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Rezension Über die strategische Radikalisierung der AfD

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Die AfD hat die Parteienlandschaft in Deutschland verändert: Erstmals seit Gründung der Bundesrepublik konnte sich eine Partei rechts des konservativen Spektrums in der Fläche verankern. Wer glaubte, die AfD werde sich im Laufe der Jahre mäßigen, hat sich getäuscht. Die Partei hat sich kontinuierlich radikalisiert. Die Journalistinnen Katja Bauer und Maria Fiedler zeichnen die einzelnen Stationen detailliert nach. Bereits in der Gründung war der „Hang zur Radikalisierung“ angelegt. Denn der Anspruch, eine Partei der grenzenlosen Redefreiheit zu sein, öffnete der grenzenlosen Hetze Tür und Tor.

Der Radikalisierungsprozess ist ein Teufelskreis: „Je radikaler die Partei wird, desto mehr Radikale zieht sie an.“ (S. 84) Die Radikalisierung zeigt sich in der Sprache: Die Grenze des Sagbaren wird Schritt für Schritt verschoben. Gleichzeitig wird die Radikalisierung in den Bündnissen sichtbar: Die rassistische Demonstration in Chemnitz (2018) spielte nach Einschätzung der Autorinnen eine Schlüsselrolle. An der Demonstration wurden zwei Dinge deutlich: „Erstens: ihr Schulterschluss nach ganz rechts außen. Und zweitens: die Umsturzfantasien in Teilen der Partei.“ (S. 62) Dass die AfD gemeinsam mit Hooligans und Neonazis demonstrierte, hatte eine neue Qualität.

Der „Radikalisierungsmotor“

„Der Flügel“, die völkische, inzwischen formell aufgelöste Strömung innerhalb der AfD, war über Jahre hinweg der „Radikalisierungsmotor“. Zwar hatte er nie die Mehrheit in der Partei, aber er wurde geduldet und verharmlost. Streckenweise biederten sich moderatere Kräfte durch scharfe Reden an. Die Strategie des „Flügel“: sich vernetzen und Schlüsselpositionen besetzen – „und zwar auf allen Ebenen“ (S. 49). Auf Kreis-, Landes- und Bundesebene ist stets der Versuch unternommen worden, die Oberhand zu gewinnen. „Der Flügel“ agierte, so resümieren die Journalistinnen, gut organisiert und skrupellos.

Präzise und schonungslos beleuchtet das Buch die internen Machtkämpfe: Lucke vs. Petry, Petry vs. Meuthen, Meuthen vs. Höcke/Kalbitz. Im Umgang mit den Neonazis und Völkischen in der Partei markierte der baden-württembergische Landesparteitag in Heidenheim (2019) einen strategischen Wendepunkt. Der AfD-Bundesvorsitzende Meuthen richtete sich in seiner Rede gegen die Hardliner*innen der Partei. Nun eskalierte der Machtkampf vollends. Die Annullierung der Parteimitgliedschaft des brandenburgischen AfD-Fraktionsvorsitzenden Kalbitz war ein Schlag gegen die extrem rechten Funktionär*innen in der Partei.

Feindbild Amadeu Antonio Stiftung

Eindrücklich beschreiben die Journalistinnen, wie sich der Bundestag durch den Einzug der Partei verändert hat: Die AfD sieht im Parlament lediglich eine Bühne zur eigenen Inszenierung. Sie erzeugt durch ihre Social-Media-Kanäle eine Gegenöffentlichkeit, in der einzig die AfD die Deutungshoheit über die Geschehnisse im Bundestag hat. Die AfD ist dagegen – gegen „das Establishment“ (Bundesregierung, Parteien) und „die Fremden“ (Migrant*innen, Muslim*innen). In den Debatten versucht sie stets, ihr Kernthema – die Migration – ins Spiel zu bringen. Die kenntnisreiche Offenlegung der Strategien machen das Buch zu einer absoluten Bereicherung.

Ein zentrales Feindbild der AfD ist die Amadeu Antonio Stiftung und ihre Vorstandsvorsitzende Anetta Kahane. Die Stiftung, die stellvertretend für das zivilgesellschaftliche Engagement gegen Rassismus und Rechtsextremismus in Deutschland steht, ist seit Jahren Zielscheibe der Partei. Laut Bauer und Fiedler werde am Beispiel der Stiftung deutlich, dass die AfD ihre Kritiker*innen zum Schweigen bringen möchte. Sie setzt die Stiftung durch Kleine Anfragen, Redebeiträge, Videoclips und Postings unter Dauerfeuer. Die Folge sind regelmäßige Hasswellen. Anschaulich beschreiben die Journalistinnen die fortwährende Bedrohungslage.

Die drei Dilemmata

Der parlamentarische Umgang mit der AfD ist für die übrigen Bundestagsfraktionen eine Herausforderung. Die Journalistinnen nennen drei Dilemmata, mit denen die Fraktionen konfrontiert werden. Das Empörungsdilemma veranschaulicht dabei die Gratwanderung der Fraktionen: Während die AfD durch Tabubrüche und Empörung nach Aufmerksamkeit strebt, stehen die übrigen Fraktionen vor der Frage: Sollen die Tabubrüche ignoriert oder soll Empörung zum Ausdruck gebracht werden? Letzteres bringt der AfD die erstrebte Aufmerksamkeit.

Die AfD provoziert und stört, sie polarisiert und treibt einen Keil in die Risse der Gesellschaft. Denn die Partei braucht Krisen, um Erfolge verzeichnen zu können: Sie wurde in einer Krise gegründet und konnte 2015/16 in einer Krise punkten. Dass sie aus der Covid-19-Pandemie keinen Profit schlagen kann, stellt die Partei vor eine Herausforderung. Nicht zuletzt wegen den internen Machtkämpfen und der drohenden Beobachtung durch den Inlandsgeheimdienst. Ob die AfD im Zuge des Bundestagswahlkampfes aus ihrer Krise finden wird, bleibt fraglich.

Das Buch Die Methode AfD. Der Kampf der Rechten: Im Parlament, auf der Straße – und gegen sich selbst, herausgegeben von Katja Bauer und Maria Fiedler, ist am 20. März 2021 im Klett-Cotta Verlag erschienen und kostet 20 Euro.

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