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Im Fahrwasser rechtsextremer Ideologie Xavier Naidoo beschwört in Videos den Untergang Deutschlands

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(Quelle: picture alliance)

Xavier Naidoo postete am 9. März mehrere kurze Videos in eine kleine Telegram-Fan-Gruppe. „Wenn es unser Geheimnis bleibt, poste ich einen gesungenen Refrain vom neuen Album ‘Hin und weg 2‘ . Patriotische Grüße gehen raus…….“ Aus der Forderung, dass es ein Geheimnis unter den rund 130 Mitgliedern bleiben solle, wurde offensichtlich nichts. Am Dienstagabend, den 10. März 2020, posteten zahlreiche rechte Accounts eines der Videos und zeigten sich begeistert. Die Empörung im Netz ist nun riesig.

Der angekündigte Song „Vulgär“

Im ersten Video behauptet Naidoo, er komme aus einer Zeit „in der kritische Zeilen noch alles waren. Oh yeah.“ Und weiter: „Wieder will die Klasse nur schweigen, nur Plakate zeigen, ‘Wir sind mehr‘. Doch in Wahrheit seid ihr einfach nur peinlich und deutschlandfeindlich, denn ihr seid leer.“ Wieso Demonstrant*innen mit Plakaten deutschlandfeindlich seien, führt Naidoo in dem kurzen Video nicht aus. Wahrscheinlich bezieht er sich hier auf das #Wirsindmehr-Konzert in Chemnitz im Sommer 2018, das ein Zeichen gegen rassistische Gewalt setzte. Seither nutzen extrem rechte Aktivist*innen den Slogan ‚Wir sind mehr‘ verächtlich für die politischen Gegner*innen.

Song zum Chemnitzer Sommer 2018

Im zweiten Video geht es um Chemnitz und um den Tod von Daniel H., der im Spätsommer 2018 rassistische Hetzjagden und Demonstrationen mit zahlreichen rechtsextremen Übergriffen ausgelöst hatte. Das Lied habe Naidoo in der Woche nach dem gewaltsamen Tod H.s. geschrieben, gibt er in der Telegram-Gruppe bekannt. Damals war sich Naidoo unsicher, ob in Chemnitz alles mit rechten Dingen zugegangen sei. Der Textauszug, den Naidoo in der Gruppe präsentiert, ist recht unspektakulär. „Und dass Daniel jetzt tot ist, ist so traurig und unnötig, hmm hmm.“

Als der Chemnitzer Daniel H. ums Leben kam, missbrauchten Rechtsextreme diesen tragischen Fall für ihre Zwecke, um Ängste in der Bevölkerung vor Migrant*innen zu schüren. Selten erwähnt wird unterdessen, dass nach dem Vorfall rechte, rassistische und antisemitische Gewalttaten zunahmen.

Deutschland sei dem Untergang geweiht – wegen der Geflüchteten?

Im dritten Video geht es um „kriminelle Flüchtlinge“, gegen die sich die Deutschen wehren müssten. „Ihr seid verlor’n. Ihr macht nicht mal den Mund für euch auf. So nehmen Tragödien ihren Lauf. Eure Töchter, eure Kinder sollen leiden, sollen sich mit Wölfen in der Sporthalle umkleiden“. Sind hier Geflüchtete gemeint?

Weiter behauptet der 48-Jährige, dass „fast jeden Tag ein Mord geschieht, bei dem der Gast dem Gastgeber ein Leben stiehlt.“ Hier bedient Naidoo das rassitisch motivierte Narrativ, täglich würde in Deutschland ein Mord durch Geflüchtete geschehen. Dass dies nicht der Wahrheit entspricht, zeigt ein Blick in die Statistik des Bundeskriminalamt, wie Watson darlegte.

„Weit und breit ist hier kein Mann, der das Land noch retten kann. Hauptsache es ist politisch korrekt, auch wenn ihr daran verreckt.“ Mit dieser Strophe will der einst so gefeierte Sänger wohl ausdrücken, dass es in Deutschland keinen starken Führer gebe, der die Deutschen vor den angeblich mordenden Migranten schützen könne. Der derzeitigen Politik und Teilen der Gesellschaft, sei eine politisch korrekte Sprache wichtiger als das eigene Überleben. Auch hier impliziert Naidoo wieder ein schwaches Deutschland.

Als wäre der Text bisher nicht schon eindeutig genug, folgt dann der Schluss des knapp eine Minute andauernden Videos: „Lass uns das beenden und zwar nun. Ihr seid verlor’n.“ Es bleibt der Fantasie des Zuhörenden überlassen, wie jetzt was beendet werden soll. Der eine oder andere wird darin sicherlich einen Aufruf zur Gewalt verstehen, verkleidet mit der Legitimation der Selbstverteidigung.

