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Handlungsempfehlungen zum Umgang mit Gerüchten über sexualisierte Gewalt durch Geflüchtete

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Besonnener Umgang mit Gerüchten über Geflüchtete ist wichtig - das Dementieren von Falschmeldungen ebenso. Im Moment haben Polizei und Medien damit viel zu tun. (Quelle: AAS)

Fallbeschreibung 1

In einer Kleinstadt wurde im Herbst 2015 eine Sammelunterkunft für mehrere hundert Geflüchtete eingerichtet. Es herrscht eine rassistische Stimmung, die Menschen werden verbal und physisch attackiert und die Flüchtlingsunterkunft angegriffen. Auch im Jugendclub werden die Themen Asyl und Geflüchtete diskutiert. Ein Großteil der Jugendlichen äußert sich abwertend gegenüber Flüchtlingen, Ausländer würden stehlen und den Deutschen die Arbeitsplätze wegnehmen. Die Pädagog_innen vermuten, dass viele Kinder und Jugendliche diese Aussagen vonihren Eltern hören. Ein Mädchen erzählt, dass sie von anderen Mädchen gehört habe, wie diese von den »Ausländern angemacht worden sei und an einem Abend verfolgt wurde.« Jetzt habe sie selbst Angst, im Dunkeln auf die Straße zu gehen. Ihre Mutter habe auch gesagt, dass »dieses Scheißpack kriminell« sei und man auf der Hut sein müsse.

Gerüchte über vermeintliche Übergriffe erreichen auch Kinder und Jugendliche. Fachkräfte der Jugendarbeit sind also gut beraten, sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen. Häufig werden solche Erzählungen von Kindern und Jugendlichen emotionalisiert und aufgebracht geäußert, sie sind unter Umständen verängstigt und transportieren die Emotionalität ihrer Eltern. Hier gilt es, zunächst zu versachlichen. Gerüchten und Panikmache muss von Fachkräften widersprochen werden. Es ist sinnvoll nachzufragen, ob es sich um erzählte Geschichten oder tatsächlich Erlebtes handelt. Ebenso ist es sinnvoll einzufordern, beim Thema zu bleiben und nicht auf andere Themen und »Geschichten« auszuweichen.

Die Ängste vor sexualisierter Gewalt und Missbrauch sind ernst zu nehmen: Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf Schutz und Information. Dabei ist ein Blick auf sexistische (Alltags-)Verhältnisse notwendig: Viele Frauen und Mädchen machen von klein auf Erfahrungen mit sexistischen Benachteiligungen und Übergriffen. Auch vermittelte Angst kann sie erreichen. Selbst wenn sie keine Übergriffe durch Migranten erfahren haben, erzählen sie solche Geschichten weiter und/oder projizieren Ängste auf Fremde. Ebenso sind rassistische Stereotypen, Projektionen und ethnisierende Zuschreibungen ernst zu nehmen.

Es gilt, ihnen zu widersprechen. Sexualisierte Gewalt ist nicht abhängig vom Pass oder von der Herkunft des Täters/der Täterin. Settings der Jugendarbeit, insbesondere die Beziehung zwischen Fachkraft und Jugendlichen sind so auszugestalten, dass über Sexismus und Angst vor sexualisierter Gewalt diskriminierungsfrei gesprochen werden kann. Dazu zählt auch die Befähigung der Mädchen und Jungen zu einer diskriminierungsfreien Sprache. In rassistisch aufgeladenen Stimmungen im Gemeinwesen wird Jugendlichen, die sich entsprechendäußern, häufig ausschließlich durch eine pädagogische Fachkraft in Einrichtungen der Jugendarbeit widersprochen. Das ist wichtig, es ist Aufgabe der Professionellen, sich menschenrechtlich zu positionieren. Individuelle Ängste vor sexualisierter Gewalt werden von Jugendlichen in einer verlässlichen und vertrauensvollen Beziehung geäußert. Im Umgang hiermit gilt es zunächst, diese anzuhören, nachzufragen und den Kontext zu verstehen. Handelt es sich bei erzählten Geschichten um Projektionen auf sogenannte »Fremde«, gilt es genauer hinzusehen, nachzufragen und geschlechtsbezogene Motive zu beachten. Mit Abwertungen und Anschuldigungen gegenüber  »dem fremden Mann« kann ein Motiv verbunden sein, sich mit der eigenen Zugehörigkeit als »deutsch« aufzuwerten. Für junge Männer können Macht- und Besitzansprüche in Richtung einer deutschen männlichen Hegemonie eine Rolle spielen. An dieser Stelle kann es hilfreich sein, im Jugendclub eine pädagogische Auseinandersetzung mit Geschlechterbildern und damit verbundenen kulturalistischen Zuschreibungen  zu  initiieren.  Ein  intersektionaler  Blick  ermöglicht  es,  Verschränkungen  unterschiedlicher  Ausgrenzungsmechanismen wie Geschlecht und ethnische Herkunft zu erkennen sowie deren Einbindung in (sexistische und rassistische) Dominanz- und Machtverhältnisse.

