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Antisemitismus in BRD und DDR Der Nicht-Beitrag der deutschen Geschichtswissenschaft zur Erinnerung

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Jeffrey Herf am 14.01.2020 in Berlin auf dem Workshop im Centrum Judaicum der Amadeu Antonio Stiftung (Quelle: Amadeu Antonio Stiftung)

Was in den gängigen Betrachtungen zur DDR oft nur Randthema ist oder gar keine Erwähnung findet, ist das Verhältnis zur Shoa, zu den jüdischen Bürger*innen sowie zum Staat Israel. Selbst die Expertisen der nach der Wiedervereinigung eingesetzten Enquete-Kommissionen (1,2) zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte behandeln diese Themen nicht. Auch in der Gedenkstättenarbeit, der Geschichtswissenschaft und Publizistik fanden diese Themen lange Zeit vornehmlich instrumentellen Ausdruck: Entweder werden “die Deutschen” zu Opfern zweier totalitärer Regime stilisiert, oder “die Ostdeutschen” als geläuterte Antifaschist*innen dargestellt. Was beiden Ansätzen gemeinsam ist, ist der Versuch von Schuldabwehr.

Die Geschichtswissenschaft ist an dieser Stelle mittlerweile etwas weiter. Seit einigen Jahren werden vermehrt Studien zur DDR-Erinnerungspolitik und DDR-Aufarbeitung vor dem Hintergrund von Antisemitismus und Nationalsozialismus sowie zur Schuldabwehr in den drei Nachfolgestaaten des NS veröffentlicht. Doch der Verdienst ist kein vorrangig deutscher.

Das 2019 auf deutsch erschienene Buch “Unerklärte Kriege gegen Israel” des US-amerikanischen Historikers Jeffrey Herf  untersucht die Verbindungen von SED, PLO und der westdeutschen radikalen Linken insbesondere zwischen 1967 und 1989. Der Historiker forscht bereits sein ganzes Leben lang über verschiedene Gesichter des Antisemitismus.

Bereits 1997 veröffentlichte Herf sein erstes Buch zum Thema NS-Bewältigung in den beiden deutschen Nachfolgestaaten – “Divided memory”, zweierlei Erinnerung. Anja Thiele, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) Jena würdigte es in ihrem Vortrag am Dienstag als Standardwerk der DDR- und Antisemitismusforschung, an dem man kaum vorbei käme. Auch der Historiker Matthias Küntzel hob Herfs akribische Quellenarbeit und deren Wert für die Untersuchung des Antisemitismus über seine verschiedenen Ausprägungen hinweg hervor.

“Wenn wir diese Bücher nicht geschrieben hätten, wären sie nicht geschrieben worden”

Für Herf selbst stellt es keinen Zufall dar, dass es einen amerikanisch-jüdischen Historiker brauchte, um die Debatte anzustoßen. In seinem einleitenden Tagungsbeitrag verweist er auf die lange Geschichte des Schweigens über die Shoah in der deutschen Geschichtswissenschaft und die daraus zwangsweise entstehende Aufgabe der jüdischen Historiker*innen: “Wenn wir diese Bücher nicht geschrieben hätten, wären sie nicht geschrieben worden”.

Es liegt etwas Bitteres in dieser Bemerkung, da sie auf die Leerstelle verweist, die durch die Shoa in das jüdische Leben in Deutschland und Europa gerissen wurde. Auch der Widerstände innerhalb deutschen Intelligenzia gegen die Aufarbeitung des Nationalsozialismus wird man dadurch gewahr. Statt zu Antisemitismus zu forschen, hätten deutsche Historiker*innen mehrbändige Editionen zur Vertreibung der Deutschen aus Osteuropa publiziert und so den “Grundstein für eine Erinnerungsabwehrgemeinschaft gelegt, die bis heute einen deutschen Opfermythos prägt”, bemerkt Samuel Salzborn in einem Beitrag. Auch seien viele deutsche Historiker*innen der Nachkriegszeit während des Nationalsozialismus an der Legitimierung jener Politik beteiligt gewesen. Daher habe es bis in die 1990er-Jahre hinein vor allem Arbeiten zum Faschismus gegeben. Die Spezifika der deutschen Geschichte seien tabuisiert gewesen, so Salzborn.

Antisemitismus als Lackmustest für Demokratien?

