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Rezension „Zionist wider Willen“

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(Quelle: Pixabay)

Wer Wuligers Werdegang kennt, könnte überrascht sein: Er leistet, verbal, Abbitte bei den Philosemiten. Mutet doch, wie bereits Eike Geisel wortreich analysiert hat, der Philosemit in seinem Fanatismus wie die Kehrseite des Antisemiten an. Der Wechsel etwa von der anfänglichen Israelbegeisterung, insbesondere Anfang der 1960er Jahre, hin zu erbitterten Anklagen von Deutschen gegenüber Israel, kann regelmäßig beobachtet werden. Einen umgekehrten Wandel hat es hingegen höchst selten gegeben, Eike Geisel, der „Versöhnungsverweigerer“ (Arthur Bukow), gehört zu den wenigen löblichen Ausnahmen. Insbesondere liberalen Juden seien Philosemiten „nicht ganz geheuer“. Und doch übersehe man hierbei einen gravierenden Unterschied: „Antisemitismus kann in letzter Konsequenz massenmörderisch sein. Philosemitismus nervt höchstens.“

„Die Menschheit hatte aus der Schoa und Auschwitz gelernt“

Mit besonderer Freude und Ironie schreibt Wuliger über die linke Szene, der er sich als junger Mann, in der 68er Zeit und danach, kurzzeitig verbunden fühlte. Politisch habe die radikale Linke „noch nie etwas von Dauer zustande bekommen.“ Dafür sei diese im Gründen von Vereinen Spitze. In seinem Berliner Kiez hat es Wuliger insbesondere die „Jüdische Antifaschistische Aktion Berlin“ angetan: Die bestehe zwar nur aus wenigen Menschen, hierunter einige aus Israel abgewanderte verbiesterte Antizionisten. Angesichts ihres politischen Scheiterns trügen sie dafür besonders große Transparente und verbreiteten radikale israelfeindliche Selbstgewissheiten. Marx und Engels hätten angesichts solcher Eiferer von „unbeholfenen Schulübungen“ gespottet, die diese „marktschreierisch ausposaunen.“

Der Glaube an die Assimilation der Juden ist von der Geschichte auf grausame Weise widerlegt worden. Auch Wuliger selbst hatte diesen in jungen Jahren geteilt: „Der Antisemitismus war in unseren Ländern überwunden. Die Menschheit hatte aus der Schoa und Auschwitz gelernt.“ Daran wollte man gerne glauben, zur eigenen Identitätsfestigung. Die „Judenfrage“ habe sich erledigt, darauf vertrauten auch viele osteuropäische Juden, die sich in den kommunistischen Staaten politisch engagierten. Diese bildungsbürgerliche wie auch linke Hoffnung habe sich als trügerische Illusion erwiesen. Dies zu erkennen habe er „länger gebraucht“. Geholfen habe ihm hierbei „die politische Linke, der ich mich lange – zu lange – zugehörig fühlte.“ Wenn er sich dort auch noch so israelkritisch gebärdet habe – den Zionismusverdacht wurde er nie los. Wenn ihn heute gelegentlich Selbstzweifel kämen dann gehe er nur kurz auf zionismuskritische Webseiten: „Dann springt mir meine eigene jugendliche Dummheit entgegen.“ So sei er „Zionist wider Willen“ geworden.

Wuligers durch Ironie gemilderter Zorn bricht besonders durch, wenn er über BDS, Augstein, Zuckermann, aber auch über Brumlik schreibt. Wer kennt nicht das Grauen, das einen beim Besuch „israelkritischer“, belehrender linker Veranstaltungen im BDS-Kontext überfällt. Das alarmistische Geschrei der nach dem Krieg geborenen heutigen Rentnergeneration, die sich bei solchen israelkritischen Meetings als deutsche Sinnsucher einfindet und sich über „rechte Demagogen“ und „antideutsche Hetze“ ereifert. Und die anschließend, im Stile des früheren DKP-Umfeldes, Resolutionen gegen vorgebliche israelische Missetaten unterschreibt – aber das Aufhängen von Schwulen im Iran und die Ermordung von Oppositionellen in zahlreichen arabischen Staaten eher für ein, verständliches, Missgeschick hält. Der dort bis heute zu beobachtende antizionistische Furor, angereichert durch jüdischen Selbsthass, amüsiere ihn nur noch: „Noch amüsierter bin ich darüber, dass es noch lebende Fossilien aus dieser Ära gibt.“ Das habe „fast etwas Rührendes an sich.“ Darum gehöre es sich auch nicht, diese alten Leute „zu harsch anzugehen. Greisen muss man ihre Schrullen lassen.“

Heute habe er seinen über Jahre betriebenen Versuch aufgegeben, seine ehemaligen linken Genossen und Freunde über deren offenkundigen Antizionismus aufzuklären, sie auf ihre politische und autobiografische Blindheit hinzuweisen. Dazu habe er einfach „keine Lust mehr“. Insbesondere nicht in seinem Alter. Er habe zu lange versucht, seinen linken Genossen zu erklären, „dass der Holocaust keine Klassenfrage war und dass in Auschwitz auch reiche Juden vergast wurden.“ Den Dialog mit Andersdenkenden sollten „in Zukunft andere führen. Ich habe Besseres zu tun.“

Schuldbeladene Solidarität

Immer wieder ist in Michael Wuligers Kolumnen von der schuldbeladenen Solidarität mit Israel die Rede: Wer Zionist ist, müsse doch eigentlich in Israel leben. Vom „platonischen Idealismus“ in der Diaspora, in den Phasen der Bedrohung Israels verkündet, vermöge man sich in Israel jedoch nichts zu kaufen: „Wir zittern in Berlin, Frankfurt oder Düsseldorf. Da ist gut zittern.“ Dafür sei der Gesang zu Jom Haazmaut „besonders inbrünstig“.

