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Digitalreport 2023-03 Antifeminismus, ‚Anti-Gender‘ und Transfeindlichkeit in sächsischen Telegram-Kanälen

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(Quelle: Unsplash)

Hier gibt es den Report als PDF mit allen Quellen.

Mitte Mai 2023 startete die AfD-Sachsen die Plakat-Kampagne „Vorsicht! Genderwahn im Stundenplan. ‚Schule der Vielfalt‘ heißt rot-grüne Ideologie in Kinderköpfe“. Begleitet wurde die Kampagne durch einen Antrag im sächsischen Landtag mit der Forderung, Eltern ein generelles Mitsprache- und vor allem Vetorecht in Bezug auf Sexualerziehung an Schulen zu ermöglichen, die Sichtbarkeit von geschlechtlicher Vielfalt und Sexualität im Schulalltag zu unterbinden und die Finanzierung für Projekte wie „Schule der Vielfalt“ zu streichen.

Die Kampagne und der zugehörige Antrag der sächsischen AfD zeigen exemplarisch die gegenwärtige Bedeutung antifeministischer und geschlechtsbezogener Diskurse für rechte Auseinandersetzungen. Ihre Relevanz hat zugenommen, auch deshalb, weil in als krisenhaft wahrgenommen Zeiten das Bedürfnis nach einer stabilen (Geschlechter-)Ordnung steigt. Nach Stefanie Mayer und Judith Goetz im Sammelband Rechtsextremismus. Band 3: Geschlechterreflektierte Perspektiven (2019) stellt Antifeminismus eine eigenständige, wenn auch in sich widersprüchliche Ideologie der Ungleichheitdar, die als konstitutiver Bestandteil rechten Denkens verstanden werden muss und dabei mit anderen Ungleichheitsideologien in Verbindung steht.

In unserer Analyse wird insbesondere die enge Verbindung zu Transfeindlichkeit, Homophobie, Rassismus und Antisemitismus deutlich. Vergleichbar mit anderen rechten Ideologien erweist sich Antifeminismus als wandelbar, was sich besonders an aktuellen Erscheinungsformen wie den ‚Anti Gender‘-Mobilisierungen zeigt. Diese müssen als ein „neues, zentrales Versatzstück antifeministischer Rhetoriken gedeutet werden“, die sowohl Kontinuitäten als auch Modernisierungen im antifeministischen Denken zeigen. Der Fokus der Auseinandersetzungen liegt hierbei auf einer Verteidigung der ‚Natürlichkeit von Geschlecht‘ und damit zusammenhängenden Sexualitätsvorstellungen sowie einem ‚Familienzentrismus‘, indem Feminismus und Gender-Theorie „die Zerstörung der Familie“ vorgeworfen wird, besonders in Zusammenhang mit der Ablehnung zeitgenössischer sexualpädagogischer Ansätze und den rechtlichen Verbesserungen für LGBTIQ.

Vor diesem Hintergrund haben wir uns die Frage gestellt, welche Rolle das Thema Geschlecht für rechte Mobilisierungen in Sachsen spielt, und sind dem anhand einer Analyse von rechten sächsischen Telegram-Kanälen und -Gruppen nachgegangen. Dabei konnten wir im Nachrichtenaufkommen des letzten Jahres zeigen, welche Akteure spezifische Themen dominieren sowie welche zentralen ideologischen Klammern samt potentieller Anschlussfähigkeit besonders relevant sind und auch in Zukunft eine wichtige Rolle für Mobilisierungen spielen könnten.

Datengrundlage und Verbreitung themenrelevanter Nachrichten

Die vorliegende Analyse bezieht sich auf eine Auswertung für den Zeitraum vom 1. Mai 2022 bis 7. Juli 2023. Mithilfe der computergestützten Methode des Topic Modeling wurde der gesamte Datenkorpus in Topics aufgeteilt. Anschließend wurden die Topicbeschreibungen nach antifeministischen und queerfeindlichen Stichworten durchsucht. Die Texte zugehöriger Topics wurden herausgegriffen und erneut einem Topic Modeling unterzogen, um eine bessere Auflösung der Unterthemen im zu untersuchenden Komplex zu erhalten – bildlich ist das Verfahren vergleichbar mit einem Brennglas, welches eine feinere Granularität aufzeigt. Über die Zeitstempel der Nachrichten konnte der zeitliche Verlauf der Unterthemen abgebildet werden (Abb. 1), und durch eine Kategorisierung der Quellen, denen die Nachrichten entstammen, konnte die Gewichtung der Unterthemen in den jeweiligen Akteurskategorien abgebildet werden (Abb. 2). Darüber hinaus fand eine inhaltsanalytische Textauswertung statt (siehe den folgenden Abschnitt).

