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Kulturelle Aufarbeitung von Rostock-Lichtenhagen Das Pogrom als austauschbares Erlebnisangebot?

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Filmstill aus "Wir sind jung. Wir sind stark": Wenn Rassismus nur eine Fußnote im Erklärungsmuster aus Halt-, Perspektiv- und Orientierungslosigkeit, Selbstmord, Freundschaft und Rebellion wird, wird das Pogrom zum Event neben anderen. (Quelle: Zorro Film)

Die Anzahl der Angriffe auf Flüchtlingslager, die sich nach offiziellen Zählungen gegenüber dem Vorjahr verdreifacht hat, lässt viele über Dreißigjährige an die rassistischen Pogrome, Brandanschläge und Angriffe der 1990ger Jahre denken. Aktuell erinnern mit „Wir sind jung. Wir sind stark“ (R: Burhan Qurbani D 2015) und „Sonnenblumenhaus“ (Dan Thy Nguyen und Iraklis Panagiotopoulos) zwei Produktionen an das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen. Vom 22. bis zum 26. August 1992 wurde dort die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber*innen (ZAST) mit Steinen und Molotowcocktails attackiert.  Die Menge, aus der die Angriffe erfolgten, war zeitweise bis zu 5.000 Personen stark und setzte sich aus Anwohner*innen sowie aus örtlichen und angereisten Neonazis zusammen. Nachdem die ZAST unter dem Jubel der Umstehenden geräumt wurde, richtete sich die Gewalt der Angreifenden gegen ehemalige Vertragsarbeiter*innen aus Vietnam, die den an die ZAST angrenzenden Gebäudeteil bewohnten. Ohne ausreichenden Polizeischutz waren die im Haus Verbliebenen dem rassistischen Mob, der Stockwerk für Stockwerk verwüstete und in Brand setzte, ausgeliefert. Dass die Polizei das Pogrom nicht beendete, ermutigte die Angreifenden. Über das Dach konnten sich alle im Sonnenblumenhaus befindlichen Menschen vor den Flammen in Sicherheit bringen. Es war ein Zufall, dass es dabei keine Toten gab.

„Wir sind jung. Wir sind stark“: Rassismus im Kino heruntergespielt

Als Coming-of-Age-Story um eine Clique junger Täter erzählt Burhan Qurbani die Pogromtage in „Wir sind Jung. Wir sind stark“. Im Zentrum des als „Must-See des Kinojahres“ (Focus) gehandelten Spielfilms steht die Frage, „was einen Menschen von morgens bin ich noch verliebt in Jenny zu abends schmeiss‘ ich ’nen Molotowcocktail“ führen kann. Die als zurückhaltend gezeichnete Hauptfigur Stefan begreift sich weder als links noch rechts sondern als „normal.“ Gerade er wird einen Molotowcoctail gegen das Sonnenblumenhaus schleudern.

Weitere Erzählstränge sind seinem Vater gewidmet, dem aus Überforderung untätig bleibenden Lokalpolitiker Martin, und der Vietnamesin Lien, über welche die Perspektive der Angegriffenen eingebracht wird.

Die Handlung ist auf das Pogromwochenende beschränkt. Auf dessen Vorgeschichte – die ZAST war überfüllt, ankommende Geflüchtete waren gezwungen, tagelang ohne Unterkunft, Verpflegung und sanitäre Anlagen vor der ZAST zu kampieren, während lokalen Medien rassistische Gerüchte und Drohungen verbreiteten – wird entsprechend nur am Rande eingegangen.  Auch der politische Kontext des Pogroms, die parlamentarisch und medial geführten Debatten um die Einschränkung des Rechts auf Asyl, die nach dem Pogrom dann auch in die Wege geleitet wurde, wird lediglich angerissen. Der Fokus des Films liegt auf Stefan und seiner Clique. Diese als organisierte Neonazis zu zeichnen, wäre Regisseur Qurbani zu einfach gewesen. „Wenn damals nur Rechtsradikale auf der Straße gewesen wären, dann hätten wir es einfach beiseite schieben können, dann hätten wir sagen können, ok, wir haben diese rechtsradikalen, rechtsextremen Ränder in unserer Gesellschaft und die schlagen alle paar Jahre mal aus und damit hat sich dass“ analysiert er treffend in einem Interview.

Das Pogrom als austauschbares Erlebnisangebot

Doch dass Rassismus die treibende Kraft für die Angriffe war – auch für diejenigen unter den Angreifenden, die nicht über ein geschlossenes, extrem rechtes Weltbild verfügten -, droht unter einer Fülle entpolitisierender Erklärungsansätze zu verschwinden. Angeboten werden hier: Halt-, Perspektiv- und Orientierungslosigkeit, der Selbstmord des besten Freundes. Auch dass Stefan kurz zuvor mit Jenny geschlafen hat, in die sein Freund Robbie unglücklich verliebt ist, und dass er ihm mit dem Wurf des Brandsatzes nun Freundschaft und Zusammengehörtigkeit unter Beweis stellen will, dass er gegen seinen Vater, den rückgratlosen Kommunalpolitiker rebelliert: Das Pogrom wird zum austauschbaren Erlebnissangebot. Es hätten auch die Chaostage sein können. Dazu passt es auch, dass die rassistischen Sprechchöre, die in der Realität den Soundtrack zum Pogrom bildeten, im Film oft von den Beats der Filmmusik übertönt werden. Anstatt diese Spannung auszuhalten, wird eliminatorischer Rassismus an den einzigen überzeugten Neonazi der Clique delegiert. Mit seinen Reden von der „völkischen Revolution“ stößt er in seinem Umfeld auf wenig Resonanz. Seine Machtposition scheint vor allem auf seiner Aggressivität und körperlichen Dominanz zu basieren. Symptomatisch dafür ist ein Streit um die Musik im Autoradio. Die Clique bevorzugt „Life is Life“. Dass „Deutschland, dein Volk stirbt aus“ gespielt wird, muss er mit massiver Gewalt durchsetzen. Das aus anderen Filmen über Jugendliche und die extreme Rechte hinlänglich bekannte Muster, bei dem ein überzeugter Nazi verwirrten Kids gegenübergestellt wird, die eigentlich „zu sensibel und schlau“, gar keine „richtigen Neonazis“ – oder in diesem Fall Rassisten – sind, lässt auch in diesem Film aufzeigen. Das Motiv der überforderten, alleinerziehenden Eltern im Übrigen auch. Nicht fehlen darf auch der Initiationsritus ‚Glatze scheren‘.

