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Aiwanger Erinnerungsabwehr als Erfolgsrezept

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Ob Hubert Aiwanger nun stolz ist? Bayerns stellvertretender Ministerpräsident hat bewiesen, dass Antisemitismus in Deutschland hoffähig geblieben ist. Er ist längst kein Grund für einen Rücktritt. Aktivist*innen und nicht zuletzt viele Jüdinnen*Juden haben das über viele Jahre lang gewusst oder mindestens schon vermutet. Aber Aiwanger hat es in weniger als einer Woche geschafft, diese Befürchtungen glasklar zu beweisen. Jens-Christian Wagner, Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, spricht auf X, früher Twitter, von einem „erinnerungskulturellen Klimawandel”.

Denn der Firnis der Zivilisation ist tatsächlich genauso dünn, wie gerne behauptet wird. Zwischendurch kann man das vergessen, angesichts des offiziellen Deutschlands, das sich gerne als „Erinnerungsweltmeister“ inszeniert. Bisher war es mehr oder weniger selbstverständlich, dass nur solche Personen, die sich glaubhaft von Antisemitismus distanzieren, öffentliche Ämter ausüben dürfen, dass eine rechtsextreme Vergangenheit mindestens aufgearbeitet werden muss. Der Fall Hubert Aiwanger hat das nicht nur geändert. Sein Nicht-Umgang mit dem Skandal gibt denen Aufwind, die sich entweder immer schon am liebsten antisemitisch geäußert hätten, oder die schon seit Jahrzehnten den sogenannten „Schlussstrich“ ziehen und die NS-Vergangenheit Deutschlands vergessen wollen.

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Bei derart schweren Anschuldigungen wie denen gegen den stellvertretenden Ministerpräsidenten auf Klärung zu pochen ist nicht mehr nötig. Aiwanger, von dem ehemalige Mitschüler*innen und Lehrer*innen gegenüber der Süddeutschen Zeitung sagen, er sei zu Schulzeiten rechtsextrem gewesen, hatte abgestritten, das Flugblatt verfasst zu haben. Kurz danach hatte sein Bruder, ein Waffenhändler, verkündet, er sei der wahre Autor. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) wollte von seinem Stellvertreter schließlich 25 Fragen zum Vorfall beantwortet haben.

An das meiste kann sich der Wirtschaftsminister leider nicht erinnern. Der Bruder aber schon, auf die erste Frage (Wieso waren die Flugblätter in Ihrer Schultasche? Was wollten Sie damit, wieso haben Sie die Flugblätter nicht sofort vernichtet/weggeworfen?) antwortet der Minister: „Mir ist dieser Vorgang im Detail nicht in Erinnerung. Laut Aussagen meines Bruders glaubt er, dass ich die Flugblätter eingesammelt habe, um zu deeskalieren.“ Auf andere Fragen heißt es: „Ich war an der Erstellung des Flugblattes nicht beteiligt. Die weiteren Fragen kann ich nicht beantworten.“ Aber trotz Erinnerungslücken ist sich der Minister sicher: „Der Vorfall war ein einschneidendes Erlebnis für mich. Er hat wichtige gedankliche Prozesse angestoßen.“ Aiwanger gegenüber der Welt: „Aber auf alle Fälle, ich sag: seit dem Erwachsenenalter, die letzten Jahrzehnte: kein Antisemit, kein Extremist, sondern ein Menschenfreund.“ Eine tatsächliche Auseinandersetzung oder Distanzierung sieht anders aus.

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Für Markus Söder reicht es trotzdem. Hubert Aiwanger darf sein Amt behalten. Vorher hatten jüdische Organisationen gewarnt und Aufklärung gefordert. Dazu ist es nicht gekommen. Aber dafür sollen Jüdinnen*Juden jetzt die Scherben aufsammeln. Denn Söder gibt seinem Stellvertreter mit, zur Aufarbeitung und zum Beleg für seine Reue Gespräche mit jüdischen Gemeinde zu suchen. Aiwanger solle „daran arbeitet, verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen“, sagte Söder. Auch dabei macht der Freie-Wähler-Chef keine gute Figur. Die Vorwürfe ignoriert er weiter. Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München, hatte die angebliche Entschuldigung Aiwangers abgelehnt: „Ich habe ihm meine Meinung zu ihm, zu seiner Person ganz klar erklärt. Ich habe die Entschuldigung nicht angenommen“, sagte sie dem Deutschlandfunk.  Immerhin will Aiwanger sich jetzt mit Josef Schuster, dem Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, treffen.