Antifeministische und queerfeindliche Themen im zeitlichen Verlauf 01.05.2023 – 07.07.2023. Gleitender Mittelwert: 7 Tage

In Abbildung 11 sehen wir den zeitlichen Verlauf antifeministischer und queerfeindlicher Themen in den analysierten Nachrichten. Dabei fällt direkt der Ausschlag im Nachrichtenaufkommen pro Tag im Dezember 2022 ins Auge. Unter dem Topic „Fußball WM22 Pride“ wurde die Fußball Weltmeisterschaft der Männer in Katar diskutiert, vor allem die Verfolgung von Personen der LGBTIQ-Community im Kontrast zu Solidaritätsbekundungen einzelner Fußballspieler oder Fans zum Beispiel durch Zeigen der Pride-Flagge oder One-Love-Armbinde. Aber auch Bewunderung für die in Katar grassierende Homophobie und Transfeindlichkeit werden laut. Außerdem zeigt sich in der Grafik, dass Auseinandersetzungen um sexuelle und geschlechtliche Vielfalt, die oft mit Anfeindungen gegenüber der LGBTIQ-Community einhergehen, dauerhaft präsent sind und sich anlassbezogenen intensivieren. Deutlich wird das beispielsweise im Nachrichtenaufkommen um den CSD im September 2022 in Döbeln, welcher durch eine vom NPD-Kader und Freie Sachsen-Aktivist Stefan Trautmann angemeldeten Gegenveranstaltung mit Anfeindungen begleitet wurde, und zeigt sich auch in den Nachrichten über einen Karnevalsumzug bei Bad Schandau im Januar 2023, bei dem ein Mottowagen mit dem Namen „Asylranch“ einen Regenbogenmann am Marterpfahl. Die Grafik verdeutlicht weiter, dass die Topics „Sexuelle und Geschlechtliche Vielfalt“ und „Kindeswohlgefährdung“ in enger Verbindung miteinander stehen. Einen Peak sehen wir im Mai 2023 – hier wurde eine Bücherlesung einer Transperson in München kritisiert und angefeindet.

Außerdem fand am 11. Mai 2023 eine „Demo für Alle“ gegen sexuelle und geschlechtliche Vielfalt statt. Generell sehen wir einen Anstieg der Thematik „Kindeswohlgefährdung“ im Vorfeld und während des jährlichen Pride Month (Juni) im Jahr 2022, noch stärker für 2023. Unter dem Topic „zwei Geschlechter“ beziehen sich die Nachrichten vor allem auf eine biologische Begründung von Zweigeschlechtlichkeit und damit zusammenhängende Persönlichkeitseigenschaften sowie die (vermeintlich schon erreichte) Gleichstellung von Mann und Frau. Das erhöhte Nachrichtenaufkommen um den 8. März erklärt sich durch den internationalen Frauentag, den viele Nachrichten zum Anlass nehmen. Massive Kritik zog im Oktober 2022 ein Text zu Transgeschlechtlichkeit und der medikamentösen Einnahme von Pubertätsblockern auf dem Informationspool zu geschlechtlicher und sexueller Vielfalt (Regenbogenportal) der Bundesregierung auf sich. Das spiegelt sich auch in unserer Abbildung und zeigt sich in einem Peak des Topics „Pubertätsblocker“ im Oktober 2022.

Abbildung 12 zeigt die Wichtung der Nachrichtenkategorien je nach Akteursgruppe. „Sexuelle und Geschlechtliche Vielfalt“ und „Kindeswohlgefährdung“ sehen wir vor allem als Schwerpunkte bei Der III. Weg und der NPD, aber auch über die anderen Akteure sind diese Themen breit gestreut. Das Thema „Kindeswohlgefährdung“ zeigt dabei besondere Relevanz für „Eltern stehen auf“, die AfD und für überregionale Kanäle. Der Schwerpunkt des Themas bei der Identitären Bewegung ergibt sich vor allem durch eine von ihnen durchgeführte Protestaktion in Wien gegen eine Lesung für Kinder von einer Transperson.

