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MBR Weltuntergang?! Extrem rechte Krisennarrative in Berlin

Autoritarismus, Antisemitismus und Verschwörungserzählungen als inhaltliche Klammer (Quelle: Kira Ayyadi)

Ob Krieg, Klima oder soziale Spannungen – Krisen polarisieren die Gesellschaft und gehören zum Normalzustand. Rechtsextreme, Rechtspopulist*innen und Anhänger*innen von Verschwörungserzählungen greifen diese Krisen auf, um sie demokratiefeindlich, völkisch-national, rassistisch und antisemitisch aufzuladen. Ganz unterschiedliche Themen werden in Verbindung gebracht, wobei die Akteur*innen arbeitsteilig vorgehen und unterschiedliche Zielgruppen priorisieren. Diese Gemengelage hatte die MBR schon vor mehreren Jahren als „neue Unübersichtlichkeit“ bezeichnet. Diese Unübersichtlichkeit ist nicht auf einzelne Themen und bestimmte Akteur*innen reduzierbar, und problematisch ist auch das Operieren mit neuen Labeln wie „neuer Extremismus“ oder „Querfront“. Stattdessen sollte anhand der Inhalte, der Narrative und der Codes präzise benannt werden, auf welche Weise und wo die Ideologien der Ungleichwertigkeit auftreten und warum sie gesellschaftliche Resonanz erhalten.

Die verschwörungsideologischen und rechtsoffenen Netzwerke der Corona-Proteste sind im Umbruch

Berlin spielt für Mobilisierungen und Proteste nach wie vor eine herausragende Rolle, vor allem als Standort der Regierung und vieler wichtiger Institutionen und Einrichtungen, aber auch als Symbol. Insbesondere die bundesweiten „Querdenken-Proteste“ erlebten hier 2020 mit mehrere zehntausend Personen ihr ganz eigenes „politisches Woodstock“.

Diese verschwörungsideologische Szene, die vor allem während der Proteste gegen die Corona-Schutzmaßnahmen entstand, ist weiterhin aktiv, befindet sich zurzeit allerdings in einer Umbruchphase. Obgleich die verschwörungsideologischen Aktivist*innen mittlerweile über jahrelange Erfahrung und ausreichend Infrastruktur verfügen wie Anmelder*innen, Technik und mediale Begleitung für das Durchführen öffentlicher Versammlungen, haben die Proteste auf der Straße ihren Zenit überschritten. Es werden kaum noch Menschen außerhalb der eigenen Blase mobilisiert. Gleichwohl weisen diejenigen, die sich weiterhin als Teil des inneren Kreises sehen, mittlerweile ein geschlossenes verschwörungsideologisches Weltbild auf. Innerhalb ihrer oft undurchsichtigen Kommunikationskanäle reproduzieren reichweitenstarke Multiplikator*innen auf Grundlage diverser Verschwörungserzählungen immer wieder die eigenen Narrative – zuletzt mit deutlicher Anschlussfähigkeit für Rechtsextremismus und Rechtspopulismus.

Die Szene hat sich nicht nur auf einen kleinen, aber beständig mobilisierbaren Kern verdichtet, sie funktioniert mittlerweile auch als soziales (Freundschafts-)Netzwerk. Mit dem Rückgang der Straßenproteste lässt sich beobachten, dass die innerhalb dieser Netzwerke entstandenen persönlichen Beziehungen durch unterschiedliche Aktivitäten gefestigt werden. Es gibt gemeinsame Anreisen zu außerhalb stattfindenden Versammlungen, es wird gemeinsam gefeiert, Picknicke werden organisiert, Vortragsveranstaltungen werden besucht, es wird Unterstützung bei Gerichtsprozessen organisiert usw. Ein Schwerpunkt in Berlin lag zuletzt auf der Durchführung unterschiedlicher Kulturveranstaltungen wie Ausstellungen, Theater und Konzerte, die meist in szeneeigenen Räumen stattfinden.

