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deconstruct antisemitism Virus, Auschwitzkeule, ,,Ungeimpft“-Stern — antisemitische Codes erkennen

Was steckt hinter den Erzählungen über ,,#COVID1984″ oder der ,,Schlussstrichdebatte“? Wann ist ,,Israelkritik” antisemitisch und was hat das alles mit der ,,Lügenpresse“ zu tun? Über diese und weitere Fragen klärt die neue Handreichung der Bildungs- und Aktionswochen gegen Antisemitismus auf: deconstruct antisemitism! Antisemitische Codes und Metaphern erkennen.

 
(Quelle: Unsplash)

Virus, Bazillus, Parasit, Krebs, Krebsgeschwür

In der COVID-19-Pandemie wurde Israel in arabisch-palästinensischen Kreisen mit Bezug auf die Staatsgründung am 14. Mai 1948 in Form eines Virus dargestellt. Tausendfach wurde der Hashtag #Covid1948 bei Twitter genutzt. Das geschah sowohl 2020 als auch 2021. Verstärkt wurde die antisemitische Twitter-Kampagne 2021 durch die massiven Raketenangriffe der islamistischen Terrororganisation Hamas.

Die Botschaft: Das Virus befalle in Form der jüdischen Bevölkerung bzw. des israelischen Staates die Menschheit. Eine Infektion mit dem Virus ende tödlich. Um die Gesundheit zu schützen und das Überleben zu sichern, müsse, so wird suggeriert, der Erreger vernichtet werden. Schließlich zersetze er die Völker.

Jüdinnen:Juden werden seit Jahrhunderten mit Krankheiten in Verbindung gebracht. Der Vorwurf, sie hätten die Pest verursacht („Brunnenvergifter“), mündete im Mittelalter in die Pestpogrome. Im Nationalsozialismus wurde der Vorwurf aktualisiert. Jüdinnen:Juden werden, indem sie zum Virus gemacht werden, kollektiv entmenschlicht und zur Bedrohung für die Gesundheit und das Leben der übrigen Menschheit erklärt. Ähnliche Codes sind „Bazillus“, „Parasit“ und „Krebs“, „Krebsgeschwür“.

Schlussstrich, Schuldkult, Auschwitzkeule

Es sei Zeit, einen Schlussstrich unter die nationalsozialistische Vergangenheit zu ziehen, heißt es wiederholt. In dieser Forderung versteckt sich eine Haltung, die als Post-Shoah-Antisemitismus bezeichnet wird. Oft dient die Forderung zur Erinnerungs- und Schuldabwehr. Gelegentlich wird gar behauptet, „die Juden“ würden einen Schlussstrich unterbinden. Schließlich würden sie von einem deutschen „Schuldkult“ profitieren.

Die Forderung nach einem Schlussstrich ist nicht neu. Schon kurz nach dem Zweiten Weltkrieg wurde gefordert, dass die Strafverfolgung und Entnazifizierung aufhören müsse. Die meisten verurteilten Nationalsozialisten wurden nach wenigen Jahren amnestiert.

Seit der Wiedervereinigung 1989/90 wird vermehrt ein Schlussstrich gefordert. Martin Walsers „Auschwitzkeule“ ging in die Geschichtsbücher ein. Heute machen sich AfD und PEGIDA die Forderung nach einem Schlussstrich zu eigen. Zum Beispiel forderte Björn Höcke in seiner „Dresdner Rede“ (2017) eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“. Weit ist es nicht bis zur Leugnung der Shoah.

Zuletzt wurden die Singularität der Shoah und die Spezifik des Antisemitismus auch durch eine Gleichsetzung mit anderen Völkermorden und den Verbrechen des deutschen Kolonialismus relativiert.

Tier-KZ, Babycaust

Die Relativierung der Shoah ist bei weitem nicht auf die extreme Rechte beschränkt, sondern findet sich in unterschiedlichen Milieus.