Naidoo ruft dazu auf, Deutschland zu verteidigen

Naidoos Videoschnipsel werden in der Gruppe begeistert aufgegriffen. Das Bild eines führerlosen Deutschlands, das auf einen Untergang zusteuert, wird hier offenbar geteilt. Ebenso wie die Botschaft, keiner könne „den Deutschen“ helfen, außer sie nähmen ihr Schicksal jetzt sofort in die eigenen Hände. Die Mitglieder der Telegram-Gruppe applaudieren. Naidoo sei so mutig, dass er sich traue das auszusprechen, schwärmen seine Fans. Generell spiegelt diese Telegram-Gruppe gut wieder, welche Zielgruppe Naidoo mit seinen schwurbeligen Strophen anspricht – neben verschwörungsideologisch interessierten Friedensaktivist*innen auch offene Reichsbürger*innen und Rassist*innen.

Menschen, die flüchtlingsfeindliche Falschnachrichten für Normalität halten und Anhänger*innen von Verschwörungserzählungen sind, haben meist Angst. Aber statt vor realen Gefahren haben sie Angst davor, dass Deutschland „islamisiert“ würde, wenn Menschen hier ihre Religionsfreiheit ausüben, dass Flüchtlinge jeden Tag einen Deutschen töten würden, weil ihnen das „alternative“ Medien vorlügen, oder dass eine als jüdisch beschriebene Elite „die Deutschen“ versklaven wollen. So irrational wie die Ängste, sind auch die darauf folgenden Handlungen. Wer Deutschland vor dem Untergang sieht, in dessen Gehirn ist der Panik-Modus aktiviert. Um überleben zu können, scheint dann jedes Mittel recht. Die Argumente von Rassist*innen und Verschwörungstheoretiker*innen können noch so abstrus oder schwurbelig sein, die Anhängerschaft glaubt es ihnen unhinterfragt. Besonders problematisch daran: Wenn eine Person erstmal im Panik-Modus ist, ist sie zu extremen Taten bereit, um sich selber, die Liebsten oder eben Deutschland vermeintlich zu schützen – auch zu Gewalt.

Aus Wörter werden Taten: Christchurch, Halle und Hanau

Die realen Konsequenzen solcher rassistischen und antisemitischen Ideologien zeigten sich in Christchurch, Halle und Hanau. In Christchurch und in Hanau machten es sich junge Männer zum Ziel, so viel Muslime zu töten wie es ihnen möglich war. Der antisemitische Täter aus Halle machte als Ziel jüdisches Leben aus, da die Juden angeblich die Migranten kontrollieren würden. Nun liefert Naidoo, der noch immer in der Jury der RTL-Casting-Show „Deutschland sucht den Superstar“ neben Dieter Bohlen sitzt, offenbar den deutschen Soundtrack zur rassistischen Selbstverteidigung. Zumal er in der Telegram-Gruppe ankündigt, es würde bald ein neues Album mit all diesen „patriotischen“ Songs erscheinen. Die Titel des neuen Albums, so der User Naidoo, seien „Chemnitz, Hetzjagd“ und „Ihr seid verlor’n“. „Der Shitstorm meines Lebens wird mich ereilen“, prognostiziert Naidoo. Ob er damit gerechnet hat, dass die Empörung über seine rassistischen Ausfälle ihn noch vor Veröffentlichung des neuen Albums erreicht? Wohl nicht. Am Mittwochmittag veröffentlichte Naidoo ein Statement, zum „Text aus dem Jahr 2018“ (es geht hier nur um eines der Videos). „Rassenhass und Fremdenfeindlichkeit sind ihm völlig fremd, auch wenn er sich zuweilen emotional künstlerisch äußert.“

Dabei ist es bei weitem nicht der erste Fall, in dem Naidoo mit Texten auffällt, die verdächtig ins verschwörerische Milieu gehen. Im Jargon von Pegida und „Wutbürger*innen“ bezeichnet Naidoo Politiker*innen in einigen Songs als „Volksverräter“, übt verkürzte Medienkritik und benutzt Begriffe, die unter sogenannten Reichsbürgern üblich sind. Dazu verwendet er ab und an antisemitische Argumentationen und Bilder: Politiker*innen werden zum Beispiel als Marionetten bezeichnet, die von im Hintergrund bleibenden Puppenspielern gesteuert werden. Eine Metapher, die als „antisemitisches Stereotyp“ gilt.

Update: 12. März 2020

Am Mittwochabend kündigte RTL an, dass Naidoo aus der Jury von „Deutschland sucht den Superstar“ ausgeschlossen wird. In einem Statement von Jörg Graf, dem Geschäftsführer von RTL, heißt es: „RTL steht für Vielfalt im Programm. Wir sind Verfechter der Meinungsfreiheit. Dazu gehört aber auch, dass wir jede Form von Rassismus und Extremismus entschieden ablehnen. Die jetzt aufgetauchten Videos von Xavier Naidoo haben uns massiv irritiert. Unsere Bitte, seine Äußerungen im Dialog und live bei RTL persönlich und öffentlich zu diskutieren und zu erklären, hat er bislang unbeantwortet gelassen. Gerade diese Diskussion fänden wir wichtig, da für uns die Aussagen im Video und seine Kommentierung danach überhaupt nicht zusammenpassen.“

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