Das Thema „Fußball-WM22 Pride“ wird besonders von den Freien Sachsen begleitet, wie auch PEGIDA und Influencern und das Thema „Selbstbestimmungsgesetz“ wurde vor allem von Der III. Weg thematisiert. In der Abbildung wird deutlich, dass das Thema „Genderneutrale Sprache“ nicht (mehr) die gleiche Relevanz besitzt, wie Debatten um sexuelle und geschlechtliche Vielfalt und Kindeswohlgefährdung.

Neben dieser thematischen und akteursbezogenen Einordnung mit Hilfe des Topic Modeling haben wir die Nachrichten anschließend mit qualitativen inhalts- analytischen Verfahren ausgewertet (Mayring 2010). Dabei haben wir textgeleitet ein Kategoriensystems entwickelt, welches die Nachrichten aller durch das Modeling generierten und für die Analyse relevanten Topics gleichermaßen mit einbezog. Das Ziel einen solchen Verfahrens ist es, themen- und akteursübergreifende, querliegende ideologische Klammern und dominante Narrative herauszustellen.

Antifeministische und Queerfeindliche Themen in den Akteurskategorien. Zeitraum 01.05.2023 – 07.07.2023

Dominante Narrative

Narrativ 1: „Hände weg von unseren Kindern!!!“

Zu den dominantesten Narrativen gehört die Sorge um Kinder bzw. vermeintlicher Kinderschutz. In einer Analyse der am häufigsten geteilten Nachrichten im Zeitraum vom 17. April bis 7. Juli 2023 landet die Nachricht der FreieSachsen mit dem Titel „Völlig irre: Sex-Seminar mit Doktorspielen in Kindergarten geplant!“ auf Platz 4 und wurde 28-mal geteilt. Exemplarisch zeigt sich hier die starke Fokussierung auf Sexualität bei gleichzeitigem Wunsch nach Dethematisierung, eine Ambivalenz, die sich auch in den anderen Narrativen zeigt. Zentral ist dabei die Vorstellung, dass Sexualität in die Privatsphäre gehöre („Die eigene Sexualität muss Privatsache bleiben“) und Kindern eine Auseinandersetzung mit ihren Bedürfnissen, Wünschen und Grenzen maximal – wenn überhaupt – im „heimische[n], familiäre[n]“ Kontext vermittelt werden sollte, auf jeden Fall nicht öffentlich in Kindergärten oder Schulen. In diesem Zusammenhang ist von einem „Eingriff in Familienangelegenheiten“ und einer „Übergriffigkeit des Staates“ die Rede.

Dieses Narrativ verbindet unterschiedliche Themen miteinander und weist eine breite Anschlussfähigkeit und emotionale Kraft auf. Dabei ist die Instrumentalisierung von Kinderschutz kein neues Thema in rechten Diskursen, erhält aber offensichtlich gegenwärtig neue Brisanz. Ausgangspunkt sind Themen wie Sexualpädagogik und die Sensibilisierung für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt im Schulkontext und so zeigt sich ein erhöhtes Nachrichtenaufkommen nach diesbezüglichen politischen Empfehlungen und Beschlüssen (siehe Abbildung 11). Zentral ist die Inszenierung eines Bedrohungsszenarios in Bezug auf die körperliche und psychische Unversehrtheit von Kindern. Das zeigt sich in Formulierungen, in denen das Thema ‚Gender‘ als eine gefährliche „Attacke auf Identität und Psyche“ beschrieben wird, die „direkt ins Hirn deiner Kinder“ geht; wenn vor den „Schäden der Übersexualisierung“ gewarnt wird, welche „Generationen von Kindern traumatisiert“, und kulminiert schließlich in der Fantasie, dass von Seiten der Politiker:innen ein „Krieg […] gegen unsere Kinder“ geführt werde.

