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Broschüre „Eine Waffe im Informationskrieg“ Worauf zielt Desinformation im Krieg?

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Antikolonial eingefärbte Propaganda für Kinder in Afrika: Der mächtige russische Bär kommt aus dem kalten Norden, um dem afrikanischen Löwen im Kampf gegen französische Hyänen zu helfen. (Quelle: Amadeu Antonio Stiftung)

Seit Beginn seiner ersten Amtszeit als Präsident der Russischen Föderation finden wellenartig Einschränkungen der Presse- und Meinungsfreiheit statt. Putin war erst ein Jahr im Amt, als unabhängige Journalist*innen auf Veranlassung des Kreml den regierungskritischen Sender NTV verlassen mussten und der Sender seine bis heute andauernde regierungstreue Position einnahm. Die Gleichschaltung der russischen Medien zog sich mit dem Gesetz über „ausländische Agenten“ von 2012 und mit der Abschaltung des regierungskritischen Fernsehsenders Doschd (TV Rain) fort, nachdem dieser 2014 über den Maidan in Kyiv berichtet hatte.

„Russischer Standpunkt auf internationale Ereignisse“

Der Sender Russia Today (heute: RT) ist nach Auskunft seiner Chefredakteurin Margarita Simonjan eine „Soft Power im Informationskrieg“. Er sei eine Alternative zum Mainstream und wolle einen „russischen
Standpunkt auf internationale Ereignisse“ vermitteln. Spätestens seit der Gründung dieses Senders im Jahr 2005 erstreckt sich das Interesse des Kreml, das Informationsfeld zu bestimmen, auch auf das Ausland.

Einen weltweiten Skandal im Zusammenhang mit kremlnaher Desinformation gab es anlässlich der US-Präsidentschaftswahlen 2016. Die Berichterstattung über die beiden Kandidat*innen Hillary Clinton und Donald Trump wurde durch Internettrolle manipuliert – also entweder durch mit künstlicher Intelligenz maschinell gefüllte Fake-Profile oder durch „Clickworker“, Menschen, die in sozialen Netzwerken gegen Geld auf Weisung posten und kommentieren.

Desinformationen verstärken konfliktreiche Themen

Auch in Deutschland taucht kremlnahe Desinformation schon seit Jahren in verschiedenen Verfassungsschutzberichten auf. Oft hat Desinformation gar keine eigene inhaltliche Agenda, sondern verstärkt konfliktreiche Themen, die in der Gesellschaft kontrovers diskutiert werden, in eine bestimmte, für sie günstige Richtung. So hat der deutschsprachige Sender RT DE in den ersten beiden Jahren der Corona-Pandemie in Deutschland sehr viel Desinformation zu den Gefahren von Impfungen verbreitet, während RT in Russland und auf Russisch massiv für Impfungen gegen das Corona-Virus warb.

Das Impfen oder die Wahl Donald Trumps ist für die russische Propaganda also kein ideologisch aufgeladenes Thema, sondern ein Mittel, um Gesellschaften – im einen Fall die deutsche, im anderen die US-amerikanische – politisch zu destabilisieren.

Genauso wie die Themen der Propaganda sich den Gegebenheiten anpassen, variiert auch ihre Form je nach Medium (Fernsehen, Zeitungen, soziale Netzwerke und andere) und nach Sprache. Das russische Staatsfernsehen ist ein treibender Motor von Propaganda und Desinformation, aber es ist nicht deren alleiniger Träger. Kremlnahe Desinformation finden wir weltweit. Zwar darf RT in der EU nicht mehr senden (und macht es, worauf wir noch zu sprechen kommen werden, trotzdem). Auf Spanisch, Arabisch und Französisch bringt der Sender aber weiterhin seine Inhalte in südamerikanische, asiatische und afrikanische Länder – und über Satellit und das Internet kommen diese wiederum nach Deutschland. Auch ohne RT DE kommt also russische Propaganda nach Deutschland, in die deutschsprachigen Medien und auf Social-Media-Kanäle (s. Kapitel 5).

Verschiedene Propaganda-Ziele in In- und Ausland

Seit Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 hat die kremlnahe Desinformation massiv an Umfang und Intensität zugenommen. Auch bezüglich des Krieges verfolgt sie innerhalb und außerhalb Russlands unterschiedliche Ziele. Nach innen verherrlicht die Propagandamaschine die Macht und Stärke des Landes und seines Präsidenten. Sie lobpreist die glorreiche Geschichte und Gegenwart und die erfolgversprechende Zukunft Russlands und delegiert die Schuld für innenpolitische Probleme an den äußeren Feind: den „kollektiven Westen“, die „Angelsachsen“, die USA.

