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Rezension Mimi & Els – Stationen einer Freundschaft

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Aufführung der Revue von Peter Hammerschlag „Fast ausgelernt….“ (1927) in der Schwarzwaldschule. Marie Glas (Langer) 1. von links. Else Pappenheim 3. von rechts. bzw. von links nach rechts: Marie Glas (Langer), Lore Finke, Judith Spindel, Heli Bath, Traute Engel, Lilli Jankowitz, Hilde Prucha, Mirna Zimmermann, Else Pappenheim, Anitan Blümel, Tini Kohn. (Quelle: Marianne Buffi (Privatbesitz))

Marie Langer und Else Pappenheim teilten ihre Schulzeit in der Wiener Reformschule von Eugenie Schwarzwald wie auch ihr Medizinstudium in Wien. Im Alter führten sie einen Briefwechsel. Diesen hat Karl Fallend (2019) in dem von ihm herausgegebenen Buch „Mimi & Els – Stationen einer Freundschaft“ im Original dokumentiert und kommentiert. Eingebunden sind diese in Begleitstudien zu ihrer Wiener Jugend, ihrem Zugang zur Freudschen Psychoanalyse, ihrer Vertreibung aus Wien und ihrem schwierigen Neuanfang als Psychoanalytikerinnen in New York (Else Pappenheim) sowie in Lateinamerika (Marie Langer).

In dem Kapitel „Eine der wichtigsten Episoden meines Lebens“ beschreibt Fallend den beide prägenden Charakter dieser von der Pädagogin Eugene Schwarzwald geleiteten Reformschule. Diese „selbstbewusste, zielstrebige Frau“ habe sich durch eine „nahezu manische Umtriebigkeit“ ausgezeichnet. Langer und Pappenheim erinnerten sich auch zeitlebens an ihre Lehrerin Aline Furtmüller, eine sozialdemokratische Politikerin. „Dieser Frau konnte man nicht neutral begegnen“ bemerkt Langer. Fallend hat in die Doppelbiografie zahlreiche biografische Skizzen von prägenden Freunden eingearbeitet, wodurch Pappenheims und Langers Leben als Teil einer untergegangenen Epoche spürbar werden.

Ihre Studienjahre am Anatomischen Institut der Wiener Universität werden anschaulich beschrieben. Auf einem Foto sehen wir, wie Studierende am 9.3.1936 über Leitern vor den Angriffen nationalsozialistischer Studenten aus den Fenstern des 1. Anatomischen Instituts flüchten. Der Psychoanalytiker und Pädagoge Rudolf Ekstein hat diese Atmosphäre des Lernens inmitten des nationalsozialistischen Terrors gleichfalls anschaulich beschrieben.

Else Pappenheim kam über das Vorbild ihres Vaters Martin Pappenheim (1881 – 1943), Sozialdemokrat, Psychiater und Psychoanalytiker, zur Medizin. Diese blieb auch im amerikanischen Exil Teil ihrer professionellen Identität. Der Jude Martin Pappenheim war 1933 nach einer Vortragsreise in Palästina nicht nach Wien zurückgekehrt und wurde dort, wie der israelische Psychoanalytiker Eran Rolnik (2013) in seiner großartigen, sowohl in Israel als auch auf deutsch erschienenen Studie Freud auf Hebräisch. Geschichte der Psychoanalyse im jüdischen Palästina beschrieben hat, zu einem Pionier der Psychoanalyse in Palästina bzw. im jungen Staat Israel.

Beide begannen nach ihrem Medizinstudium in Wien ihre analytische Ausbildung; Langer bei Sterba und Pappenheim bei Isakower. 1936 wurde Langer bei einem Treffen einer von ihr gegründeten linken ärztlichen Lektüregruppe von der Polizei verhaftet und kam für zwei Tage in Untersuchungshaft. Zuvor waren bereits aus dem Feld der Psychoanalyse – deren Mitglieder in Wien zu 98 Prozent Juden und Jüdinnen waren – die politisch widerständig engagierten Psychoanalytikerinnen Edith Buxbaum (1934) sowie Edith Jacobsons (1935) aus politischen Gründen verhaftet worden (vgl. Kessler 2015). „Konservative“ Psychoanalytiker reagierten hierauf mit Angst; sie versuchten, anfangs noch unterstützt durch Sigmund Freud selbst, in trügerischer Illusion bzw. Verblendung die Psychoanalyse innerhalb der Diktatur zu „retten“.

