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Untersuchungsbericht Deutsche Welle zieht Konsequenzen nach antisemitischen Äußerungen

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Hauptsitz der Deutschen Welle in Bonn. Der Auslandssender bietet Programme in 30 Sprachen weltweit an.
Hauptsitz der Deutschen Welle in Bonn. Der Auslandssender bietet Programme in 30 Sprachen weltweit an. (Quelle: picture alliance/dpa/Oliver Berg)

Sie haben antisemitische Karikaturen geteilt, die Shoah geleugnet oder Israel das Existenzrecht abgesprochen: Nach diversen Antisemitismusvorwürfe gegen Mitarbeiter:innen und Redakteur:innen der arabischen Redaktion der Deutschen Welle (DW) sowie von Partnersendern in Jordanien und dem Libanon hat der öffentlich-rechtliche Auslandssender nun Konsequenzen gezogen.

Auf einer Pressekonferenz am Montag, dem 7. Februar 2022, entschuldigte sich DW-Intendant Peter Limbourg für den Antisemitismus-Skandal: „Es tut mir und der Geschäftsleitung aufrichtig leid, dass wir in dieser Situation sind. Alleine der Verdacht, dass es in einer deutschen steuerfinanzierten Einrichtung Antisemitismus gibt, muss für Juden in diesem Land und weltweit unerträglich sein“. Die DW wird jährlich mit 390 Millionen Euro direkt aus Steuermitteln finanziert und produziert neben einem Vollzeitprogramm auf Deutsch, Englisch, Spanisch und Arabisch auch Inhalte in 30 Sprachen weltweit – auch mithilfe von Partnern vor Ort.

Die DW hat als Konsequenz einen 10-Punkte-Maßnahmenplan beschlossen. Dazu gehört: Die DW wird sich auf eine Antisemitismus-Definition festlegen und diese verpflichtend vermitteln – eine Definition, die die Anerkennung des Existenzrechts Israels sowie die Ablehnung von Leugnung und Verharmlosung des Holocausts einschließt. Hinzu sollen interne Fortbildungen und Pflichtmodule, ein verschärfter Verhaltenskodex sowie strengere Regeln für ein „wertebasiertes Recruiting“ kommen. In der Chefredaktion soll zudem ein Kompetenzteam eingerichtet werden, „um im Programmangebot die Themenfelder Antisemitismus, Existenzrecht Israels und deutsche Verantwortung zu stärken“, heißt es. Auch Dialogformate mit Partnern im Nahen Osten sowie eine Aufstockung des Personals im Jerusalemer Studio sind Teil des Plans.

Im November 2021 berichtete die Süddeutsche Zeitung (SZ) über Antisemitismusvorwürfe gegen mehrere, zum Teil hochrangige Mitarbeiter:innen und Redakteur:innen der arabischen DW-Redaktion sowie einen Kooperationspartner im Libanon. Die Äußerungen wurden auf privaten Social-Media-Accounts getätigt, nicht in DW-Sendungen. Ein Redakteur soll 2017 die Shoah als „künstliches Produkt“ bezeichnet haben. Ein Büroleiter habe laut SZ-Recherche gesagt, dass „jeder, der mit den Israelis zu tun“ habe, ein „Kollaborateur“ sei und „jeder Rekrut in den Reihen ihrer Armee“ ein Verräter sei und hingerichtet werden müsse. Eine weitere Kollegin hatte in Zusammenhang mit Israel von einem „Krebs“ geschrieben, der herausgeschnitten werden müsse. Ein Akademie-Trainer der DW in Beirut habe auf Twitter geschrieben: „Der Holocaust ist eine Lüge.“

Weitere Recherchen von VICE im Dezember 2021 zeigten, dass das Problem noch größer war als zunächst gedacht. So bezeichnet der jordanische Sender Roya TV, mit dem die Deutsche Welle beispielsweise das Format Jaafar Talk produziert, Israel konsequent als „Israelische Besatzung“. Israelische Staatsbürger:innen, die bei Raketenangriffen der Terrororganisation Hamas sterben, nennt Roya TV „Siedler der israelischen Besatzung“, gegenüber palästinensischen „Märtyrern“. Die Israel Defense Force (IDF) nennt Roya TV nur „Israel Occupation Force“. Auf Instagram soll der Partnersender laut VICE mehrmals antisemitische Karikaturen von Landkarten geteilt haben, auf denen Israel ausgelöscht sei. Auch der libanesischer Sender Al Jaheed TV, mit dem die DW eng kooperiert, habe laut VICE antisemitische Inhalte verbreitet: Der Sender soll die Hisbollah gefeiert und Selbstmordanschläge und Terror gegen Jüdinnen:Juden glorifiziert haben.

Die DW steht auch in der Kritik, weil der Sender Hinweise über antisemitische Äußerungen ignoriert haben soll. Hinzu kommt, dass der DW-Intendant Peter Limbourg 2020 höchstpersönlich nach Jordanien reiste, um den Roya-Chef Fares Saygeh zu treffen und die Kooperation der beiden Sender auszuweiten. Im Mai 2020 verlieh Limbourg Saygeh sogar einen „Freedom of Speech“-Preis für seine kritische Berichterstattung rund um die Covid-Pandemie.

Nach der VICE-Recherche verteidigte die Deutsche Welle zunächst Roya TV: Der Sender sei „definitiv nicht“ israelfeindlich, hieß es. Doch kurze Zeit später war ein anderer Ton zu hören: Die DW gab bekannt, dass die Zusammenarbeit mit Roya TV ausgesetzt worden sei und entschuldigte sich in einer Pressemitteilung. Der Sender berief zudem drei externe Ermittler:innen, die als unabhängige Expertenkommission die Vorwürfe untersuchen sollen: die ehemalige Bundesjustizministerin und amtierende Antisemitismus-Beauftragte von Nordrhein-Westfalen Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, der israelisch-deutsche Psychologe Ahmad Mansour und die Rechtswissenschaftlerin Beatrice Mansour.

