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Colorado Springs Fünf Tote nach queerfeindlichem Anschlag

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Vor dem Club Q in Colorado Springs trauern Menschen um die fünf Ermordeten
(Quelle: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Christian Murdock)

„Jedes Mal. Jedes verdammte Mal, dass ich auch nur den leisesten Gedanken habe, Club Q zu verlassen, kommt jemand auf mich zu und sagt: ‚Du bist der Grund, wieso ich diese Bar liebe‘, oder ‚Du und Derrick sorgt dafür, dass ich mich hier sicher und willkommen fühle‘.“ Diese Worte schrieb Daniel Aston, ein Barkeeper des „Club Q“ im Januar 2022 auf Twitter. Am 20. November 2022 wurde Aston erschossen, genau wie Derrick, der mit Nachnamen Rump heißt und einer der Besitzer*innen der Bar war.Queere Orte sind eigentlich Orte der Sicherheit: an denen die Besucher*innen sich eine kurze Auszeit nehmen können von einer Gesellschaft, in der sie immer noch als Außenseiter*innen markiert sind, wo eine Frau ihre Partnerin küssen kann, ohne lesbenfeindliche Sprüche fürchten zu müssen, wo nichtbinäre Menschen wissen, dass niemand sie mit übergriffigen Fragen ob ihres „eigentlichen“ Geschlechts belästigt, wo schwule Männer nicht wegen ihrer Sexualität Opfer von Gewalt werden.

Doch wenn es nach LGBTQ-FeindInnen geht, sollten sich queere Menschen und deren Freund*innen und Verbündete nicht einmal in ihren eigenen Orten sicher fühlen – geschweige denn, in der Öffentlichkeit sichtbar sein. Lebensweisen, die von patriarchalen Familienvorstellungen abweichen, gelten ihnen als „degeneriert“ und verkommen, als Bedrohung für ihre braven unschuldigen Kinder. Sowieso ist die LGBTQ-Bewegung in ihren Augen eine finstere, vom jüdisch konnotierten „Kulturmarxismus“ gesteuerte Agenda mit dem Ziel, die patriarchale Vorherrschaft unwiderbringlich zu ersetzen durch eine freie Gesellschaft, in der jeder Mensch ohne Zurichtungen und Zwänge über Körper und Sexualität selbst bestimmen kann – und das lehnen sie aus tiefstem Herzen ab. Dass der Anschlag am Trans Day of Rememberance verübt wurde – an dem Opfern transfeindlicher Gewalt gedacht wird – war vermutlich auch kein Zufall.

Von „Groomern“ und der „LGBTQ-Lobby“

Regelmäßig finden im „Club Q” Drag Veranstaltungen statt, für den  20. November. war tagsüber der „All Ages Drag Brunch“ geplant. Drag Performer*innen werden von der in den letzten Jahren zunehmend lauter und militanter auftretenden konservativen bis radikalen Rechten in den USA (und darüber hinaus) immer wieder als Feindbild markiert. Sie würden als Agent*innen der „LGBTQ-Lobby“ Kinder „frühsexualisieren“ und in der naturgegebenen Heterogeschlechtlichkeit und Gender-Binarität verwirren und in die Queerness treiben. Häufig geht diese Behauptung mit dem alteingesessenen schwulenfeindlichen Narrativ der Pädophilie bei Homosexuellen einher. Der inzwischen auch im deutschsprachigen Raum popularisierte und vor allem gegen schwule Männer und trans Personen verwendete Kampfbegriff lautet „Groomer“: Queere Menschen würden leicht zu beeinflussende Kinder und Jugendliche in die queere Szene locken und dort zu sexuellen Handlungen nötigen. Dies liegt in der inhärent queerfeindlichen Annahme verortet, dass homosexuelles Begehren oder Transgeschlechtlichkeit sich automatisch und zwingend in sexualisierter Form artikulieren. Dass eine Drag Queen als professionelle Performerin bei einem „All Ages Drag Brunch“ eher kindgerechte Lieder singen anstatt schmutzige Witze erzählen wird, ist für queerfeindliche Menschen einerseits nicht vorstellbar, andererseits auch egal. Denn es geht ihnen darum, alle Lebensweisen zu bekämpfen, die ihrem Weltbild zuwiderlaufen. Diesen Kampf führen sie auf allen gesellschaftlichen Ebenen: in den Parlamenten, der Kirche, den Medien, im Internet, den eigenen Familien.

Der Facebook-Beitrag des Club Q zum geplanten Event. [Quelle: Screenshot Facebook]

Christlicher Fundamentalismus als Tradition

Colorado ist seit Jahrzehnten Heimat einiger mächtiger evangelikaler Organisationen, deren primäres Betätigungsfeld der Kampf gegen körperliche und sexuelle Selbstbestimmung ist. Aus diesen Reihen wurde bereits 2015 ein Terroranschlag auf die Planned Parenthood-Klinik in Colorado Springs verübt. Auch rechtsextreme Organisationen wie die Proud Boys haben in den letzten Jahren immer wieder queere Veranstaltungen in unterschiedlichen Städten im Bundesstaat Colorado attackiert.