Präventiv gilt es, geeignete Projekte und Maßnahmen zu initiieren, um die Themen besprechbar zu machen. Dabei können auch eigene Benachteiligungserfahrungen der Jugendlichen thematisiert werden. In der pädagogischen Arbeit ist darauf zu achten, dass das Thema von rechtsextrem organisierten Jugendlichen gezielt eingesetzt wird, um Hetze in Jugendräume zu tragen. Hier sind ggf. Grenzsetzungen notwendig bzw. ist zu beachten, mit welchen Jugendlichen eine Zusammenarbeit in Gruppenkontexten sinnvoll und möglich ist: Jugendräumesind generell als demokratische Aushandlungs- und Schutzräume vor sexistischen und rassistischen Diskriminierungen zu gestalten. Verbreiten Jugendliche ihre Ideologie im Jugendclub, die in rechtsextremen Gruppierungen geschult werden, so sollte eine Zusammenarbeit mit ihnen in der Gruppensituation beendet werden.

Wo immer es möglich ist, sollte Fachlichkeit gegen Gerüchte gestellt werden: Örtliche Beratungsstellen zum Thema sexualisierter Gewalt können über sexuellen Missbrauch und Übergriffe aufklären und die Diskussion versachlichen. Das Thema darf nicht den Nazis überlassen werden. Gleichzeitig kann es hilfreich sein, jugendkulturelle Ausdrucksweisen auf ihren potentiellen Sexismus mit Jugendlichen hin zu analysieren und hierüber auf die strukturelle Komponente des Phänomens und eigene Verstrickungen aufmerksam zu machen. Im Falleeines begründeten Verdachts sexualisierter Gewalt oder sexuellen Missbrauchs wird das professionelle Fallmanagement auf Grundlage §8 SGB VIII ausgelöst.

Bei konkreten Vorfällen: Verantwortung von Polizei und Medien

Fallbeschreibung 2

In einer sächsischen Großstadt teilt die Polizei im Sommer 2015 mit, dass ein siebenjähriges Mädchen auf einem Spielplatz sexuell belästigt wurde. Die auf dem Spielplatz anwesende Mutter hatte den Vorfall nicht beobachtet. Neben Angaben zu Kleidung und einer Narbe soll der Täter »vom Typ Nordafrikaner« gewesen sein, so die Medieninformation der Polizei. Online-Medien veröffentlichen diese Beschreibung unmittelbar und erreichen eine weite Verbreitung. Eine rechte »Bürgerbewegung« mobilisiert über Facebook zu einer Mahnwache, an der am folgenden Tag mehr als 50 Menschen teilnehmen. Drei Tage später gibt die Polizei bekannt, dass sie aufgrund von Hinweisen einen Tatverdächtigen festgenommen hat, ohne genauere Beschreibung des Mannes. Grundlage der Hinweise von Bürger_innen war die Täterbeschreibung der Polizei. Auf Rückfrage von Medien werden Beschreibungen des Verdächtigen herausgegeben, sie werden mit Alter, Nationalität und Aufenthaltsstatus veröffentlicht. Eine Boulevardzeitung veröffentlicht online den Wohnort des Verdächtigen und ein Foto der Flüchtlingsunterkunft, wo er mit 400 anderen Menschen lebt. Noch am gleichen Tag kommt der Mann für die Polizei nicht mehr als Täter in Frage. Diese Tatsache wird jedoch kaum öffentlich kommuniziert. Im Internet wird der Fall noch Wochen später als »sexueller Übergriff eines Asylbewerbers« verbreitet.