Sehr präsent ist der rechte Kampfbegriff der ‚Frühsexualisierung‘, der vor allem einer Abwehr zeitgenössischer sexualpädagogischer Ansätze für das Kindesalter dient (Mayer/Goetz 2019, 208). In den analysierten Nachrichten wird diese Form der Pädagogik als Grenzüberschreitung und Gewalt gegenüber Kindern beschrieben, verstärkt durch die Vorstellung, dass Sexualität und Kindlichkeit einander ausschließen und diametral gegenüberstehen. Folglich ist Sexualität etwas, das Kindern ‚von außen‘ passiert, als eine Gefährdung und Beschädigung ihrer „kindlichen Unschuld“.

„Frühsexualisierung, Kinderehe, tausend Geschlechter. Den Kindern von heute wird ihre Kindheit geraubt und sie werden in eine Welt von kranken, notgeilen Deutschlandhassern rein gezogen. Wir wollen für unsere Kinder eine lebenswerte Zukunft, in welcher sie geschützt vor den perversen Plänen dieser Regierung aufwachsen können“

Die bereits in dem oben zitierten Freie-Sachsen-Post beschriebene Übergriffigkeit spitzt sich in der Figur des Pädophilen zu schreibt etwa Maximiliam Römer im Sammelband Unerhörte Stimmen. Psychoanalytische Erkundungen zu gesellschaftlichen Phänomenen (2021). Als eigentliches Ziel der ‚Frühsexualisierung‘ wird die Legitimation von Kindesmissbrauch ausgemacht. Besonders im Fokus ist die Partei Die Grünen mit ihrer „Pädophilie-Vergangenheit“, aber auch das WEF, die UNO und die UN. Generell speist sich der Vorwurf der Pädophilie neben Verschwörungserzählungen insbesondere aus Transfeindlichkeit und Homophobie, denn es sind vorwiegend schwule Männer und Transpersonen, die hier als ein pädophiles Feindbild konstruiert werden.

In diesem Zusammenhang taucht auch der bereits für die militante ‚Kinderschutzbewegung‘ des Nationalsozialismus zentrale Begriff des ‚Kinderschänders‘ wieder auf, dessen Mobilisierungspotenzial besonders seit Ende der 1990er Jahre in neonazistischen Kreisen genutzt wird. Einmal mehr zeigt sich, dass die Instrumentalisierung des Themas Kinderschutz eine wichtige Normalisierungsstrategie und Bezugspunkt rechter Themensetzungen ist.

Narrativ 2: „Eine Frau bleibt nun mal eine Frau, ein Mann bleibt ein Mann“

Ab Juni 2022 gewinnen in den Gruppen und Kanälen von Queer- und Transfeindlichkeit gekennzeichnete Debatten um das Selbstbestimmungsgesetz an Bedeutung. Das Gesetz wird als „Pippi-Langstrumpf-Ideologie“ beschrieben, durch die sich jeder je nach Tagesform, „täglich neu für ein Geschlecht […] entscheiden“ könne. Mit der Möglichkeit, den Geschlechtseintrag zu ändern, würde „die Biologie bestritten“, denn „normal ist, wie uns die Natur ausgestattet hat, als Mann oder Frau“. Besonders in Bezugnahme auf Transpersonen und geschlechtliche Transitionsprozesse zeigt sich eine für antifeministische Diskurse zentrale, normative Naturkonzeption, die, wie Mayer und Goetz (2019) schreiben, „mit Ewigkeit und Unveränderbarkeit verbunden wird“ und schließlich eine „daraus abgeleitete ‚Normalität‘ der heterosexistischen und patriarchalen gesellschaftlichen Ordnung“ legitimiert. Gleichzeitig ist die Bezugnahme auf Natur widersprüchlich, z.B. wenn Transpersonen als „Launen der Natur“ beschrieben werden, in Verbindung mit Charakterisierungen als „Mischwesen“, „Zwischendinger“, „krank“, „gestört“ oder „degeneriert“, die an das sozialdarwinistische Theorem der Höherentwicklung anschließen. Hier wird davon ausgegangen, „dass die Geschlechterdifferenz umso ausgeprägter sei, je höher eine Spezies in der Entwicklungsfolge der Lebewesen angesiedelt und je kulturell höherstehend eine ‚Menschenrasse‘ sei“ (Klöppel 2014, 108). Dabei zeigen sich neonazistische und rassistische Sehnsüchte nach einem reinen, (geschlechtlich) eindeutigen und gesunden (Volks-)Körper und wenn Trans als „Verstümmelung und Kastration“ beschrieben wird, verbindet sich das auch mit Fragen männlicher Potenz bzw. der Angst vor deren Verlust. Die Vorstellung eines ‚Mischwesens‘ wiederum schließt an antisemitische Geschlechterbilder an.

