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Aktionstag gegen Hasskriminalität Wie Vielfalt in Kinderbüchern auf TikTok Hass auslöst

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Britta Kiwit betreibt auf TikTok „avalino.diversity” und stellt Bücher für mehr Vielfalt im Kinderzimmer vor. (Quelle: privat)

Pünktlich zum  Aktionstag gegen Hasskriminalität am 22. Juli 2021 spricht sie mit uns über ihre Erfahrungen und Hate Speech auf TikTok.

Belltower.News: Hallo Britta, seit Januar gibt es den TikTok-Kanal Avalino.diversity – was hat es damit auf sich?
Britta Kiwit: Angefangen habe ich damit, bei TikTok Kinderbücher vorzustellen, die nicht nur klassische weiße Familien mit Mama und Papa abbilden, sondern viele unterschiedliche Familienkonstellationen. Kinder kommen vorurteilsfrei zur Welt und es liegt an uns Erwachsenen, Kindern die Welt so abzubilden, wie sie ist, damit Stereotype und Normen möglichst gar nicht erst entstehen. Mit der Zeit kamen dann immer mehr humorvolle Rollenspiele hinzu, in denen ich auf gesellschaftskritische Themen hinweise.

Was begeistert dich an so kurzen Videoformaten, wie TikTok sie bietet?
Die Schnelllebigkeit, der Mix aus Quatsch und echtem Mehrwert, die Dynamiken. Und als Creatorin vor allem die steile Lernkurve und auch der Support, den man bekommt. Ich bin in ein Programm aufgenommen worden und bekomme regelmäßig Hilfestellung.

Wer ist deine Zielgruppe?
Zunächst dachte ich vor allem Eltern, weil ich viele Kinderbücher vorgestellt habe. Aber mit der Zeit schrieben immer mehr User:innen: „Ich bin zwar erst 14, aber feiere deine Videos total” oder „Nur durch deine Buchvorstellungen will ich plötzlich Kinder haben”. Es gibt also auch ganz viele aufgeschlossene Jugendliche unter 18, die mir schreiben. Hinzu gesellten sich auch immer mehr (angehende) Erzieher:innen und Lehrer:innen. Also ein wildes Potpourri.

Heute ist der Tag gegen Hasskriminalität. Hast du selbst Hate Speech auf TikTok erlebt?
Oh ja. Und zwar relativ direkt am Anfang und nicht nur einmal. Und das Schlimme war: Ich war darauf überhaupt nicht vorbereitet. Wer rechnet denn mit so viel Hass, wenn man Kinderbücher für mehr Vielfalt vorstellt?

Die schlimmste Entwicklung war bei einem Video, in dem ich bis drei Uhr morgens auf der Couch saß und nicht verstand, was da gerade passierte. Bis zu 800 Kommentare prasselten pro Stunde rein, bis ich mich am nächsten Tag entschied, die Kommentare bei diesem einen Video zu deaktivieren, weil ich einfach nicht mehr konnte.

Gibt es auch crossmediale Effekte aufgrund deiner TikTok-Videos?
Ja und zwar weil ich die Nachrichtenfunktion bei TikTok eingeschränkt habe. Das heißt man kann mir nur schreiben, wenn wir befreundet sind. Bei Instagram ist das allerdings anders und so schwappten die TikTok-User:innen alle rüber zu Instagram und fingen an, mich da in den Nachrichten zu beleidigen. Mir hat jemand gewünscht, dass mir beide Beine und Arme abgehackt werden, damit ich nichts mehr schreiben kann. Was über meine Tochter geschrieben wurde, kann ich gar nicht wiederholen, weil es mich zu stark aufwühlt.

Was  gibst du Betroffenen von Hate Speech auf TikTok mit auf den Weg?
Dein Kanal – deine Regeln. Das ist vermutlich das Wichtigste. Wie man mit Hate Speech persönlich umgeht, ist extrem individuell. Manche haben ein dickes Fell und alles perlt an ihnen ab. Andere wie ich müssen Tools und Methoden für sich persönlich definieren, die einen schützen, damit man nicht zu stark leidet.

