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Opferfonds Cura Wie Opfern rechter Gewalt geholfen wird

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Kati Becker (Berliner Register), Justizsenator Dirk Behrendt, Anetta Kahane (Amadeu Antonio Stiftung) und Mo Asumang präsentieren die neue Kampagne des Opferfonds Cura in Berlin.

Ganz unmittelbar betroffen von rechter Gewalt ist in Berlin beispielsweise Heinz Ostermann. In der Nacht zum 03. Februar 2018 brennt das Auto des Buchhändlers. Es ist der dritte Anschlag in zwei Jahren. Ostermann ist Mitgründer der Initiative Neuköllner Buchhändler gegen Rechtspopulismus und Rassismus. Seit 2016 brennen im Bezirk immer wieder Autos von Menschen, die sich für Demokratie  einsetzen. Auch 16 Stolpersteine wurden ausgegraben und gestohlen.

Polizei und Justiz sorgen im Idealfall für Strafverfolgung und Verurteilung der Täter*innen – im Fall der rechtsextremen Anschlagsserie in Neukölln wurden die Ermittlungen allerdings mittlerweile ergebnislos eingestellt. Auf den materiellen Konsequenzen rechtsextremer Gewalt bleiben die Opfer allerdings fast immer sitzen. Der Opferfonds Cura greift in ganz unterschiedlichen Situationen helfend ein. Mal wird ein Handy ersetzt, dass bei einem Angriff von Neonazis zu Bruch gegangen ist. Mal wird Mietern, die von rechter Gewalt bedroht sind, dabei geholfen eine Sicherheitsanlage in ihr Haus oder ihre Wohnung einzubauen.

In der Hauptstadt machen seit heute Plakate die Berliner*innen auf die rechte Gewalt in ihrer Mitte aufmerksam. „Obwohl und gerade weil Berlin sich gerne als weltoffene Stadt gibt, wird die Perspektive der Menschen, die eine andere Erfahrung machen, umso weniger wahrgenommen“, sagt Sarah Haupenthal, Projektkoordinatorin der neuen Kampagne des Opferfonds Cura. „Die Kampagne soll Berliner und Berlinerinnen sensibilisieren und zeigen, dass rechte Gewalt keinen Platz in der Stadt hat“ erklärt dann auch Dirk Behrendt, Berliner Justizsenator, bei der Pressekonferenz zum Auftakt der Aktion. Dabei geht es auch darum, Spenden zu sammeln, denn jeder einzelne kann helfen.

Mit dem Slogan „Berlin steht an der Seite Betroffener rechter Gewalt“ zeigen die Motive Orte und Situationen, die für viele Bewohner*innen und Besucher*innen der Stadt für Lebensqualität, Spaß und Normalität stehen. Für andere Menschen kann diese Normalität schnell in Bedrohung und Gewalt umschlagen. „Die Kampagne nimmt die Opfer in den Fokus“, so Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung. Auch Mo Asumang, Autorin, Moderatorin, Regisseurin und Unterstützerin von Cura fordert mehr Bewusstsein für Opfer rechter Gewalt, statt „zum hundertsten Mal die Täter zu präsentieren.“ Das bekräftigte Kahane bei der Pressekonferenz: „Die Perspektive der Opfer wird überhaupt nicht wahrgenommen. Diese Täterfixierung ist fatal.“

Kati Becker vom Berliner Register, das unter anderem antisemitische, rassistische und LSBTI-feindliche Taten in der Hauptstadt erfasst, berichtet zur Präsentation der Kampagne von drei Fällen, die zeigen, dass rechte Gewalt auch in der Hauptstadt alltäglich ist. Am 25.09.2018 wurde ein schlafender Obdachloser von Sicherheitsmitarbeitern der S-Bahn angegriffen und verletzt. Der Grund: Er hatte in der S-Bahn geschlafen. Am 29.09.2018 um 9 Uhr morgens fragen zwei Männer auf dem Rosenthaler Platz einen Passanten, ob er Jude sei. Als er daraufhin fragt, warum sie das kümmert, greifen sie ihn an und flüchten danach per Taxi. Am 16.10.2018 wird eine Transperson in einem Reinickendorfer Supermarkt mit einem Einkaufswagen bedrängt. Der Angreifer beschimpft sie als „Scheiß Kampflesbe“. Becker betont:„Die Ursachen rechter Gewalt liegen nicht im Verhalten der Opfer, sondern in den Einstellungen der Täter.“