Immer wieder wird Transgeschlechtlichkeit auch als Modetrend oder Kult aus den USA bezeichnet,37 und somit als etwas Vorübergehendes und Künstliches, dessen man sich nur mit Verboten und einem Durchgreifen mit harter Hand erwehren könne, als Orientierung hierfür dient Russland.

Narrativ 3: „Die Gender-Ideologie ist auf dem Vormarsch zur Staatsdoktrin“

Neben dem Thema Kinderschutz und Transgeschlechtlichkeit ist der Kampf gegen ‚Gender‘ auch in unserer Analyse eines der verbindenden Elemente rechter geschlechtsbezogener Diskurse. Der Begriff der „Gender-Ideologie“ wird seit Mitte der 1990er-Jahre genutzt. Mit ihm versuchte der Vatikan, die Einbindung von Gender-Mainstreaming-Konzepten in die Abschlussdokumente von UN-Konferenzen zu bekämpfen (Mayer/Goetz 2019, 213). Von dort aus konnte er sich auch in säkularisierter Form verbreiten und bestimmt heute vor allem als Verschwörungsnarrativ und Bedrohungsszenario rechte Debatten. In unseren Nachrichten taucht er oft als „Transgender-Ideologie“ auf. Hier zeigt sich eine Verschiebung in der inhaltlichen Gewichtung: Debatten um genderneutrale Sprache treten etwas in den Hintergrund zugunsten von Transfeindlichkeit (vgl. Abbildung 12). Auch in diesem Narrativ sind es vor allem Kinder, die vor einer „Indoktrinierung“ mit dieser „perversen Ideologie“ geschützt werden müssten.

„Diese Gender/Queer Ideologie ist die momentan radikalste Zuspitzung des linken Kampfes gegen die Realität, die Normalität, gegen das was ist und immer war, gegen den Menschen und seine Natur. Es ist ein Zivilisationsbruch. Sich dieser abgründigen Ideologie entgegenzustellen ist Aufgabe und Verpflichtung aller anständigen Menschen die noch Respekt vor dem menschlichen Wesen empfinden und für unsere Zivilisation eintreten.“

Die Rede von einem Zivilisationsbruch ist hier nicht zufällig, immer wieder findet in diesem Kontext eine Relativierung der Shoah statt.

Wenn „Genderpolitik“ darüber hinaus vor allem als ein totalitäres Instrument beschrieben wird, mit dem eine Minderheit der Mehrheit ihre Positionen aufzwingen will, referiert das auf antikommunistische Ressentiments. Nicht selten wird in verschwörungsgläubiger Manier eine direkte Verbindung zu einem in rechten Kreisen so bezeichneten ‚Kulturmarxismus‘ imaginiert: „Der Westen versinkt im Trans Abgrund. Die kollektive (Trans)Gender Zeitgeistpsychose mit ihren buchstäblich ‚diversen‘ Ausprägungen hält die gesamte westliche Welt weiterhin fest in ihrem Würgegriff […]. Die Auswüchse, die dieses irrsinnige kulturmarxistische postmodernistische Konstrukt und die Methoden seiner Durchsetzung annehmen, tragen zunehmend totalitäre Züge“.

