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Menschenfeindlichkeit Mai 2015 Islamfeindlichkeit

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Dresden hat in der Innenstadt eine Sehenswürdigkeit im Stil einer Moschee, die aber gar keine Moschee ist: Gebaut als verkleidete Tabakfabrik, heute ein Bürohaus. Die Schönheit des Gebäudes von 1909 hat leider wenig Auswirkung auf die islamfeindlichen Stimmungen in der sächsischen Hauptstadt. (Quelle: flickr / Creative Commons / äquinotikum)

Noch einmal diskutiert wurden in den Medien im Mai die Erkenntisse einer „kleine Anfrage“ der Linken-Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke zu islamfeindlicher Gewalt und islamfeindlichen Anschlägen (netz-gegen-nazis.de berichtete; die „Kleine Anfrage“ als pdf gibt es hier). Weil es weiterhin keine gesonderte Kennzeichnungspflicht für islamfeindliche Straftaten gibt, werden diese nur im Bereich „Hasskriminalität“ geführt, nur teilweise den Unterthemen „Religion“ oder „fremdenfeindlich“ zugeordnet – und somit ist es offiziellen Stellen schwer möglich, das Ausmaß der Gewalt zu erfassen, die gegen als islamisch gesehene Orte oder Menschen verübt wird (vgl: Huffingtonpost). Immerhin: Im Themenbereich „Islamfeindlichkeit“ beobachte das Land Bayern „die Landesverbände der Partei „Die Freiheit“ und der „Bürgerbewegung Pax Europa“ (BPE) sowie die Ortsgruppe München des Webblogs „Politically Incorrect“ (PI) im Phänomenbereich der verfassungsschutzrelevanten Islamfeindlichkeit außerhalb des Rechtsextremismus, da tatsächliche Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen und Tätigkeiten vorliegen“. Islamfeindliche Aufmärsche – in Zeiten von Pegida sind da ja so einige leicht zu benennen – werden nicht gesondert aufgeführt, sondern auf eine weitere kleine Anfrage zu rechtsextremen Aufmärschen verwiesen – kleine Volte: Pegida-Aufmärsche werden da aber auch nicht aufgeführt (vgl. Kleine Anfrage zum 1. Quartal 2015; es gab allerdings eine Auflistung von Pegida-Demonstrationen auf eine weitere kleine Anfrage, ngn berichtete) (wir empfehlen ansonsten unsere Statistik zu Pegida für einen Überblick). Ansonsten: Straftaten werden nicht erfasst, Verlezte werden nicht erfasst, Schäden werden nicht erfasst, Ermittlungen werden nicht erfasst. Kein Wunder, dass von Islamfeindlichkeit betroffene Menschen sich so nicht wahrgenommen fühlen.

Von wegen Sonderrechte für Muslime: Gleichstellung ist gefragt

Ein Gutachten der Friedrich Ebert Stiftung, das im Mai veröffentlichte wurde, beschäftigt sich mit dem Thema „Die rechtliche Anerkennung des Islams in Deutschland“ (pdf hier, Kurzfassung der Ergebnisse hier). Es kommt zu dem Schluss: Bisher sind islamische Religionsgemeinschaften in Deutschland nicht gleichberechtigt zu christlichen und jüdischen Religionsgemeinschaften – und deshalb gibt es Handlungsbedarf, denn als religiös neutraler Staat hat Deutschland einen Gleichbehandlungsgrundsatz. Bisher gäbe es Modellprojekte und Übergangslösungen in verschiedenen Bundesländern im Bezug etwa auf islamischen Religionsunterricht, muslimische Feiertage oder Bestattungen nach islamischem Ritus. Dringend müssten auch Kopftuchverbote für Lehrerinnen überdacht werden. Es solle kein „Sonderweg für den Islam“ gesucht werden, sondern eine Gleichstellung mit den etablierten Religionsgemeinschaften, wie dies einige europäische Länder bereits praktizieren. Dies ist auch vor dem Hintergrund wichtig, dass es eine weit verbreitete Islamskepsis in der Bevölkerung gäbe, die politisch instrumentalisiert werden kann, wenn dann von Sonderrechten für Muslime die Rede sei, wo es lediglich um Gleichstellung geht (vgl. Focus).

