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Interview „Neonazis haben die Pandemie-Zeit genutzt, um ihre Kampfsport-Strukturen auszubauen“

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Neonazis und rechtsextreme Kampfsportler auf einer Demonstration gegen die Corona-Schutzmaßnahmen im Dezember 2021 in Cottbus (Quelle: RechercheNetzwerk Berlin)

Kampfsport ist zentral für Vernetzung, Finanzierung, Rekrutierungen und natürlich auch Gewalttraining in der rechtsextremen Szene. Die hier erworbene Gewaltkompetenz soll für den politischen Umsturz, den Tag X, trainiert werden. Doch während der Coronavirus-Pandemie war auch für rechtsextremen Sport kein Raum. Was hat die extrem rechte Kampfsport-Szene während der Corona-Pandemie gemacht? Einer, der es weiß, ist Robert Claus, Buchautor und Experte für Rechtsextremismus im Sport..

Belltower.News: Sie beobachten seit Jahren die extrem rechte Kampfsport-Szene. Hat sie die Coronavirus-Zeit überlebt? 

Robert Claus: Leider ja. Dabei gab es verschiedene, parallele Entwicklungen. Militante, im Kampfsport trainierte Neonazis haben vielerorts versucht, die Proteste gegen die staatliche Coronapolitik zu beeinflussen und eine umstürzlerische Agenda zu forcieren. An Orten wie Cottbus war ersichtlich, welches Gewaltpotential sie zu den Aufmärschen, den sogenannten „Spaziergängen“, beitragen. Größere Kampfsportevents aus der Szene haben hingegen nicht stattgefunden. Das lag einerseits an den Coronaauflagen, andererseits auch an der unsicheren, rechtlichen Lage.

Also konnte sich die Szene trotz Pandemie ausweiten?

Ja. Denn die Neonazis haben die Pandemie-Zeit auch genutzt, um ihre Strukturen auszubauen: Der „Kampf der Nibelungen“ (KdN), konnte zwar nicht stattfinden, hat sich aber als Kleidungsmarke sehr auf Werbung fokussiert. Zudem hat ein extrem rechter Hooligan trotz Pandemie ein Kampfsportstudio im sächsischen Taucha eröffnet. Im thüringischen Schmölln wiederum hat ein Neonazi ein ehemaliges Fabrikgebäude erworben und baut dort voraussichtlich das größte neonazistische Sportcenter Deutschlands auf.

 Das klingt ja wie ein regelrechter rechtsextremer Kampfsport-Boom.

Wenn man sich die gesamten 2010er Jahre anguckt, dann gab es diesen Boom zweifellos: Neonazis haben eigene Events, Kleidungsmarken und Kampfsportstudios gegründet. Sie konnten das Gewaltinteresse der Szene aufgreifen, um eine neonazistische Sportszene aufzubauen. Seitdem professionalisieren sie ihre Strukturen und ihre Gewalt, verdienen damit Geld und bilden Netzwerke. 2018 besuchten knapp 1.000 Neonazis das KdN-Event. Doch das Ziel bleibt dabei immer der politische Umsturz. Nicht ohne Grund beschimpfte der KdN die liberale Demokratie auf seiner Homepage lange als „faulendes politisches System“.

Es scheint, als würde besonders der „Kampf der Nibelungen“ seine Demokratieverachtung und seine umstürzlerischen Pläne offen kommunizieren. Ist der Staat da machtlos?

Nein, ich hatte ja bereits die unsichere rechtliche Lage erwähnt, weshalb in den letzten zwei Jahren keine großen rechtsextremen Kampfsport-Events in Deutschland stattfanden: Im Jahr 2019 wurde das extrem rechte Event „Kampf der Nibelungen“ (KdN) in Sachsen verboten. Seither warten die Beteiligten auf das gerichtliche Verfahren zu diesem Verbot.

Wann ist ein Urteil zu erwarten?

