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„Get the Trolls out“-Bericht Antisemitismus bei Impfgegner:innen in Belgien (Wallonien)

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(Quelle: Media Diversity Institute (MDI))

Dieser Auszug stammt aus dem Original-Bericht des Projektes „Get The Trolls Out“.

Kurze Zusammenfassung

Im frankophonen Belgien scheinen antisemitische Klischees keine peripheren Bestandteile von Ideologien von Impfgegner:innen im Internet zu sein. Im Gegenteil, sie spielen oft eine Schlüsselrolle bei der Unterstützung dieser Menschen. Antisemitische Ideologien über eine angebliche „jüdische Weltverschwörung“, die angeblich mit den Impfprogrammen und der damit verbundenen COVID-19-Politik zusammenhängt, sind häufig der Hintergrund, vor dem sich die Verschwörungsideologien der Impfgegner:innen abspielen. Darüber hinaus werden Analogien zwischen der aktuellen Gesundheitspolitik und Nazi-Deutschland, auch durch spezifische Holocaust-bezogene Sprache und Symbole, verwendet, um Mitgefühl und Empörung zu erzeugen und um Aktionen gegen den Impfstoff und den Gesundheitspass zu veranlassen. Das sichtbare Wiederaufleben des Antisemitismus in den Verschwörungsideologien der Impfgegner:innen ist besorgniserregend, da es den Antisemitismus im öffentlichen Diskurs normalisiert, Juden:Jüdinnen (und diejenigen, die als solche wahrgenommen werden) stärker Vorurteilen, Hassreden, rassistischen und antireligiösen Angriffen aussetzt und den Sündenbockstatus von Minderheitengruppen akzeptabel macht. Diese Untersuchung bezog sich auf belgisch-französischsprachige Inhalte auf Facebook und Twitter, aber manchmal war es schwierig, Posts und Tweets, die aus Belgien geteilt wurden, von denen aus Frankreich zu unterscheiden. Frankreichs Mediendiskurse haben auch einen starken Einfluss auf die französischsprachigen Belgier:innen, die sowohl die französischen Nachrichten als auch die Online-Inhalte konsumieren.

Impfgegner:innen-Diskurse und der Einfluss Frankreichs

Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Berichts sind etwa 74 Prozent der gesamten belgischen Bevölkerung vollständig geimpft, in Wallonien fällt die Quote jedoch auf 70 Prozent. Die Impfung ist für niemanden obligatorisch, auch nicht für Beschäftigte im Gesundheitswesen und in Pflegeheimen. Um an Massenveranstaltungen teilzunehmen oder einen Flug anzutreten, ist jedoch ein negatives COVID-19-Testergebnis oder ein Impfnachweis erforderlich. In der ersten Hälfte des Jahres 2021 kam es in Brüssel zu einigen Demonstrationen gegen die COVID-19-Maßnahmen, die damit endeten, dass die Polizei Wasserwerfer einsetzte und Hunderte von Demonstrant:innen festnahm. Am Ende des Sommers gab es in Brüssel einige weitere Proteste gegen Impfstoffe, hauptsächlich gewaltfreie Demonstrationen mit Demonstrant:innen, die Plakate mit Slogans wie „Rettet unsere Demokratie“ und „Schützt unsere Kinder“ trugen. Einer der prominentesten öffentlichen Impfgegner im frankophonen Belgien ist Jean Bouillon, ein Arzt, der Demonstrationen in Brüssel und Namur anführte. Der Einfluss, den Frankreichs Nachrichten und Debatten auf die französischsprachige Bevölkerung Belgiens haben, ist ziemlich stark. So löste die Einführung des COVID-19- Gesundheitspasses (pass sanitaire) in Frankreich eine Reihe von durch Impfgegner:innen angeführten Protesten sowie neue Verschwörungsideologien von Impfgegner:innen in Belgien aus. Mehrere Studien haben herausgefunden, dass seit Beginn der Pandemie in Belgien ein Anstieg von Verschwörungsideologien und Impfskepsis zu verzeichnen ist, insbesondere unter französischsprachigen Personen. Die Skepsis gegenüber der Impfung und die Ablehnung von Impfstoffen umfassen sowohl gesundheitliche Bedenken als auch mangelndes Vertrauen in Autoritäten, sei es die wissenschaftliche Gemeinschaft, die Regierung oder die Medien. In Kombination mit Fehlinformationen und konspirativen Online-Milieus kann sich dieses Misstrauen zu toxischen Verschwörungsideologien entwickeln. Ebenso könnte die Kritik am Gesundheitspass der berechtigten Sorge über die soziale und wirtschaftliche Ausgrenzung von Menschen sowie über mögliche autoritäre Wendungen entstammen. Aber wenn sie mit bereits existierenden verschwörerischen Ideologien und der Verstärkungskraft der sozialen Medien kombiniert wird, hat sie als treibende Kraft des antisemitischen Hasses gefährliche Folgen.