Evangelischer Bischof von Hannover: Religionen sollten zusammenrücken

Für eine vertiefte Zusammenarbeit mit dem Islam hat sich Hannovers Landesbischof Ralf Meister stark gemacht, berichtet islamiq.de. Schließlich gäbe es ein gemeinsames Ziel: Die Verankerung von Religion in Staat und Gesellschaft. Meister plädiert etwa für multireligiöse Einschulungsfeiern statt für Einschulungsgottesdienste, die interreligiöse Kompetenz von Erzieherinnen, Lehrern und Pastoren solle über Studium und Fortbildung verbessert werden, Muslime sollten auch in kirchlichen Einrichtungen arbeiten können. Seine Meinung polarisiert, auch in der eigenen Gemeinde: „Meister beklagte eine weit verbreitete Islamfeindlichkeit in der Bevölkerung, die er auch selber zu spüren bekomme. „Wenn ich den Begriff „Islamische Glaubensgeschwister” benutze, nur um darin eine Wertschätzung für eine andere monotheistische Religionsgemeinschaft auszudrücken, erhalte ich in einer Nacht 50 Hassmails.” Die wachsende Ablehnung von Religion in der Gesellschaft mache dem Islam in Deutschland zusätzlich zu schaffen. „Man muss sich klarmachen, dass die allgemeine Gewöhnung an eine konfessions- oder religionslose Gesellschaft immer selbstverständlicher akzeptiert wird und auf dieser Folie einer neuen Religionslosigkeit alle religiös dezidierten Haltungen zuerst einmal verdächtig werden”, sagte Meister. „Vieles, was mit dem Thema „Islam” zu tun hat, wird von einer großen Empörung begleitet.”

Was ist islamfeindlich an den Argumenten von Ayaan Hirsi Ali?

Immer wieder lieben es Islamfeind_innen, sich muslimische oder als muslimisch zugeschriebene Kronzeugen und besonderes Kronzeuginnen zu suchen, um ihren Hass zu begründen. Eine interessante Frau dieser Bewegung ist Ayaan Hirsi Ali, die als feministische Islamkritikerin auftritt. Dazu hat islamiq.de einen interessanten Text von Milena Rampoldi veröffentlicht. Ein Auszug: „Im Gegensatz zu Pamela Geller ist die Autorin und ehemalige Politikerin somalischer Herkunft Ayaan Hirsi Ali, die sich als Atheistin und Islamkritikerin definiert, in den Reihen der islamophoben „Akademiker“ und „Politiker“ sehr wohl ernst zu nehmen. Nicht nur aufgrund ihrer ehemaligen Zusammenarbeit mit Geert Wilders und ihrer Erfindung des niederländischen Bildes des gefährlichen und imperialistischen Islam der Religion der Unterdrückung des Menschen, der Freiheit und vor allem der Frau ist. Ayaan Hirsi Ali stammt aus einem der undurchschaubarsten und politisch unstabilsten Ländern der muslimisch-afrikanischen Welt, in denen Folklore und uralte Traditionen, Zwangsehe und Genitalmutilation und auch häusliche Gewalt gegen Mädchen und Frauen als „islamisch“ begründet werden. Daher ist es in ihrem Falle notwendig, ihre Lebensgeschichte zu erörtern, um dann ihre verdrehte Auffassung des Feminismus zwar zu verstehen, ohne ihn aber zu rechtfertigen. Denn ihr Leben und ihr Denken hätten eine vollkommen andere Wende nehmen können, wie z.B. die der Somalierin Waris Dirie, die nach ihrer Modelkarriere den Verein „Wüstenblume“ gründete, der sich bis heute für die muslimischen Frauen in Afrika einsetzt, um die Genitalverstümmelung als unislamische Praxis zu bekämpfen, „was inshallah auch eines Tages gelingen wird“, so Waris Dirie am Ende ihrer Autobiographie „Wüstenblume“. Sie ist für mich genau das positive Gegenbeispiel einer somalischen Kindheitsverarbeitung, dem man Ayaan Hirsi Alis Pseudofeminismus mit Sicherheit als islamfeindliche Paranoia entgegensetzen kann.“ (weiter:  islamiq.de)

Was wünschen Sie sich im Moment am meisten für die Musliminnen und Muslime in Deutschland?