Kein Randphänomen: Autoritarismus, Antisemitismus und Verschwörungserzählungen als inhaltliche Klammer

Was eint das „verstörende Miteinander“ dieser Szene – hippiesk anmutende Alternative, AfD-Anhänger*innen, Nazihooligans – eigentlich inhaltlich und in den Einstellungen? Die Protestierenden verbindet offenbar ein Hang zum Autoritarismus. Das Autoritäre besteht darin, sowohl das eigene Handeln als auch das der Politik, der Wissenschaft, der Wirtschaft etc. stets ausschließlich auf sich selbst zu beziehen, wobei das Handeln von Politik, Wissenschaft etc. als eine Art gezielte Absprache und Manipulation einer abgehobenen Elite verstanden wird. Dass sich Entscheidungen und Maßnahme an der Autorität der Sache, d.h. an überindividuellen Verhältnissen und Notwendigkeit und an Strukturzwängen orientieren könnten oder gar aus Aushandlungsprozessen und Kompromissbildung hervorgehen, ist diesem autoritären, personifizierenden Denken fremd. Vielmehr befeuert der Konflikt mit der staatlichen Macht ein Widerstandsgefühl, das als anti-autoritär wahrgenommen wird. Diese Haltung geht mit einem diffusen Freiheitsbegriff einher.

Ein weiteres einigendes Merkmal des Protestmilieus sind antisemitische Verschwörungsideologien. Die wichtigste Einstellungsstudie für Berlin, der Berlin Monitor, attestiert, im Vergleich mit der bundesweiten FES-Mitte-Studie 2021, der Berliner Bevölkerung eine meist geringere Zustimmung zu Ideologien menschlicher Ungleichwertigkeit als im Bundesdurchschnitt. Die Zustimmung zu tradiert antisemitischen Aussagen hingegen war, anders noch als im Jahr 2020, in Berlin höher als im Bundesdurchschnitt. Bemerkenswert hoch ist auch der Anstieg der Zustimmung zu den im Berlin-Monitor 2021 erhobenen Aussagen zur Verschwörungsmentalität. Die manifeste Zustimmung ist hier im Vergleich zum Berlin-Monitor aus dem Jahr 2019 um 7 % (auf 25 %) gestiegen. Weitere 29 % zeigen eine zumindest latente Zustimmung. Auf einem ähnlich hohen Niveau (35 %) bewegt sich die Zustimmung zu verschwörungsideologischen Aussagen mit Bezug zur COVID-19-Pandemie und zu den Maßnahmen ihrer Eindämmung.

Die verschwörungsideologische Szene zeigt ein großes Radikalisierungspotenzial sowie Anschlussfähigkeit an Rechtsextreme, Reichsbürger*innen und Rechtspopulist*innen

Von Beginn an zählten Wissenschaftler*innen, Politiker*innen und Medienschaffende zu den erklärten Feindbildern der verschwörungsideologischen Szene. An einer diffusen Bedrohungslage durch diese Szene hat sich trotz Wegfall der Pandemiemaßnahmen nichts Grundsätzliches geändert. Deutlich wird das nicht nur an den regelmäßig hohen Zahlen der Polizeistatistik zur Politisch Motivierten Kriminalität (PMK) im Bereich „Sonstige Zuordnung“ (zu der vor allem erfasste Straf- und Gewalttaten der verschwörungsideologischen Szene beitragen), sondern auch an den jüngsten Ermittlungen gegen bewaffnete Netzwerke, die offenbar aus diesem Milieu heraus entstanden sind („Vereinte Patrioten“, „Patriotische Union“, aber auch Feindeslisten, Videos vor Impfzentren und Arztpraxen u.Ä.).

Im Zuge der Themensuche finden Annäherungen sowohl an die AfD als auch an Reichsbürger*innen und andere Rechtsextreme statt. Themen sind der Krieg in der Ukraine, Migration, aber auch Antifeminismus und Transfeindlichkeit. Die Annäherung zeigt sich in der Präsenz der genannten Akteur*innen in den verschwörungsideologischen Kommunikationskanälen, aber auch in gegenseitigen Besuchen, in Reden auf Veranstaltungen oder in parlamentarischer Zusammenarbeit, z.B. zwischen der AfD und der Partei „Die Basis“ im Lüneburger Kreistag.

