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Großrazzia in Thüringen Die Biker-Nazis der Turonen / Garde 20 (Bruderschaft Thüringen)

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Ballstädt, Thüringen: Angelpunkt der Bruderschaft „Turonen“ / „Garde 20“. Dort liegt der Szenetreffpunkt „Gelbes Haus“.
Ballstädt, Thüringen: Angelpunkt der Bruderschaft „Turonen“ / „Garde 20“. Dort liegt der Szenetreffpunkt „Gelbes Haus“. (Quelle: picture alliance/dpa/Michael Reichel)

Ein groß angelegter Einsatz mit SEK, Polizeihunden, Drohnen und 500 Polizist*innen, ein harter Schlag für die Neonazi-Szene in Thüringen: Am vergangenen Freitag, den 26. Februar 2021, wurden 27 Wohn- und Geschäftsräume in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Hessen im Umfeld der rechtsextremen Bruderschaft „Turonen“/„Garde 20“ durchsucht. Schwerpunkt des Einsatzes war im thüringischen Landkreis Gotha, wo die Bruderschaft über mehrere Räume wie Bordelle sowie den Szene-Treffpunkt „Gelbes Haus“ in Ballstädt verfügt. Zehn Menschen wurden festgenommen, die Durchsuchungen dauerten bis Samstag an.

Gegen insgesamt 21 Personen aus dem Umfeld der „Turonen“/„Garde 20“ wird ermittelt, gegen acht Beschuldigte gibt es bereits Haftbefehle. Laut MDR waren die Razzien monatelang vorbereitet worden (vgl. MDR). Das Neonazi-Netzwerk soll Drogenhandel im großen Stil in Thüringen betrieben haben – unter anderem mit Crystal Meth. Hinzu sollen Waffengeschäfte und Geldwäscherei kommen, die Gruppe betreibt zudem mehrere Bordelle und organisiert Rechtsrock-Konzerte. Auch die Kanzlei des rechtsextremen Szeneanwalts Dirk Waldschmidt in Hessen, früher Vize-Landeschef der hessischen NPD und für kurze Zeit Verteidiger des Lübcke-Mörders Stephan Ernst, wurde durchsucht. Er soll an Geldwäsche der Gruppe beteiligt gewesen sein.

Alleine seit 2019 gibt es 32 Ermittlungsverfahren gegen Mitglieder der Bruderschaft „Turonen“/„Garde 20“ – wegen Körperverletzung, Volksverhetzung, Betrug, Hehlerei, Urkundenfälschung, Hausfriedensbruch sowie anderer Delikte. Das geht aus einer Kleinen Anfrage der Linken in Thüringen hervor. Katharina König-Preuss, Abgeordnete der Linksfraktion im thüringischen Landtag, beschäftigt sich seit Jahren mit der Bruderschaft. „Sie gehört zu den wichtigsten, herausragendsten Neonazi-Strukturen der vergangenen Jahre hier“, berichtet König-Preuss gegenüber Belltower.News.

Die Gruppierungen „Turonen“ und „Garde 20“ gehören beide zur Dachorganisation „Bruderschaft Thüringen“, die sich teilweise auch als „Bruderschaft H8 Thüringen“ bezeichnet hat und seit 2014 in Erscheinung getreten ist. Seit 2015 ist die Bruderschaft vor allem unter den Namen „Turonen“ und „Garde 20“ bekannt, auch wenn „Bruderschaft Thüringen“ weiterhin auf Merchandising des Netzwerkes zu sehen ist. Die Mitglieder der „Garde 20“ fungieren dabei als Unterstützer der Führungsstruktur „Turonen“, die als Vollmitglieder gelten. Der thüringischen Landesregierung zufolge gehören insgesamt etwa 25 Personen zur Bruderschaft (Stand: Mai 2019). Bereits drei Mitglieder der „Garde 20“ und sieben Mitglieder der „Turonen“ wurden in Thüringen inhaftiert, teilweise mehrfach.

