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Rechtsextremismus „Westdeutsche Kameraden waren für DDR-Neonazis ein Vorbild“

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"Ab den 1980ern hat es viele Angriffe gegen Punker*innen gegeben und auch gegen Blueser*innen." (Quelle: JENA VOR DEM NSU – RECHTSEXTREMISMUS BIS 1990 IN JENA UND OSTTHÜRINGEN)

Rechtsextreme Gruppen und Personen traten ab 1990 in Gera, Jena und ganz Thüringen schnell und aggressiv mit verschiedenen Aktivitäten auf. Ende 1996 entstand der „Thüringer Heimatschutz“, aus dem wiederum das mordende NSU-Netzwerk hervorging. Jena war der Sozialisationsort des rechtsterroristischen Kerntrios. Doch trotz NSU-Untersuchungsausschüssen, ist eine Frage bisher unbeantwortet geblieben: Warum konnten sich diese Strukturen ausgerechnet in der Stadt Jena entwickelten, die bis 1990 jedenfalls nicht als Zentrum extrem rechter Aktivitäten bekannt war. Die Entstehungsbedingungen und möglichen neonazistische Kontinuitäten wurden bisher nicht systematisch analysiert und untersucht. Das versucht Michael Ebenau mit seiner Forschungs- und Recherchearbeit „Jena vor dem NSU – Rechtsextremismus bis 1990 in Jena und Ostthüringen“, die in Kooperation zwischen der „Rosa-Luxemburg-Stiftung Thüringen“ und mit dem „Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft“ (IDZ) entstand, zu ändern. Wir haben mit ihm über seine Studie gesprochen.

Belltower.News: Hallo Michael Ebenau. Erklären Sie uns doch, worum es in Ihrer Forschungsarbeit geht.

Michael Ebenau: Ich wollte herausbekommen, welche rechtsextremen,  rassistischen, antisemitischen Vorgänge, Vorfälle, möglicherweise auch Strukturen es in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bis zur Wende im damaligen Bezirk Gera, also dem heutigen Ostthüringen, gegeben hat. Wissenschaftliche Studien zum Thema Rechtsextremismus in Ostdeutschland reichen meist nur bis ins Jahr 1990 zurück. Die Zeit davor erscheint als eine Grauzone. Die wollte ich erhellen.

Ist Ihnen das gelungen?

Ja, ich glaube schon! Wobei ich mich im Wesentlichen auf Akten von Polizei und Staatsanwaltschaften stütze. Das bedeutet wiederum, dass meine Betrachtung durch die Brille der Sicherheitsbehörden geschieht. Das leuchtet mit Sicherheit nicht alles aus.

Sie stützen sich in Ihrer Forschung also zu großen Teilen auf Akten der DDR-Sicherheitsorgane. Dabei gab es laut Staatsdoktrin damals gar keinen Faschismus mehr. Ließen sich dennoch Hinweise auf Rechtsextremismus finden?

Zumindest im Bezirk Gera spielt die Frage des Rechtsextremismus schon eine Rolle. Offiziell gab es ihn natürlich nicht, aber die Polizeiberichte sind ja interne Berichte.

Was konnten sie denn herausfinden? Was ist ihre These?

Ich habe versucht, eine Kontinuität aufzuzeigen: von der auch in der DDR unvollkommenen Entnazifizierung, die auch zur Reintegration alter NS-Leute in das gesellschaftliche Leben führte. Meine These lautet: Durch das Bestehen bleiben der rechtsextremen Traditionslinien konnten sich NS-Ideologie im Privaten, also im nicht öffentlichen Bereich, über die gesamte Existenz der DDR hinweg erhalten. So blieb nach dem Zweiten Weltkrieg unterschwellig nationalsozialistisches, rechtsextremes, rassistisches Gedankengut auch in der DDR bestehen.

Das Weiterleben der NS-Ideologie fand also eher im privaten Raum statt und war weniger organisierten Netzwerken zu verdanken?

Ja genau. Dabei war rechtsextreme Ideologie immer mal wieder auch öffentlich sichtbar.