Ihr Bericht liegt nun vor – und die DW wirkt fast erleichtert. Auf der Pressekonferenz am Montag sagte Mansour, dass die Untersuchung von Antisemitismus nicht allumfassend gewesen sei, sondern stichprobenartig. Gleichzeitig betonte er: „Wir reden hier von punktuellem Fehlverhalten und Aussagen, aber nicht von strukturellem Antisemitismus in der arabischen Redaktion – auch nicht in der Berichterstattung“. Alles nur Einzelfälle, die über Jahre niemandem in der Redaktion ausgefallen sind? Fehler und Versäumnisse habe es aber durchaus gegeben, so Mansour weiter. Er nennt als Beispiele die Einladung von bestimmten Gesprächspartner:innen, die Rekrutierung von „bestimmten Superstars“ aus der arabischen Welt, aber auch die Nutzung von palästinensischer Propaganda in einzelnen Online-Einträge während des Israel-Gaza-Krieges im Mai 2021.

Mansour machte auch deutlich: Niemand werde alleine wegen „Israelkritik“ entlassen. Doch es gab fünf Fälle von Personen, die sich antisemitisch geäußert hatten. Namen nannte er aus Datenschutzgründen nicht. Mit zwei Personen konnte die Expertenkommission sprechen, zwei weitere beantworteten Fragen schriftlich und eine Person lehnte das Gesprächsangebot ab. Kurz vor der Pressekonferenz gab die Journalistin Farah Maraqa auf Twitter bekannt, dass sie mit sofortiger Wirkung von der DW entlassen worden sei. Gründe dafür habe sie nicht erfahren, auch der Bericht der Kommission sei ihr nicht zugeschickt worden.

Durch ihre Untersuchung sei die Kommission auch zu dem Schluss gekommen, dass die Suspendierungen der betreffenden Mitarbeiter:innen gerechtfertigt gewesen seien. Mansour sagte auch, dass die arabische Redaktion „zutiefst gespalten“ sei, was die Vorwürfe und deren Aufarbeitung angehe. Viele hätten Angst und wollten mit der Expertenkommission nicht sprechen, so Mansour. Im Rahmen der Untersuchung seien auch acht weitere Mitarbeiter:innen mit antisemitischen Äußerungen aufgefallen, die nun ebenfalls überprüft werden.

Bei den arabischen Partnersendern kam die Expertenkommission zu unterschiedlichen Ergebnissen: Der Vorwurf, bei Al Jaheed handele es sich um einen Hisbollah-nahen Sender, habe sich nicht bestätigt. Vor allem in den vergangenen zwei Jahren sei eine kritische Berichterstattung des Senders gegenüber Terrororganisationen im Libanon wie der Hisbollah festzustellen, so Mansour. Al Jaheed habe auch über Proteste gegen die Hisbollah berichtet, was zu einem Konflikt zwischen dem Sender und der Terrororganisation geführt habe. Mitglieder der Hisbollah seien zwar als Gäste eingeladen worden, diese sitzen aber im libanesischen Parlament. Den jordanischen Sender Roya TV lobte Mansour für seine „fortschrittliche Haltung im Umgang mit Minderheiten und Frauenrechten“ in der Region. Aber die antisemitischen Karikaturen, die der Sender in den sozialen Medien teilte, seien ein „No-Go“.

In beiden Fällen empfiehlt die Expertenkommission, den Dialog zu suchen, die Partnerschaft fortzuführen, aber klare Richtlinien festzustellen. Dazu gehöre: Das Existenzrecht Israels und das Thema Antisemitismus sehr deutlich zu formulieren und kommunizieren, so Mansour. Die Kommission schlägt unter anderem Besuche für Mitarbeiter:innen nach Israel oder zu KZ-Gedenkstätten vor. Es werde am Anfang Schwierigkeiten und Proteste geben, räumt Mansour ein, aber man werde auch Partner finden. „Davon bin ich absolut überzeugt“.

Anders sieht es aus mit den palästinensischen Sendern Maannews Palestine und der Palestinian Broadcasting Corporation (PBC), beide Partner der DW. Die Partnerschaft mit Maannews empfiehlt die Kommission zu beenden – etwa weil der islamische Dschihad als „palästinensischer Widerstand“ bezeichnet werde. Die weitere Zusammenarbeit mit der PBC empfiehlt die Kommission dringend zu überprüfen.

Aus Worten sind schon Taten geworden: DW-Intendant Limbourg gab bekannt, dass der Leiter der arabischen Redaktion angeboten habe, seinen Posten zu räumen – ein Angebot, das die DW angenommen habe. Fünf Trennungsverfahren seien nun eingeleitet worden – entweder wurden Verträge gekündigt oder Arbeitsverhältnisse auf Honorarbasis beendet. Ob es sich hier um die fünf von der Expertenkommission untersuchten Mitarbeiter:innen handelt, ist noch unklar. In drei weiteren Fällen werde in Kürze Klarheit herrschen, hieß es weiter. Limbourg räumte auch ein: In einem Fall hätte der Sender konsequenter vorgehen können.

Zum Schluss fand DW-Rundfunkratsvorsitzender Karl Jüsten deutliche Worte: „Für uns gilt: Antisemitismus hat bei uns in der Deutschen Welle keinen Platz. Es wird nicht geduldet, weder in den Redaktionen, noch in der Distribution, noch in der Akademie“. Doch die Praxis zeigt: Erst durch kritische Medienberichte wird der Sender aktiv.

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