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Protest in Chemnitz „Tradition“ statt Corona

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(Quelle: Paul Podbielski)

In Chemnitz bedeutet Tradition anscheinend Schilder wie „Enn Strick für de fallsche Politik“ (sächsisch für „Einen Strick für die falsche Politik“) zu tragen und mit der rechtsradikalen Kleinstpartei „Freie Sachsen“ auf die Straße zu gehen. Natürlich dürfen auch klassische Verschwörungserzählungen, wie der Mythos Deutschland stehe noch unter Kriegsrecht und würde von den USA kontrolliert nicht fehlen, immerhin geht es hier um deutsche Traditionen.

Auch am vergangenen Montag, den 14. November 2022, gehen die „Spazier Gangster“, wie es auf einem T-Shirt der verschwörungsideologischen Partei „Die Basis“ zu lesen ist, wieder auf die Straße.

Foto: Paul Podbielski

In der Dunkelheit des Schillerparks sammeln sich bereits 17.30 Uhr die ersten Menschen in der Nähe des Lautsprecherwagens. Doch sie warten vergeblich auf einen für 17.45 angekündigten Redebeitrag, denn kleinere technische Probleme und die nur langsam voranschreitende Suche nach Ordner*innen scheint die Organisator*innen zu behindern. In der Zwischenzeit kommen immer mehr Personen an. Unter ihnen auch eine Gruppe mittelalter Männer, die einen großen Schwibbogen tragen und Schilder in sächsischer Mundart mit sich führen. Sie scheinen den Versuch zu unternehmen, den Protest für das bürgerliche Lager anschlussfähiger zu gestalten, indem sie sich als ganz normale traditionsbewusste Menschen aus der Region darstellen. Vor Ort scheint es Zuspruch zu finden. Viele Menschen machen Fotos und auch ein rechter Streamer scheint davon sehr begeistert zu sein.

Gegen 18.15 Uhr setzt sich der Protestzug dann schließlich mit einer Viertelstunde Verspätung in Bewegung. An der Spitze wird ein Transparent mit der Aufschrift „Chemnitz steht auf“ von 4 Frauen getragen. Darunter steht „Wahrheit – Freiheit – Frieden“. Dahinter laufen im Frontblock viele Menschen mit Fahnen, teilweise von „Chemnitz steht auf“, teilweise von den „Freien Sachsen“. Auch mehrere Russland Flaggen sind zu sehen. Begleitet werden sie von Trommeln und den Geräuschen von mehreren Trillerpfeifen.  

Foto: Paul Podbielski

Viele der Teilnehme*innen scheinen keine Lust zu haben, sich in dem dunklen Park zu sammeln. So steht ein guter Teil von ihnen am Anfang noch auf dem Fußweg an der Demonstrationsroute. Dies soll wohl den Eindruck entstehen lassen, die Anwohner*innen würden für den verschwörungsideologischen Aufzug jubeln und ihm einen bürgerlichen Anschein geben. Auch wird in Chemnitz in letzter Zeit versucht auf eindeutig, allseits bekannte, rechte Symbolik zu verzichten. Dennoch finden sich vereinzelte schwarz-weiß-rote Fahnen in der Menschenmenge wieder. Und auch die sogenannte „Identitäre Bewegung“ (IB) ist, diesmal nur mit einer Fahne, präsent. Nach Informationen des Bündnisses Chemnitz Nazifrei, ist die IB häufig mit Fahnen und Transparenten bei dem Protest dabei und stellte anfangs oft das Fronttransparent. Und auch die AfD ist mit einigen Fahnen und einem Transparent vertreten.

Foto: Paul Podbielski

Nach einigen hundert Metern haben sich nun fast alle Umstehenden dem Demonstrationszug angeschlossen. Nur einige wenige Personen, die Schilder wie „Solidarität geht nur ohne Nazis“ hochhielten, werden nicht mitlaufen. Doch das ist nicht der einzige Gegenprotest an diesem Abend. Unter strikter Beobachtung der Polizei, hat sich eine mittlere zweistellige Zahl an Antifaschist*innen eingefunden, um zu zeigen, dass nicht alle Chemnitzer*innen bereit sind, mit Rechten auf die Straße zu gehen.

Eine Person aus der Linksjugend Chemnitz sagt uns später: „Viele Menschen sehen die Demos Montag als Sozialprotest. Dadurch sind Gegenproteste von Links sehr schwer, da man als Linke Partei keinen Gegenprotest gegen einen ‘Sozialprotest’ machen kann. Das Stadtbild ist ‘rauer’ geworden, Nazis sind für die Bürger keine Nazis mehr, sondern Lösungsansätze, Leute, die ihnen zuhören und versuchen zu helfen. Offene Rechte Positionen in Chemnitz nehmen immer mehr zu und die extreme Rechte vereinnahmt die Bevölkerung.

Foto: Paul Podbielski

Ein wenig später kommt es zu einer Auseinandersetzung zwischen einer Person, welche ihren Weg zum Rand der Demonstration gefunden hat und dort lautstark „Nie wieder Faschismus“ ruft. Ihr werden dabei mehrfach die mitgebrachten Plakate aus der Hand gerissen. Die einzige Reaktion darauf: „Naja, ich hab ja noch 3 mehr“. Mehrere Teilnehmer*innen des rechten Protests fühlen sich sichtlich von dem nahen Gegenprotest gestört, werden aber von Ordner*innen zurückgehalten und zum Weitergehen aufgefordert. Später ermittelt die Polizei wegen einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen einer ehemaligen Teilnehmer*in des Gegenprotestes und einer Person, die den Stand von „Die Basis“ an diesem Abend betreut. Ob es sich dabei um diese Situation handelt, ist unklar.

Foto: Paul Podbielski

Nach diesem Vorfall verläuft der Rest des Abends größtenteils ruhig und ungestört. So setzt die Demonstration ihren Weg zum Ort der Abschlusskundgebung fort. Dort angekommen, werden noch einige Redebeiträge gehalten, in denen unter anderem der Rücktritt der gesamten Regierung gefordert wird. Auch werden Verschwörungserzählungen verbreitet, so regt sich zum Beispiel ein Redner über „Big Pharma“  auf. Doch nur ein kleiner Teil der ursprünglich anwesenden Personen hört überhaupt noch zu. Der Rest der Menschen ist entweder bereits nach Hause gegangen oder steht an einem der beiden Stände der AfD bzw. der verschwörungsideologischen Partei „Die Basis“.  Und wiederum ein anderer Teil posiert vor dem Karl Marx Monument.

Das Protestgeschehen in Chemnitz steht wohl exemplarisch für verschwörungsideologische Demonstrationen in Sachsen: Der Protest wird von rechten Gruppen dominiert, doch die Teilnehmenden meinen, hier gäbe es keine Rechten. Es werden Verschwörungserzählungen verbreitet und die Legitimation der Bundesrepublik angezweifelt. Und trotzdem sehen viele Menschen kein Problem darin und gehen aufgrund ihrer Wut, Enttäuschung oder rechten Ideologie auf die Straße. Doch Lösungen für real existierende Probleme werden von der Demonstration nicht ausgehen.

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