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Debate // DeHate „Digital Streetwork“ – Wie online pädagogisch agieren?

In der sozialen Arbeit gehört Streetwork dazu: Das Aufsuchen von Jugendlichen, die Hilfe brauchen, sie sich aber nicht suchen würden. Online befinden sich auch viele Jugendliche mit Fragen in wenig hilfreichen Umfeldern. Wie kann „Digital Streetwork“ da helfen?

 
Powerpoint: "No Hate", daneben Plakat "Menschenwürde online verteidigen"
Aus einem Workshop des Projekts "Debate // De:Hate". (Quelle: BTN)

Straßensozialarbeit oder offen Jugendarbeit bietet Jugendlichen ein offenes Ohr bei Fragen und Problemen. Auch online suchen viele Jugendliche nach Antworten, Lebensentwürfen und Welterklärungen. Warum also nicht dort professionell mit Jugendlichen Arbeiten, Hilfe anbieten, Orientierung ermöglichen? Das Projekt „Debate“ der Amadeu Antonio Stiftung hat in mehreren Projektphasen Konzepte erprobt, wie „Digital Streetwork“ aussehen und gelingen kann. In Workshops mit interessierten Menschen aus der Jugendarbeit werden die Erkenntnisse geteilt und mögliche Konzepte für die eigene Arbeit entwickelt. Im Dezember 2019 endet die Förderung des Projekts durch das Bundesprogramm „Demokratie leben“ – Zeit für einen Abschlussworkshop in Berlin.

Menschen in Raum mit Powerpoint, Workshop Digital Streetwork
Aus einem Workshop des Projekts „Debate // De:Hate“.

„Digital Streetwork“, also die Erweiterung der sozialen Arbeit ins Digitale, kostet Zeit, Ressourcen und erfordert Kenntnisse – deshalb schrecken viele Träger vor dem Arbeitsfeld noch zurück, obwohl Jugendliche selbst längst Teile ihrer Sozialisation online erleben. „Debate“-Referentin Theresa Lehmann zeigt im Workshop „Der Debate Robot im Einsatz! Wie Digital Streetwork gelingen kann “, dass es aber viele Möglichkeiten gibt, digitale Aspekte in die eigene Arbeit einzubinden und an die gegebenen Möglichkeiten anzupassen. „Es geht zuerst darum, zu schauen: Wo sind die Jugendlichen, die ich erreichen will? Welche Medien nutzen sie? Was erleben sie dort?“ Social Media-Aktivitäten sind mit Jugendlichen immer ein Gesprächsanlass – und sei es so niedrigschwellig, dass sich die Erwachsenen erst einmal Memes, sprachliche Codes oder beliebte Kanäle erklären lassen. Im Gespräch können die Sozialarbeiter*innen dann auch Medienkompetenzen vermitteln: Welche Datenschutz-Aspekte hat meine Social Media Nutzung eigentlich? Wie checke ich, ob ich einer Quelle oder einem geposteten Bild trauen kann? Welche netzpolitischen Themen werden gerade diskutiert und sind interessant?

Interaktiv oder reaktiv?

Entschließen sich Jugendsozialarbeiter*innen, selbst online aktiv zu werden, müssen sie sich Gedanken über Zeit und Aufwand machen. „Man kann Kommunikation online ja interaktiv gestalten – dann brauche ich Menschen, die selbst Inhalte erstellen und posten, auf Reaktionen eingehen. Ich kann mich aber auch für ein reagierendes Konzept entscheiden – also schauen, wo sich „meine“ Jugendlichen online aufhalten und ob sie meine Unterstützung wünschen oder brauchen“, sagt Lehmann. Auch im World Wide Web kann man regional arbeiten: Auf Facebook gibt es Städte-Gruppen, auch das bei Jugendlichen beliebte „Jodel“ ist ortsbezogen organisiert. Auf Netzwerken wie TikTok oder Instagram können regionale Hashtags Hinweise geben.

Aus einem Workshop des Projekts „Debate // De:Hate“.

