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RomaniPhen Mit feministischer Perspektive gegen Rassismus 

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Cover des Programmhefts des „Romnja*Power Month“ (Quelle: RomaniPhen e.V.)

Aus einer Anfrage der Grünen vom 6. August 2021 an die Berliner Senatsverwaltung ging hervor, dass über Jahre hinweg die Zugehörigkeit von Sinti:zze und Rom:nja durch den Berliner Notdienst Kinderschutz (BNK) erfasste worden war, obwohl eine solche Erhebung gesetzlich verboten ist. „Das Problem ist die fehlende Empörung in der breiten Gesellschaft“, sagt Tayo Awosusi-Onutor. Die Sängerin, Autorin, Aktivistin und Mutter gehört zum Vorstand von „RomaniPhen“, einem Verein von Romnja und Sintezze, der sich vor allem gegen Rassismus und Sexismus engagiert. Obwohl „RomaniPhen“ eine Presseerklärung an verschiedene zivilgesellschaftliche Institutionen übermittelte, blieb eine breite Berichterstattung aus.

Innerhalb der Community habe die Nachricht kaum überrascht, so Awosusi-Onutor weiter: „Viele Rom:nja und Sinti:zze vermuteten solche Praktiken schon lange“. Sie verweist auf die lange Tradition der rassistischen Datenerhebung. Bereits im Kaiserreich wurden persönliche Daten von Rom:nja und Sinti:zze registriert und mit repressiven Überwachungsmaßnahmen verbunden. Die  Münchener „Landfahrerzentrale“ führte sogar bis 1972 die von den Nazis geführten Listen weiter.

Somit stellen die Vorkommnisse im Berliner Senat eine Kontinuität des spezifischen Rassismus gegen Rom:nja und Sinti:zze dar. Bis heute sind es oft die Betroffenen selbst, die auf solche Missstände aufmerksam machen müssen.

Der Verein „RomaniPhen“

Diese Aufgabe hat sich unter anderem der Verein „RomaniPhen“ aus Berlin gegeben. Gestartet ist „RomaniPhen“ als Projekt innerhalb der Initiative „IniRomnja“, die sich ebenfalls gegen Rassismus engagiert. Seit 2018 ist „RomaniPhen“ nun ein unabhängiger Verein. Einen Schwerpunkt der Arbeit bildet der Bildungsbereich und die Wissensvermittlung. Der Verein erarbeitet rassismuskritische Bildungsmaterialien und bietet Weiterbildungen für Fachkräfte und Multiplikator:innen an. Außerdem besteht ein Archiv sowie ein Empowerment-Angebot für junge Mädchen.

Explizit feministisch

Die Geschichte der Rom:nja und Sinti:zze wird meist aus einer heterosexuell-männlichen Perspektive erzählt, wobei die Rolle von Männern überhöht und die Leistungen von Frauen* unsichtbar gemacht werden.

Aus dem Bedürfnis, Frauen* mehr Sichtbarkeit zu schaffen, entstand „RomaniPhen“ über gemeinsame Arbeitskontexte und Freundinnenschaften der Mitbegründerinnen. „RomaniPhen“ ist die einzige explizit feministische Organisation in Deutschland. „Im Rassismus gegen Rom:nja und Sinti:zze stehen Frauen im Fokus“, sagt Awosusi-Onutor. Rassismus und Sexismus wirken zusammen. Eine feministische Betrachtungsweise hilft, die spezifische Diskriminierung am Schnittpunkt von race und gender sichtbar zu machen. Ein Beispiel für die symbolische Rassifizierung von Romnja und Sintizze stellt die Oper „Carmen“ von George Bizets von 1875 dar, in der die Figur der „Carmen“ als „exotisch-lüstern“ dargestellt wird und einen Mann erst verführt und dann fallen lässt.

Eine feministische Selbstorganisation sei außerdem wichtig, um die wertvollen Beiträge von Frauen* in der Öffentlichkeit sichtbar zu machen. „Solange diese unsichtbar bleiben, können stereotype Bilder weiter wirken“. Daher sei es  wichtig „Gegenbilder aus der Vergangenheit, und Gegenwart aufzuzeigen, um den rassistischen und sexistischen Stereotypisierungen entgegenzuwirken und positive Bezüge herzustellen“, sagt Awosusi-Onutor.

Empowerment und Bildungsarbeit muss früh ansetzen

Ein zentrales Problem stellt nach wie vor das mangelnde Wissen über die Geschichte der Rom:nja und Sinti:zze dar. Wie Awosusi-Onutor berichtet, sei weder der Porajmos, der Genozid an den Rom:nja und Sinti:zze im Nationalsozialismus, noch die Verfolgungsgeschichte, die bis ins 15. Jahrhundert reicht, ist in der Mehrheitsgesellschaft bekannt. Dabei bilden Kinder bereits im jungen Alter ein Bewusstsein für gesellschaftliche Machtverhältnisse aus und integrieren gesellschaftliche hierarchische Positionierungen in ihren eigenen Spielkonstruktionen. Daher stellt die frühkindliche Bildung einen bewussten Schwerpunkt der Arbeit des Vereins dar.

