Weiter zum Inhalt Skip to table of contents

Idil Baydar im Interview „Wenn man mich als Migrantin nicht kriminalisieren kann, bin ich uninteressant für die Polizei.“

Von|
Die Kabarettistin und Schauspielerin Idil Baydar wird seit Jahren von Rechtsextremen bedroht. (Quelle: MarcusRay / Instagram @ Envi_Obscura)

Belltower.News: Was haben Sie gedacht, als Sie von der Computer-Abfrage ihrer Daten gehört haben?
Idil Baydar: Ich habe mich damit nicht sehr gut gefühlt, weil dadurch das Bedrohungsszenario nochmal größer geworden ist. Muss ich mich jetzt vor der Polizei mehr in Acht nehmen, wie tief hängt die Polizei mit drin? Da sind Fragen über Fragen.

Hat es Sie überrascht?
Ich war eher schockiert. Wenn man etwas vermutet und dann ist es tatsächlich Realität, ist das aufs Neue erschreckend. Man kann mit so einer Bedrohung im Hinterkopf ganz schwer leben. Mich macht das am ehesten wütend.

Wann haben Sie überhaupt davon erfahren?
Am Montag hat mich ein Journalist der FR informiert, der den Vorgang recherchiert hatte. Eine Stunde später, wurde der Text veröffentlicht. Gestern Nachmittag habe ich eine E-Mail von der Polizei bekommen, die mir jetzt ein Beratungsgespräch anbieten möchte. Was ich damit soll, weiß ich aber auch nicht.

Ist der Rücktritt des Polizeichefs ein richtiger Schritt?
Ich finde es eher seltsam. Was ist die Konsequenz für mich? Bekomme ich jetzt keine Todesdrohungen mehr? Denjenigen aus dem Amt zu nehmen, ist ein Versuch von Apppeasement, ohne wirkliche Konsequenzen zu ziehen.

Sie haben im letzten Jahr acht mal Anzeige wegen SMS mit massiven Todesdrohungen gestellt. Alle acht Verfahren wurden eingestellt. Warum?
Ich kann nur mutmaßen. Der Reflex bei der Polizei ist schnell vertuschen und nicht mehr drüber reden, statt damit umzugehen. Ich vermute, dass sie dachten: ‚Die nervt nur.‘ Ich weiß es nicht.

In einem Interview haben Sie darüber berichtet, dass es, als Sie damals bei der Polizei waren, gar nicht so sehr um die Todesdrohungen ging, sondern darum, dass sie sich polizeikritisch geäußert hatten?
Es war ein sehr großes Anliegen für die Beamten, das zu klären. Die Polizei sagt ansonsten nur, dass sie ja auch nichts weiß. Aber wichtig ist vor allem, dass ich mich nicht kritisch äußere. Die Polizei ist dafür da, solche Dinge zu wissen. Warum kann die Polizei nicht auf das Darknet zugreifen? Angeblich kommen die Bedrohungen ja daher. Was ist das für eine Polizei, die das nicht kann? Und wieso kann sie es bei allen anderen? Wenn man mich als Migrantin nicht kriminalisieren kann, bin ich relativ uninteressant für die Polizei. Wieso hängt es überhaupt von der Person ab? Polizeiarbeit hat doch nichts damit zu tun, wie ich mich verhalte oder arbeiten die nur für die Freundlichen und Dankbaren?

Wir haben uns im April 2019 zum ersten mal über diese Drohungen unterhalten. Seitdem hat sich nichts aufgeklärt, vielmehr ist die Situation für Sie offensichtlich schlimmer geworden. Haben Sie überhaupt noch Vertrauen in die Behörden?
Ehrlich gesagt nicht. Wie denn auch? Wie soll ich denen vertrauen? Jetzt soll es Stammbaumuntersuchungen geben. Ich sehe nicht, dass die Polizei irgendetwas besser machen will. Was ich sehe, ist unfassbar viel Vertuschung. Wenn man beispielsweise den Fall Oury Jalloh betrachtet. Es kann so nicht weitergehen. Die Polizei muss sich in irgendeiner Form reformieren. Es braucht mehr Transparenz. Es kann doch nicht sein, dass ich von dieser Situation aus der Presse erfahren musste. Wieso wird das so gehandhabt und warum wird dann von mir verlangt, dass ich die Polizei toll finden soll.

