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Ein Jahr nach Halle Wie gut werden Synagogen in Deutschland geschützt?

Polizist*innen und Sicherheitsleute vor Synagogen, vor jüdischen Schulen oder Kindergärten: Jüdisches Leben kann in Deutschland nicht ungeschützt stattfinden. Der Anschlag in Halle auf eine vollkommen unbewachte Synagoge am 09. Oktober 2019 hat das erneut gezeigt. Wie sieht es fast ein Jahr später geändert? Für die Betroffenen, die Gemeinden, aber auch für die Sicherheitsbehörden?

 
Die Neue Synagoge in Berlin (Quelle: Wikimedia / Andreas Praefcke / CC BY 3.0)

Ein Pressegespräch des Mediendienstes Integration hat am 22.09. in Berlin versucht, diesen Fragen nachzugehen. Naomi Henkel-Gümbel, eine der Überlebenden des Anschlags in Halle kam im Centrum Judaicum der Neuen Synagoge zu Wort, genauso der Autor Ronen Steinke, Sigmount Königsberg, Antisemitismusbeauftragter der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, sowie Jürgen Peters, Vizepräsident des BKA. Zum Jahrestag des Anschlags hat der Mediendienst parallel eine Studie veröffentlicht, die untersucht, wie die Bundesländer jüdische Einrichtungen schützen.

Ambivalente Situation

Das Ergebnis der Recherche ist dabei erstmal positiv: Praktisch alle Bundesländer geben mehr Geld für den Schutz jüdischer Einrichtungen aus und arbeiten verstärkt mit jüdischen Gemeinden vor Ort zusammen, um die Sicherheit von Juden und Jüdinnen zu gewährleisten. Aber was bedeutet es eigentlich für die Betroffenen, wenn ihre Schulen, Kindertagesstätten und Synagogen von schwerbewaffneten Polizist*innen und Sicherheitsleuten bewacht werden müssen? Ronen Steinke beschreibt eine ambivalente Situation, denn einerseits ist „es die Aufgabe des Staates, diese Institutionen und damit die Religionsfreiheit zu schützen.“ Aber andererseits bezeugen die Sicherheitsmaßnahmen, dass „im zivilgesellschaftlichen Diskurs etwas schief läuft“.

Sicherheit muss auch finanziert werden

Etwas schief läuft es auch bei einigen Erzählungen rund um Halle. So ist es etwa die Tür der Synagoge, die immer wieder als große Retterin der eingeschlossenen Juden und Jüdinnen gefeiert wird: Die Tür aus deutscher Eiche, die vom deutschen Tischlermeister gebaut wurde. Bezahlt wurde die Tür allerdings von jemand anderem, nämlich der „Jewish Agency“, einer internationalen Organisation, die jüdische Belange auf der ganzen Welt unterstützt, wie Naomi Henkel-Gümbel herausstellt, eine der Überlebenden aus der Synagoge in Halle. Sicherheit muss finanziert werden und gerade an diesem Punkt wird es oft kompliziert. 

Der Autor Ronen Steinke hat in seinem Buch „Terror gegen Juden“ aufgezeigt, wie Sicherheitskonzepte für jüdische Gemeinden funktionieren. Ein Gutachten von BKA oder LKA zur aktuellen Sicherheitssituation gibt es schnell und problemlos. Gutachten, die den Gemeinden und ihren Vertreter*innen aufzeigen, wie verletzlich sie eigentlich sind. Dann kommt Bürokratie mit Anträgen und Fristen, soviel davon, dass oft die Verantwortlichen, die vor allem in kleinen Gemeinden meist ehrenamtlich arbeiten, auf den Kosten sitzenbleiben. „Der Rechtsstaat muss sich in der Verantwortung sehen, die Religionsfreiheit zu garantieren“, so Steinke. Dazu gehöre auch, dass finanzielle Mittel unkompliziert abrufbar seien. 