„Qui“ (Wer) und die neue Weltordnung: antisemitische Verschwörungsideologien von Herrschaft und Kontrolle

Die Pandemie hat einen Boom an antisemitischen Verschwörungsideologien ausgelöst, die Juden:Jüdinnen explizit oder implizit als die Verschwörer:innen in finsteren Plänen identifizieren, um finanziellen Profit und Macht aus der Pandemie und den Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung zu ziehen. In Belgien ist eines der bekanntesten hasserfüllten Narrative, das unter COVID-19-Leugner:innen und Impfgegner:innen an Popularität gewonnen hat, die „Neue Weltordnung“ (NWO), eine klassische Verschwörungsideologie, die in verschiedenen Varianten immer wieder neue Formen annimmt. Die NWO überschneidet sich mit der neuesten Version des „Großen Neustarts“ und behauptet, dass eine geheime globale Elite das Weltgeschehen kontrolliert und ein globales totalitäres Regime errichten will, in dem die Menschen versklavt werden. Angepasst an die Umstände der COVID-19-Pandemie behauptet diese Verschwörungsideologie, dass COVID-19 geschaffen wurde, um die Bevölkerung des Planeten dramatisch zu reduzieren und autoritäre Maßnahmen durchzusetzen. Oft versteckt hinter einer verschlüsselten Sprache, ist Antisemitismus ein wesentlicher Bestandteil dieser Verschwörungsideologie. Hinter Verweisen auf George Soros, die Rothschilds und die Rockefellers als Drahtzieher des Weltgeschehens sowie Begriffen wie „Banker“, „Puppenspieler“ und „intrigante Eliten“ – eine Chiffre für Juden:Jüdinnen – verbergen sich antisemitische Klischees jüdischer Herrschaft und Kontrolle. Zu den beliebten Hashtags im Zusammenhang mit dieser Verschwörungsideologie gehören #NousSavons (#WirWissenBescheid) und #Qui (#Wer). Mit ersterem behaupten die Nutzer:innen, dass sie wissen, dass Impfstoffe unwirksam/schädlich/tödlich sind, dass sie eingesetzt werden, um die Weltbevölkerung zu dezimieren, und dass es sich um ein Komplott einer geheimen Elite handelt. Der andere Hashtag, #Qui (#Wer), wird verwendet, um auf jüdische Personen anzuspielen, die den Finanz-, Politik- und Mediensektor kontrollieren. Er entstand im Sommer in Frankreich, verbreitete sich aber sofort auch in Belgien. „Wer“ stammt aus einem Interview mit dem pensionierten Armeegeneral Daniel Delawarde auf dem französischen Sender CNEWS im Juni 2021. Während der Sendung deutete Delawarde an, dass eine „bestimmte Gruppe“ die Medien kontrolliert. Als der:die Journalist:in ihn fragte, auf wen er sich beziehe, antwortete er: „Die Gemeinschaft, die Sie gut kennen. Ohne es ausdrücklich zu sagen, beschuldigte der ehemalige General die Juden:Jüdinnen, den Mediensektor zu dominieren. Mit dem Begriff #Qui, auf Online-Posts und Plakaten bei Straßendemonstrationen, verweisen die Impfgegner:innen auf Juden:Jüdinnen und ihre Kontrolle über die Pandemie durch ihre Dominanz in Schlüsselsektoren.