Der Fall zeigt zweierlei: Rassistische Zuschreibungen werden auch von der Polizei verwandt und von Medien aufgegriffen und weiter verbreitet. Im dargestellten Fall taugt die ethnisch konstruierte Gruppe kaum als Fahndungsbeschreibung. Es bleibt offen, welchen Informationsgehalt und Belastbarkeit Formulierungen wie »vom Typ her Nordafrikaner« besitzen. Denn welche Merkmale haben Menschen von Marokko über Tunesien bis zum Sudan gemeinsam? Wenn Verbrechen einem »Typ Nordafrikaner« angelastet werden, dann trägt diese Pauschalisierung dazu bei, bestehende Ressentiments, Rassismus und den Hass auf Flüchtlinge zu bestärken. Notwendig ist vielmehr eine Sensibilisierung für diesen Rassismus und eine Reflektion darüber, wie eigenes Handeln durch Stereotypisierungen beeinflusst wird. Es ist hilfreich, Beamt_innen in ihren sozialen, kommunikativen und interkulturellen Kompetenzen zu stärken.

Eine Hauptverantwortung im Umgang mit Gerüchten, die rassistische Ressentiments transportieren, tragen Medien. Durch die Erwähnung einer (vermuteten oder konstruierten) ethnischen Zugehörigkeit können Vorurteile gegenüber Minderheiten geschürt werden. Zur journalistischen Sorgfaltspflicht und zum Kodex des Deutschen Presserates gehört, dass in der Berichterstattung über Straftaten diese Zugehörigkeit des oder der Verdächtigen bzw. des Täters oder der Täterin nur dann erwähnt wird, »wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht.« Insgesamt muss rassistisches Sprechen bzw. Schreiben und die Verbreitung kulturalisierender bzw. ethnisierender Zuschreibungen vermieden werden. Dazu zählt, dass stereotypisierende Beschreibungen von Tatverdächtigen nicht weiter verbreitet werden. Mit der Veröffentlichung des Wohnorts eines Verdächtigen, wie im dargestellten Fall, ist zudem eine ethische Grenze überschritten: Flüchtlinge werden auf Grundlage von Verdächtigungen geradezu zur Zielscheibe gemacht. Ängste, zum Beispiel vor jungen männlichen  Flüchtlingen,  sollten  nicht  einfach  weiterverbreitet  werden.  Vielmehr  gilt  es,  sachbezogen  über Vergewaltigungsmythen aufzuklären. Auch ein Artikel, der über die Strategien von Neonazis zu diesen Themen aufklärt, kann ein erster wichtiger Schritt sein. Grundsätzliche Vorschläge für eine Rassismus sensible Arbeit machen u.a. die Neuen Deutschen Medienmacher.

Online-Berichte über sexualisierte Gewalt oder Missbrauch rufen regelmäßig rassistische Verdächtigungen und Lügen in den Kommentaren hervor. Hetze und hate-speach sollten grundsätzlich nicht unwidersprochen bleiben. Es gilt hier, auch für Medien, sich eindeutig zu positionieren und zu widersprechen. Zur Medienkom-petenz vor allem in sozialen Medien gehört heute der kritische Umgang mit Gerüchten und Falschmeldungen. Mimikama, eine internationale Koordinationsstelle zur Bekämpfung von Internetmissbrauch, gibt zum BeispielHinweise, wie Falschmeldungen, sogenannte Hoaxe, erkannt werden können.

Im Gemeinwesen und in der Kommune

Fallbeschreibung 3

In einer Kleinstadt in Mecklenburg-Vorpommern wird bereits vor der Eröffnung eines Flüchtlingsheims von Seiten der NPD gegen die Flüchtlinge gehetzt. Es existiert eine aktive rechtsextreme Szene in der Stadt. Wenige Tage nach der Eröffnung meldet sich ein Mann beim Bürgermeister der Stadt und behauptet, dass seine 20- jährige Tochter und Mutter eines Kleinkindes von mehreren »schwarzen Männern« angegriffen und vom Fahrrad gezerrt worden sei. Der Mann gehört der lokalen Nazi-Szene an. Auch mehrere andere Einwohner beschweren sich mit dieser Geschichte bei der Stadt. Der Bürgermeister will die Sorgen der Leute ernst nehmen und erzählt die Geschichte im Gemeinwesen weiter. Abgesehen von einschlägigen Nazi-Seiten im Internet wird der »Fall« nicht in der Presse und durch die Polizei veröffentlicht. Ohne dass jemals geklärt werden kann, was stattgefunden hat, macht die Geschichte in der Folgezeit die Runde und wird in sozialen Medien wiederholt angeführt.

