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Jahresrückblick 2023 Niedersachsen – Wanderfreunde aus Reichsbürger- und Neonazi-Spektrum

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Hier gefällt es dem "Königreich Deutschland": Bad Lauterberg im Harz. (Quelle: Flickr.com / Tobias Barz / CC BY-NC-ND 2.0 Deed)

 

Neonazistische Strukturen

Der organisierte Neonazismus konnte 2023 in Niedersachsen nicht viel Wirkungsmacht entfalten. Während es regional aktive losere Gruppen von Neonazis gibt, die sich in sozialen Netzwerken jugendkulturell und aktivistisch geben und vor Ort durch Propagandaaktionen und Bedrohungen  politischer Gegner*innen auffallen, fanden überregional fast keine relevanten Versammlungen statt. Wenn es um organisierte Neonazistrukturen in Niedersachsen geht, muss zwangsläufig der „Heimathof“ in Eschede benannt werden, der nach wie vor eine bedeutende Rolle für die Szene hat. Seit dem Kauf vor einigen Jahren durch Mitglieder der Partei „Die Heimat“ (ehemals NPD) dient er kontinuierlich als überregionaler Treffpunkt für Neonazis. Neben Parteitreffen fanden hier auch im Jahr 2023 szeneinterne Feste und Schulungen statt.

Musikveranstaltungen im Nordwesten

Im August 2023 fand in der Gemeinde Krummhörn im Landkreis Aurich ein Konzertabend unter dem Namen „Live in der Krummhörn“ statt. Es war bereits die zweite Veranstaltung dieser Art in dem Ort. Auftreten sollte unter anderem eine Böhse Onkelz-Coverband, deren Mitglieder Verbindungen in die militante rechte Szene haben. Organisiert wurde die Veranstaltung von einem lokalen Neonazi sowie einer weiteren Person aus Ostfriesland, die dem kurz nach dem Konzert verbotenen Hammerskin-Netzwerk zugerechnet werden kann. Als Sicherheitsdienst fungierte der bereits im Jahr 2018  im Niedersächsischen Verfassungsschutzbericht erwähnte Sanitätsdienst „Nordland“. Die Leitung übernahm ein Neonazi aus Wolfenbüttel (vgl. OZ). Etwa 200 Gäste nahmen an der Veranstaltung teil (vgl. OZ), darunter Hammerskins aus Nordrhein-Westfalen und weitere Neonazis (vgl. OZ). Obwohl der Verfassungsschutz im Vorfeld bestätigte, dass die Organisatoren des Konzertes Bezüge zu rechtsextremen Strukturen haben (vgl. NWZ), wurde die Veranstaltung nicht als rechtsextreme Musikveranstaltung eingestuft (vgl. OZ). Das Konzert fand (trotz vorheriger Hinweise auf die Veranstaltenden und den rechten Hintergrund) auf dem Gelände eines lokalen Lohnsteuerunternehmens statt (vgl. OZ).

Dass es auch anders gehen kann, zeigt ein Beispiel eines weiteren Rechtsrock-Konzertes, welches im Oktober in Schüttorf in der Grafschaft Bentheim stattfinden sollte. In einem Schützenhaus sollte unter dem Vorwand einer Geburtstagsfeier ein Konzert der Band Kategorie C stattfinden. Als der Vermieter von der Polizei davon erfuhr, zog er den Mietvertrag kurzfristig zurück. Die Veranstaltung wurde verboten (vgl. NDR).

Rechte Wanderungen

Seit einigen Jahren erfreuen sich Wanderungen bei extremen Rechten zunehmend größerer Beliebtheit. Sie erfüllen den Zweck, sich ungestört und unter Ausschluss der Öffentlichkeit miteinander zu vernetzen. Zugleich werden häufig historische Orte ausgewählt, um Bezüge zwischen dem Nationalsozialismus und aktueller rechter Ideologie herzustellen und historische Ereignisse politisch umzudeuten. Im Sommer 2023 berichtete Recherche Nord von einer Wanderung im Landkreis Oldenburg, für die Neonazis aus dem gesamten Bundesgebiet anreisen. Unter den Teilnehmern befand sich u.a. auch Mario Müller, Mitarbeiter des AfD-Abgeordneten Jan Wenzel Schmidt. Ebenso nahmen Eltern mit ihren Kindern an der Wanderung teil. Besucht wurde die „Stedingsehre“. Hierbei handelt es sich um eine ehemalige NS-Kultstätte, die eine wichtige Bedeutung für die rechte Szene hat. Laut Kenntnissen der Mobilen Beratung Niedersachsen verabredete sich in diesem Jahr aber auch noch ein anderes Spektrum zum Wandern: im Landkreis Osnabrück fanden mindestens zweimal Wanderungen aus dem Spektrum des „Königreichs Deutschland“ statt.