Am 7. September wird am Verwaltungsgericht in Dresden über die Rechtmäßigkeit des Veranstaltungsverbots von 2019 verhandelt. Das Urteil wird großen Einfluss auf die zukünftige Entwicklung des militanten Neonazismus, seines Kampfsportes und seiner Gewalt haben. Denn die Kader des KdN haben bereits angekündigt, an die erfolgreichen Events der 2010er Jahre anknüpfen zu wollen, wenn das Urteil zu ihren Gunsten ausfällt. Sollte das Gericht das Verbot jedoch bestätigen, könnte es auf Jahre hinweg keine legalen neonazistischen Kampfsportevents in Deutschland mehr geben. Das würde die Szene sehr hart treffen. Der KdN stellt sich für das Verfahren aus strategischen Gründen als harmloses Sportevent dar und hat den Satz über das „faulende politische System“ von der Homepage genommen. Dennoch bleibt er das Flaggschiff des Kampfsports im militanten Neonazismus.

Was muss sich insgesamt im Kampfsport ändern?

Wenn wir über Kampfsport diskutieren, müssen wir immer sowohl Potentiale als auch Risiken im Blick haben. Potentiale sind z.B. das intensive körperliche Erleben und die Vermittlung von Werten. Risiken sind Gewalt und physische Aufrüstung für menschenfeindliche Ideologien. So braucht es insgesamt mehr Bewusstsein für die Risiken in der Landschaft der Kampfsportstudios bzw. -Gyms. In einer Studie haben wir herausgearbeitet, welche Trainingskulturen es in Bezug auf Diskriminierung und Gewalt gibt.

Welche Trainingskulturen gibt es denn?

Erstens existieren Gyms, die Vielfalt fördern und präventiv arbeiten, z.B. auch LGBTIQ*-Trainingsgruppen sowie ein Leitbild haben und schon durch ihre Räumlichkeiten eine offene Kultur ausstrahlen. Zweitens gibt es aber auch Gyms, die für das eigene Wachstum bzw. den finanziellen Erfolg alles tun. Dort finden dann widersprüchlicher Weise sowohl Sportkurse mit Geflüchteten als auch Trainings extrem rechter Hooligans statt. Und drittens sehen wir Gyms, die männliche Härteideale ins Zentrum ihrer Trainingskultur stellen und somit strukturell offen sind für Gewalt und Diskriminierung. Dort gibt es zum Beispiel kaum Angebote für Frauen. Neonazis sind quasi der rechteste Rand dieser dritten Kategorie.

Am 3. und 4. September findet eine Tagung zum Thema Kampfsport statt, an der Sie mitwirken.  Was sind erhoffen Sie sich?

Neonazis sind in der Gesamtmenge eine gefährliche, aber nur eine kleine Gruppe im Kampfsport. Und dennoch lernen sie dort Kampftechniken, die zu politischer Gewalt genutzt werden. Ohne eine konsequente und langfristige Präventionsarbeit werden Verbote das Problem der extrem rechten Aktivitäten im Kampfsport nicht lösen.

Wir wollen den Blick nicht allein auf Rechtsextremismus-Prävention richten, sondern auf das Thema Vielfalt generell. Die Tagung findet am 3. und 4. September in Berlin statt, in Kooperation mit dem World Jewish Congress. Am ersten Tag werden wir in Workshops über Vielfalt im Kampfsport diskutieren, gemeinsam Ideen für eine vielfältige Trainingskultur sammeln. Am zweiten Tag geht es in den Sport mit Kursen unter anderem in Brazilian Jiu-Jitsu und Thaiboxen. Unterstützt wird die Tagung unter anderem durch die Amadeu Antonio Stiftung.

 

Das Programm zu Tagung und Anmeldung finden sich unter: http://kampfsport.wjc.org.

Robert Claus ist Mitarbeiter in dem Modellprojekt „Vollkontakt – Demokratie und Kampfsport“ (www.vollkontakt.info). Claus beschäftigt sich seit Jahren mit Fankulturen, Hooligans, Rechtsextremismus, Männlichkeiten, sozialen Bewegungen und Gewalt. 2020 veröffentlichte er sein Buch „Ihr Kampf – Wie Europas extreme Rechte für den Umsturz trainiert“.

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