Weiter zum Inhalt Skip to table of contents

GTTO-Bericht Antisemitismus bei Impfgegner:innen in UK

Von|
(Quelle: Media Diversity Institute (MDI))

Dieser Auszug stammt aus dem Original-Bericht des Projektes „Get The Trolls Out“.

Im Vereinigten Königreich dreht sich die große Menge an antisemitischen Inhalten, die in Netzwerken von Impfgegner:innen auf Facebook und Twitter zu finden sind, um Vergleiche mit Nazi-Deutschland. Dazu gehört die Vorstellung, dass Impfpässe ein „NaziWerkzeug“ sind und dass die COVID-19-Politik an den Holocaust erinnert. Eine Schlüsselfigur der Impfgegner:innen-Bewegung im Vereinigten Königreich ist Kate Shemirani, eine ehemalige Krankenschwester, die aufgrund von COVID-19- Fehlinformationen ihre Approbation verloren hat. Shemirani hat öffentlich Vergleiche zwischen COVID-19 und der Nazizeit gezogen. Der Großteil der gefundenen Inhalte wird auf Twitter geteilt. Zum Teil, weil diese Inhalte auf Facebook scheinbar in privaten Gruppen gepostet werden, die schwer zugänglich sind.

Im Gegensatz zu den anderen europäischen Ländern, die für diese Untersuchung beobachtet wurden, hat sich die Verschwörungsideologie, die besagt, dass eine jüdische Elite die Pandemie inszeniert und davon profitiert, in den britischen Netzwerken der Impfgegner:innen nicht durchgesetzt. Obwohl dieses Narrativ in den sozialen Medien des Vereinigten Königreichs präsent ist, tauchte es auf Twitter und in öffentlichen Facebook-Posts und -Gruppen, die während des Untersuchungszeitraums beobachtet wurden, nicht auf. Obwohl sich diese Fallstudie auf das Vereinigte Königreich konzentriert, muss darauf hingewiesen werden, dass es bei einigen englischsprachigen Inhalten schwierig ist, ihren Ursprung zurückzuverfolgen, sodass es möglich ist, dass einige der hier erörterten Themen und Narrative auch auf andere englischsprachige Länder, wie die Vereinigten Staaten, zutreffen.

Impfgegner:innen-Bewegungen und Verschwörungsideologien

Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Berichts waren etwa 81 Prozent der britischen Bevölkerung vollständig geimpft. Impfungen sind für niemanden obligatorisch, auch nicht für Beschäftigte im Gesundheitswesen und in Pflegeheimen. Für die Teilnahme an bestimmten Massenveranstaltungen oder für Reisen ins Ausland kann eine Impfbescheinigung (der „NHS COVID Pass“) erforderlich sein. Im gesamten Vereinigten Königreich fanden Straßendemonstrationen statt, um gegen die COVID-19-Maßnahmen zu demonstrieren, von Mundschutzen und Lockdowns bis hin zu Zwangsimpfungen und dem Impfpass. Zu den wichtigsten Gruppen bestehend aus Impfgegner:innen im Vereinigten Königreich gehören: „Stand Up X“, ein Kollektiv mit regionalen Gruppen, die landesweit Märsche organisiert haben (16.500 Follower:innen auf Twitter), „Stop New Normal“, angeführt von Piers Corbyn, der verhaftet wurde, weil er das Impfprogramm mit dem Holocaust verglichen hat (24.000 Follower:innen auf Facebook), und „Save Our Rights UK“, eine von der Aktivistin Louise Creffield gegründete Basisgruppe mit dem Ziel, „eine echte Demokratie zu schaffen“ (90.000 Follower:innen auf Facebook). Ihr Widerstand gegen die COVID-19-Maßnahmen wird zum Teil unter dem Aspekt der Sicherheit – Impfstoffe werden als unsicher und tödlich bezeichnet – und zum Teil als Kampf für Freiheit und gegen Autoritarismus dargestellt.

Die Regierung und die Mainstream-Medien werden immer wieder beschuldigt, die „gewöhnlichen Menschen“ mit Lügen und Propaganda zu versorgen. In Straßenprotesten und Propagandaflugblättern tauchen gelegentlich antisemitische Elemente auf, die jedoch nicht vorherrschend sind. Bei der Demonstration „Unite for Freedom“ am 24. April 2021 in London trugen die Impfgegner:innen gelbe Davidsterne und setzten die Verfolgung der Juden:Jüdinnen in Europa während des Zweiten Weltkriegs mit den aktuellen COVID-19-Präventionsmaßnahmen gleich. Impfgegner:innen haben auch vor Schulen demonstriert und Schüler:innen, Eltern und Lehrer:innen belästigt, wobei einige behaupteten, es sei falsch, Kinder zu impfen, und andere, die COVID-19-Pandemie sei ein Scherz.