Verschwörungsideolog*innen, Rechtsextreme und Rechtspopulist*innen versuchen, den Krieg in der Ukraine als Thema zu setzen

Ein Thema, das seit jeher große gesellschaftliche Aufmerksamkeit erlangt und die Gesellschaft polarisiert, ist Krieg (und Frieden). Die verschwörungsideologische Szene versuchte lange, dieses Thema für sich zu besetzen und darüber eine neue Dynamik zu entfalten. Das liegt nahe, denn welches Ereignis eignet sich für die meist dystopischen Endzeitszenarien in Verschwörungserzählungen besser als ein Krieg mit atomarem Eskalationspotenzial? Im Vordergrund standen dabei Putin-freundliche Narrative oder prominente Verschwörungserzählungen über den Krieg als Vorwand für verborgene und geheim gehaltene Interessen einer Macht im Hintergrund. Verschwörungsideologische Akteur*innen besuchten den „Aufstand für den Frieden“ von Wagenknecht und Schwarzer in Berlin sowie die Proteste gegen die Sicherheitskonferenz 2023 in München, um diese Anlässe für eigene Aktionen und Inszenierungen zu nutzen.

Auch die AfD wandte sich diesem Thema zu. Die Berliner AfD folgt mit ihrer Positionierung zu Russland der Bundespartei, die sich als selbsternannte „Partei des Friedens für Europa“ für eine Stärkung der Beziehungen zu Russland und eine Beendigung der Sanktionen einsetzt. Die Öffnung der Gaspipeline Nord Stream 2 war auch eine der populistischen Forderungen, mit denen die Bundespartei am 8. Oktober 2022 unter dem Slogan „Unser Land zuerst! Wir stehen an Deiner Seite!“ zu einer Demonstration ins Berliner Regierungsviertel mobilisierte. 2023 blieb eine solche Thematisierung jedoch aus; sie wurde lediglich von einzelnen Interessierten auf individuellen Kommunikationskanälen angesprochen.

Erleben wir ein neues 2015? Migrationspolitik und Rassismus als Kernthema von Rechtsextremen und Rechtspopulist*innen

Ein weiteres Thema, bei dem sich unterschiedlichste Akteur*innen der Verschwörungsideologie mit denen des Rechtsextremismus und Rechtspopulismus treffen, sind rassistische und geflüchtetenfeindliche Hetze und Mobilisierungen. Die nach wie vor weit verbreitete Erzählung des „Großen Austausches“ ist fundamental für Rechtsextreme und Rechtspopulist*innen, aber auch immer wieder Thema bei Berliner Akteur*innen aus der verschwörungsideologischen Szene. Für die AfD ist Migration das Identitätsthema schlechthin, auch in der aktuellen Legislaturperiode. Häufig kommuniziert die AfD das Thema Migration in Verbindung mit Kriminalität, Terrorismus und anderen Gefahren. Nur wenige Wochen nach der Wiederholung der Wahl zum Berliner Senat und Abgeordnetenhaus – bei der die Themen Flucht, Migration und gescheiterte Integration miteinander in Zusammenhang gesetzt wurden und die AfD mehr Stimmen erhielt als 2021 –präsentierte sich die Berliner AfD-Vorsitzende Brinker neben den Fraktionsvorsitzenden aus Brandenburg, Thüringen, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen als Unterstützerin einer gemeinsamen Erklärung, in welcher der Stopp von „Masseneinwanderung“, eine „Festung Deutschland“ und die Einsetzung von „Remigrationsbeauftragten“ gefordert wird.

Insbesondere die Themen Ukraine-Geflüchtete, osteuropäische Migrationsrouten sowie Reaktivierung von Aufnahme-Einrichtungen und -Unterkünften in mehreren Berliner Bezirken werden aufgegriffen. In Brandenburg und in Berlin (z.B. in Pankow) finden wieder geflüchtetenfeindliche Versammlungen und Proteste statt. Die Narrative gleichen dabei denen von 2015, und auch personell gibt es Kontinuitäten. Betroffene, aber auch Beratungsnehmende und Beobachtende fragen sich, ob eine Rückkehr zu den Verhältnissen 2015 stattfindet? Was ist anders als damals? Wie ist die Zivilgesellschaft, aber auch die Politik inzwischen aufgestellt?

