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Zahlen & Einstellungen Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit

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Grafik zur Entwicklung Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in der Bevölkerung 2002-2014 (Angaben in Prozent) (Quelle: Friedrich-Ebert-Stiftung)

Die folgenden Daten stammen aus der Studie: Andreas Zick/ Anna Klein: Fragile Mitte – Feindselige Zustände. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2014. 

Die Verbreitung von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit:

Im Rahmen der Studie wurden 1.915 repräsentativ ausgewählte Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit im Alter von 16-95 Jahren befragt. Der Altersdurchschnitt betrug 49,9 Jahre.

Die Zustimmungswerte wurden anhand eines Fragebogens ermittelt, der zwölf verschiedene Facetten von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit (GMF) beinhaltete. Die Ergebnisse zeigen eine insgesamt weite Verbreitung gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in Deutschland:

+ Etabliertenvorrechte: „Wer irgendwo neu ist, sollte sich erst mal mit weniger zufrieden geben“ (60,8% Zustimmung)

+ Abwertung langzeitarbeitsloser Menschen: „Die meisten Langzeitarbeitslosen sind nicht wirklich daran Interessiert, einen Job zu finden“ (44,8% Zustimmung)

+ Sexismus: „Frauen sollten sich wieder mehr auf die Rolle der Ehefrau und Mutter besinnen“ (18,3% Zustimmung)

+ Islamfeindlichkeit: „Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden“ (18,2% Zustimmung)

+ Fremdenfeindlichkeit: „Es leben zu viele Ausländer in Deutschland“ (37,1% Zustimmung)

+ Abwertung asylsuchender Menschen: „Die meisten Asylbewerber werden in ihrem Heimatland gar nicht verfolgt.“ (42,1%)

+ Abwertung von Sinti und Roma: „Sinti und Roma neigen zu Kriminalität“ (38,3% Zustimmung)

+ Abwertung wohnungsloser Menschen: „Bettelnde Obdachlose sollten aus den Fußgängerzonen entfernt werden“ (30,7% Zustimmung)

+ Rassismus: „Die Weißen sind zurecht führend in der Welt“ (12,1% Zustimmung)

+ Abwertung homosexueller Menschen: „Es ist ekelhaft, wenn Homosexuelle sich in der Öffentlichkeit küssen“ (20,3% Zustimmung)

+ Abwertung behinderter Menschen: „Für Behinderte wird in Deutschland zu viel Aufwand betrieben“ (6,3% Zustimmung)

+ Klassischer Antisemitismus: „Juden haben in Deutschland  zu viel Einfluss“ (13,7% Zustimmung)

Die teilweise mehrheitsfähigen Abwertungen von verschiedenen schwachen Gruppen zeigen, dass die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit als ein Phänomen aus der Mitte unserer Gesellschaft betrachtet werden muss.

Verschiedene Facetten des Antisemitismus

Neben dem klassischen Antisemitismus, also der offenen und direkten Abwertung von Juden, existieren noch weitere antisemitische Facetten der GMF. Hierzu gehören vor allem der sekundäre Antisemitismus, der sich einer Verharmlosung und Relativierung des Holocaust bedient, und der transformierte Antisemitismus, der sich indirekt über die Dämonisierung und Delegitimierung des Staates Israel verbreitet. Diese verschiedenen Facetten wurden im Rahmen der Studie in einer zusätzlichen nahezu repräsentativen Umfrage mit 505 Befragten genauer beleuchtet:

+ Klassischer Antisemitismus: „Durch ihr Verhalten sind Juden an ihren Verfolgungen mit schuldig.“ (18% Zustimmung)

+ Sekundärer Antisemitismus: „Ich ärgere mich darüber, dass den Deutschen auch heute noch die Verbrechen an den Juden vorgehalten werden.“ (55% Zustimmung)

+ Israelbezogener Antisemitismus: „Bei der Politik, die Israel macht, kann ich gut verstehen, dass man etwas gegen Juden hat.“ (27,9% Zustimmung)

+ NS-vergleichende Israelkritik: „Israel führt einen Vernichtungskrieg gegen die Palästinenser“ (35,9% Zustimmung)

Die Ergebnisse zeigen, dass der sekundäre und der transformierte Antisemitismus mittlerweile sehr viel höhere Zustimmungswerte erhalten als der klassische. Antisemitische Einstellungen äußern sich heute vor allem indirekt.

Vergleich von GMF in verschiedenen Bevölkerungsgruppen

Ost/West-Vergleich

+ GMF ist unter Ostdeutschen fast durchgehend stärker verbreitet als unter Westdeutschen

+ Ausnahmen sind Sexismus (10,2% Ost, 10,9% West) und die Abwertung von Menschen mit Behinderung (4% Ost, 4% West)

+ Die deutlichsten Differenzen gibt es bei der Abwertung von langzeitarbeitsloser Menschen(55,4% Ost, 46,3% West), von asylsuchender Menschen (52,8% Ost, 42,4% West) und von Sinti und Roma (35,1% Ost, 25,5% West)

+ Die Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland bezogen auf GMF haben sich überraschenderweise seit 2009 deutlich verstärkt.

Vergleich nach Geschlechtern

+ GMF ist keinesfalls ein männliches Phänomen

+ Frauen vertreten fremdenfeindliche Einstellungen (F:  22,1%, M: 17,6%), und abwertende Einstellungen gegenüber Langzeitarbeitslosen (F: 50,9%, M: 44,6%), Obdachlosen (F: 21%, M: 16,2%), sowie Sinti und Roma (F:30,2%, M:22,7%) häufiger als Männer.

+ Überraschend ist auch: Die befragten Frauen vertreten häufiger sexistische Positionen als Männer (F: 12,3%, M: 9,3%). Dies spricht dafür, dass es zahlreiche Frauen gibt, die eine häusliche Rolle positiv bewerten.