Zu den christlichen Gruppierungen zählt die Organisation „Focus on the Family“, die sich für Konversionstherapie und gegen das Thematisieren queerer Themen in der Öffentlichkeit einsetzt und sehr gute Beziehungen zum ehemaligen Vizepräsidenten Mike Pence unterhält. Eine andere Organisation ist das 1982 gegründete christlich-fundamentalistische „Family Research Institute“ (FRI), mit dem Ziel, „empirische Recherche zu Themen zu generieren, welche die traditionelle Familie bedrohen“. Das FRI arbeite an der Produktion von „gesicherten, wissenschaftlichen Daten bezüglich drängender sozialer Fragen – vor allem Homosexualität – mit dem Ziel, traditionelle Werte zu bewerben. Wir heißen alle willkommen, die uns in einem Kampf um eine Welt beistehen, in der die Ehe hochgehalten und geehrt wird, in der Kinder genährt und geschützt werden, und in der Homosexualität weder gelehrt noch akzeptiert, sondern stattdessen auf allen Ebenen verweigert und abgelehnt wird.“

Auch die Gruppierung „Pray in Jesus Name“ verbreitet Propaganda gegen Homosexuelle, trans Personen und deren Verbündete und behauptet, es gäbe eine brutale und strukturelle Diskriminierung aufrechter christlicher Amerikaner*innen. Der Anführer der Gruppierung, der die Ansicht vertritt Homosexuelle würden etwas „nicht menschliches“ in sich tragen und Kinder missbrauchen, wurde 2014 ins Parlament von Colorado gewählt. Die antifaschistische NGO „Southern Poverty Law Center“ kategorisiert sowohl das „Family Research Institute“, als auch „Pray in Jesus Name“ als Hass-Organisationen ein. Laut der Zeitung The Gazette sind die zahlreichen fundamentalistischen Gruppierungen in Colorado Springs finanziell bestens ausgestattet und haben so die ökonomischen Voraussetzungen, ihre Hasskampagnen zu finanzieren: Die 15 größten Gruppierungen hatten 2019 einen Umsatz von insgesamt fast 2 Milliarden Dollar.

Auch „Pray for Jesus“-Anführer Gordon Klingenschmitt ist als Politiker für die GOP tätig. [Quelle: Screenshot Webseite]

Transfeindlichkeit als Politikum

Es ist also nicht verwunderlich, dass die anti-emanzipatorischen, misogynen und queerfeindlichen Positionen der evangelikalen Rechten einen festen Platz im politischen Programm der Republikanischen Partei in Colorado haben. Politiker*innen der GOP in Colorado Springs haben in den letzten Jahren im Rahmen des Kulturkampfes von rechts zunehmend die LGBTQ-Bewegung als Feindbild markiert. Aktuelle Beispiele – die jedoch keine neue Entwicklung, sondern die Fortführung einer bestehenden Tendenz markieren – sind zum Beispiel die Politiker*nnen Pastor Scott Bottoms, Dave Williams, Eli Bremer und Lauren Boebert. Bottoms vertritt die These, dass Abtreibung, Verhütung oder geschlechtsangleichende Maßnahmen „dämonisch“ seien, möchte das Sprechen über queere Themen in Schulen verbieten und behauptet, Planned Parenthood würde abgetriebene Föten verkaufen. Williams war eine der treibenden Kräfte hinter einer 2020 diskutierten Gesetzgebung, die unter anderem trans Mädchen verbieten sollte, am Mädchenschulsport teilzunehmen oder die Gefängnisstrafe für Ärzt*innen vorsah, die trans Jugendliche bei geschlechtsangleichenden Maßnahmen unterstützten. Eli Bremer hat Transfeindlichkeit zum Kernpunkt seiner Kampagne zur Senatswahl gemacht. Er bedient klassische transmisogyne Narrative von trans Frauen als „Männern, die in Frauenräume eindringen“ und lässt keine Gelegenheit aus, trans Personen zu misgendern. Außerdem warf Bremer einer transgeschlechtlichen Abgeordneten vor, sie würde „Kinder sexualisieren“.

Die aktuell wohl prominenteste queerfeindliche Politikerin in Colorado ist die QAnon-Sympathisantin und MAGA-Vertreterin Lauren Boebert. Boebert, bekannt geworden durch ihre felsenfeste Loyalität zu Donald Trump und ihr inzwischen bankrottes Restaurant mit Schusswaffen-Motto, steht exemplarisch für den Weg der GOP in den offenen Rechtsradikalismus. Einige Beispiele ihrer Ideologie sind: Der Kampf für LGBTQ-Rechte sei eine Bedrohung für die „normale“ US-amerikanische Bevölkerung, trans Menschen würden sich an Kindern vergehen, die Serie „Spongebob“ sei ein Werkzeug queerer Indoktrination.