Und wenn die Jugendlichen vor allem im „Dark Social“ unterwegs sind, in eigenen Messenger- und Chatgruppen? „Wenn Ihr in den Gruppen anwesend sein wollt, macht es Sinn, eine eigene zu gründen, für die Ihr als Sozialarbeiter*innen auch das digitale Hausrecht habt“, rät Lehmann, „dann ist auch klar, dass es eine moderierte Gruppe ist, in der etwa Rassismus und Beleidigungen nicht erlaubt sind.“ Haben die Jugendlichen eigene Gruppen, können die Sozialarbeiter*innen ihnen auch Hilfe anbieten, ohne darin anwesend zu sein: „Etwa über gemeinsame Diskussionsregeln reden oder, wenn gewünscht, jugendliche Mitglieder zu ‚Medienscouts‘ ausbilden, die in Konfliktfällen eingreifen können.“

„Debate“ hat praktisch ein „Digital Streetwork“-Konzept gearbeitet, dass sich als pädagogische Gegenrede (Counter Speech) zu rassistischen, rechtsextremen, antisemitischen oder sexistischen Inhalten versteht. Hier sollte die Kommunikation sachlich, empathisch und informativ angelegt sein – wie in der Offline-Jugendarbeit auch: „Sachverhalte erklären, Hintergrundinformationen geben, ohne in Suggestion zu verfallen. Weitere Anlaufstellen empfehlen. Von Anfeindungen Betroffene unterstützen.“ In der ersten Projektphase geschah das auf Facebook als „One-to-one“-Ansprache – mit einem „Debate“-Profil, das in Kontakt mit einzelnen Jugendlichen trat. In der zweiten Projektphase wurde dagegen ein „One-to-many“-Konzept erprobt an einem digitalen Ort, den vor allem Jugendliche mit vielen Fragen aufsuchen: GuteFrage.net. Hier antwortete das klar gekennzeichnete „Debate“-Profil auf Fragen zu den Themenfeldern Rassismus, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit oder Rechtsextremismus aus der Community und bot sich für Nachfragen an. Das hilft der fragenden Person – wird aber auch von vielen anderen Jugendlichen gelesen, die die Fragen ebenfalls beantworten oder nach Antworten suchen. „Hier kann es darum gehen, Jugendliche zu demokratischer Teilhabe zu ermutigen, ihnen zu sagen, wie sie selbst aktiv werden können gegen Dinge, die sie stören, sie also zu stärken. Es geht aber auch um Debunking, also das Aufdecken von Falschinformationen oder logischen Fehlschlüssen, das Anbieten weiterer Informationen“.

Powerpoint mit Frage von GuteFrage.net
Wer weiß eine gute Antwort? Gar nicht so einfach…

Spaß macht es auch noch

Im Workshop wurden das dann auch praktisch auf GuteFrage.net ausprobiert. Dabei bemerkten die Teilnehmer*innen schnell: Thematische Kenntnisse muss man sich aneignen und auch an eigenen Recherche-Techniken feilen. Eine gute Sammlung kompakter Antworten und Antwort-Gifs oder –Memes hilft. Schwierig ist es, bei den Antworten nicht zu sehr in Fachsprache zu verfallen. Die Frage, wie lang eine optimale Antwort ausfällt, wurde unterschiedlich diskutiert. „Vielleicht sollten wir das dann auch mal mit unseren Jugendlichen besprechen“, sagte eine Teilnehmerin, während ein anderer meine: „Spannend, denn ein Kommentar wie ‚das ist doch blöd‘ ist für uns ja auch in der Offline-Welt ein Gesprächsangebot. Da sollten wir online genauso drauf reagieren.“ Klar ist am Ende des Workshops: In diesem noch ziemlich neuen Themenfeld lässt sich einiges ausprobieren – und Spaß macht es auch.

 

Mehr Informationen:

Das Projekt Debate bei der Amadeu Antonio Stiftung

Publikationen des Digitalbereichs der Amadeu Antonio Stiftung:

Im Dezember erscheinen noch mehrere Broschüren im Themengebiet Hate Speech, Debattenkultur und Online-Rechtsextremismus bei der Amadeu Antonio Stiftung. Sie werden hier ergänzt, sobald sie in PDF-Version online verfügbar sind.

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