Völkische SiedlerInnen

Besonders im Nordosten Niedersachsens sind auch 2023 die Aktivitäten der völkischen Szene auf einem hohen Niveau. Diese äußern sich weniger durch öffentlichkeitswirksame Auftritte als durch ihr Bestreben, im Alltag Einfluss auf Zivilgesellschaft zu nehmen und bestehende Strukturen zu unterwandern. So versuchen sie ehrenamtliche Aufgaben zu übernehmen, beispielsweise als JugendtrainerInnen, in der Freiwilligen Feuerwehr, als ElternvertreterInnen in Schulen und Kitas oder durch nachbarschaftliche Hilfe.

Souveränistische Milieus in Niedersachsen

Auch 2023 gab es  zahlreiche Aktivitäten des souveränistischen Milieus in Niedersachsen. Dabei stellten AnhängerInnen dieser Milieus für Kommunen, Verwaltungen und eine engagierte Zivilgesellschaft eine Herausforderung dar. Besonders deutlich wird dies im Süden von Niedersachsen, bei dem das ehemalige Kneipp-Kur-Hotel am Wiesenbeker Teich in Bad Lauterberg – eine Immobilie mit 4 Hektar Land in idyllischer Lage – von einer Souveränistin des „König Reichs Deutschland (KRD)“ erworben wurde. Seit Juni laufen Renovierungsarbeiten um dieses Anwesen und machen die Expansionsbestrebungen des KRD auch in Niedersachsen deutlich. Die damit verbundenen Herausforderung für die Verwaltung und die Zivilgesellschaft vor Ort sind immens. So wurden bereits Nummernschilder, Namen und Kontaktdaten von Verwaltungsmitarbeiter*innen und Zollbeamt*innen im Internet nach einem Zolleinsatz auf dem Geländes des ehemaligen Kurhotels veröffentlicht. 

Kampfsporttraining und rechte Fans bei DFB Pokalspiel                        

Kampfsport erfreut sich großer Beliebtheit unter extrem Rechten. In den letzten Jahren fand eine zunehmende Professionalisierung statt.  Größeres Aufsehen  in Niedersachsen erregte  im Vorfeld des DFB-Pokalspiels gegen den FC St. Pauli ein Kampfsporttraining des SV Atlas Delmenhorst bei einem Trainer aus dem Landkreis Oldenburg, der Kontakte in die rechte Szene pflegte (vgl. NWZ). Beim Spiel selbst traten rechte Fans im Fanblock sowie im VIP-Bereich des Vereins in Erscheinung, darunter Hannes Ostendorf der Band Kategorie C (vgl. t-online). Es war nicht das erste mal, dass der Verein mit rechtsextremen Fans in Verbindung gebracht wurde. Als Reaktion hierauf erteilte der Verein Stadionverbote und hat weitere Maßnahmen ergriffen, um gegen rechtsextreme Fans vorzugehen (vgl. Weserkurier). Auch in Braunschweig veröffentlichen Neonazis Videos, wie sie sich in Kampfsport üben und bedienen damit in der extrem rechten Szene wichtige Bilder einer kriegerischen Männlichkeit.

Rechte Gewalt                  

Am 17. Juni fand am Bahnhof in Peine ein mutmaßlich rassistischer Angriff statt, der über die Region hinweg wahrgenommen wurde. Ein 29-jähriger in einem T-Shirt der Band „Landser“, die 2005 vom Bundesgerichtshof als kriminelle Vereinigung eingestuft worden war, soll einen 22-jährigen Deutschen syrischer Herkunft mit einer Armbrust schwer verletzt haben. Sowohl die Kleidung des Täters als auch die Auswahl des Betroffenen sprechen für eine rassistische Tatmotivation – so fand am 17. Juni rund um den Peiner Bahnhof auch ein Fest der muslimischen Gemeinden statt.  Der Prozessauftakt Anfang Dezember vor dem Landgericht Hildesheim hat begonnen. Es ist zu befürchten, dass auch in diesem Fall, eine mutmaßliche psychische Erkrankung des Tatverdächtigen dazu führt, dass die Fragen der Opferauswahl und die politische Motivation der Tat nicht hinreichend Beachtung finden werden.