An diesem Zitat wird deutlich, dass die Rede von ‚Gender‘ als Chiffre für die Beschreibung einer größeren „gefährliche[n]“ gesellschaftlichen Entwicklung fungiert, die zur „Zersetzung“ von Familie und Gesellschaft und zur „Identitätszerstörung“ führt. Hier wird eine Verschwörung imaginiert, die mittels „Manipulation“ und „LGBTQ+-Propaganda“ zum gesellschaftlichen Niedergang führe. In dieser Erzählung dient LGBTIQ „zur Ablenkung“ von einem noch größeren Unterfangen: „Die Transgender-Agenda ist ein gewaltiges Umerziehungsprojekt der Globalisten“. Wahlweise sind es wie hier die Globalisten oder die EU, die neue Weltordnung (NWO), die UN, das WEF, die Regenbogenmafia, Rockefeller, George Soros etc., die hinter der Agenda stecken und damit das antisemitische Bild der ‚Strippenzieher‘ erfüllen. Die Erzählung von einer ‚Gender-Verschwörung‘ enthält zentrale antisemitische Elemente und kann die Funktion einer Umwegkommunikation für einen gesellschaftlich tabuisierten Antisemitismus erfüllen. Die fortwährende Rede von einem omnipräsenten „Genderwahn“ kann durchaus als projektive Beschreibung der eigenen Verfolgungsfantasien verstanden werden: der wahnhaften Beschäftigung mit einem vermeintlichen Aggressor namens ‚Gender‘.

Narrativ 4: „Die Abschaffung des Männlichen […] [durch] Migration und Kulturimport“

In den analysierten Nachrichten zeigt sich außerdem ein starker Zusammenhang zwischen rechten geschlechtspolitischen Debatten, Rassismus und Muslimfeindlichkeit. Werden Menschen, die sich für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt einsetzen, einerseits als „das pure Böse“ beschrieben, stehen sie doch unter dem Schutz des nationalen Kollektivs, wenn man sie gegen migrantisierte Personen verteidigen kann. Geht die Gewalt gegen queere Personen von den ‚rassifizierten Anderen‘ aus, dann ist sie plötzlich „schockierend“ und Straftaten werden monokausal mit Nationalitäten55 oder einer islamischen Religionszugehörigkeit erklärt56. Die eigene Frauen-, Homo- und Transfeindlichkeit wird auf das geteilte Feindbild ‚Islam‘ projiziert, das vor allem in der Figur des jungen, männlichen, muslimischen Migranten erscheint. Dabei wird die Imagination einer virilen, gewaltbereiten, ‚fremden‘ Männlichkeit zugleich bewundert und gefürchtet – sie stelle insbesondere deswegen eine Gefahr dar, weil die ‚eigene‘ Männlichkeit durch Feminismus und ‚Transgender-Ideologie‘ verweiblicht wurde und an Potenz und Wehrhaftigkeit verloren hat: „Die Abschaffung des Männlichen, somit sind wir auch gleich Migranten hilf los ausgeliefert. Messer Kulturimport….Es ist alles bis auf das Kleinste durchgeklügelt. Great Reset. Der Plan: Umvolkung. Arme weibliche Männer gegen Messerkulturen. Uns kann keiner mehr helfen“.

An diesem Zitat zeigt sich sehr gut, wie in der Verschwörung verschiedene Bedrohungen der ‚Volksgemeinschaft‘ zusammenwirken: Die Gefahr von ‚innen‘ ist die vermeintliche Schwächung durch ‚Verweiblichung‘, die Bedrohung von ‚außen‘ ist (männliche) Migration. Dieses Bedrohungsszenario kulminiert in der rassistischen und antisemitischen Verschwörungserzählung vom „großen Austausch“: Von einer mächtigen Gruppe werde die Einwanderung von Geflüchteten gesteuert, die zum ‚Volkstod‘ führe. Besonders hier wird deutlich: Männlichkeitsfetisch und Resouveränisierungswünsche sind in rechten Diskursen mit Rassismus und Antisemitismus verbunden.

Eine ambivalente Bezugnahme auf die Homophobie der ‚Anderen‘ zeigte sich auch im Kontext der Fußball Weltmeisterschaft der Männer im November und Dezember 2022 in Katar. Ab Anfang November nimmt das Thema WM in Verbindung mit LGBTIQ in dem Nachrichtenaufkommen deutlich zu (siehe Abb. 2). So wird beispielsweise der katarische WM-Botschafter und frühere Fußball- Nationalspieler Khalid Salman bewundernd zitiert, wie er Homosexualität als „geistige[n] Schaden“ bezeichnet und mit dem Kommentar verbunden: „Dank dem Bückling von Herrn Habeck dürften die LGBTxyz Fussbalfans ungeschoren davonkommen“.