Dr. Ali Özgür Özdil, Direktor des Islamischen Wissenschafts- und Bildungsinstituts e.V. (IWM) Hamburg: „Ich wünsche mir für die Muslime in Deutschland, dass die Mehrheit, die eigentlich in der Mitte der Gesellschaft verortet ist, also weder „liberal“ noch „radikal“ im negativen Sinne, sondern eher moderat ist, besser repräsentiert wird. Sie sollten vor allem in den Medien eine stärkere Stimme erhalten, damit (zum Beispiel in den Talkshows) nicht nur jene sprechen können, die vielleicht noch nicht einmal 1 Prozent der Muslime repräsentieren. So könnten wir zu einer Korrektur des schiefen Bildes über Muslime beitragen und zeigen, dass beispielsweise die gebildete, deutschsprachige Muslimin oder der friedliche Jugendliche nicht die absolute Ausnahme, sondern die Regel sind. Ich wünsche mir für die Muslime aber auch, dass sie viel mehr in die Gründung von Bildungseinrichtungen, Instituten, Akademien, Kindergärten etc. investieren und ihre Potenziale viel stärker entfalten.“ (Das ganze Interview in der Islamischen Zeitung)

Islamfeindlichkeit nach Pegida in Dresden

Seit Oktober 2014 stehen in Dresden Islamfeind_innen auf der Straße. Die Reaktionen in den Medien und aus der Politik warben lange für „Verständnis“ für die „Ängste“ der Menschen – bis ihnen klar wurde, dass es hier gar nicht um echte Ängste und Sorgen geht, sondern um klassische Feindlichkeit ohne Anlass oder Kontakt geht, die man mehr inhaltlich bearbeiten muss. Zwei Folgen von Pegida im Mai 2015: Laut einer Umfrage der Dresdner Neuesten Nachrichten finden viele Dresdner_innen viel Gutes ans der Wutbürgerbewegung: Pegida habe das Verhältnis von Bevölkerung und Politik verbessert. 40 Prozent der Befragten glaubten, Pegida habe Politiker_innen dazu bewegt, „endlich wieder mit dem Volk zu sprechen“. Ein Drittel gab an, dass aus ihrer Sicht dank Pegida über Themen gesprochen wird, „die die Menschen hier wirklich interessieren“. Also toll, dass Pegida die Menschen näher an die Politik bringt? Geht so. Denn 46 Prozent der Befragten geben auch an, die Ziele von Pegida „zumindest teilweise“ zu teilen (vgl. Tagesspiegel). Das heißt natürlich auch: „Der Islam“ stört, wenn es ihn auch in Dresden kaum gibt. Zu spüren bekam das eine Kunstinstallation der Künstlerin Nezaket Ekici vor dem Landgericht Dresden im Rahmen des Kunstprojektes „Dresden.? – Arbeiten mit der Stadt“. Der mdr beschreibt das Kunstwerk: „Nezaket Ekici widmete sich dem Thema „Umgang mit den Anderen“. Ihre Installation „PostIt“ vor dem Dresdner Landgericht besteht aus Teppichen. Sie seien Orte der Kommunikation und der Gemeinsamkeit – auf ihnen esse und bespreche man sich, verhandle, diskutiere Differenzen und stelle Frieden, erläutert die Künstlerin. Die orientalischen Muster sollen die Integration von Teilen fremder Kulturen verdeutlichen, die Nähe zum Landgericht auf verschiedene Rechtsverständnisse und Verhandlungspraktiken hinweisen. Nicht zuletzt wird auch an die ägyptische Pharmazeutin Marwa el Sherbini erinnert, die in dem am 1. Juli 2009  Oberlandesgericht aus ausländerfeindlichen Motiven mit 18 Messerstichen getötet wurde.“ Zuviel für die Pegida-Fans in Dresden: Am Tag des Aufbaus verschwanden 2 der 34 Teppiche. 7 Tage nach Aufbau des Kunstwerks wurde die Teppichinstallation mit islamfeindlichen Parolen beschmiert. Wie die Polizei mitteilte, sprühten Unbekannte mit schwarzer Farbe den Schriftzug „Scheiß Islam“ über die Teppiche (mdr).  Die beschmierten Perser ordnete die Künstlerin später so an, dass die Botschaft nicht mehr sichtbar ist. „So haben wir das Thema nicht unter den Teppich gekehrt – das Kunstwerk hat jetzt eine Geschichte. Stehen lassen konnten wir die Parole nicht, weil sonst der Tatbestand der Volksverhetzung weiter im Raum gestanden hätte“, erklärte die Künstlerin und kritisierte die Polizei, die Hand an ihr Kunstwerk gelegt habe und die Teppiche durch die Feuerwehr abnehmen ließ (DNN). Es soll aber wie geplant bis zum 5. Juli in Dresden bleiben.

 

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