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Rechtsextreme Gewalt als Alltag in Chemnitz Mann wird am helllichten Tag im Supermarkt attackiert

Wenn Rechtsextreme in einem Kiez eine Dominanz herstellen wollen, ist anfangs von Graffitis und Stickern die Rede – im Bezirk Chemnitz-Sonnenberg kam schnell auch Gewalt dazu. Am 14.05.2019 gab es wieder einen Übergriff: Ohne Grund wird in einem Supermarkt ein 33-jähriger Mann mit Irokesenschnitt mit einer Bierflasche von einem mutmaßlich Rechtsextremen mit einer Bierflasche attackiert. Zeugen verfolgen den Täter – doch die Polizei kommt zu spät, um ihn zu stellen.

 
Links im Bild: Der Gewalttäter im Supermarkt. Rechts: Das blutüberströmte Opfer wird ins Krankenhaus gebracht. Chemnitz-Sonnenberg sieht zu.

Seit einigen Jahren versuchen Rechtsextreme, in Chemnitz-Sonnenberg einen „Nazi-Kiez“ zu etablieren. Im Bezirk mit viel Leerstand und billigen Mieten haben die alternative Künstlerszene von Chemnitz, einkommensschwache Familien und Migrant*innen ihr Zuhause gefunden – und eine offen und brutal auftretende rechtsextreme Szene. Diese zeigt sich nicht nur immer wieder in organisierter Form – als Fangruppen des Chemnitzer FC, der hier sein Stadion hat, als Nazi-Hipster-Gruppe „Rechtes Plenum“ – sondern vor allem im Alltag, in Graffitis und Gewalt.

Wie selbstverständlich sich Rechtsextreme hier bewegen und agieren, zeigt ein Übergriff um die Mittagszeit in einem Supermarkt am 14.05.2019, der zufällig per Handyvideo dokumentiert wurde. Zeug*innen berichten, dass der rechtsextreme Täter mehrfach auf einen jungen Mann zugeht, der einen Irokesenschnitt trägt, und ihn beschimpft und auch schubst. „Scheiß Zecke“, „Scheiß Punker“, „Scheiß Kanacke“ brüllt der bullige, aggressive Mann, um dann an der Kasse seinen Einkauf zu bezahlen und den Supermarkt zu verlassen, während der Angegriffene ruhig bleibt und ebenfalls weiter einkauft. Dann aber kommt der mutmaßlich rechtsextreme Täter zurück, läuft gezielt auf sein vorheriges Opfer zu und schlägt ihm eine Bierflasche auf den Kopf. Das Opfer sackt zusammen und blutet stark. Während sich einige Frauen, die Zeuginnen der Tat geworden sind, die Polizei rufen und sich um das Opfer kümmern, nehmen einige Männer die Verfolgung des Täters auf – weil sie davon ausgehen, dass die Polizei bald erscheint und sie dann mit Hinweisen auf seinen Verbleib helfen können, dass die Gewalttat bestraft wird.

In Chemnitz-Sonnenberg wurde in den letzten Jahren so viel rechtsextreme Gewalt ausgeübt, dass Anwohner*innen und Täter*innen das Gefühl bekommen, hier sei ein rechtsfreier Raum entstanden. Auch diesmal dauert es 16 Minuten lang, bevor die gerufene Polizeistreife – laut Zeugenaussagen ohne Blaulicht und ohne erkennbare Eile – am Tatort erscheint. Der Angreifer ist da schon aus dem Beobachtungsfeld der Zeug*innen verschwunden, wurde aber identifiziert. Trotzdem fragen sich die Anwohner*innen in Sonnenberg: Kapitulieren Polizei und Justiz in Chemnitz vor den Bemühungen der rechsextremen Szene, einen Bezirk mit brutaler Gewalt zu drangsalieren?

In Chemnitz-Sonnenberg gab es 2016 und 2017 Sprengstoffanschläge auf den Künstlerclub „Lokomov“, der u.a. am Theaterprojekt „Unentdeckte Nachbarn“ zu Fehlstellen der NSU-Aufklärung beteiligt war (vgl. Spiegel, Blick.de).

Zeitgleich machte die Nazi-Hipster-Gruppierung „Rechtes Plenum“ von sich reden, die die Anwohner*innen in Sonnenberg terrorisierte (vgl. Der Rechte Rand, Spiegel). Das Büro von Susanne Schaper, Landtagsabgeordnete der Linken, wurde so oft attackiert, bis der Vermieter ihr kündigte (vgl. taz).

Ebenfalls ein Anschlagziel ist eine kurdische Bäckerei, die 2018 mit Hakenkreuz-Schmierereien übersäht wurde (vgl. Spiegel).

Nicht zuletzt hat der Chemnitzer FC in Sonnenberg sein Stadion – zuletzt unrühmlich in der bundesweiten Berichterstattung, weil der Club Neonazi Thomas Haller (Begründer „HooNaRa – Hooligan Nazis Rassisten“) mit einer Schweigeminute im Stadion geehrt hatte.

Anfang April griffen Fans des Chemintzer FC sieben migrantische Mitarbeiter des neuen Stadionsicherheitsdienstes an – aus rassistischer Motivation.

 

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