Eines der Motive der Plakatkampagne zeigt junge Menschen in einem Park. Auf dem Plakat steht der Satz: „Die einen verträumen den Tag im Park. Die anderen werden hier nachts mit Tritten geweckt.“ Obdachlose werden immer wieder Opfer von Gewalt. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe zählt seit 2014 alleine 79 Obdachlose, die bei Übergriffen getötet wurden. Die Amadeu Antonio Stiftung geht davon aus, dass seit der Wiedervereinigung mindestens 26 Obdachlose von Rechtsextremen umgebracht wurden. Die Zahlenlage bleibt aber auch wegen der prekären Lebenssituation von Wohnungslosen eher vage.

Weltweit gilt Berlin als Partyhauptstadt. Von überall her kommen Leute zum Feiern in den vielen Clubs. Aber auch das funktioniert nur für manche. Darauf geht ein weiteres Motiv ein. Zu sehen ist die Tanzfläche eines Clubs, gefüllt mit Partygängern: „Für die einen ist’s die große Bühne. Die anderen haben Angst, erkannt zu werden.“ Gerade Clubs bieten vielen Menschen Freiräume und gelten als Orte des Selbstbewusstseins und der Angstfreiheit. Aber auch hier gibt es eine Schattenseite, die oft ignoriert wird. Gerade Sinti und Roma sind in Deutschland immer noch massiv von Diskriminierung betroffen. In der gerade veröffentlichten Autoritarismus-Studie der Universität Leipzig wird deutlich, dass eine Mehrheit der Bevölkerung antiziganistische Vorurteile hegt. Vorurteile können schnell in Gewalt umschlagen. Auch deswegen „outen“ sich viele Sinti und Roma nicht in der Öffentlichkeit.

Ein weiteres Plakat zeigt ein Paar, dass sich in der Öffentlichkeit küsst. Für Heterosexuelle gehört das zu den normalsten Dingen der Welt. Schwule, Lesben und Trans* überlegen es sich aber mindestens zweimal, ob sie Hand in Hand mit ihren Partner*innen durch die Stadt laufen oder sie gar auf offener Straßen küssen können: „Die einen küssen sich, wo und wann sie wollen. Die anderen nur, wenn sie sich trauen.“ In Berlin wurden 2017 mindestens 324 Fälle homo- und transfeindlicher Gewalt gezählt.

Neben antiziganistischer, obdachlosenfeindlicher und homo- und transfeindlicher Gewalt thematisiert die Kampagne des Opferfonds Cura auch Rassismus und Antisemitismus und Bedrohungen rund um das eigene Zuhause. Im Mittelpunkt soll dabei immer die Perspektive der Opfer stehen. Es ist auch ein Versuch, Bewusstsein bei der großen Mehrheit dafür zu schaffen, dass Sicherheit für Minderheiten noch lange nicht selbstverständlich ist.

Cura versucht Betroffenen schnell und unbürokratisch zu helfen. Dabei kann es um eine Winterjacke gehen, die bei einem Angriff gerissen ist, um eine Brille oder ein neues Fahrrad. „In anderen Fällen geht es darum, Unterstützung überhaupt erst zugänglich zu machen“, so Sarah Haupenthal. Der Fonds arbeitet eng mit den Opferberatungsstellen zusammen und zahlt zum Beispiel auch ein erstes Gespräch mit eine*r Psychologin oder Anwältin. Dabei geht es um viel mehr als Geld. Die finanzielle Unterstützung zeigt den Betroffenen auch, dass sie ernst genommen und nicht allein gelassen werden. Das betont auch Kahane: „Die finanzielle Zuwendung ist ein Stück Heilung für die Betroffenen. Es ist ein wichtiges Zeichen aus der Zivilgesellschaft, dass Leute so unterstützt werden.“

Der Opferfonds Cura finanziert sich aus Spenden. Hier können sie die Arbeit unterstützen.

 

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