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Giovanna Winterfeldt und der Soft-Touch-Rechtspopulismus

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Pink, das muss für Frauen sein: Giovanna Winterfeldt im Studio von "Gio unzensiert" (Quelle: Screenshot)

Neonfarbene Schriftzüge, pinke Flamingos, Winkekatzen beleben den spärlich ausgeleuchteten Show-Raum. Die kitschige Background-Kulisse steht im Kontrast zu der jungen, sehr wach wirkenden Moderatorin. Mit leicht nach unten angewinkeltem Kopf und seriöser Mine moderiert sie das Intro ihrer neuen Show: „Meine Damen und Herren, liebe Zuschauer und Zuschauerinnen, schnallen Sie sich an, denn wir betreten das wunderbare Land der Einheitsmedaillen und Teilnehmerurkunden. Das Land, in dem alle gleich sein sollen und keiner sich vom anderen abheben darf. Was genau ich damit meine und warum Dabeisein nicht alles ist, das verrate ich euch gleich bei „Gio unzensiert“, denn bei mir bekommt ihr eine fette Portion Wahrheit – ganz ohne Woke-Filter!“

#allesaufdentisch und #friedlichzusammen

„Gio unzensiert“ heißt das neue YouTube-Format aus dem Hause NIUS, dem Medien Start-up, das auch Julian Reichelt unter Vertrag hat. Die Sendung ist nach der Moderatorin Giovanna Winterfeldt benannt, einer Synchronsprecherin Anfang 30, die immer mal wieder in der Vergangenheit auch in „Achtung, Reichelt!“-Sendungen die Gastmoderation übernehmen durfte. Doch Reichelts Sendung ist nicht ihre erste Berührung mit libertärer Aufregung vor laufender Kamera. 2021 nimmt Giovanna Winterfeldt bereits an der von deutschen Medienmacher*innen und Schauspieler*innen initiierten YouTube-Protestaktion #allesaufdentisch (vgl. zur Aktion NDR) zur pandemischen Lage teil.

Darüber hinaus organisiert sie zusammen mit Schauspielerinnen wie Sabine Winterfeldt (Giovannas Mutter), Miriam Stein oder Tina Maria Aigner die Berliner Demoreihe #friedlichzusammen, die konträre Haltungen, vermeintlich „aus der Mitte der Gesellschaft“, zur nicht existenten Impfpflicht amplifizieren möchte.

Kooperation mit SchwrzVyce

„Spaziergang“-Video auf YouTube

2022 produziert Winterfeldt, die auch musikalisch versiert ist, zusammen mit dem covidskeptischen Rapper Kaia Boehm alias SchwrzVyce ein tendenziöses Musikvideo zu einem Song namens „Spaziergang“.

Erst Coronaleugner*innen-Song, dann AfD-Werbevideo: SchwrzVyce.

Kaia Boehm, seinerseits AfD Supporter, verbreitet auf Telegram immer wieder gerne Verschwörungserzählungen oder diskutiert mit bekannten Rechtspopulisten wie Oliver Flesch.

Screenshot aus dem Telegram-Kanal von Kaia Böhm aka SchwrzVyce: Hier bewirbt er sein „Streitgespräch“ mit dem verschwörungsideologischen Alternativmedienmacher Oliver Flesch. Das Foto mit Giovanna Winterfeldt, das in der Werbung zu sehen ist stammt aus dem Musikvideo zu „Spaziergang“. Sie war nicht im Gespräch dabei.

Boehms polarisierender Internet-Auftritt, mit dem Winterfeldt in ihrem „„Spaziergang“Duett-Video zusammen trällert, geht auch an Giovanna nicht spurlos vorbei. Vorsorglich echauffiert sich Winterfeldt kurz vor dem Ankündigen der Schwrz-Vyce-Kollaboration mit einigen Stinkefinger-Selfies und vehementen Videostatements über „Cancel Culture“ und „Kontaktschuld“ von der vermeintlichen „PC Culture“ (zu dt. = Kultur der politischen Korrektheit).

In ihrer Welt scheint sich ab dem Musikvideo ein Wandel zu vollziehen, der sich als Coronapandemie-Radikalisierung interpretieren lässt –  und ihr neue Fans und Aufmerksamkeit in einer für Synchronsprecherinnen arbeitsarmen Zeit beschert. Fast forward zum Juli 2023: Giovanna Winterfeldt schlüpft in eine neue Rolle, ab jetzt tritt sie auf „NIUS“ und YouTube als populistische Meinungsmacherin mit “Gio unzensiert“ auf.