Was müsste passieren?
Die Polizei hat eine Ausbildungszeit von zwei bis drei Jahren und das ist doch schon ein Skandal. Es ist ein wichtiger, systemrelevanter, unfassbar schwieriger Job. Man kann die Leute nicht nach so kurzer Zeit auf die Straße schicken. Es braucht vielmehr Bildung. Verfahrensweisen müssen geändert wird. Rassismus zeigt sich überall. Wenn es um Clan-Kriminalität geht, werden Unmengen von Daten erhoben, die viele betreffen, die damit überhaupt nichts zu tun haben. Alle Verfahrensweisen der Polizei sind nicht zukunftsweisend. Es braucht viel mehr Transparenz, die Kommunikation muss sehr viel besser werden. Dieses permanente Schweigen zu den Problemen schafft doch kein Vertrauen. Racial Profiling, Stammbaumabfrage, das alles muss weg. Ich wünsche mir, dass Fälle, in denen Menschen in Polizeigewahrsam zu Tode gekommen sind, endlich bearbeitet und aufgeklärt werden. Ich erwarte, dass der NSU-Komplex aufgeklärt wird und nicht die Akten für 120 Jahre eingeschlossen werden. Was soll das denn? Da soll ich Vertrauen haben?

Sie waren kürzlich bei Maybritt Illner und haben diese Probleme sehr klar angesprochen. Von rechter und rechtspopulistischer Seite wurde Ihnen vorgeworfen, Sie seien zu laut, zu unhöflich gewesen. Wie darf man sich denn als von Rassismus betroffenen Person in Deutschland äußern?
Man hat gar keine Chance. Wenn du ruhig bleibst und deine Emotionen zeigst, bist du ein undankbarer Jammerlappen. Wenn du deine Wut angemessen zeigst, dann bist du aggressiv und man muss dir nicht mehr zuhören. Das sind alles Abwehrreflexe. Abwehrreflexe aus der Gesellschaft, die sich einfach nicht mit diesen Themen beschäftigen will. Angeblich bin ich hier ein Gast und ich soll gefälligst dankbar sein und meine Ungefährlichkeit beweisen. Diese Gesellschaft hat nie verstanden, was Multikulturalismus bedeutet und dass es um ein Zusammenleben auf Augenhöhe geht. Es gibt ein Migrantenkorsett, das dir vorschreibt, wie du dich zu verhalten hast. Und wenn du dich nicht danach richtest, dann ist man böse auf dich. Dann sagt man dir, wie unhöflich du bist.

In letzter Zeit werden besonders Frauen bedroht, die sich gegen Rechtsextremismus einsetzen: Janine Wissler, Anne Helm, Seda Başay-Yıldız, Martina Renner, immer wieder auch Anetta Kahane. Warum eigentlich?
Nazis leben in gewissen Strukturen, die meistens nicht frauenfreundlich sind. Frauen und vor allem Frauen, die sich laut und deutlich äußern, werden zum Angriffsziel. Auch weil sie von diesen Leuten immer als schwächer empfunden oder dargestellt werden. Das sind wir aber keinesfalls.

Wie geht es jetzt weiter?
Ich weiß es nicht. Ich werde nochmal mit der Polizei sprechen. Aber ich sehe keinen Aufklärungswillen. Mittlerweile setzen wir uns als Geschädigte zusammen, um das alles zu untersuchen. Es ist jämmerlich, dass die Polizei das nicht machen möchte. Ich weiß überhaupt nicht, wofür ich die mit meinen Steuergeldern bezahle. Warum soll ich zahlen, wenn die sowieso keine Lust haben, irgendwas für mich zu tun?

Weiterlesen

Polizei

„NSU 2.0“ Erneut führt die Spur von Drohmails zu einem Polizeicomputer

Die Fraktionschefin der Linken im hessischen Landtag, Janine Wissler, hat per Email mit „NSU 2.0“ gezeichnete Drohschreiben erhalten. Darin genannt werden auch nicht-öffentlich verfügbare Informationen über sie. Diese wurden von einem Polizeicomputer in Wiesbaden abgerufen, wie die Ermittlungen nach übereinstimmenden Medienberichten ergaben.

Von|
Eine Plattform der