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Kettenbriefe für den Kreml Wie russische Propaganda in Deutschland verfängt

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Hupen für Putin: Ein prorussischer Autokorso im Mai 2022 in Köln
Hupen für Putin: Ein prorussischer Autokorso im Mai 2022 in Köln (Quelle: picture alliance/Panama Pictures/Christoph Hardt)

Seit Beginn des russischen Angriffskriegs begleiten Lügen und Desinformation die Gewaltexzesse in der Ukraine – angeheizt von einer Propagandamaschinerie, die jahrelang warmlief. Denn seit den Ereignissen des Jahres 2014 – den Euromaidan-Protesten, der Annexion der Krim und dem Beginn der Kämpfe in der Ostukraine – verbreiten kremlnahe Medien eine völlig verzerrte Sicht auf das Geschehen. Damals berichtete das russische Staatsfernsehen von der „faschistischen Militärjunta“, die in Kyjiw (Kiew) die Macht an sich gerissen habe. Über die Jahre häuften sich Meldungen von Kreuzigungen und ähnlichen Gräueltaten, angeblich verübt von ukrainischen „Strafkommandos“ an der russischsprachigen Bevölkerung des Donbas – selbstverständlich mit Segen des Westens, der Russland vernichten wolle.

Trotz der erwiesenen Falschheit dieser Schauergeschichten stößt die jetzige Kriegspropaganda in Russland deshalb auf fruchtbaren Boden. Das Staatsfernsehen präsentiert die russischen Truppen als heldenhafte Befreier im Kampf gegen die Nazis in Kiew. Neue Gesetze schränken unabhängige Berichterstattung in Russland weiter massiv ein. Doch nicht nur in Russland selbst verfängt die Desinformationskampagne. Auch Deutschland ist seit langem im Visier von Putins Propaganda. Das Ziel: Destabilisieren und Chaos stiften.

Autokorsos gegen Russophobie

Das Instrumentarium russischer Desinformation umfasst mehr als die mittlerweile von der EU verbotenen Auslandssender Sputnik und Russia Today (RT). Denn Reichweite verschaffen der Kreml-Perspektive hierzulande auch die russische Botschaft, rechtsalternative Medien und eine Riege an Social-Media-Kanälen, die Inhalte auf Russisch und Deutsch verbreiten. Eine wichtige Zielgruppe sind dabei russischsprachige Migrant*innen. Davon zeugen prorussische Kundgebungen, die seit Ende März in verschiedenen deutschen Städten stattfinden.

Das meiste Aufsehen erregte hier wohl der Autokorso durch Berlin vom 3. April 2022 – dem Tag, an dem Bilder aus Butscha um die Welt gingen. Bei diesen Veranstaltungen gehen Menschen mit postsowjetischem Migrationshintergrund auf die Straße. Fahnenschwenkend demonstrieren sie nach eigener Angabe gegen die Diskriminierung der russischsprachigen Community.

Auf den ersten Blick spiegelt sich hier die Kreml-Erzählung von der vermeintlich grassierenden Russophobie, die seit Kriegsbeginn verstärkt in sozialen Netzwerken zirkuliert. Doch Telegram-Gruppen, die organisatorisch hinter den Korsos stehen, verdeutlichen, dass viele der Demonstrierenden noch etwas anderes umtreibt: Sie sind mit dem russischen Angriffskrieg einverstanden. Und so werden hier haargenau jene Erklärungen verbreitet, die aus dem russischen Fernsehen bekannt sind: „Leider leben wir in einer Zeit, in der die Nazi-Schergen wieder einmal auferstanden sind“, schreibt etwa die „Russische Liga Deutschland“ mit Blick auf die Ukraine, ausgerechnet am Jahrestag des Sieges im Zweiten Weltkrieg.

Dabei ist es falsch, dass Menschen mit postsowjetischem Hintergrund Putin generell unterstützen. Das zeigt eine Blitzumfrage des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) von Anfang März 2022: Über 80 Prozent der Befragten aus dieser Gruppe sind der Auffassung, dass die russische Regierung hauptsächlich verantwortlich für den Krieg sei. Eine Studie des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vom Februar 2022 zeigt zudem, dass lediglich ein Viertel der russlanddeutschen Spätaussiedler*innen russischen Medien glaubt.

Verschwörungsideologische Rückendeckung für Putin

Während die Wirkung russischer Desinformation in migrantischen Communitys also überschaubar ist, finden die Lügen in der Mehrheitsgesellschaft andere Anhänger*innen. Die Amadeu Antonio Stiftung beobachtet die Übernahme von Kreml-Narrativen zum Krieg durch einschlägige Akteur*innen der deutschen Verschwörungsszene. Insbesondere RT werde dort als Quelle oft geteilt. Als Reaktion auf das EU-Verbot streamte der „Querdenker“ Bodo Schiffmann den Sender zwischenzeitlich über seinen Telegram-Kanal. Die nach Russland ausgewanderte Alina Lipp berichtet derweil auf Deutsch aus der selbsternannten „Donezker Volksrepublik“. Auf ihrem rasant wachsenden Kanal teilt sie Kettenbriefe, wonach Ukrainer in Butscha die eigentlichen Täter wären. Viele Telegram-Kanäle warnen vor erfundenen US-Biowaffenlaboren in der Ukraine. Für die meisten Akteur*innen steht fest: Die NATO ist der wahre Aggressor.

Die jetzige Rückendeckung für Putin aus der deutschen Verschwörungsszene ist das jüngste Kapitel einer Liaison, die zu den antiamerikanistischen Friedensmahnwachen von 2014 zurückreicht. Hinzu kommt, dass etwa RT pandemieleugnerische Positionen in Deutschland gezielt befeuerte. Das brachte dem Sender in diesen Kreisen ein Standing ein. Dass das rechtsextreme Magazin Compact jetzt für Frieden mit Russland wirbt und Impfgegner*innen bei ihren Spaziergängen Russlandfahnen hochhalten, ist folglich nicht verwunderlich und dennoch Anlass zur Sorge.

Gerade deshalb reicht das Verbot von Sputnik und RT nicht aus. Einerseits, weil die russischen Inlandssender auch weiterhin über Satellit empfangbar sind. Andererseits, weil sich Desinformationen im Internet längst verselbständigt haben. Gefragt sind stattdessen zivilgesellschaftliche Aufklärungsangebote – auf Russisch und auf Deutsch. Denn dass Desinformation tötet, hat sich selten so deutlich gezeigt wie jetzt.

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