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Rezension „Völkische Landnahme“ „Es geht um eine komplette Umwälzung der Gesellschaft“

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Titelbild des Buches "Völkische Landnahme" von Andrea Röpke und Andreas Speit. (Quelle: Ch. Links Verlag)

Sie tragen selbstgemachte Kleidung, betreiben ökologische Landwirtschaft und engagieren sich in lokalen Vereinen. Sie präsentieren sich gerne heimatverbunden und bodenständig. Auf Unwissende wirken sie oft, als entstammten sie einer ökologischen, vielleicht esoterisch geprägten Szene. „Wir dachten, das sind Ökos, also Linke“, ist eine Reaktion, die man von betroffenen Nachbar*innen häufig hört. Tatsächlich aber handelt es sich um sogenannte völkische Siedler und Siedlerinnen, um ideologisch gefestigte Rechtsextreme, die sich gezielt in ländlichen (und verlassenen) Regionen ansiedeln, um sukzessive die Kontrolle über den öffentlichen Raum zu übernehmen.

Diese Strategie verfolgen sie teils auf äußerst subtile Weise, etwa indem sie scheinbar harmlose Kulturarbeit betreiben oder sich für den Umweltschutz engagieren. Für die Zivilgesellschaft ist die wahre Intention – jedenfalls im Anfangsstadium – kaum zu erkennen, denn diese Aktivist*innen verstehen sich darauf, ihre politischen Absichten zu verschleiern und zu verkleiden. Es ist eine Art von nationaler Graswurzelarbeit, mit der sie tief in den Wesenskern der Demokratie hineinwirken, diesen von innen langsam zersetzen möchten. Das langfristige Ziel ist immer eine Verschiebung der Verhältnisse, weg von einer demokratischen und liberalen hin zu einer elitären, rassistisch und autoritär geprägten Gesellschaft.

Umso verdienstvoller ist deshalb die Arbeit der beiden Fachjournalist*innen Andrea Röpke und Andreas Speit, die dieses klandestine Treiben in ihrem neuesten Buch „Völkische Landnahme“ detailliert beschreiben, ja es regelrecht ans Licht der Öffentlichkeit zerren. Denn diese völkischen Siedler*innen, heißt es bereits im Vorwort, sind eben keine harmlosen Ökos. Im Gegenteil: „Die Homogenisierungsbestrebungen der völkischen Landnehmer“ würden deren „reaktionäre Intention“ offenbaren, „die mit der Rettung der ‚Volksseele‘ weit über konservative Ideale hinausgeht“. Es gehe ihnen um eine komplette Umwälzung der Gesellschaft mit der Konsequenz, dass „das Grundrecht auf Gleichheit aller Menschen nicht mehr gilt“.

Platzgewinnung im vorpolitischen Raum

Röpke und Speit erläutern in den einzelnen Kapiteln anschaulich, wie diese „Landnahme“ umgesetzt werden soll, wie facettenreich diese Bewegung in der Praxis agiert. Besonders deutlich arbeiten die Expert*innen das am Beispiel der Laienschauspielergruppe „Friedrich Schiller“ heraus. Diese führte am 07. und 08. September 2018 auf der Freilichtbühne nahe Bischofswerda in Sachsen das Stück „Wilhelm Tell“ auf. Was eigentlich nach einer harmlosen Aktion klingt, war tatsächlich ein Schaulaufen der völkischen Szene: Nicht nur, dass viele Laiendarsteller laut Röpke und Speit selbst aus diesem Milieu stammten. Auch etliche der Zuschauer*innen, die am zweiten Spieltag aus ganz Deutschland, aus Österreich und der Schweiz angereist waren, sind tief in die extreme Rechte verstrickt.

„Kunst, Literatur, Musik und Theater“, schreiben die Journalist*innen, seien „in diesem Milieu kulturelle Mittel zur völkischen Platzgewinnung im vorpolitischen Raum“. So ist etwa die Figur Wilhelm Tell aus Schillers gleichnamigem Stück „eine wiederkehrende Referenzgröße in der weit rechten Szene“. Das Drama wird heute vor allem auf die aktuelle Debatte bezogen, indem es gegen „die da oben“ in Stellung gebracht wird, also gegen demokratisch legitimierte Politiker*innen, denen die extreme Rechte im bekannten Duktus vorwirft, gegen den „Volkswillen“ zu handeln. Es werde so Dichtung und Schauspiel gezielt vereinnahmt, um über Heldenepen „eine deutsche Identität zu konstruieren, die ungeachtet von historischen Tatsachen und gesellschaftlichen Entwicklungen einen heroischen Charakter“ vermitteln solle.

Schon an diesem Beispiel wird deutlich, was sich wie ein roter Faden durch die gesamte Publikation zieht: dass die völkische Ideologie eine allumfassende, in sämtliche Lebensbereiche eindringende ist. „Das Private ist politisch, und das Politische ist privat“, bringen Röpke und Speit diese Lebenswelt auf den Punkt. In der Praxis beginnt das bereits bei den Jüngsten, die als Kinder und Jugendliche an Veranstaltungen von rechten Jugendbünden teilnehmen müssen, wo sie dann eine „umfassende Schulung“ erhalten. Es ist eine geschlossene Parallelwelt, die untereinander eng verwoben ist, von einer Generation zur nächsten weitergeben wird und kaum je Aussteiger*innen hervorbringt.