Ihr Twitter-Thread zu dem Massaker wirkt angesichts ihrer konkreten Politik nicht einmal wie ein höfliches Lippenbekenntnis, sondern viel mehr wie ein von Hohnlachen begleiteter Schlag ins Gesicht.

Der queerfeindliche Kulturkampf von Rechts geht jedoch weit über die GOP von Colorado hinaus. Akteur*innen wie der „theokratische Faschist“ Matt Walsh, FOX News-Hassprediger Tucker Carlson oder die Online-Aktivistin Chaya Raichik verbreiten jeden Tag Desinformation und Propaganda mit dem Ziel, queere Menschen aus der Gesellschaft zu verbannen. Webseiten wie Ben Shapiros „The Daily Wire“ oder „Breitbart“, als auch Imageboards wie 4chan und Troll-Foren wie Kiwi Farms überzeugen tagtäglich Millionen von Menschen davon, dass der Kampf gegen sexuelle und geschlechtliche Vielfalt und Freiheit unverzichtbarer Bestandteil der amerikanischen Identität sein muss.

Raichik betreibt den von 1.5 Millionen Menschen abonnierten Twitter-Account „Libs of TikTok“. Dessen Ziel ist inzwischen nichts anderes als Feindmarkierung: Raichik schreibt über trans(solidarische) Einzelpersonen oder Institutionen, die ihr ein Dorn im Auge sind, und lässt ihre Anhänger*innenschaft den Rest erledigen. Beispielsweise behauptete sie in einem Tweet, ein Kinderkrankenhaus in Boston würde geschlechtsangleichende Operationen an trans Jugendlichen durchführen – wenige Tage später musste das Krankenhaus wegen einer Bombendrohung evakuiert werden. Raichik weiß nicht nur, dass sie im Falle des „Club Q“ mitgeschossen hat, sie scheint sogar stolz darauf zu sein: Keine Stunde nach den ersten Nachrichten über den Anschlag veröffentlichte sie weitere Tweets über Drag Veranstaltungen in Colorado. Auf Twitter nennt sie sich selbst „Stochastische Terroristin“.

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Täter polizeilich bekannt

Der Begriff des „stochastischen Terrorismus“ beschreibt das Phänomen, dass bestimmte äußere Umstände einem terroristischen Anschlag Vorschub leisten. Zwar stürmt nicht jede Person, die „Libs of TikTok“ abonniert hat, potenziell mit einer Maschinenpistole in eine lesbische Buchhandlung, aber es ist wahrscheinlicher, dass jemand aus diesem Umfeld einen queerfeindlichen Anschlag begeht als jemand, der sich nicht jeden Tag darüber echauffiert, dass der Kulturmarxismus unsere Kinder verschwult.

Der fünffache Mörder der Gäste des „Club Q“ war gerade erst 22 Jahre alt und stammt aus einem Umfeld, das ihn in seiner Ideologie bestärkt zu haben scheint. Großvater des Täters ist der republikanische Politiker und Trump-Anhänger Randy Voepel, der den rechtsradikalen Sturm auf das Kapitol im Januar 2021 positiv kommentiert hatte. Die Mutter des Täters selbst schrieb viel in einer Facebook-Gruppe für christliche Mütter und vertritt eine ähnliche politische Auffassung wie ihr Vater Randy. Der Attentäter selbst war auf Social Media weit weniger aktiv als seine Mutter. Sein inzwischen gelöschter Instagram-Account verzeichnet einen einzigen Post: eine brennende Regenbogenfahne.

Der Angreifer, von einer Bekannten als ein Mann mit „aggressiver Seite“ beschrieben, war der Polizei von Colorado bereits bekannt. Im Juni 2021 hatte er seiner eigenen Mutter gedroht, sie mit einer selbst angefertigten Bombe anzugreifen. Trotzdem wurde der Täter nicht festgenommen und konnte legal eine Schusswaffe erwerben. Linke Aktivist*innen äußern sich auf Social Media kritisch gegenüber der Polizei: Statt weitere Nachforschungen über den späteren queerfeindlichen Terroristen anzustellen, hätte das Polizeidepartement von Colorado Springs seine Ressourcen eher in die Repression progressiver Gruppierungen investiert. Es waren auch nicht Polizeibeamt*innen, die den Täter schließlich aufhalten konnten, sondern Gäste des „Club Q“. Es scheint, dass auch im Jahr 2022 die queere Community in den USA nach wie vor primär auf sich selbst gestellt ist.

Dieser Beitrag wurde verfasst in Trauer und Solidarität mit den Opfern des Anschlags, ihren Angehörigen und der queeren Szene in Colorado. Die Namen der Opfer lauten: Daniel Davis Ashton, Raymond Green, Kelly Loving, Ashley Paugh und Derrick Wayne Rump. Ein Spendenaufruf zur Unterstützung der Betroffenen findet sich hier.

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