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Interview „Den Opfern rechter Gewalt zu helfen, hat für uns oberste Priorität“

MUT: 2007 wurde die Koordinierungsstelle für Vielfalt, Toleranz und Demokratie, deren Leiter Sie sind, eingerichtet – wie kam es dazu?

Die Koordinierungsstelle wurde ins Leben gerufen, weil Neonazis in Dortmund immer wieder Aufmärsche veranstalteten und das Gefühl aufkam, man müsse etwas tun. Der Rat der Stadt Dortmund hat dann initiiert, dass die Koordinierungsstelle im Rathaus eingerichtet wird. Eigentlich wird die Koordinierungsstelle aber von zwei Personen gleichzeitig nach außen vertreten – das bin einmal ich, ich arbeite für die Stadt Dortmund – und das ist ein ehrenamtlicher Sonderbeauftragter des Oberbürgermeisters, Hartmut Anders-Hoepgen. Im Januar 2008 haben wir mit der Arbeit begonnen.

Wie muss man sich die Arbeit der Koordinierungsstelle vorstellen – welche Aufgaben erfüllen Sie?

Die Aufgaben, die wir übernehmen sind relativ vielschichtig. Angefangen haben wir damit die schon in Dortmund vorhandenen Initiativen gegen Rassismus und Rechtsextremismus zusammenzubringen und Netzwerke zu erweitern. Unsere wichtigste Aufgabe ist es jetzt, Initiativen und Bündnisse bei ihrer Arbeit zu unterstützen. Die Stadt Dortmund hat dafür einen speziellen Fonds eingerichtet. In den letzten Jahren standen uns dadurch 100.000 Euro, in diesem Jahr sogar 200.000 Euro zur Verfügung. Wir geben dieses Geld auf unbürokratische Art und Weise weiter: Einen formlosen Antrag bei uns einzureichen genügt – natürlich muss das Projekt aber für die Arbeit gegen Rassismus und Rechtsextremismus relevant sein.

Seit Jahren haben rechte Gewalttaten in Dortmund und ganz NRW zugenommen: 155 Fälle rechter Gewalt zählte das Landeskriminalamt für 2010, damit hat NRW in absoluten Zahlen den höchsten Wert aller Bundesländer– wie schätzen Sie die Szene in NRW und in Dortmund ein, warum gibt es hier ein solches Potenzial an rechter Gewalt?

Die Zahlen kenne ich nicht, und glauben kann ich sie auch nicht so richtig. Außerdem muss man ja bei polizeilichen Angaben immer noch eine hohe Dunkelziffer mit einrechnen. Es gibt hier jedenfalls ein rechtes Milieu, das ist nichts Neues. In den 80er Jahren war die „Borussenfront“ in der Dortmunder Hooligan-Szene aktiv und die waren auch schon extrem gewaltbereit. In den letzten Jahren treten die Neonazis jedoch immer öffentlicher auf und werden immer gewalttätiger. Hier in Dortmund haben wir das spezielle Problem der „Autonomen Nationalisten“. Sie sind hier bei den Rechtsradikalen die Platzhirsche, ihre Dominanz in der rechten Szene einer Großstadt gibt es sonst nirgendwo in Deutschland. Jedes Jahr am ersten Samstag im September veranstalten sie anlässlich des Antikriegstags hier eine Großdemo, bei der sie ihren eigenen „Nationalen Antikriegstag“ begehen, nach dem Motto „nach unserem Endsieg wird Frieden in Europa herrschen“. Man sieht sie auch relativ häufig bei Guerilla-Aktionen in der Stadt – sie kleben die Stadt mit Aufklebern zu oder verteilen Flugblätter. Ab und an versuchen sie auch Veranstaltungen zu stören und schüchtern Menschen ein, die in ihrem direkten Umfeld wohnen. Allerdings liegen diese Aktionen meistens unterhalb der Strafrechtsgrenze, was eine Verfolgung schwierig macht.

Gerade bei einer gewaltbereiten Neonaziszene wäre eine Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt wichtig. Das Innenministerium von NRW ließ allerdings im November 2010 verkünden, dass das nicht notwendig sei. Warum sieht die Politik trotz der erstarkten Neonaziszene keine Notwendigkeit für eine Beratungsstelle in NRW?

Das ist ein großes Problem und darüber wird im Moment in Dortmund heiß diskutiert. Die Einrichtung einer Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt ist meiner Meinung nach zwingend notwendig. Natürlich ist die Situation bei uns nicht wie in Anklam, zum Beispiel, aber wir haben hier in Dortmund ein riesiges Problem durch eine Outing-Seite im Internet, auf der die Namen von Dortmundern, die sich gegen Neonazis stark machen, veröffentlicht werden. Diese Leute werden dann bewusst schikaniert und attackiert.