Henkel-Gümbel war am 09. Oktober 2019 in der Synagoge in Halle. Schon im Zeugenstand im Verfahren gegen den Angreifer hatten die angehende Rabbinerin, aber auch viele andere Betroffene des Anschlags, massive Kritik am Polizeieinsatz geübt. Allerdings machen auch einige Vertreter*innen des BKA vor Gericht nicht immer die beste Figur. Henkel-Gümbel kritisiert eine vermeintliche „Gaming-Expertin“ des BKA, die im Zeugenstand eingestehen musste, dann doch keine Expertin zu sein

Jürgen Peters, Vizepräsident des BKA, geht vor allem auf vergangene Schwierigkeiten ein – tatsächlich kann er sich nicht zu laufenden Verfahren äußern: „Die Polizei in Deutschland hat Lehren aus dem Desaster NSU gezogen.“ Er setzt dabei auf eine Verantwortung der Zivilgesellschaft und wünscht sich eine „komplementäre Zusammenarbeit“ und will „mehr Dialog zwischen Polizei und jüdischen Gemeinden.“

Dialog mit der Zivilgesellschaft

Wie wichtig diese Kommunikation ist, macht Sigmount Königsberg klar, der Antisemitismusbeauftragte der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Er betont die jahrelange gute Zusammenarbeit der Gemeinde mit der zuständigen Polizei in der Stadt. Er macht aber auch deutlich, wie schwer sich die Gesellschaft und ihre Institutionen immer noch mit Antisemitismus tun. Der Vorwurf des Antisemitismus wiegt oft schwerer als der Antisemitismus selbst. Königsberg erinnert an den Elsässer-Dittfurth-Prozess. Jürgen Elsässer, der Herausgeber des Rechtsaußen-Verschwörungsblattes „Compact“, hatte gegen die Publizistin Jutta Dittfurth geklagt und Recht bekommen, nachdem sie ihn als „glühenden Antisemiten“ bezeichnet hatte. Die Vorsitzende Richterin definierte Antisemitismus wie folgt: „Ein glühender Antisemit in Deutschland ist jemand, der mit Überzeugung sich antisemitisch äußert, mit einer Überzeugung, die das Dritte Reich nicht verurteilt, und ist nicht losgelöst von 1933 bis 1945 zu betrachten, vor dem Hintergrund der Geschichte.“ Eine merkwürdige Interpretation, die Antisemitismus offenbar nur noch bei Neonazis verortet und die sogenannte „Mitte der Gesellschaft“ von allem freispricht. „Alles was nicht eine Verherrlichung der NS-Zeit ist, ist kein Antisemitismus“, interpretiert Königsberg.

Dieses Missverstehen des Hasses auf Juden und Jüdinnen zeige sich aber auch ganz praktisch, so Königsberg. Nach antisemitischen Vorfällen werde ausgerechnet Antisemitismus bagatellisiert. Bei einer antisemitischen Beleidigung, der ein körperlicher Angriff folge, würden herbeigerufenen Polizist*innen oft am liebsten nur die körperliche Attacke aufnehmen. Das wissen die Betroffenen schon lange. Vermutlich einer der Gründe, warum nur jede fünfte antisemitische Tat überhaupt gemeldet wird.

Ein Brandanschlag in Wuppertal hat schließlich auch gezeigt, dass in Deutschland selbst Synagogen brennen können, ohne dass ein Gericht einen antisemitischen Hintergrund feststellen will. Drei palästinensische Jugendliche hatten 2014 Brandsätze auf das Gotteshaus geworfen. Das Wuppertaler Amtsgericht wollte damals „keinerlei Anhaltspunkte“ erkennen, dass die Täter antisemitisch eingestellt seien.

Naomi Henkel-Gümbel berichtet über die Nachwirkungen des Anschlags auf die Betroffenen: „Wir alle haben uns geschworen, ein bedeutungsvolles Leben zu führen.“ Die Überlebenden aus Halle haben Kontakt zu den Betroffenen des Terroranschlags in Hanau aufgenommen, um der „Zivilgesellschaft klarzumachen, dass man das größere Bild sehen muss.“ Die angehende Rabbinerin war eigentlich schon nach Israel ausgewandert, sagt aber: „Jetzt denke ich, dass ich die Leute hier nicht allein lassen will.“ 

Foto: Wikimedia / Andreas Praefcke / CC BY 3.0

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