Das Pogrom selbst wird sehr akribisch rekonstruiert. Einige Einstellungen scheinen detailgetreue Nachinszenierungen der aus Dokumentationen und der TV-Berichterstattung bekannten Bildikonen zu sein: die Menschenmassen vor dem Sonnenblumenhaus, der Hosenpisser in Jogginganzug mit erhobenem rechten Arm, der bärtige Ausländerbeauftragte Wolfgang Richter am Telefon im brennenden Haus, der so verzweifelt wie vergeblich versucht, die Polizei herbei zu beordern. Die Bilder der unter den Balkonen der Wohnblocks lagernden Geflüchteten, sogar der kleine Imbiss Happi, Happi bei Appi, der den Mob mit Bier und Wurst versorgte, scheinen der Dokumentation „The truth lies in Rostock“ (auf Youtube anzusehen) zu entstammen, die  bereits 1993 aus der Zusammenarbeit eines britischen Fernsehteams mit kritischen Rostocker*innen entstand. Die vielen O-Töne, in denen die Dokumentation  die Geflüchteten zu Wort kommen lässt und die den Rassismus der Anwohner*innen und die Relativierungen der politisch Verantwortlichen entlarven, werden jedoch nicht so ausgiebig zitiert.

„Sonnenblumenhaus“: Theater zeigt die Opferperspektive

Einen ganz anderen Zugang wählen Dan Thy Nguyen und Iraklis Panagiotopoulos für ihr Theaterstück. Sie machten sich auf die Suche nach den in Deutschland verbliebenen vietnamesischen Überlebenden des Pogroms, deren Sicht, wie die Autoren kritisieren, in den erinnerungskulturellen Auseinandersetzungen mit dem Pogrom „völlig unterrepräsentiert“ (Interview: korientation.de)  ist. Aus Transkriptionen von mit ihnen geführten Interviews entstand das Theaterstück „Sonnenblumenhaus“. Aktuell erschien es als Hörstück. Es wird deutlich, dass Fragen danach, wer wie und mit wem über das Pogrom sprechen kann, darf und will, Fragen nach Zugängen zu gesellschaftlichen Ressourcen und Diskursmacht sind. Während viele der Überlebenden aufgrund schlechter Erfahrungen mit der Presse nicht mehr mit Journalist*innen reden mögen, sprachen sie mit Dan Thy Nguyen, dem sie als Repräsentanten der sogenannten zweiten Generation vietnamesischer Deutscher auftragen, die Erinnerung an das Pogrom zu bewahren und weiterzutragen.

Das Stück lässt ihre Geschichten in Vietnam während des Krieges beginnen. Sie handeln von der anfänglich großen Freude, aus dem kriegszerstörten Land an einen Ort zu kommen, der ihnen sauber und modern vorkam. Dass sie als billige Arbeitskräfte in der DDR waren und ihre eigenen Wünsche und Pläne nicht interessierten, mussten sie bald schmerzlich erfahren. Studieren: Denk nicht mal dran! An Deutschkenntnissen wurde nur das für die Arbeit Notwendigste vermittelt. Ihre Schwangerschaft beispielsweise musste eine Zeitzeugin bis in die letzten Monate geheim halten, weil sie sonst zum Abbruch gezwungen und abgeschoben worden wäre. Die vielstimmige Erinnerungskollage vermittelt nicht nur einen Eindruck davon, was es bedeutet haben mag, als Vertragsarbeiter*in in der DDR zu leben. Ausführlich wird dann auch auf die Zeit nach der deutschen Vereinigung, das Pogrom selbst – der Überlebenskampf im brennenden Sonnenblumenhaus – und die Zeit danach eingegangen. „Sonnenblumenhaus“ legt somit ein eindrückliches Zeugnis von institutionellem wie gewalttätigen deutschen Rassismus ab. Die Geflüchteten vor der ZAST, viele von ihnen Roma, hingegen bleiben – übrigens in beiden Produktionen – sprachlos. Eine Auslassung, die in „Sonnenblumenhaus“ wenigstens thematisiert wird. 

Mehr im Internet:

| Website des Films „Wir sind jung. Wir sind stark“: jungundstark.de

| „Sonnenblumenhaus“ als Hörstück: www.freie-radios.net/68551

| Dokumentation „The truth lies in Rostock“ auf YouTube

| Mehr zum Thema Film auf netz-gegen-nazis.de

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