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Die vielen „Einzelfälle“ Wie sollen rechtsextreme Behörden uns schützen?

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Ansicht des Landgerichts in Frankfurt am Main. (Quelle: Mylius/Wikipedia - Lizenz: GFDL 1.2)

 

AfD-Fangruppe im Verfassungsschutz

Vor drei Jahren bat der Verfassungsschutz intern um eine Selbstanzeige: Wenn Mitarbeiter*innen oder deren Angehörige und Freund*innen enge Kontakte zur AfD pflegten, sollten sie sich melden, um daraufhin versetzt zu werden. Denn die AfD ist inzwischen als Verdachtsfall Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes – und eine möglichst objektive Beobachtung verfassungsfeindlicher Bestrebungen ist wohl kaum von Menschen zu erwarten, die AfD-Fans sind. Geheimnisverrat aus den Verfassungsschutzbeobachtungen an die AfD wäre andersherum auch ein Thema. Der Geheimschutzbeauftragte des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) wollte so eine „Überschneidung dienstlicher und privater Belange“ vermeiden. Je nachdem, wie eng diese Überschneidungen ausfielen, wäre eine Versetzung in der Behörde möglich – oder auch disziplinarische Maßnahmen, wenn die Mitarbeitenden nicht auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung agierten.

Wie der Focus berichtet, entschieden sich mindestens zwölf Beamte des BfV allerdings anders. Sie waren erzürnt über den Aufruf zur freiwilligen Meldung durch BfV-Chef Thomas Haldenwang. Als Mitglieder, Unterstützer*innen oder Sympathisant*innen der AfD, die laut Focus als „Spezialisten in der Früherkennung und Überwachung extremistischer Gruppierungen“ arbeiten und auch Zugang zu Verschlusssachen haben, zeigten sich nicht an, sondern gründeten stattdessen eine klandestine Gruppe, die sich nun seit Jahren einmal im Monat zu „vertraulichen Runden“ in Kölner Restaurants und Privatwohnungen trifft. Sie nannten sich das „dreckige Dutzend“.  Zwei der Teilnehmenden sollen sogar Führungskräfte gewesen sein – im zuvor von Rechtsaußen Hans-Georg Maaßen geführten Bundesamt für Verfassungsschutz durchaus vorstellbar. Was die Journalist*innen jetzt aufdeckten, war dem BfV zumindest laut Antwort auf eine Presseanfrage unbekannt – trotz aller Sicherheitsüberprüfungen unter den 4.200 Mitarbeitenden. Insofern können auch noch keine Angaben darüber gemacht werden, welchen Schaden die AfD-Fangruppe im Verfassungsschutz anrichten konnte.

Der Fall reiht sich ein in diverse Aufdeckungen rechtsextremer Verfassungsfeind*innen im Staatsdienst. Während im Lagebericht des Bundesinnenministeriums und des BfV im Mai 2021 noch 34 Fälle erwähnt wurden, in denen verfassungsfeindliche Bestrebungen in Polizei, Bundeswehr und Nachrichtendiensten erkannt wurden, waren es ein Jahr später im Mai 2022 bereits 327 Fälle. Immer noch unrealistisch wenige, aber wer hinsieht, erkennt zumindest ein paar. Das BfV gab übrigen 2022 an, nur einen einzigen rechtsextremen Mitarbeiter zu haben.

Unklar ist auch, wie solche Fälle weitergehen: Ein AfD-Funktionär mit Dienste des Landesamtes für Verfassungsschutz in Sachsen, der auch an flüchtlingsfeindliche Protesten teilnahm, wurde 2018 in eine andere Behörde versetzt.

Der Spion mit AfD-Kontakten im Bundesnachrichtendienst

Ein weiterer Fall von AfD-Nähe ist der im Dezember 2022 aufgeflogene Spion Carsten L., der den Bundesnachrichtendienst auf höchster Sicherheitsstufe für den russischen Geheimdienst FSB ausspioniert haben soll. L. war von Kolleg*innen im Zuge einer routinemäßigen Sicherheitsüberprüfung beim BND als „sehr national“ und „sehr, sehr konservativ“ beschrieben, aber innerhalb des demokratischen Spektrums. Dabei tätigte er im Dienst Aussagen wie die, Flüchtlinge müsse man standrechtlich erschießen – keine Meinung im demokratischen Spektrum. Zuvor war L. bis 2006 bei der Bundeswehr tätig gewesen, und die hatte wegen Rechtsextremismusverdachts ermittelt, die Untersuchungen aber dann eingestellt. Während der Coronavirus-Pandemie kam L. offenbar mit Verschwörungsideologien in Kontakt, hatte Angst vor einer angeblich bevorstehenden Hyperinflation. Um sich besser zu fühlen, brauchte L. Geld. Er vertraute aufgrund einer ähnlichen politischen Einstellung einem AfD-Funktionär aus seinem Heimatort Weilheim, Reno S.. Der vermittelte den Kontakt zu einem russischstämmigen Ex-Bundeswehrsoldaten, Arthur E., der den Kontakt zum russischen Geheimdienst FSB herstellte. Schließlich verriet Carsten L. dem FSB Informationen aus einer laufenden Operation des BND, die wichtige Informationen zu Russlands Strategie im Ukraine-Krieg ermöglicht hätten. Im Dezember 2022 flog er auf. Jetzt will der BND seine internen Überprüfungsstrukturen “selbstkritisch prüfen” (ausführlich auf tagesschau.de, ZEIT).