Pop wie RechtsPOPulismus

Im Repertoire hat „Gio unzensiert“, was demokratieskeptische und rechtspopulistische Herzen schneller schlagen lässt: angebliche Wokeness in der Filmindustrie, vermeintliche Impfschäden als Folgen der Covid-Spritzmanie, der Untergang von Frauenzeitschriften, weil sie auch zu „woke“ seien, aka „VOGUE Woke“, Pöbeln gegen die Bundesjugendspiele – also alles, was gerade hoch reißerische und gerne dramatisch überspitzten Diskussionsthemen sind.

Frei assoziierend springt Winterfeldt von Thema zu Thema, verknüpft Friedrich-Nietzsche-Zitate mit dem Eskapismus des Lesens von Frauenzeitschriften, beweint das Verschwinden der Frau aus dem öffentlichen Bewusstsein als Folge des „Trans-Wahnsinns“(Screenshot) und verteilt dabei süffisant lächelnd ein kunterbuntes Bukett rechtspopulistischer Rhetorik. Dabei verpackt Winterfeldt den Hass, den sie schürt, relativ clever hinter vermeintlich gut gemeint und empathisch wirkenden Auslassungen der angeblichen Sorge um bestimmte Gruppen, die zugleich aber andere Gruppen abwerten.

Deutsche Candace Owens?

Was Giovanna und die NIUS-Redaktion jedoch nicht verraten, ist, dass ihr innovatives Meinungsformat, stark an Candace Owens „Daily Wire”-Sendung angelehnt ist. Ähnlich wie Julian Reichelt, der mit „Achtung, Reichelt!“ versucht hat, das Erfolgsrezept des ehemaligen Fox-News Hosts, Tucker Carlson für sich zu beanspruchen, kapitalisiert auch Giovanna Winterfeldt von Candace Owens’ Vorbild.

Candace Owens in ihrer Show „A shot in the dark“ auf Daily Wire – auch sie will über angeblich gesellschaftlich tabuisierte Themen informieren.

Die US-amerikanische Moderatorin der gleichnamigen Sendung ist eine der reichweitenstärksten Populist*innen, die eine durchweg erzkonservative Zuschauerschaft für sich begeistert. Beide Moderatorinnen sind intelligent, schwarz und libertär-konservativ. Beide kultivieren ein ähnliches öffentliches Auftreten. Sie wollen nämlich über weichere, möglicherweise als „weiblich“ assoziierte Themen sprechen und halten sich dabei elegant von realpolitischen Debatten fern. Vielmehr sind sie Kommentator*innen eines Zeitgeistes, entsetzte Trend-Beobachter*innen, die ihre besondere Position nutzen, um Kultur, insbesondere Popkultur, rechtspopulistisch zu kapern.  Um es mit den Worten von Candace selbst zu sagen: „Meiner Meinung nach liegt ein wesentlicher Grund dafür, dass die Konservativen so viel Boden an die Linke verloren haben, darin, dass wir unsere Nase vor Kultur gerümpft haben“ (vgl. The New Yorker). Ihnen geht es nicht um Politik und Abstraktion, nein, sondern um reaktionären Kulturkampf um die Seele der Nation.

Schreckgespenst Wokeness

Die meinungsstarken Eröffnungsmonologe handeln – ziemlich erwartbar – von den üblen Missständen in der deutschen Gesellschaft, die, so der Winterfeldt-Subtext, allesamt von einer bösen Wokeness verursacht wurden. Das narrative Schreckgespenst einer zensierenden Wokeness ist in Giovannas Welt der Auslöser einer modernen, deutschen Malaise, die zu einer kollektiven „Vermeidungskultur“ geführt habe, die verhindere, dass Menschen noch miteinander redeten.

Giovannas Ton ist meist heiter, locker – ab und zu muss jedoch auch sie ernst werden. Besonders dann, wenn sich die Moderatorin bedroht fühlt. Themen wie Corona-Impfschäden, der vermeintlich umkämpfte Status von Mutterschaft, Frauentoiletten oder Frausein im Allgemeinen. Bedroht wird Giovanna nicht dabei von jeglicher Veränderung, die mit ihrem konservativen Weltbild nicht d’accord ist.