Antisemitische Vergleiche mit dem Holocaust

Neben Verschwörungsideologien über die finsteren Machenschaften einer jüdischen Elite tauchte bald nach der Einführung des COVID-19-Impfstoffs und der Debatte über den Gesundheitspass ein weiteres antisemitisches Muster unter den Impfgegner:innen auf. In den Netzwerken der COVID-19-Leugner:innen und Impfgegner:innen wurde es üblich, die Art und Weise, wie die Gesundheitsmaßnahmen gegen COVID-19 die Ungeimpften treffen, mit der Art und Weise zu vergleichen, wie die Juden:Jüdinnen in Nazi-Deutschland verfolgt und ausgelöscht wurden. Diese Analogie kann verschiedene Formen annehmen, von wörtlichen Vergleichen bis hin zur Verwendung eines bestimmten Lexikons. Die Vergleiche umfassen den gelben Davidstern – der im Dritten Reich zur Kennzeichnung von Juden:Jüdinnen verwendet wurde – mit dem Wort „ungeimpft“ sowie die Verwendung von Nazi-Symbolen (wie dem Hakenkreuz) mit der Impfstoffspritze. Andere haben die COVID-19-Impfung mit den unmenschlichen und oft tödlichen Experimenten gleichgesetzt, die eine Gruppe von Nazi-Ärzt:innen an Gefangenen in Konzentrationslagern ohne deren Zustimmung durchführte. Manchmal werden Zitate oder Videos von jüdischen Personen – Fachleuten, Ärzt:innen, aber auch gewöhnlichen Menschen –, die einen Vergleich mit dem Holocaust vorschlagen, als Garantie für die Schwere, Ernsthaftigkeit und Wahrhaftigkeit der Behauptungen präsentiert. Wörter wie „Völkermord“, „Gefangenschaft“, „Zäune“, „Lager“, „Konzentrationslager“ und „Entmenschlichung“, die im Allgemeinen mit dem Holocaust in Verbindung gebracht werden, wurden während der Online-Überwachung für diese Untersuchung immer wieder in Inhalten von Impfgegner:innen gefunden. Die Erinnerung und das schwere emotionale Gewicht des Holocausts werden als Mittel eingesetzt, um Mitgefühl und Empörung zu erzeugen, um Aktionen gegen den Impfstoff und den Gesundheitspass zu veranlassen. Dieser Vergleich verharmlost die Schwere der Verfolgung und Unterdrückung der Juden:Jüdinnen unter dem Naziregime, aber auch im Laufe der Geschichte, und verharmlost oder leugnet, was der Antisemitismus verursacht und denen zugefügt hat, die jüdisch sind oder als solche wahrgenommen werden.

Plattformen

Dieser Abschnitt konzentriert sich zwar auf frankophone belgische Impfgegner:innenNetzwerke auf Facebook und Twitter, aber aufgrund der gemeinsamen Sprache war es manchmal schwierig, zwischen in Frankreich und in Belgien lebenden Nutzer:innen zu unterscheiden. Die öffentlichen Debatten in Frankreich, darunter jene über die Impfstoffe und den Gesundheitspass, haben auch einen großen Einfluss auf Belgien. Facebook hat strenge Gemeinschaftsstandards für die Entfernung von Hass, Holocaust-Leugnung und COVID-19-relevanten Fehlinformationen eingeführt, aber diese Art von Inhalten ist immer noch auf der Plattform präsent – vor allem in Kommentaren, hasserfüllter Rhetorik, die verschleiert wird, um die Moderation zu umgehen, und in privaten Gruppen. Wenn sie privat sind, sind Gruppen selbstmoderierte Diskussionsforen, in denen die Administrator:innen das Recht haben, zu moderieren und Personen zuzulassen, die beitreten und die Beiträge sehen wollen. Sie fungieren als Echokammern, in denen Nutzer:innen mit ähnlichen Ansichten den Zugang zu unterschiedlichen Perspektiven einschränken und die Verschwörungs- und hasserfüllten Ideologien, an die sie glauben, verstärken. Diese Gruppen normalisieren nicht nur den Hass, sondern haben auch das Potenzial, Menschen zu extremeren Ideologien und einer rechtsextremen Radikalisierung zu führen. Aufgrund der Tatsache, dass viele Gruppen von Impfgegner:innen auf Facebook privat und daher nicht leicht zugänglich waren, konzentrierte sich diese Untersuchung über Wallonien und das frankophone Belgien hauptsächlich auf Twitter. Der Großteil der antisemitischen Sprache und Klischees, die in den Inhalten von Impfgegner:innen auf Twitter identifiziert wurden, bezieht sich auf das oben genannte Narrativ, in der Regel mit sehr wenig Text und Hashtags, die ein Bild oder Video kommentieren. Insgesamt werden diese Narrative von gewöhnlichen Nutzer:innen geteilt und verbreitet und nicht von Influencer:innen, bekannten Persönlichkeiten oder Politiker:innen.

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