Rechtes Recht

Konsequenzen hat rechtsextremes Verhalten im Dienst leider auch nicht immer. In Hessen wollte die Staatsanwaltschaft des Landgerichts Frankfurt ein Verfahren gegen die Mitglieder einer rechtsextremen Chatgruppe – dem „Itiotentreff“ –  eröffnen, berichtet die hessenschau. In der 2014 eröffneten Gruppe waren bis zu zehn Personen, Polizisten und eine nicht zur Polizei gehörige Frau schickten sich rechtsextremes, antisemitisches, rassistisches, behindertenfeindliches und queerfeindliches Material via WhatsApp, insgesamt 102 Vorfälle standen in der Anklage. Laut Hessischem Rundfunk waren diverse strafbare Materialien darunter: Hakenkreuzen und weiteren nationalsozialistischen Symbolen, Verharmlosungen des Holocausts – nebst diverser Hitler-Darstellungen, die nicht strafbar sind, aber die Gesinnung auch gut aufzeigen. Das Landgericht hat sich nun geweigert, die Anklage zuzulassen.

Einerseits sei die Gruppe zu klein, um von einer Verbreitung des strafbaren Materials zu sprechen, weil nie mehr als zehn Personen in der Gruppe waren. Das kennen wir von rechtsextremen Vorfällen mit zehn Zeug*innen, denen dann auch die Öffentlichkeit abgesprochen wurde, wenn verbotene Symbole gezeigt wurden.  Weiter hieß es in der Begründung: Teile der Inhalte seien „Satire“ und damit von der Kunstfreiheit gedeckt.

Da Gerichte in Deutschland komplett unabhängig sein sollen, gibt es keine Möglichkeit, Richter*innen zu Fortbildungen zu Antisemitismus und Rassismus zu verpflichten, die Verständnis der Materie und Empathie für Betroffene erhöhen könnten. Allerdings muss die Staatsanwaltschaft mit der Begründung des Landgerichtes auch nicht einverstanden sein – sie hat Beschwerde beim Oberlandesgericht eingereicht. Sollte das Oberlandesgericht das Verfahren zulassen, wird es allerdings an genau dem Landgericht verhandelt, das in menschenverachtenden Postings „Satire“ sieht.

Der hessische Innenminister Peter Beuth hatte die Inhalte der Chatgruppe „völlig inakzeptabel“ genannt und „an keinem Punkt mit den Werten der hessischen Polizei vereinbar“. Andere Polizist*innen, die Inhalte der Gruppe zu Schulungszwecken gesehen hätten, seien erschüttert gewesen. Das Land Hessen bemühe sich, auf Bundesebene Gesetzte zu verschärfen, um volksverhetzende Aussagen von Beamt*innen schärfer sanktionieren, und diese aus dem Dienst entfernen zu können – was aber noch nicht umgesetzt sei.

Die Chatgruppe war im Zuge der Ermittlungen zu den NSU 2.0-Drohschreiben aufgeflogen. Die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz war 2018 bedroht worden – und die Spuren führten in das Frankfurter Polizeirevier 1, in dem auch die Chatgruppe aktiv war. Die Polizist*innen wurden damals vom Dienst suspendiert – doch 2024 droht die Verjährung der ersten Fälle. Im Fall der NSU 2.0-Drohschreiben verurteilte im November 2022 das Landgericht Frankfurt einen Mann aus Berlin zu mehr als fünf Jahren Haft.

Anklage gegen Polizisten, die 16-jährigen Geflüchteten in Dortmund erschossen

Immerhin wird ein anderer Fall polizeilichen Fehlverhaltens nun ein juristisches Verfahren nach sich ziehen: Im Oktober 2022 wurde die Polizei in eine Jugendeinrichtung in Dortmund gerufen, weil dort ein 16-jähriger Geflüchteter damit drohte, sich selbst etwas anzutun. Statt den Jungen vor sich selbst zu schützen, eröffneten die Polizei sofort das Feuer, obwohl der 16-Jährige sie nicht bedrohte (vgl. ZDF). Nun erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage gegen fünf Polizisten. Demnach wird der Schütze wegen Totschlags, der Dienstgruppenleiter wegen Anstiftung zur gefährlichen Körperverletzung und drei Beamte wegen gefährlicher Körperverletzung angeklagt (vgl. WDR).

 

Das Bild wird unter der Lizenz GFDL 1.2 veröffentlicht.

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