Linke Psychoanalytiker*innen wie Wilhelm ReichSiegfried Bernfeld und Otto Fenichel – und selbstredend auch Edith Jacobson, Edith Buxbaum und die junge Marie Langer – waren für sie Gegner, nicht die Nationalsozialisten.

Die Vertreibung der großen Majorität der jüdischen Psychoanalytiker wurde hierbei bewusst zumindest „in Kauf genommen“, um es zurückhaltend zu formulieren. Es war eines der größten Irrtümer des betagten weisen alten Mannes Freud, der im Juni 1938 selbst nach London emigrieren musste. Immer wieder kommen Else Pappenheim und Marie Langer in ihrem berührenden Briefwechsel auf dieses Trauma, diese Entwurzelung zu sprechen.

Nach ihrer Verhaftung war es Marie Langer klar, dass sie möglichst rasch emigrieren musste. Ihr Lehranalytiker Richard Sterba, der kein Jude und insofern nicht unmittelbar gefährdet war, schützte Langer und ermöglichte ihr einen raschen, pragmatischen Abschluss ihrer Lehranalyse. 1938, nach dem „Anschluss“ Österreichs, floh der „Arier“ Sterba selbst aus Solidarität mit seinen jüdischen, von den „arischen“ Psychoanalytiker*innen im Stich gelassenen Kollegen in die USA. Einige von ihnen wurden von den Deutschen ermordet. Seinen Analysanden, zu denen auch Bruno Bettelheim gehörte (vgl. Fisher 2003), vermochte Richard Sterba das Trauma des Beziehungsabbruchs nicht zu ersparen.

Diese Solidarität zu seinen jüdischen Kolleg*innen und Freunden zeigte ansonsten nur der Berliner Psychoanalytiker Bernhard Kamm, der 1935 gleichfalls als Nicht-Jude in die USA (nach Topeka) emigrierte.

Marie Langer (l.) und Else Pappenheim an ihren Lebensabenden.

Die Freundschaft der beiden Frauen wurde durch ihre gewaltsame Vertreibung auseinander gerissen; es kam nur noch ein einziges Mal, 1971, zu einem Wiedertreffen: Langer ging 1936 als Ärztin zu den Internationalen Brigaden nach Spanien, 1938 nach Uruguay und 1942 nach Argentinien. Dort begann, erheblich erleichtert durch ihre Wiener Erfahrungen im Bereich der Psychoanalyse, ihr kometenhafter Aufstieg in der analytischen Szene Lateinamerikas. 1974 muss sie – ihr Name stand auf Todeslisten – aus der Diktatur nach Mexiko fliehen, 1981 ging Marie Langer dann nach Nicaragua.

Else Pappenheim, die tiefe Angst um das Überleben ihrer Mutter hatte und weiterhin Patient*innen empfing, wurde im September 1938 aus rassistischen Gründen ihre medizinische Praxiserlaubnis entzogen.

Else floh Anfang Oktober 1938 über Triest und Palästina – wo ja ihr Vater Martin Pappenheim seit 1933 lebte – nach Paris (wo sie ihre Tante Marie Frischauf-Pappenheim (1882-1966), sozialistische Ärztin, Schriftstellerin und in Wien enge Weggefährtin Wilhelm Reichs, wiedertraf) und schließlich nach New York. Am 20.12.1938 traf sie in New York ein.

