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Kommentar von Anetta Kahane „Vielleicht hat Miteinander e.V. ja noch einen Beratungstermin frei“

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(Quelle: Public Domain Pictures, CC0)

 

Ein Kommentar von Anetta Kahane

 

Wieder liegt ein Tag der Deutschen Einheit hinter uns. Die Frage ist nur, ob wir uns von ihr jedes Jahr weiter entfernen oder ihr näherkommen. Oder mit anderen Worten, ob die Einheit hinter uns liegt oder noch vor uns. Was jedoch überall diskutiert wird, ist, inwieweit Ostdeutschland derzeit identitätsbildend auf ganz Deutschland wirkt. Das hohe Ausmaß an rechtsextremer Gewalt und die Zustimmung zur extrem rechten Partei AfD machen Ostdeutschland in diesem Jahr zu einem besonderen Debattenthema. Manche sagen, es sei die Rache der Ostdeutschen dafür, dass sie nicht gut behandelt wurden, abgehängt seien und schlechtere Lebensverhältnisse hätten. Andere meinen, dass nichts von dem rechtfertigen könne, sich rassistischen und antisemitischen Gruppen anzudienen, die jenen Hass säen, der dann in Gewalt umschlägt. Gerade wurde eine Nazi-Gruppe festgenommen, die von Chemnitz aus Anschläge am Tag der Deutschen Einheit geplant hatte.

Sie nennt sich „Revolution Chemnitz“. Dieser Name bedeutet mehr als nur die bekennende Absicht, die Demokratie umzustürzen. Er bedeutet auch, dass sich diese Nazis als logische Folge der „friedlichen Revolution“ von 1989 sehen. Denn was viele Menschen in Deutschland bis heute nicht wahrhaben wollten, ist, wie sehr das Völkische bereits in der DDR vorhanden war und sich seit der Einheit immer weiter entfalten konnte. Das geschah vor allem in den Teilen der Neuen Länder, in denen Landesregierungen diese Entwicklung ignorierten oder leugneten. Oder wo der Aufbau einer menschenrechtsorientierten, kritischen und die Demokratie verteidigenden Zivilgesellschaft behindert wurde oder wird. Das geschieht aus vorauseilendem Opportunismus gegenüber aggressiven Rechtspopulisten. So meint man vermeiden zu können, dass die Rechten noch stärker werden. Doch die Rechnung geht nicht auf. Denn erstens ermutigt es Rechte und Rechtsextreme und zweitens befördert es das Abgehängtsein in Ostdeutschland.

Ein Beispiel: Gerade macht die AfD in Sachsen-Anhalt gegen den Verein Miteinander e.V. mobil und der CDU-Innenminister diskreditiert den Verein als „Marscheinheit der Linken“ und droht mit Mittelentzug. Seit fast 20 Jahren bemüht sich der Verein darum, die Standards für eine demokratische Kultur zu verteidigen. Gegen militante Nazigruppen, gegen Gewalt, gegen unverhohlenen Rassismus und Antisemitismus. Selbstverständlich sind solche Bemühungen mühsam – wie es das Wort ja bereits sagt. Es braucht Geduld, einen langen Atem und mutiges Engagement. Miteinander e.V. ist von DDR-Bürgerrechtlern gegründet worden, denen die Lage der Menschenrechte in Sachsen-Anhalt nicht egal war. Seitdem hat der Verein viel erreicht. Er hat Opfer rechter und rassistischer Gewalt betreut und beschützt, er hat mit seinen Teams Kommunen und Institutionen beraten, unzählige Fortbildungen durchgeführt und kommt dem Bedarf an fachlicher Unterstützung kaum hinterher. Jetzt wird dieser Verein zur Zielscheibe, so wie es auch in Sachsen geschieht. Dies geschieht unter der dummen Prämisse, dass, wer gegen Rechtsextremismus arbeitet, ja folglich linksextrem sein muss. Müßig zu bemerken, dass das nicht stimmt, denn das Gegenteil von Rechtsextremismus ist demokratische Vielfalt und eben nicht Linksextremismus.

Und warum geht die Rechnung nicht auf? Folgende Geschichte: Bereits in den 1990er Jahren wurden wir von internationalen Wirtschaftsunternehmen kontaktiert mit der Bitte um sachliche Auskunft darüber, ob in ebendiesem Sachsen-Anhalt das Klima gegenüber Ausländern freundlich sei. Man überlege dort zu investieren, wolle aber sicher sein, dass dies gewollt ist und die Mitarbeiter gut aufgenommen würden – auch wenn sie einen nicht-deutschen Background hätten. Nun, ich erinnere mich daran, wie es schwer war darauf zu antworten. Denn es sollte keinesfalls von unserer Antwort abhängen, ob der Standort gewählt würde oder nicht. Also fiel unsere Einschätzung diplomatisch aus aber mit optimistischen Aussichten. Die Unternehmen haben dann doch nicht dort investiert. Denn wir waren nicht die einzigen, die für das Klima keine Garantie abgeben konnten. Heute zeigt eine Studie, dass Ostdeutschland auch deshalb abgehängt ist, weil es zu wenig qualifizierten Arbeitskräfte gibt. Trotz Abwanderung. Es fehlen die Einwanderer, diejenigen Deutschen, die den Ostdeutschen zu wenig deutsch aussehen. Deshalb siedeln keine neuen Betriebe an und kleine mittelständische, haben große Not. Daher wandern noch mehr Menschen ab. Ein fataler Kreislauf.

Auch aus diesem Grund wären alle Verantwortlichen in den Neuen Ländern gut beraten für ein positives Klima zu sorgen, in dem die Gesellschaft und die Wirtschaft gut gedeihen können. Wie das geht? Vielleicht hat Miteinander e. V. ja noch ein paar Beratungstermine frei.

 

Anetta Kahane ist Vorsitzende des Vorstandes der Amadeu Antonio Stiftung. Dieser Text ist ein Auszug aus dem Newsletter der Amadeu Antonio Stiftung, den Sie hier abonnieren können

 

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