Weiter zum Inhalt Skip to table of contents

AfD Wahldebakel, geleakte Chats und Höcke-Vorsitz

Von|
Symbolbild (Quelle: Flickr / vfutscher / CC BY-NC 2.0)

Seit Februar 2020 geht es für die AfD ohne Unterbrechung bergab. Bei den Bürgerschaftswahlen in Hamburg am 23. Februar verliert sie 0,8 Prozent im Vergleich zu 2015. In Rheinland-Pfalz büßt die Partei im März 2021 4,3 Prozent ein, in Baden-Württemberg 5,4 Prozent. Im Juni 2021 wird in Sachsen-Anhalt gewählt und der Trend setzt sich fort: minus 3,5 Prozent. Im September 2021 in Mecklenburg-Vorpommern minus 4,1 Prozent und in Berlin sogar minus 6,2 Prozent. Bei der Bundestagswahl sind es 2,3 Prozent weniger als 2017. Im März 2022 im Saarland verliert die Partei 0,5 Prozent. Am 8. Mai in Schleswig-Holstein sind es 1,5 Prozent weniger, die Rechtspopulist:innen verpassen damit sogar die Fünf-Prozent-Hürde und fliegen zum ersten Mal in ihrer Geschichte wieder aus einem Landesparlament. Und auch bei den Wahlen in Nordrhein-Westfalen am 15. Mai erreicht die Partei 1,5 Prozent weniger als 2017.

Tino Chrupalla unter Druck

Unter Druck steht deswegen vor allem Parteichef Tino Chrupalla. Der versucht die Schuld vor allem Jörg Meuthen zuzuschieben, seinem ehemaligen Co-Sprecher, der im Januar die Partei verlassen und sein Amt aufgegeben hatte. Das Trauma bei Chrupalla sitzt tief: „Das habe ich anderthalb Jahre in diesem Bundesvorstand ertragen, wo ich von ihm gequält wurde und ich habe immer die Klappe gehalten. Damit ist jetzt Schluss und deswegen wird der neue Bundesvorstand auch anders aussehen.“

Im Juni will die Partei in Riesa einen neuen Vorstand wählen und Chrupallas Gegner bringen sich schon in Position. Von allen Seiten. Denn einerseits schießen die angeblich gemäßigten Kräfte in der Partei gegen den Vorsitzenden. Die Mitglieder, die Meuthen lange die Treue gehalten hatten, veröffentlichten zeitgleich mit Chrupallas Pressekonferenz nach der NRW-Wahl eine Pressemitteilung, in der sie den Parteichef schwer kritisieren. „Mit Tino Chrupalla endet die Erfolgsgeschichte der AfD“, wird Joana Cotar zitiert, Bundestagsabgeordnete und Bundesvorstandsmitglied. Cotar will in Riesa gegen Chrupalla für den Spitzenposten in der Partei antreten.

Chrupallas gutes Verhältnis zu Führungsfiguren im Putin-Regime könnte ihm zum Verhängnis werden. Denn der Vorsitzende reiste im Dezember 2020 nach Moskau und traf Außenminister Sergej Lawrow, und ließ sich so vor den Karren der russischen Propaganda-Maschine spannen. In der Funktion scheint Chrupalla immer noch unterwegs zu sein, aus der offiziellen Sprachregelung der Partei, der Krieg in der Ukraine sei ein unrechtmäßiger Angriffskrieg Putins, schert der Vorsitzende regelmäßig aus. „Auch dieser Krieg hat mehrere Väter“, führt Chrupalla bei der Pressekonferenz nach der AfD-Wahl aus und will sich nicht auf eine Verteilung der russischen Aggression festlegen, sondern lieber die Schuld woanders suchen: „Auch die Rolle der NATO, auch die Rolle der Bundesregierung muss man hier natürlich erörtern“. Denn die ist laut Chrupalla offenbar genauso verantwortlich wie die russischen Kader: „Auch ich kritisiere die Kriegsrhetorik von Herrn Lawrow, genauso wie ich die Kriegsrhetorik von deutschen Politikern scharf kritisiere.“ Während die Partei sich strikt gegen Waffenlieferungen ausspricht und sich als neue „Friedenspartei“ darstellt, betont Chrupalla vor allem, dass ihm das Leid der Ukrainer:innen und die Kriegsverbrechen der russischen Armee nur am Rande interessieren. Auf Twitter schreibt er: Der Krieg in der Ukraine sei „nicht unser Krieg“. Die Frage, wie sich das Land ohne Waffen verteidigen solle, beantwortet der Vorsitzende mit Nationalismus: „Das ist die Aufgabe der Ukraine, nicht meine. Als Bundesrepublik Deutschland haben wir keinerlei Bündnis-Verpflichtungen. Ich vertrete deutsche Interessen.“ Wenigstens keine russischen.