Fließende Übergänge

Die Übergänge zwischen rechten Jugendbünden, Neonazi-Szene, völkischen Siedler*innen und Neuer Rechter sind dabei längst fließend; es habe eine „Entgrenzung der Milieus“ eingesetzt, die spätestens bei der rassistischen Demonstration am 01. September 2018 in Chemnitz offensichtlich wurde. Dort sei der „Schulterschluss zwischen Alternative für Deutschland, Pegida und Rechtsextremisten“ vollzogen worden. Überhaupt schimmern diese Verbindungen und Kooperationen in dem Buch immer wieder durch, wenn beispielsweise einzelne AfDler oder Aktivisten der „Identitären Bewegung“ (IB) an völkischen Events teilnehmen oder wenn sich umgekehrt Völkische in der AfD oder IB engagieren. Der heutige Brandenburger AfD-Landeschef Andreas Kalbitz, der 2007 an einem Lager der später verbotenen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ) teilnahm, ist da nur die Spitze des Eisbergs, wie bei der Lektüre schnell klar wird. Die völkische Ideologie fungiert als einendes Element; sie bildet einen gemeinsamen Nenner zwischen den verschiedenen Spektren.

Ergänzt wird dieser aktuelle Überblick durch einen lehrreichen historischen Rückblick, der entscheidend zum Verständnis beiträgt und wichtigen Kontext liefert, insbesondere zum Natur- und Umweltschutz von rechts sowie zu dessen enger Verzahnung mit dem Nationalsozialismus. Noch heute herrsche in der demokratischen Umweltbewegung Erstaunen darüber, dass sich Neonazis und andere völkische Aktivist*innen für dieses Thema interessieren, konstatieren die Expert*innen. Dabei habe das in der neonazistischen Szene eine lange Tradition; es gibt sogar eigene rechtsextreme Magazine wie „Umwelt & Aktiv“, die sich dezidiert diesem Thema widmen. Der Umweltschutz wird innerhalb der Szene stets als „Heimatschutz“ gedacht, die Fluchtbewegungen zum Beispiel als Bedrohung für die Umwelt interpretiert.

„Diese Bemühungen“, erklären Röpke und Speit, „sind nicht instrumentell, sondern als integral zu betrachten.“ Zudem haben Natur- und Umweltschützer, die nach Kriegsende wiederum wichtige Rollen eingenommen haben, bisweilen eng mit dem Nationalsozialismus kooperiert und selbst völkische Positionen vertreten, ohne dass diese problematischen Verstrickungen je ernstlich reflektiert, geschweige denn kritisch aufgebarbeitet wurden. In dieser fehlenden Auseinandersetzung sehen sie – unter Berufung auf den Historiker Nils Franke – einen der Gründe, „dass Naturschützer überrascht sind, wenn sie erkennen, dass Rechtsextreme ihr Anliegen unterstützen“.

„Gesamtgesellschaftliche Herausforderung“

Röpke und Speit fordern in ihrem Buch eine kritische Auseinandersetzung über das Agieren der völkischen Siedler*innen. Deren „politische Raumgewinnung für antiemanzipatorische und antihumanistische Ressentiments“ sei nämlich eine „gesamtgesellschaftliche Herausforderung“. „Sie beginnt im Privaten, und endet nicht in den Parlamenten“, heißt es. Der kritische Diskurs müsse letztlich überall stattfinden, er müsse in der eigenen Familie und im Freundeskreis beginnen, dann aber in Umweltinitiativen, veganen Kochgruppen, Tierschutzverbänden und vielen ähnlichen Projekten weitergeführt werden. Dabei dürfe man jedoch nicht den Fehler machen, den führenden Protagonist*innen dieser Szene ein öffentliches Gesprächsangebot zu unterbreiten. Diese wollten gar nicht über eine offene Gesellschaft reden; sie wollen diese vielmehr durch eine „straff hierarchische, völkische Gesinnungsgemeinschaft ersetzen“.

Den beiden Expert*innen, die sich als fundierte Kenner*innen der Materie einen Namen gemacht haben, gelingt so ein exzellenter, auch für Laien gut verständlicher Überblick. Vor allem ihre Recherchen und Beobachtungen vor Ort, die immer wieder geschildert werden, erweisen sich hier als überaus wertvoll, machen diese doch die bloße Theorie noch einmal praktisch verständlich und greifbar. „Völkische Landnahme“ ist insoweit ein großer Wurf – nicht zuletzt deshalb, weil es ein dringend nötiges Schlaglicht auf ein Phänomen wirft, das in der breiten Öffentlichkeit kaum bekannt ist und von den Sicherheitsbehörden kaum beachtet wird. In diesem Sinne ist ihr Buch ein im besten Sinne aufklärerisches, dem möglichst viele Leser*innen zu wünschen sind.#

 

Andrea Röpke, Andreas Speit:
Völkische Landnahme. Alte Sippen, junge Siedler, rechte Ökos.

Christoph Links Verlag, Berlin.
208 Seiten
18 Euro

Mehr Info: https://www.christoph-links-verlag.de/index.cfm?view=3&titel_nr=986

 

 

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