Ermöglicht wurde ihre Emigration durch ihre ehemalige Studienkollegin Judith Silberpfennig (ab 1942: Judith S. Kestenberg, 1910-1999), Wiener Ärztin, Psychoanalytikerin und Mitglied der Sozialistischen Partei Österreichs, die 1937 auf Einladung von Paul Schilder nach New York geflohen war. Diese verschaffte ihrer Freundin Else ein ab Dezember 1938 gültiges Affidavit für die USA. Judith Kestenberg, das sei noch nachgetragen, wurde in den USA als Hochschullehrerin  eine Pionierin der Erforschung der transgenerationellen Traumaübertragungen bei Kindern von Shoahüberlebenden (Kestenbergr & Koorland 1993, Bergmann, Jucovy & Kestenberg (1995).

Die enormen Schwierigkeiten beim Neuanfang im Exil werden von Fallend anschaulich und kenntnisreich beschrieben. Im hohen Alter, 2004, erlebte sie noch das Erscheinen einer von Handlbauer  herausgegebenen Sammlung ihrer klinischen und autobiografischen Studien.

Es werden in den biografischen Begleitstudien viele schmerzhafte Verluste erwähnt, über die die beiden Frauen nicht oder nur indirekt zu Trauern vermochten. Der Tod war allgegenwärtig.

Die familiären Verluste waren furchtbar und werden im Buch im Detail nacherzählt. Ihre Mutter führte mehrere Jahre lang in Bonn als Jüdin einen verzweifelten Überlebenskampf; ihren Abtransport in die deutschen Vernichtungslager vor Augen nahmen sie und weitere Verwandte sich im November 1941 das Leben.

Es kam zwischen den in verschiedenen Kontinenten lebenden Else Pappenheim und Marie Langer nur zu einem einzigen Wiedertreffen: 1971 beim Internationalen Psychoanalytischen Kongress in Wien.

Berührend ist der erhalten gebliebene Briefwechsel aus den Jahren 1972/73 und 1983 bis 1987, bis zu Marie Langers Tod.

Karl Fallend: Mimi & Els. Stationen einer Freundschaft. Marie Langer – Else Pappenheim. Späte Briefe. Wien: Löcker Verlag 2019, 250 S., 29,80 Euro, Bestellen?

 

Literatur:

Bergmann, M.S., Jucovy, M.E. Kestenberg J.S. (Hrsg.) (1995): Kinder der Opfer. Kinder der Täter. Psychoanalyse und Holocaust, Frankfurt a. M: Fischer.

Fisher, D. J. (2003): Psychoanalytische Kulturkritik und die Seele des Menschen. Essays über Bruno Bettelheim. Unter Mitarbeit von Roland Kaufhold & Löffelholz. Gießen: Psychosozial-Verlag. http://roland-kaufhold.blogorio.com/

Kaufhold, R. (2001): Bettelheim, Ekstein, Federn: Impulse für die psychoanalytisch-pädagogische Bewegung, Gießen (Psychosozial-Verlag). http://roland-kaufhold.blogorio.com

Kaufhold, R. (2009): Zum Tode von Else Pappenheim (22.5.1911-11.1.2009), Kinderanalyse 2/2009, 17. Jg., S. 205-207.

Kestenberg, J & V. Koorland (Illustrationen) (1993): Als Eure Großeltern jung waren: mit Kindern über den Holocaust sprechen. Hamburg: Krämer.

Kessler, J. (2015): Das schwarze Heft. Wie ich ein Vierteljahrhundert auf Edith Jacobsons Gefängnisnotizen saß, in: Kessler, J. & R. Kaufhold (Hg., 2015): Edith Jacobson. Gefängnisaufzeichnungen. Gießen: Psychosozial Verlag, S. 11-44. https://buecher.hagalil.com/

Langer, M. (1986): Von Wien bis Managua. Wege einer Psychoanalytikerin. Freiburg: Kore.

Pappenheim, E. (2004): Hölderlin, Feuchtersleben, Freud. Beiträge zur Geschichte der Psychoanalyse, der Psychiatrie und Neurologie. Hg. Von Bernhard Handlbauer. Graz: Nausner & Nausner. https://buecher.hagalil.com/

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