Genau das habe ich dann auch gemacht: Ich unterteile in Trolle (die nur da sind, um ein bisschen rumzustänkern in den Kommentaren) und Hate-Follower (die ganz bewusst gezielt ALLE Videos von mir kommentieren und auch andere User:innen sehr verletzen). Bei Letzterem habe ich mittlerweile eine Nulltoleranz-Einstellung und blockiere die Personen unmittelbar. Je weniger du reagierst und ihnen gibst, was sie möchten (und zwar, dass du dich provoziert fühlst und antwortest), desto weniger Spaß macht es ihnen mit der Zeit. Auch Melden und Anzeigen der Hate-Follower:innen sind wichtige Optionen!

Wie geht deine Community damit um, wenn du zur Zielscheibe von Hater*innen wirst?
Die Community ist der einzige Grund, warum ich überhaupt die Kraft habe, noch weiter zu machen. Die Dynamiken treiben mir teilweise Tränen in die Augen, weil ich mich so beschützt fühle von manchen User:innen. Das finde ich übrigens extrem krass bei TikTok: Oft muss ich mich gar nicht richtig einmischen, weil so viele einspringen und so wichtige Meinungen vertreten. Ich finde das unglaublich und bin darüber extrem dankbar.

Gibt es etwas, wo du die Plattform in der Pflicht siehst?
Es werden definitiv Grenzen überschritten. Ich verstehe absolut, dass TikTok überfordernd, verletzend und diskriminierend sein kann. Es hat einen extremen Suchtfaktor und man kann stundenlang nichts anderes tun, als zu scrollen bis ins Unendliche. In der Pflicht sehe ich sie beim schnellen Reagieren und Sperren von Fake- und Hass-Accounts.

Ganz konkret finde ich den Umgang mit der Stitch-Funktion extrem toxisch und gefährlich. Ich persönlich habe sie sogar immer ausgestellt und habe sie fast noch nie in einem positiven Zusammenhang verwendet gesehen, sondern immer nur hetzend, Stimmung machend oder aus dem Kontext gerissen, um jemanden zu beleidigen.

Aktuell versuchst du dich ja auch über Bücherempfehlungen hinaus mit kurzen Sketchen zu Antidiskriminierung. Wie wird das aufgenommen?
Das wird großartig aufgenommen, allerdings natürlich auch polarisierend. Ich zwinge Menschen aus ihrer Komfortzone und es bedarf Umdenken, um Diskriminierung im Kern zu verstehen – und das beginnt nun mal oft bei der Selbstreflexion, weshalb sich viele Menschen auf den Schlips getreten fühlen. Bei dem Themenspektrum, das ich abdecke, geht es also oft eher wild zu. Aber das ist auch in Ordnung und ich habe für mich persönlich entschlossen: Wenn es die Menschen SO aufregt, dann war es offensichtlich gut, den Diskurs anzuregen. Das ist mein neuer Ansatz, etwas positives in Hate Speech zu sehen.

Was hast du für die Zukunft geplant?
Das weiß ich tatsächlich noch nicht. Mein Wunsch ist es, dieser Welt etwas zurückzugeben, und momentan fühlt es sich einfach unheimlich gut an, eine kleine persönliche Mission zu verfolgen und Rassismus, Diskriminierung und Stereotypisierung direkt im Kinderzimmer – und aber auch in den Köpfen vieler Erwachsenen – entgegenzuwirken. Derzeit arbeite ich an einem kleinen ersten Produkt, das man bald kaufen kann, sichte fleißig weiter Bücher und arbeite an einem Blog und einer Bücherliste. Vielleicht sieht das in drei Monaten aber schon wieder ganz anders aus.

Zum Abschluss: Magst du uns deine drei Lieblingskinderbücher verraten?
Von wegen Bienchen und Blümchen” – Ein Buch zum Thema Aufklärung, Gefühle und Körperwissen. „Komm, wir zeigen dir unsere Kita” – ein Wimmelbuch mit vielen Illustrationen für mehr Vielfalt und Inklusion. „Sulwe” – Ein Buch über zwei Schwestern und die Schönheit der Schwarzen Haut.

Noch mehr Infos zu Ava-Lino und Brittas Arbeit finden Sie hier.

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