Welche Unterschiede während der Jahrzehnte konnten Sie ausmachen?

In den 1950ern haben die Behörden Nationalsozialismus und Rassismus eher unter einer retrospektive Perspektive betrachtet. Da habe ich kaum etwas in den Akten gefunden. Ich glaube aber nicht, dass es damals keine Probleme mit Rechtsextremismus gab. Vorfälle tauchen lediglich nicht in den Akten auf. Ende der 1950er ändert sich das. Plötzlich gibt es mehr und mehr Berichte über beispielsweise Hakenkreuz-Schmierereien. In den 1960ern tauchen dann plötzlich auch erstmals kleine organisierte Neonazi-Gruppen auf. Die haben aber nicht lange Bestand. Das setzt sich bis in die 1970er fort, bis dann in den 1980ern im Raum Gera und Jena stabile, widerstandsfähige und langlebige Gruppen aktiv sind.

Wie zeichnen sich diese Neonazi-Gruppen aus?

Diese Gruppen treten sehr selbstbewusst, sehr öffentlich und sehr provokativ auf. Sie nehmen sich beispielsweise in nicht-rechten Jugendzentren Raum. Ihr Selbstbewusstsein rührt auch von einer unzureichenden Strafverfolgung her. Rechtsextremismus machte also auch in der DDR eine Art Metamorphose durch.

Können Sie die These der Metamorphose genauer beschreiben?

Der Gründer der Organisation „EXIT“, Dr. Bernd Wagner, hat ja in seiner Promotion beschrieben, dass es in den Achtzigerjahren verschiedene Entwicklungsstufen rechter und rechtsextremer Gruppen gegeben hat. Anfang der 1980er Jahre sind sie noch als Skinheads aufgetreten, was zu Beginn eher noch eine Frage des Äußeren war. Dann hat sich im Laufe der Jahre rechtsextreme Ideologie immer stärker verfestigt. Es entstehen auch teilweise klandestin arbeitende Gruppen. In der letzten Phase der Metamorphose, also zur Wende, bringen die Rechtsextremen dann alle Voraussetzungen mit, mit der organisierten Szene in Westdeutschland zu fusionieren.

Haben Sie in Ihrer Recherche zentrale Figuren oder Organisation ausfindig machen können?

Ich habe mich gegenüber den Archiven der Anonymität verpflichtet. Ich kann aber sagen, dass es immer mal wieder zentrale Figuren gab. Eine wirkliche personelle Kontinuität über die Jahrzehnte hinweg konnte ich jedoch nicht erkennen.

Welche ideologischen Ausprägungen der rechtsextremen Szene haben Sie in Ihrer Recherche wahrgenommen?

Antisemitismus war natürlich immer ein zentrales Element der Ideologie. Auch NS-Verherrlichung zieht sich bis in die 1980er durch. In Vernehmungsprotokollen wurde zudem deutlich, dass rechtsextreme DDR-Staatsbürger*innen westdeutsche Rechtsextreme als Vorbilder betrachteten. Es wird immer wieder gesagt ‘Wir wollen in den Westen, weil da können wir uns frei betätigen, da ist die NPD eine erlaubte Partei, oder da sind andere Organisationen tätig und nicht verboten‘. Da sei das alles legitim. Hier werde man hingegen drangsaliert und verfolgt. Daher reisten oder flohen einige DDR-Rechtsextreme auch in den Westen.

Gegen wen hat sich die Gewalt der Rechtsextreme gewandt?

Ab den 1980ern hat es viele Angriffe gegen Punker*innen gegeben und auch gegen Blueser*innen. Organisierte gewalttätige, rassistisch motivierte Vorfälle gegen DDR-Vertragsarbeiter*innen sind mir für Jena und Gera wenig bekannt.

Glauben Sie, Ihre Forschungsergebnisse sind auf andere Regionen Ostdeutschlands übertragbar?

Das ist schwer zu sagen. Dazu brauchte man eigentlich einen größeren Datensatz, auch aus anderen Bezirken.

Die Publikation „Jena vor dem NSU – Rechtsextremismus bis 1990 in Jena und Ostthüringen“.

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