Über die Sommermonate fanden an vielen Orten in Niedersachsen CSDs statt. Leider kam es jedoch an vielen Orten zu queerfeindlichen Angriffen von Teilnehmenden sowie zu queerfeidlichen Aktionen. In Gifhorn z.B. führte die AfD während des ersten CSD in der Stadt „Mahnwachen“ durch.

Auch die oftmals rassistisch geführte Debatte über Geflüchtete bleibt nicht folgenlos. In diesem Jahr  kam es in Niedersachsen wieder vermehrt zu Sachbeschädigungen gegen bestehende oder geplante Geflüchteteneinrichtungen.. In Wildeshausen (ebenfalls im Landkreis Oldenburg) wurden vor einer geplanten Unterkunft Brandsätze platziert (vgl. t-online). In Wittorf im Landkreis Lüneburg wurde eine geplante Unterkunft durch Brandstiftung zerstört.

Angriffe auf Orte des Gedenkens

Auch dieses Jahr kam es wieder zu Angriffen auf Gedenkorte. So wurde in der Nacht auf den 27. Januar das Mahnmal für alle Opfer des Nationalsozialismus am Weserwall in Nienburg zerstört. Im August wurden außerdem Informationstafeln und Fenster am Gebäude der Stiftung niedersächischer Gedenkstätten abgerissen und eingeschlagen.

Antisemitismus im Kontext Israel

Seit dem Angriff der Hamas auf Israel am 7.10.2023 steigen laut der Recherche- und Informationsstelle RIAS antisemitische Vorfälle in Niedersachsen deutlich an. (Israelbezogener) Antisemitismus wurde bei Versammlungen, auf Flugblättern und in sozialen Netzwerken sowohl von extrem rechten, verschwörungsideologischen als auch antiimperialistischen, propalästinensischen oder muslimischen Akteur*innen geäußert. Es zeigt sich erneut, dass der Antisemitismus in der Lage ist, sehr unterschiedliche Akteur*innen zu vereinen und neue Vernetzungen hervorzubringen. An mehreren Orten in Niedersachsen wurden Israel Fahnen gestohlen oder angezündet (vgl. NDR). In Westerstede wurde ein Grabstein auf dem jüdischen Friedhof umgestoßen (vgl. NWZ) und auch antisemitische Angriffe auf Gedenkorte fanden statt – so wurde die Gedenkstätte Ahlem mit antisemitischen Stickern beschmiert (vgl. taz), das Mahnmal für die KZ-Opfer in Osnabrück sowie das Mahnmal für die Alte Synagoge Osnabrück mit antisemistschen Schmierereien beschädigt (vgl. hasepost). Antisemitische Schmierereien in Folge des 7.10. gab es in vielen niedersächsischen Städten.       

Verschärfte Debatte über Geflüchtete und Normalisierung der AfD

Zunehmend verschärften sich in diesem Jahr die Diskussionen über die Unterbringung von Geflüchteten und Schutzsuchenden und damit oftmals auch die Stimmungslagen vor Ort. Ein Beispiel für diese Eskalation der Debatte und die Fragilität der oftmals beschworenen „Brandmauer“ gegen die Afd zeigt sich jünst in der Gemeinde Großenkneten im Landkreis Oldenburg. Dort schreckten die demokratischen Parteien nicht davor zurück, offen mit der AfD zusammen zu arbeiten. Der Gemeinderat (bestehend aus CDU, SPD, FDP, Grüne  und AfD) positionierte sich einstimmig gegen die Eröffnung einer Erstaufnahmeeinrichtung im Ort und reichte beim Land  eine entsprechende Resolution ein (vgl. Kreiszeitung). Bei einer anschießenden Kundgebung des Bürgervereins wurde wurde dem Landtagsabgeordnete Harm Rykena (welcher 2018 in einer Reihe mit Björn Höcke in Chemnitz demonstrierte (vgl. taz) eine Bühne geboten, dessen Redebeitrag unwidersprochen blieb (vgl. Instagram). Eine Abgrenzung der lokalen Kommunalpolitik und des Bürgervereins  blieben aus und somit wurde ein weiterer Beitrag zur Normalisierung der AfD geleistet, deren Umfragewerte auch in Niedersachsen zunehmend ansteigen. Im Niedersächsischen Landtag fiel die Partei durch Angriffe auf queere Projekte und Hetze gegen das Verwenden gendergerechter Sprache an Niedersächsischen Schulen auf sowie das Infragestellen von Projekten gegen die extreme Rechte. Nachdem Oldenburgs Polizeichef in einem Interview vor der AfD warnte, reagierte die Partei mit einer Dienstaufsichtbeschwerde (vgl. taz).

