die Prostitution sie empowert hat. ‚Mit sechzehn bin ich zum ersten Mal auf den Strich gegangen. Da habe ich gelernt, selbstbestimmt mit meinem Körper umzugehen.’” („Die Kandidatin“)

Ein Islamexperte der die Angst vor dem Islam zu nutzen weiß 

Dieser Roman muss im Zusammenhang mit Schreibers anderen Büchern verstanden und wohl als Weiterführung seines „Islam-Verständnis“ gedeutet werden. Schon in „Inside Islam“ und „Kinder des Korans“ schürt Schreiber Angst und diffamiert Muslim:innen als Ganzes. In der Tat gibt es problematische Züge des zeitgenössischen Islams und mancher Muslim:innen und diese muss man benennen und darauf aufmerksam machen. Allerdings in anderer Weise als es Schreiber tut, der von vielen Medien als „Islamexperte“ anerkannt ist.

Seine ersten beiden Bücher sind mindestens tendenziös und teilweise wissenschaftlich schlicht falsch. In seinen Büchern zum Islam gibt Schreiber vor, er würde Einblicke in eine mysteriöse Welt liefern. „Er betritt Welten, die nur Wenige zu Gesicht bekämen und bewegt sich somit zwischen Exotisierung und Dämonisierung“, schreibt etwa dis:orient zu „Inside Islam“.

Constantin Schreibers „Moscheepedia“: Die Islamlandkarte für Deutschland

Mindestens problematisch ist auch ein weiteres von Schreiber initiiertes Projekt: „Moscheepedia“ ist eine Wikipedia-ähnliche Website auf der Moscheen aufgeführt sind. Auf Grund von Wartungsarbeiten ist die Seite allerdings momentan nicht zu erreichen. „Moscheepedia“ soll einen Einblick in Hunderte Moscheen bieten, mit Fotos, Informationen und übersetzten Predigten, kontextualisiert von muslimischen und nicht-muslimischen Islamwissenschaftler:innen. Jeder der Interesse hat kann sich dort registrieren und künftig selbst Texte oder Bilder beisteuern.

Ein extrem problematisches Projekt, von einem Mann, dessen Verständnis vom Islam und Muslim:innen von großer Angst geprägt zu sein scheint. Da mag er auch noch so oft beteuern, dass es ihm nur um Sichtbarmachung von Muslim:innen in Deutschland und Transparenz gehe. Im Kontext von Schreibers Werken wirkt die Website wie eine Stigmatisierung von Muslim:innen.

Erst kürzlich sorgte ein ähnliches Projekt in Österreich für Aufsehen: Ende Mai veröffentlichte Susanne Raab, Integrationsministerin der Österreichischen Volkspartei (ÖVP), eine interaktive „Islam-Landkarte“. 623 muslimische Verbände, Organisationen und Moscheen wurden hier aufgelistet, jeweils mit Verbindungen und einer Einschätzung der ideologischen Ausrichtung – samt Adresse. Bei Muslim:innen in Österreich und darüber hinaus löste sie Unbehagen aus, wie Belltower.News berichtete. Rechtsextreme reagierten prompt und brachten „Warnschilder“ vor muslimischen Einrichtungen in Österreich an.

„Es geht nicht darum, Moscheen mit Misstrauen zu begegnen, sondern darum, sie sichtbarer zu machen“, zitiert der Spiegel Constantin Schreiber zu „Moscheepedia“. Welche Ressentiments der angebliche „Islamexperte“ Constantin Schreiber gegenüber Muslim:innen hat, wird jedoch spätestens mit seinem neuesten Buch deutlich. Dabei ist schwer zu sagen, wie islamfeindlich Constantin Schreiber tatsächlich ist. Vielleicht hat er auch einfach nur die Mechanismen des Marktes erkannt und weiß, dass ein Spiel auf der islamfeindlichen Klaviatur beim Publikum gut ankommt und er damit in bestimmten Kreisen einen Nerv trifft.


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Im Juni 2021 beschäfigt sich Belltower.News vertieft mit dem Thema Rassismus. Im Schwerpunkt sind erschienen:

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