Impfpässe als „Nazi-Werkzeug“

Die auffälligste Darstellung, die in den sozialen Medien im Zusammenhang mit Inhalten von Impfgegner:innen und Antisemitismus zu finden ist, ist das Verständnis der COVID‑19- Präventionsmaßnahmen als totalitärer Apparat, der dem Nazismus ähnelt. In diesem Zusammenhang werden Impfpässe als „Nazi-Werkzeug“ bezeichnet und COVID-19- Impfzertifikate generell mit dem gelben Davidstern verglichen, den Juden:Jüdinnen tragen mussten, um in Nazi-Deutschland und den besetzten Gebieten leicht identifiziert werden zu können. Staatliche Maßnahmen zur Eindämmung der Verbreitung von COVID-19 werden auch als „Nazi-Politik“ bezeichnet. Auf Twitter wurde behauptet, dass ein IT-Unternehmen, das mit der Herstellung der digitalen Impfpässe des Vereinigten Königreichs beauftragt wurde, den Stiefenkeln von Joseph Goebbels, dem Propagandaminister Nazi-Deutschlands, gehört. Mit dieser Behauptung soll der Eindruck verstärkt werden, dass Impfpässe und andere COVID-19-Maßnahmen ein „neues“ Nazi-Instrument sind, das gegen die Massen eingesetzt wird.

Angebliche Zeugenaussagen von Holocaust-Überlebenden, die gegen die COVID-19-Politik argumentieren, werden verwendet, um dieses Narrativ zu bestätigen und zu stärken. So wurde beispielsweise im Sommer 2021 in vielen Facebook-Gruppen ein Video der Holocaust-Überlebenden Vera Sharav geteilt. In diesem Video vergleicht Sharav, die sich gegen einige Aspekte der medizinischen Forschung einsetzt, die COVID-19-Impfstoffe mit den medizinischen Experimenten der Nazis, warnt davor, dass sich der Holocaust wiederholen könnte, weil der „Geist der Eugenik weiterlebt“, und vergleicht die derzeitige Durchsetzung einiger gesundheitspolitischer Maßnahmen mit Nazi-Deutschland. Die weite Verbreitung der Analogie zwischen der Verfolgung der Juden:Jüdinnen in Europa während des Zweiten Weltkriegs und den aktuellen Vorschriften im Bereich der öffentlichen Gesundheit ist beunruhigend. Sie ist antisemitisch, da sie die historische Tragödie des Holocaust und das Leiden des jüdischen Volkes stark herunterspielt.

Impfgegner:innen behaupten auch, dass die COVID-19-Pandemie und ihre Impfprogramme Teil eines „Plans“ sind, der von den Machthaber:innen inszeniert wird, um die Gesellschaft zu kontrollieren. Verschwörungsideolog:innen, die diese Ideologie verbreiten, bezeichnen die Geimpften häufig als „Schafe“, die „verarscht“ werden, und fordern sie auf, „aufzuwachen“. Im Allgemeinen werden Politiker:innen und prominente Geschäftsleute als diejenigen bezeichnet, die zu dieser Machtelite gehören, die das „einfache Volk“ täuscht und unterdrückt. Während in anderen Ländern, z. B. in Frankreich, Juden:Jüdinnen als heimliche Verschwörer:innen angesehen und durch offenen Antisemitismus oder subtilere Anspielungen beschuldigt werden, ist dieses Narrativ im Vereinigten Königreich kaum präsent – zumindest auf Twitter.

Prominenz auf Twitter

Der Großteil der für die Untersuchung im Vereinigten Königreich gesammelten Daten stammt von Twitter und nicht von Facebook. Dafür gibt es mehrere Gründe. Erstens erlaubt Facebook die Einrichtung von privaten Gruppen. In diesen Gruppen werden vor allem die extremeren Inhalte geteilt, da dies eine Möglichkeit ist, mit Gleichgesinnten in Kontakt zu treten und die Moderation weitgehend zu umgehen. Viele Gruppen haben eine Art „Bewerbungsverfahren“, um Mitglied zu werden, was es Forschern erschwert, die in privaten Gruppen geteilten Inhalte zu überwachen, es sei denn, sie werden als Mitglied aufgenommen. Facebook hat auch einige Schritte unternommen, um gegen Inhalte von Impfgegner:innen und damit auch gegen den damit verbundenen Antisemitismus vorzugehen. So wurden beispielsweise mehrere der COVID-19-Verschwörungsgruppen aus dem Bericht „Combat Antisemitism Autumn 2020“ inzwischen von Facebook geschlossen.