Starke Zivilgesellschaft

Auch im Jahr 2023 fanden an vielen Orten zahlreiche zivilgesellschaftliche Aktivitäten zur Stärkung demokratischer Kultur statt. Bündnisse gegen Rechts, Initiativen zur Stärkung demokratischer Kultur für Menschenrechte, zahlreiche „Omas gegen Rechts“ Gruppen sorgen mit ihrem Engagement für Sichtbarkeit menschenrechtsorientierter Positionen und wirken gegen die extreme Rechte. So wurde beispielsweise, das Rechtsrock Konzert in der Krummhörn von breiten Protesten begleitet.

Im Nachgang des Konzertes gründete sich vor Ort ein lokales Bündnis gegen Rechts, welches sich langfristig mit rechten Strukturen vor Ort auseinander setzen möchte.

Gegen die seit Sommer 2022 in Twistringen im Landkreis Diepholz stattfindenden AfD-Montagsdemonstrationen gab es auch 2023 wieder kontinuierlichen Gegenprotest vor Ort, der mittlerweile häufig die doppelte Anzahl an Teilnehmenden aufweist. Darüber hinaus konnten zwei Mal mit einer Menschenkette bis zu 180 Menschen mobilisiert werden, die ein deutlich sichtbares Zeichen gegen Rechts setzten. Aus dem Gegenprotest heraus entstand 2023 ein neues Bündnis in Twistringen (vgl. Weserkurier). Viel öffentliche Aufmerksamkeit konnte auch eine symbolische „Brandmauer gegen Rechts“ erregen, die von einem Bündnis gegen Rechts im Zuge der Proteste gegen die AfD errichtet wurde (vgl. HAZ). Selbige wurde auch von den „Omas gegen Rechts“ im Landkreis Osnabrück initiiert (vgl. NOZ).

Im Landkreis Gifhorn sind zahlreiche neue Initativen entstanden, die sich einsetzen für eine Stärkung der demokratischen Kultur in den Gemeinden. Dabei wurde sowohl informiert als auch reagiert – mit ca. 300 Teilnehmenden und einem lauten Protest, ließ man auch im ländlichen Raum in der Gemeinde Wesendorf den AfD-Auftakt zur Europawahl nicht unkommentiert und machte deutlich – es gibt kein ruhiges Hinterland für menschenfeidliche Positionen.

Auch Rund um die Aktivitäten auf dem so genannten „Heimathof“ in Eschede fanden Demos und Veranstaltungen des zivilgesellschaftlichen Bündnis gegen Rechtsextremismus Eschede statt. Der Landesparteitag der AfD in Celle im August diesen Jahres wurde mit starken Protesten begleitet. Die Gruppe Beherzt war weiterhin sehr aktiv im Nordosten Niedersachsen, um auf das Problem durch völkische Siedlungen aufmerksam zu machen und Betroffene vor Ort zu unterstützen.

In Worpswede engagierten sich verschiedene Gruppen und Einzelpersonen gegen Aktivitäten aus dem verschwörungsideologischen Spektrums und den Zuzug extrem Rechter AktivistInnen.

In der Folge des Angriffs der Hamas auf Israel am 7.10. und damit einhergehend des ansteigenden Antisemitismus in Deutschland  gab es in mehreren Städten Niedersachsens Versammlungen aus der Zivilgesellschaft, auf denen ein deutliches Zeichen gegen Antisemitismus und für den Schutz jüdischen Lebens in Deutschland gesetzt wurde.

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Das Foto wird unter der Lizenz CC BY-NC-ND 2.0 Deed veröffentlicht.

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