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Lagebild zum Antisemitismus in Baden-Württemberg „Jüdinnen und Juden tragen kaum noch jüdische Symbole“

Polizisten stehen vor der Synagoge in Stuttgart. (Quelle: picture alliance/dpa | Christoph Schmidt)

Derzeit finden in Baden-Württemberg unzählige Kundgebungen gegen die Maßnahmen der Bundes- und Landespolitik zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie statt. Der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus e.V. (RIAS) dokumentierte zuletzt einige Vorfälle, in denen Teilnehmende die Maßnahmen mit der NS-Diktatur gleichsetzten: Während ein Redner in Ravensburg die vermeintliche Online-Zensur mit der Bücherverbrennung verglich, trug ein Teilnehmer in Freiburg ein Schild, das den Auschwitz-Torbogen mit der Inschrift „Impfen macht frei“ zeigte. Im Rahmen einer Kundgebung in Stuttgart, an der Mitte Mai rund 5.000 Menschen teilnahmen, äußerte sich ein Redner ähnlich. Er sagte: „Wir dulden keinen neuen Holocaust, diesen ungetesteten Impfwahn, für deren Weltherrschaft.“

Weil sich Antisemitismus und Verschwörungsmythen in Zeiten der Corona-Krise rasch verbreiten, startete der Beauftragte der baden-württembergischen Landesregierung gegen Antisemitismus, Dr. Michael Blume, den Podcast „Verschwörungsfragen“. Mit Blick auf die zunehmenden Proteste stellt Blume fest: „Ereignisse wie die COVID-19-Pandemie erzeugen Deutungsbedarf. Es lässt sich leider beobachten, dass in Zeiten der Pandemie viele Menschen auf die Verschwörungsmythen von Ken Jebsen & Co. hereinfallen.“ Die insbesondere im digitalen Raum verbreitete Behauptung, das Corona-Virus sei eine Lüge, um eine globale Diktatur zu errichten, ist die Basis für ein antisemitisches Weltbild. Die Pandemie macht den Antisemitismus sichtbar, der in Teilen der Bevölkerung fest verankert ist. Schließlich bietet sie einen Anlass, um in aller Öffentlichkeit zu behaupten, dass eine raffgierige, im Geheimen agierende Elite die Strippen ziehe.

Um sich aus zivilgesellschaftlicher Perspektive unter besonderer Berücksichtigung jüdischer Stimmen einen Überblick zu erarbeiten, welche Formen des Antisemitismus in Baden-Württemberg relevant sind, veranstaltete die Amadeu Antonio Stiftung im Jahr 2019 ein landesweites Netzwerktreffen. Das Treffen fand unter Schirmherrschaft von Dr. Michael Blume und in Kooperation mit der Israelitischen Gemeinde Freiburg statt. Nun veröffentlicht die Stiftung ein zivilgesellschaftliches Lagebild, das die Ergebnisse des Netzwerktreffens zusammenfasst und exemplarische Einblicke in die verschiedenen Facetten des Antisemitismus gewährt.

Die Vorstandsvorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, Anetta Kahane, betont: „Die Bekämpfung des Antisemitismus, von der in Deutschland besonders nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle so viel gesprochen wird, braucht die Wahrnehmung von Antisemitismus – denn ohne diese kann man nichts dagegen tun – und Schutz und Beistand für all diejenigen, die er trifft.“ Das Lagebild enthält fundierte Texte, die sich mit dem Antisemitismus in unterschiedlichen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens auseinandersetzen. So schreiben Alexandra Poljak und Ruth Bostedt über Erfahrungen und einen wünschenswerten Umgang mit Antisemitismus an Schulen. Florian Eisheuer und Markus Textor beleuchten die Rolle des Antizionismus und israelbezogenen Antisemitismus und Timo Büchner wirft einen Blick auf die Schuldabwehr, die seit Jahrzehnten in der Gesellschaft, aber auch zunehmend in den Parlamenten repräsentiert ist.

Neben Texten enthält das Lagebild zwei Gespräche mit Rami Suliman, Vorsitzender der Israelitischen Religionsgemeinschaft Baden, und mit Irina Katz, Vorsitzende der Israelitischen Gemeinde Freiburg. Im Gespräch schildert Suliman die wachsende Bedrohung jüdischen Lebens: „Im Laufe der vergangenen Jahre hat die Angst in den jüdischen Gemeinden zugenommen. Jüdinnen und Juden werden online mit reichlich Antisemitismus konfrontiert. Aber der gestiegene Antisemitismus macht sich genauso auf der Straße bemerkbar. Jüdinnen und Juden tragen kaum noch jüdische Symbole. Auf den Schulhöfen wird das Wort ‚Jude‘ als Schimpfwort wahrgenommen. Aber: Es ist keine Schande, ein Jude bzw. eine Jüdin zu sein.“

Die Gespräche und Texte werden durch Forderungen ergänzt, die im Rahmen des Netzwerktreffens gesammelt und diskutiert worden und zur Stärkung der zivilgesellschaftlichen Strukturen im Kampf gegen Antisemitismus notwendig sind.

Das Lagebild ist als PDF-Datei unter www.amadeu-antonio-stiftung.de abrufbar. Um das Lagebild als kostenlose Print-Ausgabe zu erhalten, schreiben Sie bitte eine Mail an: aktionswochen@amadeu-antonio-stiftung.de

Anlässlich der zunehmenden Verschwörungserzählungen rund um das Corona-Virus veranstaltete die Amadeu Antonio Stiftung am 15. Mai einen „Digitalen Aktionstag gegen Verschwörungsmythen und Antisemitismus“. Der Aktionstag bildete den Auftakt der Aktionswochen gegen Antisemitismus. Alle Veranstaltungen finden Sie hier (Programm wird fortlaufend aktualisiert).

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