Deutsche Aktivist:innen der Tierrechtsorganisation PETA stellten 2010 im Rahmen ihrer Kampagne „Holocaust auf deinem Teller“ auf einem Plakat eine KZ-Baracke mit abgemagerten Häftlingen und eine moderne Legebatterie mit Hühnern nebeneinander. Noch heute berufen sich viele Tierrechtsaktivist:innen auf den Vergleich und sprechen unverblümt von Schlachthöfen als „Tier-KZ“.

Radikale Abtreibungsgegner:innen, die sich selbst lieber als „Lebensschützer“ bezeichnen, sehen in Schwangerschaftsabbrüchen einen Massenmord, der in seiner Qualität und Quantität mit der Shoah vergleichbar und daher als „Babycaust“ zu bezeichnen sei.

Vergleiche mit der Shoah werden paradoxerweise so häufig gezogen, gerade weil der industrielle Massenmord an den europäischen Jüdinnen:Juden präzedenzlos ist. Die Situation von Nutztieren, Embryonen und Föten mit dem Leiden der Shoah-Opfer gleichzusetzen oder gar als schlimmer zu bewerten, verkennt die Systematik und Singularität der NS-Verbrechen und relativiert diese. Perfiderweise garantiert gerade die Gleichsetzung den Äußernden eine hohe Aufmerksamkeit.

Giftspritze, „Ungeimpft“-Stern

Die Impfungen gegen COVID-19 werden von manchen als „Giftspritze“ bezeichnet. Angeblich, so wird behauptet, dient die Impfung zur Dezimierung der Menschheit. Andere Verschwörungserzählungen über Impfungen behaupten, damit werde ein Chip eingepflanzt oder Bill Gates versuche sich zu bereichern. Dass hinter den Impfprogrammen oftmals „die Juden“ vermutet werden, ist kein Zufall.

Antisemitische Erzählungen über Impfungen haben in Deutschland eine lange Tradition, die bis zum Anfang des Impfens im 19. Jahrhundert reicht. Schon in der NS-Propagandazeitung „Der Stürmer“ finden sich Karikaturen, die einen Zusammenhang zwischen Impfungen und „den Juden“ belegen sollen.

Hierbei treten verschiedene Formen von Antisemitismus zu Tage. Einerseits wird hinter der Impfung eine globale Verschwörung gegen die Menschheit vermutet, andererseits kommt es zu Shoah-Relativierungen. Denn einige Verschwörungsideolog:innen haben bei Demonstrationen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen einen gelben Stern mit der Inschrift „Ungeimpft“ getragen. Die Botschaft, die von diesen Impfgegner:innen ausgeht, lautet: „Wir sind die neuen Juden.“ Das ist eine klassische Täter-Opfer-Umkehr und geht stellenweise so weit, dass der Virologe Christian Drosten mit dem SS-
Arzt Josef Mengele gleichgesetzt wird.

Lügenpresse

„Lügenpresse!“ Sofort hat jede:r die Rufe auf rechten Demonstrationen im Ohr. Mit dem Code der „Lügenpresse“ wird behauptet, die Medien seien nicht unabhängig, sondern gleichgeschaltet und gesteuert. Dahinter verbirgt sich oftmals das antisemitische Narrativ einer „jüdischen Verschwörung“.

Das ist nicht neu. Schon im 19. Jahrhundert hatte der Historiker und Politiker Heinrich von Treitschke behauptet, hinter den deutschen Zeitungen steckten „die Juden“, die damit zu viel Einfluss hätten und die Gesellschaft lenkten. Treitschke schrieb, „die Juden sind unser Unglück“ und machte sie für das Schlechte in der Welt verantwortlich.

Heute ist der Code der „Lügenpresse“ weit verbreitet: auf rechten Demonstrationen, im Internet oder am Stammtisch. Dieser antisemitische Code hat fatale Konsequenzen: Immer größer wird die Szene der alternativen Medien, die über Plattformen wie Telegram und YouTube ihre Desinformationen verbreiten und Hass sähen. Immer häufiger werden Journalist:innen im Rahmen von Demonstrationen angegriffen. Die Diffamierung der etablierten Medien öffnet Fake News Tür und Tor.


Die Broschüre deconstruct:antisemitism! Antisemitische Codes und Metaphern erkennen gibt es hier zum Download.

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