Rechtspopulist*innen deuten die Klimakrise als „Kulturkampf um das Auto“ um. Im Umgang mit Klima-Aktivist*innen offenbart sich ein autoritärer Reflex

Ein weiteres Krisenthema, das vor allem die AfD zu instrumentalisieren versucht, ist die Klimakrise. Die Berliner AfD sieht sich auch weiterhin als eine „Partei der Autofahrer“, die sich fundamental gegen die sogenannte Verkehrswende positioniert und einen regelrechten „Kulturkampf fürs Auto“ führt. Sie inszeniert sich als die Bewahrerin der Freiheit für Autofahrer_innen, die sie vor befürchteten „Verbotsoffensiven“ und „Bevormundung“ schützen möchte. Als Anlässe boten sich der Partei in der jüngeren Vergangenheit in Berlin etwa die Debatte über das Modellprojekt „Autofreie Friedrichstraße“ oder auch der gescheiterte Volksentscheid „Berlin klimaneutral 2030“, gegen den die AfD einen kurzen Gegenwahlkampf führte.

Vor allem die Gruppe „Letzte Generation“ gerät durch die Blockade von Verkehrswegen in das Visier autoritärer Rufe nach einem konsequenten Vorgehen und harten Strafen gegen die „Klimadschihadisten“. Parlamentarische Anfragen thematisierten immer wieder Anzeigen, Ermittlungsverfahren und juristische Prozesse gegen die Aktivist*innen, diskutiert werden Möglichkeiten von Unterbindungsgewahrsam sowie die Konsequenzen der Blockaden für Rettungsfahrzeuge. Im Wahlkampf 2022/23 prangten auf zahlreichen Plakaten Slogans wie „Weniger abschleppen. Mehr abschieben“, „Klima-Kleber in den Knast“, „Null Toleranz für Klima-Kleber!“ oder „Ob Clans oder Klima-Kleber: Schluss mit der Kuschel-Justiz!“.

Diese Stimmungsmache findet nicht nur im Bereich des Rechtsextremismus und Rechtspopulismus statt. Das zeigen die jüngsten harten repressiven Maßnahmen gegen die „Letzte Generation“, vor allem die Ermittlungen wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung.

 

Der „Wut-Winter“ blieb (erst einmal) aus. Das hindert Rechtsextreme und Rechtspopulist*innen nicht an ihrer altbekannten Strategie: Ethnisierung der sozialen Frage

Der von Rechtsextremen und Rechtspopulist*innen bundesweit ersehnte sozialpolitische „Wut-Winter“ blieb aus, auch in Berlin. Zwar war Berlin letztes Jahr Schauplatz einer von der AfD organisierten Großversammlung. Sie bleib jedoch erfolglos, sodass es in Berlin weiterhin an einem Angebot für eine rechte Vereinnahmung von sozialpolitischen Themen fehlt. Wenn überhaupt, fanden solche Veranstaltungen im bezirklichen Rahmen statt, z.B. in Steglitz-Zehlendorf. Hier bemühte sich der AfD-Bezirksverband um den ehemaligen Abgeordneten und mittlerweile aus der Partei ausgeschlossenen Andreas Wild und dessen Vereinslokal „Staatsreparatur“, an die verschwörungsideologischen „Montagsspaziergänge“ anzuschließen. Im Zuge des Berliner Wahlkampfs wurden bis in den Februar 2023 fast wöchentlich Kundgebungen mit niedriger zweistelliger Personenzahl auf dem Steglitzer Rathausvorplatz abgehalten, auf denen etwa unter dem Motto „Deutschland in der Krise“ auch soziale Themen angesprochen wurden.

Vor allem in der Sozialpolitik wird eine wichtige rechtsextreme und rechtspopulistische Strategie deutlich: Die soziale Frage wird ethnisiert und verschiedene Gruppen von Betroffenen werden gegeneinander ausgespielt. So wird die angespannte Lage auf dem Berliner Wohnungsmarkt von den AfD-Fraktionen im AGH und in den BVVen u.a. auf die Unterbringung von Geflüchteten zurückgeführt und für migrationsfeindliche Agitation genutzt. So hieß es bereits im Wahlprogramm 2021: „Bereits in Bau befindliche MUF [Modulare Unterkünfte für Flüchtlinge] sollen zu Wohnungen für alle Berliner umgewidmet werden.“ Insbesondere in den Bezirken werden Wohnungsbau oder Nachverdichtungen skandalisiert, wenn es sich dabei um MUFs handelt. Andere Feindbilder sind „Obdachlose, Bettler und Trinker“, die sozialchauvinistisch abgewertet werden, sowie (obdachlose oder vermeintlich kriminelle) Menschen am Hauptbahnhof, nach deren nicht-deutscher Staatsangehörigkeit und Herkunft gefragt wird.