In Ländern außerhalb Russlands hat die Propaganda einerseits das Ziel, zu destabilisieren und Kräfte an den sogenannten politischen Rändern zu stärken. Andererseits zielt sie darauf, Verbündete für die eigene Sache zu finden.

Dabei ist es nicht immer einfach, intendierte, also vom Propagandaapparat in Auftrag gegebene, Desinformation von prorussischen und antiamerikanischen Verschwörungsideologien zu unterscheiden, die aus eigener Überzeugung geteilt werden. Akteur*innen, die kremlnahe, verschwörungsideologische
Narrative verbreiten, tun dies aus verschiedenen, nicht nur monetären Gründen. Verschwörungsideologien und Falschmeldungen werden wiederum von vielen Menschen geglaubt, weil sie das Weltbild bestätigen,
das diese Menschen ohnehin schon haben.

Zielgruppen russischer Propaganda in Deutschland

Russische Propaganda in Deutschland zielt zunächst auf Bevölkerungsgruppen, die dafür besonders empfänglich sind. Das ist einerseits eine heterogene russischsprachige Bevölkerung, vor allem postsowjetische Migrant*innen, die in Deutschland mit rund 3,5 Millionen Menschen immerhin die größte
Zuwanderungsgruppe darstellen.

Darunter fallen vor allem Russlanddeutsche, jüdische Kontingentflüchtlinge, Russ*innen, die in Deutschland leben, studieren und arbeiten, aber auch Migrant*innen aus ehemaligen Sowjetrepubliken, deren Muttersprache zwar nicht Russisch ist, die aber Russisch verstehen und sprechen. Im Februar 2022, noch vor Kriegsbeginn, veröffentlichte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) eine Studie, die zumindest für die Gruppe der Spätaussiedler*innen zeigt, dass lediglich ein Viertel von ihnen den Medien ihres Herkunftslandes vertrauen. Einige von ihnen werden folglich als aktive Verbreiter*innen von russischer Desinformation sichtbar, nicht nur in sozialen Netzwerken und in ihrem privaten und beruflichen Umfeld, sondern mittlerweile auch auf Kundgebungen und Demonstrationen wie den schon erwähnten Autokorsos oder als Teilnehmer*innen der prorussischen Proteste im „heißen Herbst“ 2022.

Russischsprachige Menschen in Deutschland sind dennoch eine sozial vielschichtige Gruppe, die qua Internet mit Freund*innen und Familien in vielen Ländern verbunden und politisch und ideologisch nicht einheitlich ist. Manche verbringen jede freie Minute damit, Geflüchtete aus der Ukraine zu unterstützen und gegen den Krieg und Putins Regime zu protestieren; für andere ist die verschwörungsideologische Staatsdoktrin aus dem russischen Fernsehen ein fester Bestandteil ihrer Identität.

Kremlnahe Desinformation in deutscher Sprache verfängt vor allem bei gesellschaftlichen Gruppen, die antimodernen und antiliberalen Gesellschaftsentwürfen anhängen und für Emanzipation und gesellschaftspolitische Aushandlungen wenig übrighaben.

Die Krisen der vergangenen Jahre haben viele Themen hervorgebracht, die ohnehin für gesellschaftliche Konflikte sorgen: Pandemie, Krieg, steigende Energiepreise. Zielgerichtet gestreute Desinformation verstärkt diese Spannungen – durch Falschmeldungen, verzerrende Darstellungen und Verschwörungsideologien. Im nachfolgenden Kapitel betrachten wir, mit welchen Narrativen kremlnahe Propaganda arbeitet und was sie damit erreichen will.

 

Die Publikation

Weitere Teile der Broschüre „Eine Waffe im Informationskrieg“ – Demokratiefeindliche Narrative in Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine der Amadeu Antonio Stiftung erscheinen in den nächsten Tagen.

Aus dem Inhaltsverzeichnis:

1. Einleitung
2. Worauf zielt Desinformation?
3. Narrative 
3.1 Was steht hinter Krieg und Propaganda?
3.2 Russische Propaganda: Zwischen Desinformationskampagne und Verschwörungsideologie
3.3 Feindbild Ukraine
3.
4 Der Westen als Feind
4. Grenzüberschreitende Desinformationskanäle auf Russisch
4.1 Russische Propaganda als deutsches Problem
4.2 Quellen der Desinformation in Russland
5. Wie wird in Deutschland kremlnahe Desinformation verbreitet?
5.1 „Alternative Medien“
5.2 Social Media
5.3 Putin-Freund*innen in der Politik
6. Handlungsempfehlungen
6.1 Strategische Überlegungen zum Umgang mit
kremlnaher Propaganda und Desinformation
6.2 Handlungsempfehlungen

Die Broschüre als PDF zum Download finden Sie hier:

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