+ Männliche Befragte vertreten dagegen häufiger homophobe Positionen (F:  10,6%, M: 13,2%)

Vergleich nach Altersgruppen

+ Besonders die älteste Gruppe (60+) tendiert zur GMF.

+ Die Abwertung von Langzeitarbeitslosen (57,6%) und rassistische Positionen (11,6%) sind in der jüngsten Gruppe (16-30) am stärksten vertreten.

+ Die mittlere Altersgruppe (31-60) neigt am wenigsten zur Abwertung schwächerer Gruppen.

Sozioökonomische Selbstverortung

+ Befragte, die sich eher der unteren sozioökonomischen Schicht zuordnen, vertreten die meisten Facetten der GMF am häufigsten.

+ Die Abwertung von langzeitarbeitslosen Menschen ist in allen Schichten etwa gleich weit verbreitet (Unten: 48%, Mitte: 47,7%, Oben: 49,3%)

+ In der oberen Schicht ist die Abwertung behindertet (7,8%), und homosexueller (18,6%) am häufigsten vertreten.

+ Die Menschen, die sich selbst in der Mitte verorten, sind insgesamt am wenigsten feindselig.

Politische Selbstverortung

+ GMF ist durchgehend am weitesten im politisch rechten Spektrum verbreitet

+ Ressentiments gegenüber schwachen Gruppen  reichen jedoch bis weit in die politische Mitte hinein. Besonders erwähnenswert ist z.B. die Abwertung langzeitarbeitsloser Menschen (51,2%), wohnungsloser Menschen (20%), asylsuchender Menschen (47,7%) sowie die Abwertung von Sinti und Roma (26,5%), Fremdenfeindlichkeit (19,8%) und das Pochen auf Etabliertenvorrechte (39,7%).

+ Aber auch das sich politisch links einordnende Spektrum ist nicht frei von z.B. der Ablehnung langzeitarbeitsloser (30,8%), und asylsuchender (26,1%) Menschen.

Entwicklung Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit

+ Positiv: Die Zustimmungswerte zu GMF haben seit 2011 in fast allen Facetten stark abgenommen.

+ Antisemitismus (2011: 8,1%, 2014: 8,5%) , Sexismus (2011: 11,7%, 2014: 10,8%) und die Abwertung von behinderten Menschen (2011: 4,5%, 2014: 4,1%) blieben relativ Konstant.

+ Der einzige signifikante Anstieg lässt sich bei den Etabliertenvorrechten verzeichnen (2011: 31,1%, 2014: 38,1%)

Die Betrachtung seit 2002 zeigt jedoch, dass sich kein einheitlicher Trend feststellen lässt. Die Zustimmung zu den Facetten der GMF hängt stark von gesellschaftlichen Entwicklungen und Debatten ab, durch die die Gleichwertigkeit bestimmter Gruppen in der Öffentlichkeit besonders in Frage gestellt wird:

+ Durch die Terroranschläge am 11. September 2001 nahm auch die Fremdenfeindlichkeit zu.

+ 2005 wurde durch die Hartz-IV-Debatten die Gleichwertigkeit arbeitsloser Personen zunehmend angezweifelt.

+ Durch die Wirtschaftskrise 2008 stieg auch die Forderung nach Etabliertenvorrechten an.

+ Die Diskussion über die Arbeitnehmer_innenfreizügikeit für rumänische und bulgarische Staatsangehörige 2013/2014 verstärkte die Abwertung von Sinti und Roma.

+ Die Debatte über Asylsuchende in Europa, die 2013 durch die Flüchtlingskatastrophe vor Lampedusa ausgelöst wurde, beeinflusste die Abwertung asylsuchender Menschen.

Zusammenfassende Erkenntnisse

Nach wie vor ist Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ein weit verbreitetes Phänomen in allen gesellschaftlichen Gruppen. Dies ist besonders deshalb besorgniserregend, weil die Forschung zu GMF erwiesen hat, dass Menschen, die einer Art der Abwertung zustimmen, auch schneller bereit sind, in anderen Feldern abwertend zu handeln.

Die Tatsache, dass die Etabliertenvorrechte als einzige Facette einen deutlichen Anstieg der Zustimmungswerte erfahren haben, so die Studie, kann ein Hinweis darauf sein, dass sich die Vorurteile nicht verringern, sondern sich vielmehr auf subtilere Art und Weise verbreiten. Etabliertenvorrechte zielen nicht auf die Abwertung einer bestimmten Gruppe ab und haben daher eine gesellschaftlich höhere Akzeptanz. Sie werden nicht eindeutig als eine Facette gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit wahrgenommen. Auch die Verlagerung des klassischen Antisemitismus auf sekundären und transformierten Antisemitismus, deutet auf eine „versteckte“ Abwertung hin, die in großen Teilen der Gesellschaft als vermeintlich harmlos angesehen wird. Während etwa offener Rassismus oder Sexismus schwerer sagbar wird, suchen sich die Abwertenden neue Formen und Opfergruppen, wie etwa Langzeitarbeitslose oder Flüchtlinge.

In der so genannten Mitte der Gesellschaft, die sich selbst eher als nicht abwertend einschätzen würde, haben sich die Abwertung von Arbeitslosen, die Angst vor Überfremdung, und Misstrauen gegenüber Asylbewerber_innen etabliert. Da alle Facetten von GMF die betroffenen Opfergruppen verletzen und, wenn sie unwidersprochen bleiben, das Klima in einer Region vergiften, gilt es diese durch demokratiebildende Maßnahmen zu verhindern und ihre Verbreitung zu bekämpfen. 

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