Anetta Kahane, die sich mit der Amadeu Antonio Stiftung seit Jahren gegen Antisemitismus engagiert, sieht in der gesellschaftlichen wie politischen Auseinandersetzung mit Antisemitismus – damals wie heute – einen Lackmustest “für alles, was demokratisch ist”. Kahane bemängelt, das es nach der Wiedervereinigung auch im Westen überhaupt keine Bereitschaft gab sich “noch einmal” mit dem dem Thema Nationalsozialismus auseinanderzusetzen. Dies wirke bis in die Gegenwart. “Das Problem ist auch, das wir damals wie heute in Ostdeutschland eine unglaubliche Naivität in dem Umgang mit Antisemitismus vorfinden: Er war damals sehr verdeckt und sehr verklausuliert, aber er war und ist immer da gewesen: er war sozusagen küchentischtauglich.” so Kahane über ihre eigenen Erfahrungen mit Antisemitismus in der DDR.

Präzise zeichnet Herf nach, wie jüdische Intellektuelle in der DDR, nachdem sie nach 1945 eher der Linken zugetan waren, auch durch diese enttäuscht wurden. Der offizielle DDR-Staatsantifaschismus hatte für jüdische Opfer nur wenig Interesse. Mitglieder des Politbüros, die sich wie Paul Merker für Entschädigung einsetzen, wurden unter antisemitisch konnotierten Begründungen aus der Partei geworfen.

Auch für die westdeutsche Linke war die Auseinandersetzung mit dem eigenen Antisemitismus kein zentrales Thema, da er zu den Kategorien des orthodoxen Marxismus quer stand. Die DDR, selbst war zwar den politischen Doktrinen des Warschauer Pakts und damit letztendlich den Entscheidungen des Politbüros in Moskau unterstellt, entwickelte dennoch einen ungeahnten Eifer in der Unterstützung anti-israelischer Kräfte. So legt Herf anschaulich dar, wie die DDR Führung sowohl durch Waffenlieferungen als auch durch finanzielle Beihilfe die arabischen Staaten unterstützte. “Die DDR war das Land des Warschauer Paktes, das mit dem größten Enthusiasmus auf den Versuch der Sowjetunion, Israel zu zerstören, reagierte: it punched way above its weight.” Neben der Führung in Moskau selbst war die DDR innerhalb des Warschauer Paktes der Staat, der sich besonders arbeitsfreudig im Kampf gegen Israel zeigte. Eigentlich ein Widerspruch zur Selbstdarstellung als antiimperialistischer “Friedensstaat” und dennoch war “für die DDR die Feindschaft zu Israel sowohl Ausdruck der eigenen Ideologie als auch wichtiges Mittel zur außenpolitischen Behauptung.” resümiert Herf.

“In 15 oder 20 Jahren möchte ich, dass solche Bücher von deutschen Historikern geschrieben werden.”

Herf ist ein ungemütlicher Geist, mit empirischem Detail zerstört er scheinbar gegebene Selbstverständlichkeiten, so kritisierte er neben der konservativen und linken Erzählung auch immer wieder die Geschichtswissenschaft. Diese habe zwar wertvolle Erkenntnisse über die Zeit zwischen 1933 und 1945 erbracht, jedoch mangele es ihr an einer Einbettung des Judenhasses in die kulturellen Traditionen Europas. Diese fehlende Aufklärung trage zum Fortleben des Antisemitismus bei: “Die Existenz des Staates Israel rührt an den tiefsten kulturellen Traditionen des Westens, die seit Jahrhunderten Jüdinnen und Juden als gefährliche Mörder darstellen. Als erstes als Jesusmörder und dann als die Mörder christlicher Kinder.[…] Dieses Mal richtet sich der Hass gegen Juden und Jüdinnen die es wagen, sich selbst zu verteidigen” – Antisemitismus und Antizionismus speisen sich aus derselben Quelle.

Am Ende des Fach-Symposiums sprach Herf seine Hoffnung aus, dass in 20 Jahren Antisemitismus auch von deutschen Historiker*innen selbstverständlich als zentrale, integrierende Ideologie untersucht wird und kein Randphänomen in der historischen Forschung darstellt. Des weiteren forderte er, die verschiedenen Gesichter des Antisemitismus in ihrer historischen Kontinuität und Spezifität zu betrachten: „Wenn man Frieden will, braucht es Gerechtigkeit und Ehrlichkeit, deshalb kann es keine Gegenwart geben ohne die Vergangenheit zu reflektieren.”

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