Mit der Angst vor zugewanderten oder geflüchteten jungen Männern lässt sich rassistische Stimmung machen. Solch eine Stimmung kann sich in konkreten Angriffen gegen Flüchtlinge richten. Eine Weiterverbreitung von Gerüchten ist fahrlässig, denn damit wird ein »Genau das habe ich schon immer gewusst!« bedient. Einspruch und  Aufklärung  sind  notwendig.  Wie  dieses  Beispiel  zeigt,  spekulieren  Rechtsextreme  darauf,  dass  »immer etwas hängen bleibt«. Wesentlich ist aus diesem Grund eine deutliche Positionierung gegen Gerüchte und Vergewaltigungsmythen.

Im Gemeinwesen gibt es viele Möglichkeiten der Versachlichung: Verantwortungsträger_innen, Einrichtungen, Vereine und Verbände sollten das Thema sexualisierte Gewalt ernst nehmen, sowie Fakten und Informationen zur Verfügung stellen. Bei entsprechenden Vorfällen oder auch bei Gerüchten sollte zeitnah reagiert werden und über Möglichkeiten zum professionellen Umgang in Kooperation mit lokalen Beratungsstellen informiert. Aufmerksamkeit ist bei herausgestellter Dringlichkeit und Alarmismus geboten, wenn vor akuten Gefahren und Vorgängen gewarnt wird, die unmittelbare Reaktion und Handeln verlangen, außerdem bei schwammigen Angaben zu Zeit, Ort, Hergang sowie Quelle der Information.

Gibt es Hinweise auf entsprechende Instrumentalisierungen sollte Öffentlichkeit hergestellt, aufgeklärt und sich positioniert werden: Es muss öffentlich problematisiert werden, wenn es Rechtsextreme sind, die sich des Themas annehmen. Es ist notwendig darüber aufzuklären, welche Ziele Neonazis damit verfolgen und was daran undemokratisch und menschenverachtend ist. Dazu zählt die Benennung und Kritik rassistischer Gehalte von Gerüchten und Erzählungen.

Gegen rassistische Mobilisierungen helfen breite Bündnisse. Wie der Anlass dieser Handreichung belegt, vor allem auch solche zwischen feministisch, antisexistisch und antirassistisch Engagierten. Es ist sinnvoll, möglichst viele Personen und Verantwortliche aus Institutionen anzusprechen und einzubeziehen, sei es die Kirchgemeinde, Sportvereine, Betriebe, Einzelpersonen usw. Lokalpolitiker_innen sollten dabei in die Verantwortung genommen werden. Es ist unterstützend für viele Bürger_innen, wenn der/die Bürgermeister_in sich öffentlichgegen Rechtsextreme sowie gegen Pauschalisierungen und stereotype Bilder von Flüchtlingen ausspricht! Kontraproduktiv hingegen ist, wenn Politiker_innen diese Ängste bedienen. Schließlich gilt es bereits im Vorfeld Präventionsprojekte zu initiieren und die menschenrechtliche Verantwortung der Jugendlichen und Bürger_innen zu unterstützen. Sexistische und rassistische Diskriminierungen und Übergriffe müssen thematisiert und die Opfer gestärkt werden. Dazu zählt auch ein Eintreten für geschlechtliche und sexuelle Selbstbestimmung, der Schutz vor sexualisierter Gewalt auch in Flüchtlingsheimen sowie die Einforderung von entsprechenden Standards.

 

Dieser Text ist ein Auszug aus der Handreichung „Das Bild des übergriffigen Fremden – wenn mit Lügen über sexualisierte Gewalt Hass geschürt wird“ der Amadeu Antonio Stiftung.

Die Handreichung zum Download

http://www.amadeu-antonio-stiftung.de/publikationen/#Gender_und_Rechtsextremismushttp://www.belltower.news/files/Broschu%CC%88re%20Handreichung%20Internet%20%283%29.pdf

 

Als Print-Version können Sie die Handreichung „Das Bild des ‚übergriffigen Fremden‘ – Warum ist es ein Mythos?“ bestellen unter netzwerke@amadeu-antonio-stiftung.de.

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