Die Bruderschaft ist fester Bestandteil der Neonazi-Szene, verwendet aber auch Symbole der Rocker-Szene wie zum Beispiel Lederkutten. Neben dem Drogengeschäft ist das Netzwerk auch im Rechtsrockmilieu aktiv: Die rechtsextremen Bands „TreueOrden“ und „Natürliche politische Alternative“ (N.A.P.O.L.A.) sind der Gruppe zuzuordnen: Der „TreueOrden“-Frontsänger Thomas Wagner soll der mutmaßlich führende „Turone“ sein (vgl. Belltower.News). In der Schweiz haben die „Turonen“ Verbindungen zu den rechtsterroristischen Netzwerken „Blood & Honour“ und „Combat 18“ und organisierten im Oktober 2016 ein Konzert in Unterwasser im Kanton St. Gallen mit 5000 Besucher*innen. Dafür sollen sie bis zu 200.000 Euro eingenommen haben, die wieder in die Neonazi-Szene in Thüringen flossen (vgl. WOZ).

Die „Turonen“ haben auch beim Rechtsrock-Festival „Rock gegen Überfremdung“ in Thüringen mitgewirkt, das von der Szenegröße Tommy Frenck organisiert wurde und zum Höhepunkt 6000 Neonazis mobilisieren konnte. Auch international sind die „Turonen“ gut vernetzt: Neben Verbindungen zu „Blood & Honour“ und „Combat 18“ in der Schweiz pflegt die Bruderschaft auch gute Kontakte nach Österreich: Mitglieder der Bruderschaft waren früher beispielsweise im zwischenzeitlich aufgelösten Verein „Objekt 21“, in Oberösterreich als „Neonazi-Mafia“ bekannt.

Nach den Hausdurchsuchungen am vergangenen Freitag sprach der Thüringer Innenminister Georg Maier (SPD) von einem „harten Schlag“ gegen die rechtsextreme Szene (vgl. Spiegel). Auch wenn die Landtagsabgeordnete König-Preuss die Razzien begrüßt, bleibt sie skeptisch, was die genaue Auswirkung auf die Bruderschaft anbelangt: „Es war kein Razzia gegen das komplette Netzwerk, sondern nur gegen ein Teil der Turonen.“

Mit Repression hat die Bruderschaft bereits Erfahrung: Ende Mai 2017 wurden zehn Mitglieder der Gruppe zu Haftstrafen zwischen 26 Monaten und dreieinhalb Jahren verurteilt, nachdem sie 2014 die Feier einer Kirmesgesellschaft im thüringischen Ballstädt, ein Angelpunkt der Gruppe, überfallen und zehn Menschen zum Teil schwer verletzt haben soll. „Sie haben damit gerechnet, dass ein Teil von ihnen deswegen ins Gefängnis gehen muss, und haben schon eine Stellvertreter-Struktur aufgebaut“, erklärt König-Preuss. Ob diese Stellvertreter-Struktur ebenfalls von den Hausdurchsuchungen betroffen ist, bleibt noch unklar. Im Februar 2020 gab der Bundesgerichtshof in Karlsruhe der Revision der zehn angeklagten Neonazis statt – was auf einen formalen Fehler in der Urteilsbegründung zurückzuführen ist. Nun wird drei Jahre nach dem Urteil der Prozess neu aufgerollt (vgl. nd).

Dass mit den jüngsten Hausdurchsuchungen und Festnahmen nun endlich konsequent gegen die „Turonen“ und „Garde 20“ vorgegangen wird, wertet König-Preuss als positiv. „Die Turonen waren allerdings in den letzten Jahren offen aktiv, haben Neonazi-Konzerte organisiert und Menschen zusammengeschlagen – Ballstädt ist das größte Beispiel, es gibt aber weitere“. Sie kritisiert, dass nicht wegen der politischen Aktivitäten, sondern erst wegen der organisierten Kriminalität der Gruppe eingeschritten wurde. „Sie verherrlichen die NS-Ideologie, organisieren Veranstaltungen, wo Hitlergrüße und Sieg-Heil-Rufe vorkommen – und da muss es eine entsprechende Konsequenz geben, die für diese Strukturen spürbar ist“.

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