Zwar hat auch Twitter einige Maßnahmen ergriffen, um COVID-19-Fehlinformationen einzudämmen, doch scheinen sich diese Inhalte auf dieser Plattform viel leichter zu verbreiten und besser sichtbar zu sein, da es keine privaten Foren gibt. Einige der häufigsten Hashtags, die bei der Untersuchung identifiziert wurden, sind #VaccinePassport (#ImpfPass), #NoVaccineCoercion (#KeinImpfzwang), #NoVaccinePassportsAnywhere (#KeineImpfpässeMehr), #VaccineSideEffects (#ImpfstoffNebenwirkungen), #NoVaccineMandates (#KeinImpfmandat) und #DoNotComply (#GebtNichtNach).

Außerdem sprachen viele offen über den Davidstern, wenn sie auf Twitter über Impfstoffe diskutierten. Nachdem prominente Hassprediger:innen und COVID-19-Verschwörungsideolog:innen wie David Icke von den gängigen Social-Media-Plattformen verbannt wurden, sind viele rechtsextreme Aktivist:innen und Impfgegner:innen auf andere Plattformen ausgewichen. Auf Telegram, einer weitgehend unmoderierten Instant-Messaging-App, die die Einrichtung von Kanälen und Gruppen ermöglicht, sind Inhalte von Impfgegner:innen und Antisemitismus sehr präsent. Telegram wurde bei dieser Untersuchung nicht berücksichtigt, aber Schlüsselfiguren der britischen Impfgegner:innen-Bewegung, wie Kate Shemirani, sind auf Telegram sehr aktiv, nachdem sie von anderen Plattformen verbannt wurden.

Kate Shemirani

Im Vereinigten Königreich ist Kate Shemirani, eine ehemalige Krankenpflegerin, die dauerhaft aus dem Register des „Nursing and Midwifery Council“ (NMC) gestrichen wurde, und eine der wichtigsten öffentlichen Personen, die antisemitische Ideologien von Impfgegner:innen verbreiten. Am 24. Juli 2021 hielt Shemirani auf einer Demonstration von Impfgegner:innen am Trafalgar Square in London eine Rede, in der sie die Mediziner:innen, die heute gegen die COVID -19-Pandemie kämpfen, mit den Ärzt:innen und Krankenpfleger:innen der Nazis verglich, die bei den Nürnberger Prozessen wegen Menschenversuchen angeklagt wurden. Ihre Analogie fand im Internet weite Verbreitung und stieß auf breite Verurteilung. Die Metropolitan Police ermittelt derzeit gegen Shemiranis Äußerungen wegen Aufstachelung zu Gewalt und antisemitischem Hass. Bei diesem Protest waren auch andere wichtige Agitator:innen wie David Icke, Piers Corbyn und Katie Hopkins anwesend. Shemirani und die anderen wichtigen Impfgegner:innen dürfen keine Konten mehr auf den gängigen Social-Media-Plattformen führen und sind deshalb zu Telegram und anderen Apps gewechselt. Obwohl sie aufgrund des Verbots nicht in der Lage sind, selbst Beiträge zu posten, dringen einige ihrer Inhalte und Botschaften durch, da sie von Unterstützer:innen gepostet und geteilt oder von anderen Plattformen übernommen werden. Das Video von Shemirani von der Kundgebung auf dem Trafalgar Square in London hat beispielsweise auf Twitter weite Kreise gezogen.

Alle Artikel des Berichtes auf Belltower.News:

Weiterlesen

debatedehate

debate//dehate: Dem Hass etwas entgegensetzen

In den letzten Jahren haben sich rassistische und demokratiefeindliche Diskurse in Inhalt und Wortwahl radikalisiert. Vor allem im Internet hat der Hass zugenommen und eine neue Qualität erreicht. Die neue Webseite debate//de:hate setzt dem etwas entgegen: Counter Speech und die Etablierung einer digitalen Zivilgesellschaft!

Von|
Björn Höcke, Landeschef der AfD in Thüringen, vor dem Logo der Partei

Zum 10. Geburtstag Antisemitismus und die AfD

Mit der AfD hat Deutschland einen enormen Rechtsruck im vergangenen Jahrzehnt erlebt. Nicht nur in den Parlamenten, sondern auch in…

Von|
Eine Plattform der