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Kommentar Es reicht noch lange nicht

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Anetta Kahane ist Vorsitzende des Vorstands der Amadeu Antonio Stiftung (bis Ende März 2022); Foto: MUT

Auch wenn es in den allgemeinen Einstellungsmustern etwas weniger Rechtsextremismus gibt, der ja – wie wir aus anderen Befunden wissen – noch immer gewalttätig und mobilisierungsfähig ist. Da reicht es nicht, dass die Regierungen von Bund und Ländern Untersuchungsausschüsse zum Fall NSU einrichten. Es reicht nicht, dass sie Berichte verfassen oder Empfehlungen schreiben. Es reicht bei weitem nicht, dass ein neues Bundesprogramm des Familienministeriums die Mittel für zivilgesellschaftliches Engagement gegen Rechtsextremismus einfach beibehält und nicht – wie eigentlich im Koalitionsvertrag vorgesehen – bedarfsgerecht erhöht und so die Projekte auf „später“ vertröstet. Es reicht nicht, dass der Verfassungsschutz zu praktisch gar nichts genötigt wurde nach der Katastrophe NSU, außer dass einige Leute ihre Stühle verrückt haben – richtig vor die Tür gestellt wurden sie praktisch niemandem. Es reicht nicht, dass Willkommenskultur gegenüber Flüchtlingen gepredigt, in Wahrheit aber Richtlinien für deren Abschiebung verschärft werden. Es reicht nicht, dass von Diskriminierung manchmal, aber von Rassismus nie gesprochen wird, anstatt beides mit allen vorhandenen Mitteln zu verhindern. Und zwar aktiv, nicht nur lauwarm. Es reicht nicht, ein Fest in der Keupstraße in Köln zu machen in Gedenken an die Bombenanschläge von vor 10 Jahren, aber keine Massenproteste gegen diese widerliche Soße aus Versäumnissen, Nachlässigkeiten und abscheulichem Zynismus, die den NSU möglich gemacht hat und bis heute nachlässig und zynisch geblieben ist. Es reicht nicht!

Zusammenstehen heißt auch Schluss mit Rassismus

Gewiss geht in Deutschland alles sehr langsam und tuckert sich durch die Mühlen der Öffentlichkeit, der Parteienlandschaft und dann irgendwann durch die Verwaltungen. Und ganz besonders mühsam wird es immer dann, wenn Rassismus und Rechtsextremismus bekämpft werden sollen. Ganz unangenehmes Thema, ganz schwierig, ganz doll angstbesetzt. Wenn da jemand was falsch macht, gibt’s großen Ärger, deshalb das Thema besser vermeiden. Oder wenn doch irgendwas falsch gelaufen ist bei Ermittlungen gegen Nazis oder in Sachen Diskriminierung dann erstmal abwehren, leugnen und nochmals leugnen. Keine politische Partei ist davon ausgenommen, nicht einmal die Linke oder die Grünen. Wo sie im Detail mitverantwortlich waren an Versäumnissen blockieren sie ganz genauso wie die CDU oder die SPD. Und alle zusammen jammern, dass sie doch auch Gutes wollten und taten. Das reicht nicht!

Birlikte heißt Zusammenstehen. Es reicht nicht, diesem Slogan nur an Pfingsten zu feiern. Das Fest in Köln zu traurigem Anlass ist die erste öffentliche Veranstaltung, die an alle Opfer des NSU erinnert. Draußen, auf der Keupstraße, nicht drinnen in einem Konzertsaal mit geladenen Gästen. Birlikte muss ein Anfang sein für alles, was nach der Katastrophe mit dem NSU nötig ist: Zusammenstehen heißt auch Schluss mit Rassismus – auch bei Polizei und Behörden! Schluss mit dem Zögern der Justiz bei eindeutig rechtsextremen Gewalttaten! Schluss mit dem Getue der Parteien. Wer Fehler gemacht hat, soll dazu stehen, sonst ändert sich nie etwas! Schluss damit, dass die Zivilgesellschaft mit Krümeln abgespeist wird, sowohl politisch wie finanziell! Opfer müssen geschützt, Kommunen beraten werden. Und die Warnungen der Leute vor Ort vor Nazis und unguten Stimmungen, als Alarmismus von Betroffenen abzutun, ist vor allem dumme Zeit- und Geldverschwendung.

Nach der Entdeckung des NSU ist viel zu wenig geschehen. Es reicht nicht, so zu tun, als wäre alles auf einem guten Weg! Das ist es nicht. Noch lange nicht.
Und das reicht uns jetzt!

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

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