Um solche Wissenslücken zu schließen, setzt „RomaniPhen“ auch bewusst auf frühkindliche Bildungsangebote, wie etwa mit der Broschüre „Gut gemeint ist nicht gut gemacht“, die Pädagog:innen und Lehrkräften eine Orientierungshilfe zur Vermeidung von Rassismus anbietet. Das Projekt „Aven, sikla ketne! – Kommt, wir lernen zusammen!“ richtet sich insbesondere an Romani Kinder im Kindergarten und Grundschule und stellt zweisprachiges Lehrmaterial zur Verfügung. „Gerade die frühe Sensibilisierung biete die Chance, ein kritisches Bewusstsein auszubilden, um auch im Erwachsenenalter gesellschaftliche Verhältnisse hinterfragen zu können“, sagt Awosusi-Onutor.

Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit bildet das eigene Community-Building und das Empowerment junger Romnji. Ziel ist es dabei, positive (Selbst-)Repräsentationen und Bezüge zur eigenen Identität zu stärken. Denn einige Rom:nja und Sinit:zze verbergen ihre Identität aus Angst vor Ausgrenzung und Diskriminierung, sodass innerhalb der Community in diesem Zusammenhang sogar vom „Outing“ gesprochen wird, ob man sich offen zu seiner Identität bekennt.

Die Romanji Chai Mädchengruppe etwa hat eine eigene Podcast-Reihe veröffentlicht, in der sie sich in sechs Folgen mit Schule, Rassismus und der eigenen Identität auseinandersetzt.

Intersektionalität von Diskriminierung

Das Herzstück des Vereins bildet das Archiv, dass die antirassistische und feministische Bewegung dokumentiert. Die aktive Mitgestaltung von Wissensbildungsprozessen und die Freilegung und Produktion von kritischem Wissen aus der Perspektive von Romnja und Sintizze ist das Ziel. Das Wissensarchiv soll auch ein Lernort sein zum Zusammenkommen, sich austauschen und zu vernetzen.

Auch die Solidarisierung mit anderen Organisationen of Color sei wichtig, da viele Überschneidungen zu anderen Diskriminierungsformen vorhanden sei, sagt Owosusi-Onutor.

Entgegen einer essentialiserenden Vorstellung von Kultur, gehe es vielmehr darum, die vielfältigen Identitätsbezüge innerhalb der Community sichtbar zu machen. Tayo Awosusi selbst versteht sich selbst als Afro-Sintezza, deren Vater aus Nigeria stammt. Die Mutter Anita Owususi-Onutor ist Publizistin und Bürgerrechtlerin und schon lange eine wichtige Akteurin der Bewegung.

In Zusammenarbeit mit dem jüdischen Museum wurde etwa das Projekt „Tschi hi bistermen – Nichts ist vergessen“ durchgeführt, um die Geschichte des Porajmos aufzuarbeiten, die aufs engste mit der Shoah verbunden ist.

Ähnlich dem Black History Month, der auf die Geschichte Schwarzer Menschen aufmerksam macht, findet jedes Jahr vom 8. März bis zum 8. April  der „Romnja* Power Month“ statt und wird vom „Internationalen Tag der Frauen“ und dem „Internationalen Tag der Rom:nja“ eingerahmt.

Im diesjährigen „Romnja* Power Month“ wurde beispielsweise ein Panel zu institutionellen Rassismus und Polizeigewalt mit der Schwarzen Wissenschaftlerin Vanessa E. Thompson durchgeführt. Dabei zeigen sich Überschneidungen zwischen antischwarzen Rassismus, sowie Rassismus gegen Rom:nja und Sinti:zze deutlich. Im Rahmen des „Romnja* Power Month“ gibt es auch  gemeinsame Veranstaltungen mit ADEFRA e. V., dem ersten Verein für Schwarze Frauen in Deutschland. Laut Owosusi-Onutor zeige sich in der breiten Gesellschaft langsam ein Bewusstsein für den spezifischen Rassismus gegen Rom:nja und Sinti:zze.

In diesem Zusammenhang nennt Owususi-Onutor auch den am 19. Juni dieses Jahres verstorbenen Stanislav Tomáš, der infolge eines Polizeieinsatzes, ähnlich wie bei George Floyd in den USA, ums Leben kam. In einem der wenigen Artikel in der taz, mit dem Titel „Tschechiens George Floyd?“, zeige sich wie antischwarzer Rassismus und Rassismus gegen Rom:nja und Sinti:zze miteinander verbunden werde. „Sowohl  die Verstorbenen, als auch die Hinterbliebenen sowie die Rom:nja-Aktivist:innen, die die Tat publik machten, werden dabei verhöhnt“.

Mit dem intersektionalen Zugang zu Diskriminierung und der aktiven Einmischung in die Wissensproduktion, leistet „RomaniPhen“ wertvolle Arbeit, die weit über die eigene Betroffenheit hinausgeht und solidarische Perspektiven eröffnet.

Die Website des Vereins:

http://www.romnja-power.de/

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