Was tun? Ungenaue Begriffe sind kontraproduktiv und irreführend – Klarheit in der Analyse als (Handlungs-)Grundlage

Eine präzise Analyse ist die Grundlage für das Handeln. In diesem Zusammenhang lohnt sich ein Blick auf die Zahlen der polizeilichen Kriminalstatistik, denn die verschwörungsideologischen, rechtsoffenen Mobilisierungen haben nicht nur die Zivilgesellschaft vor neue Probleme gestellt, sondern auch die Sicherheitsbehörden. Der Verfassungsschutz führte im April 2021 den Phänomenbereich „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ ein. Die statistische Erfassung politisch-motivierter Kriminalität wurde um die Kategorie „PMK Sonstige Zuordnung“ ergänzt. Damit wird anerkannt, dass „Hintergründe und Ursachen der Tatbegehung in einem staatsschutzrelevanten ‚Phänomenbereich‘“ zu verzeichnen waren, für den eine eindeutige Zuordnung nicht erfolgen konnte. Auf Grundlage gemeinsam genutzter Feindbilder ist eine politische Szene entstanden, in der sich unterschiedliche antidemokratische Milieus treffen und die mit den bisher gängigen Kriterien der Sicherheitsbehörden nicht erfasst werden kann. Mit anderen Worten: Die Behörden können mit ihrem herkömmlichen sicherheitspolitischen Ansatz, vor allem mit ihrem Hufeisen-Extremismus-Konzept, dieses Milieu gar nicht greifen. Gleichwohl sind es vor allem Vertreter*innen der Sicherheitsbehörden, die zu diesen Phänomenen Stellung nehmen und sie einordnen sollen.

Umso wichtiger ist es, dass die Zivilgesellschaft, die von jeher das Extremismus-Schema der Sicherheitsbehörden infrage stellte, nun diese Phänomene besser einzuordnen weiß. Mit Beginn der Debatte um angekündigte Sozialproteste (der sogenannte Heiße Herbst) wurde auch eine mögliche Querfront in den Medien, aber auch von Sicherheitsbehörden und Politiker*innen diskutiert, also ein Zusammenschluss von linken und rechten Gruppen und Strömungen (wie es das bei den sogenannten Friedensmahnwachen 2014 und den Corona-Protesten ansatzweise gab). Gestützt wurde das durch extremismustheoretische Überlegungen, nach denen linke und rechte Kräfte sich inhaltlich näherstehen sollen als der politischen Mitte.

Nach Einschätzung der MBR waren diese Versammlungen indes inhaltlich ebenso unscharf wie die behauptete Querfront. Assoziiert wird unter Querfront mitunter einfach die Zusammenkunft von Akteur*innen, die wenig verbindet oder die sogar gegensätzliche politische Ansichten vertreten. Eine fehlende Abgrenzung zu rechten oder verschwörungsideologischen Positionen läuft aber nicht zwingend auf eine Querfront hinaus, dasselbe gilt für den Fall, dass Rechtsextreme auf linke bzw. nicht-rechte Demonstrationen gehen. Hier gilt es vielmehr, die jeweils verbreiteten Inhalte zu betrachten: Werden überhaupt noch originär linke Positionen vertreten, oder geht es um pauschale Anklagen (die Regierung, die Parteien, die Eliten, „die da oben“)? Gibt es bestimmte Ideologien, Erzählungen oder Feindbilder, die als Scharnier oder übergreifend funktionieren (Antisemitismus, Antifeminismus, „anti-modern“) und die offen sind für rechtsextreme und autoritäre Ansätze? All diese Fragen zeigen, dass der Wunsch nach einfachen und eindeutigen Kategorien eine nachvollziehbare Reaktion auf die Unübersichtlichkeit von Akteur*innen und Narrativen ist, diese aber häufig verkürzen sowie verklären und damit eher in die Irre führen.

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