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Doch die Flugblatt-Affäre sagt nicht nur viel über den bayrischen Minister und die Staatsregierung aus. Dass der autoritäre Charakter, den das postnationalsozialistische Deutschland angeblich abgelegt hatte, nie wirklich weg war, ist keine große Überraschung, dass Antisemitismus und Schuldabwehr in nur wenigen Tagen dermaßen normalisiert werden, schon eher. All das ist auch ein Ergebnis der Angriffe auf die Erinnerungskultur, die schon seit Jahren anhalten und die von verschiedenen Seiten ausgehen.

So wundert es nicht, wenn ein Aiwanger-Fan keine Probleme damit hat, vor der Kamera zu erzählen, dass es bei der ganzen Affäre nur um einen Angriff auf Aiwanger handele, und jeder mit 15, 16 einen „Hitler gemacht und gespielt” habe.

Mit der Unterstützung ist der Mann nicht alleine. Die Umfragewerte von Aiwangers Partei, den Freien Wählern, steigen. Vier Prozentpunkte konnte die Partei seit der letzten Umfrage dazugewinnen. Und auch Markus Söder bekommt eher Lob statt Kritik. CDU-Chef Friedrich Merz attestierte dem bayrischen Ministerpräsidenten, das Problem „bravourös gelöst“ zu haben. 58 Prozent der Deutschen finden Söders Entscheidung, an Aiwanger festzuhalten, richtig. Schuldabwehr bringt wahrscheinlich nicht nur in Bayern Wählerstimmen.

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Das Nachsehen in der Affäre haben vor allem Jüdinnen*Juden. Charlotte Knobloch, lehnte zwar Aiwangers Entschuldigung ab, akzeptierte aber Söders Entscheidung. Eine Entlassung hätte dem Wirtschaftsminister bei den anstehenden Landtagswahlen nützen können, „Und das wäre die noch größere Katastrophe gewesen“, so Knobloch. Auch Zentralratspräsident Schuster stellt sich hinter Söders Entscheidung und sagt im Interview mit der NZZ: „Er hatte wohl die Sorge, dass eine Entlassung aus ihm einen Märtyrer machen würde und den Freien Wählern starke Stimmenzuwächse bescheren könnte“, die steigenden Umfragewerte der Freien Wähler nennt Schuster erschreckend.

Schusters und Knoblochs Reaktion und die von Felix Klein, dem Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung, der Aiwanger nahegelegt hatte, eine Gedenkstätte zu besuchen, sind auch Zeichen für den hilflosen Umgang von Demokrat*innen mit der Dreistigkeit, mit der Aiwanger und seine Fans die Vergangenheit ignorieren. Er bleibt stellvertretender Ministerpräsident und Wirtschaftsminister in Bayern und damit ein mächtiger Politiker im Land, zu dem der Kontakt nicht abbrechen kann.

Die KZ-Gedenkstätte Dachau hat einen Besuch von Aiwanger klar abgelehnt: „Von öffentlichkeitswirksamen politischen Besuchen im Vorfeld der bayrischen Landtagswahl möchte die KZ-Gedenkstätte Dachau absehen“. Jens-Christian Wagner, Leiter der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora fand ebenfalls deutliche Worte: „Mit dem Vorschlag, Aiwanger solle nun mit den jüdischen Gemeinden sprechen und eine KZ-Gedenkstätte besuchen, wird das Problem auf diejenigen abgewälzt, die für die Erinnerungskultur einstehen“, sagte Wagner der taz. Statt sich damit auseinandersetzen, warum Aiwanger „mit Schuldumkehr, der Beschimpfung seiner Kritiker und einer Jetzt-erst-recht-Haltung durchkommt und in Bierzelten dafür gefeiert wird, sollen die Gedenkstätten und jüdische Gemeinden die erinnerungskulturellen Scherben zusammenkehren, die Aiwanger und Söder hinterlassen haben“, so Wagner weiter.

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