Wie sehen solche Attacken aus?

Das können zum Beispiel falsche Paketsendungen sein oder Telefonterror. Weil die Daten im Internet stehen und von überall zugänglich sind, kann schon mal ein betrunkener Nazi aus Bayern mitten in der Nacht anrufen und durchs Telefon pöbeln. Ein junger Mann wurde auch schon von Neonazis durch die Stadt gejagt und hat jetzt natürlich große Angst alleine rauszugehen. Eine Familie wurde so stark angegangen, dass sie aus Dortmund weggezogen ist.

Wer betreut zur Zeit die Betroffenen?

Da es hier noch keine Opferberatungsstelle gibt, haben das Opferberatungsstellen aus den neuen Bundesländern übernommen. Der Staatsschutz und die Polizei in Dortmund sind in den letzten Jahren auch viel aufmerksamer und hellhöriger geworden – vom Polizeipräsidenten bis nach unten. Auch ich kümmere mich um die Opfer, so gut ich kann.

Sind Sie also zu einer Art „Ersatz-Beratungsstelle“ geworden?

Na ja, wenn Opfer auf uns zukommen, versuchen wir ihnen natürlich zu helfen. Ich habe zum Beispiel auch schon Leute zur Polizei oder zum Rechtsanwalt begleitet. Aber viele schreckt unser Standort im Rathaus ab – wir brauchen dringend eine Anlaufstelle die niedrigschwelliger ist. Außerdem schaffen wir es nicht selbst auf Opfer zuzugehen, wie es Opferberatungsstellen normalerweise tun. Das ist zeitlich für uns einfach nicht zu schaffen, deshalb drängen wir auf die Einrichtung einer eigenständigen Beratungsstelle.

Wie stehen die Chancen, dass Dortmund bald eine professionelle Beratungsstelle bekommt?

Wir wollen das Projekt dieses Jahr zum Laufen bringen. Doch eigentlich reicht eine Beratungsstelle in Dortmund nicht aus. Deshalb fordern wir und viele andere Gruppen in Nordrhein-Westfalen eine zentrale Beratungsstelle auf Landesebene. Es gibt im Landtag schon einzelne Fraktionen, die die Notwendigkeit für so eine Beratungsstelle sehen – nicht nur bei der Linkspartei. Aber eine breite Mehrheit im Landtag gibt es momentan noch nicht, daran muss noch gearbeitet werden. Ob unsere Bemühungen also von Erfolg gekrönt sein werden, steht noch in den Sternen. Deshalb bereiten wir parallel eine Beratungsstelle in Dortmund vor, sie wird zwar kleiner sein als eine Beratungsstelle auf Landesebene, aber irgendwo muss man ja mit der Arbeit anfangen. Die Notwendigkeit dafür ist auf jeden Fall da.

Sie bemühen sich außerdem darum einen Fonds für die Opfer rechter Gewalt in Dortmund einzurichten – wie kam es zu der Idee?

Wie ich schon erzählt habe, stellt die Stadt Dortmund eine große Menge Geld für Projekte gegen Rassismus und rechte Gewalt zur Verfügung und dieses Geld wollen wir sinnvoll einsetzen. Genauso wie wir die Notwendigkeit für eine Opferberatungsstelle sehen, sehen wir die Notwendigkeit für einen Opferfonds. Die Opfer rechter Gewalt müssen schnell und unbürokratisch unterstützt werden. Denn den Opfern rechter Gewalt zu helfen, hat für uns oberste Priorität.

Was ist Ihre persönliche Motivation sich für die Opfer rechter Gewalt einzusetzen?

Ich habe eigentlich zwei Jobs, die damit zu tun haben. Zusätzlich zu der Koordinierungsstelle für Vielfalt, Toleranz und Demokratie leite ich auch die Mahn- und Gedenkstätte Steinwache in Dortmund. Die „Steinwache“ war zwischen 1933 und 1945 ein Gestapogefängnis, in dem politische Gegner der Nazis festgehalten und gefoltert wurden. Ich weiß also sehr gut, wozu nazistisches Gedankengut führen kann. Jetzt, wo ich mich durch meinen Job in der Koordinierungsstelle auch noch mit modernen Neonazis beschäftige und mit den Opfern rechter Gewalt in Kontakt komme, wird mir jeden Tag mehr bewusst wie wichtig diese Arbeit ist. Man kann die Leute, die sich gegen Rechts engagieren und dann zu Zielscheiben werden nicht einfach im Regen stehen lassen. Aber das sollte nicht nur für mich eine Motivation sein, es ist die Pflicht eines jeden in einer Zivilgesellschaft, sich gegen die zu wehren, die undemokratisch sind.

Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg bei Ihrer Arbeit!

Das Interview führte Kristina Ditz.

Das Interview ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

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cfc

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