Höcke im Bundesvorstand?

Auch von Rechtsaußen kommt Kritik am Noch-Parteichef. Ausgerechnet AfD-Thüringen-Chef Björn Höcke hat mittlerweile mehrmals angedeutet, dass er für den Parteivorsitz kandidieren will: „Vielleicht ist es jetzt an der Zeit, Stephan Brandner im Bundesvorstand Gesellschaft zu leisten, vielleicht die Parteiführung auf Bundesebene mitzuprägen“, so Höcke. Ohnehin hat die Partei eigentlich eine Doppelspitze, um das zu ändern bräuchte es eine Zweidrittelmehrheit auf dem Parteitag. Wer jeweils aus dem „gemäßigten“ und dem rechtsextremen Lager antreten und genug Stimmen auf sich vereinigen könnte, bleibt unklar. Chrupalla will jedenfalls offenbar wieder kandidieren und gibt nicht viel auf die Kritik seiner Kolleg:innen und vergleicht die Situation mit sehr speziellen Campingausflügen: „Da haben sich immer diejenigen beschwert, dass es nass im Zelt ist, das waren immer diejenigen, die selbst ins Zelt gepinkelt haben.“

Sollte Höcke tatsächlich zum (Co-)Parteichef gewählt werden, könnte das vor allem dem Verhältnis der Partei zu den Medien einen weiteren Dämpfer verpassen. Denn Höcke spricht nach mehreren Skandalinterviews nur noch selten mit Journalist:innen — unter anderem brach er ein Gespräch mit dem ZDF ab, nachdem er mit Aufnahmen von Parteikolleg:innen konfrontiert wurde, die gefragt wurden, ob Textpassagen aus Hitlers Mein Kampf oder aus den Reden des Thüringer Vorsitzenden stammten.

Geleakte Eskalation

Obwohl schon von außen klar wird, dass die Flügel der Partei sich bekriegen, zeigt ein Blick hinter die Kulissen der Bundestagsfraktion, wie zerstritten, chaotisch und anstandsbefreit die Mitglieder miteinander umgehen und wie sie über politische Gegner:innen spricht. NDR und WDR liegen mehr als 40.000 Chatnachrichten vor, die in einer internen Chatgruppe der Fraktion mit über 70 Mitgliedern über fast vier Jahre ausgetauscht wurden. In der sogenannten „Quasselgruppe“ mit den Mitgliedern der ersten Bundestagsfraktion der AfD waren unter anderem Beatrix von Storch, Joana Cotar, Stephan Brandner, Hans-Jörg Müller, Uwe Witt, Peter Boehringer oder Bruno Hollnagel.