Dabei werden einerseits Nachrichten geteilt, die schon im Vorfeld der WM auf Homophobie und LGBTIQ-Feindlichkeit in Katar aufmerksam machen, und anderseits moniert, dass man „selbst beim Fußball noch mit einer zutiefst kranken, unwissenschaftlichen, kulturmarxistischen Zersetzungs-Ideologie penetriert“ werde. Auch hier geht es um den Verlust männlicher Souveränität/Potenz, denn, so liest man in der Nachricht weiter: „Aber da ‚die Mannschaft‘ ja nicht etwa aus gratismutigen Zeichensetzern besteht, sondern aus beinharten Kerlen mit Eiern aus Kruppstahl, werden sie im November in Katar auch mit Weiberklamotten und Regenbogen Armbinde aufs Spielfeld laufen und wegen der rassistischen Behandlung unterbezahlter Gastarbeiter auf die Knie fallen, um dem Emir Tamim bin Hamad Al Thani mal so richtig zu zeigen, wo der Frosch die Locken hat“

Angesichts dieser Erniedrigung ist folglich auch klar, wer die Potenz, die ungeleugnet auch mit einer Lust an sexueller Gewaltbereitschaft einhergeht, für sich verbuchen kann: „Der achso tolerante Islam fickt die toleranzbesoffene FIFA mal so richtig schön trocken in den queeren Arsch“.

Fazit

In den analysierten Nachrichten zeigt sich eindrucksvoll die Bedeutung der Ordnungskategorie Geschlecht für rechtes Denken. Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt steht hier für Bedrohung, ‚Zersetzung‘, Erniedrigung und Chaos in der Gesellschaft. Davor müssten insbesondere Kinder gerettet werden – der vermeintliche Kinderschutz generiert außerdem eine hohe Anschlussfähigkeit von rechten Positionen über Milieugrenzen hinweg. Es werden Ängste geschürt, auch in Hinblick auf Kontrollwünsche gegenüber den eigenen Kindern, und Schuldige für das daraus entstehende emotionale Bedrängnis ausgemacht. Insbesondere die AfD kanalisiert diese Ängste und macht die Bundesregierung sowie das linke politische Spektrum als Feindbild aus.

Über die analysierten Themen des Topic Modeling und die unterschiedlichen Akteure hinweg zeigt sich dabei, was Hannah Engelmann als charakteristisch für eine antiqueere Ideologie beschreibt: ein starker „Wunsch nach Härte, Klarheit und Eindeutigkeit, eine Abneigung gegen Aufweichungen, Verflüssigungen, Vervielfältigungen“.

Gleichzeitig zeigte die Analyse – und das ist in Debatten um Geschlecht nicht verwunderlich, wird aber oft vernachlässigt – eine ambivalente, sehr präsente Bezugnahme auf Sex und Sexualität. Während einerseits beklagt wird, dass „die Sexualisierung der Gesellschaft […] Mensch und Freiheit zerstört“, nehmen gleichzeitig sexuelle Fantasien – wenn auch als Bedrohung – einen wichtigen Stellenwert in den Debatten ein. Ein besonderer Ausdruck davon ist die aufgerufene Vorstellung von „knallhartem Sex“, den pädophile Menschen mit Kindern hätten, oder der ‚Frühsexualisierung‘, die aus Jugendlichen „Sex-Sklaven“ mache. Mit diesen Formulierungen drängt sich die Frage auf, wie viel der eigenen sexuellen Fantasien hier in verstellter Weise ihren Ausdruck findet und wie sehr die Feindbildkonstruktion von devianter Sexualität in Form von LGBTIQ das Sprechen über Sex erst ermöglicht. Auf diesen Zusammenhang verweisen auch die Studien zum Autoritären Charakter von Ardono und Kolleg*innen: „In dem starken Trieb, Übertreter des Sexualkodex zu züchtigen (Homosexuelle, Sittlichkeitsverbrecher) kann sich eine allgemeine Strafsucht äußern, die auf der Identifikation mit Autoritäten der Eigengruppe basiert, die aber auch darauf schließen lässt, daß die eigenen sexuellen Triebe des Individuums unterdrückt werden und in Gefahr sind, seiner Kontrolle zu entgleiten“. Sexualität und Geschlecht sind ein in rechten Debatten stark verfolgtes und verfolgendes Thema. Insbesondere die darin liegende Uneindeutigkeit und Ambivalenz macht es für rechte antifeministische Mobilisierungen so bedeutsam.

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