Wuliger verknüpft immer wieder in geschickter Weise eigene biografische Erinnerungen mit weltgeschichtlichen Ereignissen. In „Mein Wendejahr“ erinnert er sich an seine Empfindungen als 38-Jähriger beim Mauerfall 1989. Die mutigen Demonstrationen von Hunderttausend Menschen im Oktober 1989 in Leipzig imponierten ihn. Er begann, „dieses Deutschland ein wenig mehr zu mögen als bisher.“ Die Hoffnung hielt nicht lange an. Als aus „Wir sind das Volk“ zuerst „Wir sind ein Volk“ und wenig später „Wir sind Deutsche! Was seid Ihr“ wurde, wandelte sich seine Faszination zu Enttäuschung und dann zunehmender Sorge und Unbehagen. Als drei Jahre später der Nazi-Mob in Rostock-Lichtenhagen versuchte, Asylbewerber und vietnamesische Arbeiter anzuzünden, blieb nur noch Entsetzen und Alarmismus übrig. Der Alarmismus ebnete sich ein. Die Wahlergebnisse im Osten verstärkten sein Misstrauen: „Ganz traue ich dem Braten noch nicht. 30 Jahre nach der Wende bin ich wieder skeptisch.“

„Wir trauen uns ja kaum mehr, offen zu reden“

Die Selbstdarstellungen hierzulande prominenter linksliberaler Israelis – Moshe Zimmermann und Ex-Botschafter Shimon Stein – amüsieren ihn eher. Ihr Drang, den Antisemitismus klein zu reden und hierbei sogar Begriffe wie „Antisemitismuskeule“ zu akzeptieren sei eine Steilvorlage gleichermaßen für linke wie für rechte „Israelkritiker“. Sie fühlten sich nun wirklich berechtigt, ihr Ressentiment freien Lauf zu lassen: „Man kann ja kaum mehr die Schweinereien von Netanjahu kritisieren, ohne gleich in die antisemitische Ecke gestellt zu werden“, lässt er ein älteres Ehepaar an seinem Kudamm sagen. Die vermeintliche „Schuld“, die das deutsche National- und Selbstgefühl gequält hatte, ist nun Dank dieser aufrechten, deutschsprechenden Israelis endgültig hinweg. Sie wird ersetzt durch einen Triumph über die errungene „Redefreiheit“ für Deutsche: „Toll, dass zwei Israelis das sagen. Wir trauen uns ja kaum mehr, offen zu reden. Seit ich Frau Warscher aus der dritten Etage darauf angesprochen habe, warum die Israelis in Gaza Kinder erschießen, grüßt die mich nicht mehr“, verkündet die Ehefrau. Ja, „die Juden sind hier wahnsinnig verbissen, wenn es um Israel geht. Man kann mit ihnen nicht vernünftig sprechen“, pflichtet ihr Ehemann ihr bei. Wer diesen fiktiven Dialog für eine Übertreibung hält, besuche eine Veranstaltung zum „Nahostkonflikt“ und die anschließenden privaten Diskussionen beim Kölsch. Wenn es mehr Steins und Zimmermanns gäbe, gäbe es hierzulande auch entschieden weniger Antisemitismus. Das ist gewissermaßen Nationalkonsens.

Am eindrücklichsten war für mich jedoch Wuligers Erinnerung an seine beiden – längst verstorbenen – , aus Warschau gebürtigen Großtanten Dora und Eva. Beide mussten aus ihrer Heimat fliehen. Dora verstand sich zeitlebens als überzeugte Kommunistin, die jede ideologische Kurskorrektur sogar noch als wohlhabende Pariser Französin mitmachte und gegenüber dem jungen, zaghaft nachfragenden Michael vertrat. Tante Eva hingegen verstand sich als Anarchistin, vor allem was ihre eigene Lebenspraxis betraf. Die beiden überlebten die Shoa mit viel Glück und trafen sich nach 1945 in Paris wieder. So vermochten sie sich wöchentlich zu treffen – und sich regelmäßig, über Jahrzehnte, zu streiten. Der junge Linke wohnte diesen erregten politischen Differenzen verschiedentlich bei. „Das ist inzwischen“ – so schließt Wuliger seine erinnernde Kolumne ab – „fast 40 Jahre her. Tante Dora und Tante Eva sind mittlerweile längst verstorben. Doch ihre Erinnerung ist für mich bis heute ein Segen.“

So wird jede der 78 im Buch versammelten kurzweiligen Kolumnen zum inneren Leitfaden, um koscher durch die Krise zu kommen.

Michael Wuliger: Koscher durch die Krise. Wuligers Wochen. Ausgewählte Kolumnen aus der „Jüdischen Allgemeinen“. Hentrich & Hentrich 2020, 172 S., 15 Euro, Bestellen?

 

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