Gleichzeitig lässt sich beobachten, dass „Gio unzensiert“ von der Art der Aufmachung wahrscheinlich an eine konservative, weibliche Zuschauerschaft appellieren möchte. Dafür sprechen die Themenauswahl (“VOGUE Woke”, „Frauen: die neuen alten weißen Männer”), sowie die farbliche Komposition der Show, die gern eine pink tragende Moderatorin mit pinkem Bildhintergrund inszeniert (Screenshot). Die Realität der Zuschauerschaft ist jedoch eine andere, wie die generelle NIUS Zuschauerschaft zeigt: 71,9 % Männeranteil bei 28,1 % Frauen.

Alora, die Medienstrategie

„Gio unzensiert“ nimmt sich hauptsächlich identitätspolitischer Themen an, die angeblich das kulturelle Klima der deutschen Spätmoderne widerspiegeln würden. Identitätspolitik ist womöglich für Winterfeldt, aber auch für das Medien Start-up NIUS, ein zentraler Aspekt eines geheimen Kulturkampfes, der zwischen zwei politischen Lagern ideologisch ausgefochten wird. Warum ein Kulturkampf? In diesem gehe es um nicht mehr oder weniger als die Seele der Nation, die aktuell scheinbar von externen Kräften angegriffen wird. Die zwei eben erwähnten Lager werden in NIUS-Manier dichotom als „gut“ und „böse“ assoziiert. Auf der einen Seite haben wir die politisch Konservativen, die als besonnen, der Logik verhaftet, klar und „normal“ aufgeladen werden, auf der anderen Seite gibt es die Linksliberalen, die verweichlicht, weinerlich, irrational und anormal dargestellt werden.

NIUS möchte nämlich laut eigenem Mission Statement „der Mehrheit in Deutschland eine Stimme“ geben und den kleinen Mann zu Wort kommen lassen. NIUS versteht sich nämlich als „Massenmedium für den deutschsprachigen Raum, das diese Mehrheit erreicht und bewegt, ihre Bedürfnisse versteht und ihrer Meinung das journalistische Fundament gibt.“ Somit inszeniert sich NIUS als ein populistischer Sehnsuchtsort, ein Medium einer imaginierten stillen Mehrheit, die entsetzt auf die vermeintliche Zersetzung der kulturellen Werte blickt und die fassungslos eine Anormalisierung Deutschlands anhand der rot-grünen Regierung hinnehmen muss. Doch glücklicherweise sind Menschen wie Julian Reichelt, Ralf Schuler oder Giovanna Winterfeldt da, um den kleinen Mann vor dem einfallenden Bösen zu schützen –  oder ihm damit Angst zu machen und damit Views und Geld zu verdienen.

 

Ergänzung, 01.09.2023:

Aus Gründen journalistischer Sorgfalt und zur Vermeidung der Reproduktion rassistischer Vergleiche hätte dieser Artikel inhaltlich neben dem direkten Vergleich zu Candace Owens noch andere konservative amerikanische Moderator*innen wie Laura Ingraham von Fox News hinzuziehen können. Doch die Rolle, die von Giovanna Winterfeldt bei NIUS erfüllt wird, ist deckungsgleich mit der Rolle einer Candace Owens für DailyWire . Beide Moderator*innen werden von einem hegemonial weißen Nachrichtensender mit rechtspopulistischer Agenda taktisch dafür eingebunden, um das Unsagbare zu formulieren, dass für Ko-Moderator*innen wie Julian Reichelt oder Ralf Schuler schwieriger und konsequenzenreicher auszusprechen wäre.

Durch eine junge, schwarze Frau sollen rassistische, transphobe, queerfeindliche und generell anti-emanzipatorische Statements nicht nur normalisiert werden, sondern als Rückkehr zur deutschen Raison verkauft werden. Giovanna Winterfeldt wird zum Gradmesser deutscher Frustrationen, zumal ihre zugrundeliegende Botschaft auch so verstanden werden kann: Selbst junge schwarze Frauen hätten die Nase voll von der ganzen Wokeness. Gleichzeitig signalisiert Giovanna Winterfeldt durch ihre Beteiligung, dass das bisschen Chauvinismus und Rassismus gar nicht so schlimm sei, denn schließlich gibt sie ihr OK gegen den bösen “Woke-Filter”.

 

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