In der Gruppe wurde zum Beispiel die Exekution demokratischer Politiker:innen diskutiert: „Es gibt die Möglichkeit eines SiegerTribunals (‚Nürnberg 2.0‘), die rumänische Lösung nach einer Revolution [Anm. d. Red.: Eine Anspielung auf den Sturz und Hinrichtung des rumänischen Diktators Nicolae Ceaușescu, 1989.] oder aber die rechtsstaatliche Lösung, sprich AM [Angela Merkel] & Konsorten werden niemals für ihre ‚Verbrechen‘ zur Rechenschaft gezogen werden (…)“. Ex-Bundeskanzlerin Merkel stand wenig verwunderlich immer wieder im Zentrum des Hasses der Chatgruppe: „Die Ratte Merkel an der Spitze! Diese Volksverräterin gehört lebenslang in den Knast.“ Aber auch andere demokratische Politiker:innen werden immer wieder übelst beleidigt. Über SPD-Politiker Johannes Kahrs heißt es etwa: „Kahrs ist eine radikalböse Afteröffnung“. Homofeindlichkeit darf nicht fehlen. Als Jens Spahn (CDU) im Gespräch als neuer Verteidigungsminister ist, schreibt ein AfDler: „Bei Spahn hätte die Bundeswehr wieder auf Hinterlader umgestellt“.

Der Streit zwischen angeblich gemäßigten und rechtsradikalen oder extremen Kräften findet auch im Chat statt. „Ich glaube einige in der Fraktion haben ihren Verstand verloren, sollten sie jemals einen gehabt haben“, schreibt einer. Ein anderes Mitglied: „Die Ideologie und den Führerkult, die Höcke und Kalbitz vertreten, lehne ich zutiefst ab.“ Und Joana Coatr, Mitglied im Bundesvorstand, mahnt: „Mal die Klappe halten, wenn es angebracht ist. (…) Fällt es so schwer, mal nicht über das Dritte Reich zu reden?“

In der Gruppe wurde auch über die Strategie der Fraktion im Bundestag beraten, die immer wieder versucht, mit Mitteln der Geschäftsordnung, die demokratischen Parteien vorzuführen, etwa mit dem sogenannten „Hammelsprung“, bei dem die Beschlussfähigkeit des Parlaments in einem langwierigen Verfahren geprüft wird. Angesprochen auf diese im Chat sogenannte „Quälstrategie“ angesprochen, antwortet die Fraktionsvorsitzende Alice Weidel, die selbst kein Mitglied der Gruppe war: „Da geht es überhaupt nicht ums quälen, sondern es geht um die parlamentarische Verpflichtung, warum uns unsere Leute gewählt haben“. Uwe Witte, AfD-Abgeordneter, hatte das in der „Quasselgruppe“ anders formuliert: „Es geht doch gar nicht darum, ob der Hammelsprung gelingt oder nicht gelingt, sondern es geht darum, den anderen Parteien durch den Hammelsprung unnötiges Mühsal aufzuerlegen.“

Mit den Zitaten aus dem Chat konfrontiert, wirkt Weidel fast resigniert und fasst zusammen, wie normalisiert offenbar der komplett eskalierte und menschenfeindliche Umgangston in der Partei mittlerweile geworden ist: „Wenn Sie in der AfD in der ersten Reihe sind, dann ist das völlig normal“

Immer mehr Mitglieder ziehen Konsequenzen aus dem permanenten internen Streit, den kleinen und große Parteiskandalen und dem unaufhaltsamen Rechtsaußendrift der Partei. Vor allem im Westen der Republik, wo viele AfD-Vertreter:innen sich eher zum (angeblich) gemäßigten Parteiflügel zählen, sind mit den rechtsextremen Positionen einiger ostdeutscher Parteivertreter:innen keine Stimmen zu gewinnen. In Bochum ist deswegen unmittelbar nach den Landtagswahlen die gesamte Stadtratsfraktion aus der Partei ausgetreten. Das sei „der letzte Schritt einer Entwicklung, die sich seit Monaten angebahnt hat“, heißt es in einem Statement. Die Bochumer Mitglieder ständen für einen „moderaten und konservativen Kurs“, der wäre aber „in der Partei immer weniger durchzusetzen“.

Foto oben: Flickr / vfutscher / CC BY-NC 2.0

Weiterlesen

afd-nrw

Landtagswahl NRW AfD verliert den Westen

Der AfD-Vorsitzende Tino Chrupalla spricht schon von einer nötigen „Initiative West“: In NRW hat die AfD nur noch knapp den…

Von|
Eine Plattform der