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JA, IfS und „EinProzent“ So reagiert Rechtsaußen auf die Beobachtung durch den Verfassungsschutz

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Quo vadis? Martin Sellner und Götz Kubitschek (von rechts) am Rande der gefloppten "Europa Nostra"-Veranstaltung in Dresden 2018. (Quelle: KA)

Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat die Jugendorganisation der Alternative für Deutschland (AfD), die Junge Alternative (JA), sowie die Kampagnenagentur „Ein Prozent“ und das „Institut für Staatspolitik” (IfS) als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft. Die Entscheidung wurde am 26. April 2023 nach vier Jahren Untersuchung durch den Inlandsgeheimdienst bekannt gegeben.

Praktisch bedeutet das, dass die Behörde ab jetzt nachrichtendienstliche Instrumente nutzen kann, um die Gruppierungen zu überwachen, also zum Beispiel verdeckte Observationen, das Abhören von Telefonate und auch V-Leute könnten vom Verfassungsschutz eingeschleust werden.

Seit vier Jahren sammelt der Verfassungsschutz bereits Material über die JA, seit Sommer 2020 auch über das Institut für Staatspolitik (IfS) und den Verein „Ein Prozent“. Es hat lange gedauert, aber der Inlandsgeheimdienst ist mittlerweile überzeugt, dass die Organisationen im Widerspruch zum Grundgesetz handeln: „Es bestehen keine Zweifel mehr, dass diese drei Personenzusammenschlüsse verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgen“, heißt es in einer Pressemitteilung.

Bei allen drei Gruppen dreht sich das zentrale Argument der Behörde um den „Volksbegriff“ der Beobachtungsobjekte. Laut Verfassungsschutz vertritt die Führungsetage des IfS „ein ethnisch-abstammungsmäßiges Volksverständnis“ und strebe „ein ethnokulturell möglichst homogenes Staatsvolk an“. Das heißt, Deutsch kann nur eine „ethnisch deutsche“ Person sein. Menschen, die zuwandern und aus einem andere Land kommen, können demnach niemals wirklich als Deutsche gelten. Für diese neue Version der „Blut und Boden”-Ideologie des Nationalsozialismus hat die sogenannte „neue“ Rechte, deren Vordenker*innen in Deutschland seit über 20 Jahren das IfS betreiben, den Begriff des „Ethnopluralismus“ geprägt. Es ist eine Ideologie, die „Vermischung“ verteufelt und fordert, dass „Völker“ an ihren vermeintlich angestammten Herkunftsorten bleiben. Zu diesem Narrativ passt auch der „Große Austausch“, also die Vorstellung, dass „Eliten“ daran arbeiten, die europäischstämmige Bevölkerung Europas durch muslimische Migrant*innen zu ersetzen.

Die Kampagnenagentur „Ein Prozent“, ein eingetragener Verein, 2015 von mehreren Rechtsextremen gegründet, darunter auch IfS-Kopf Götz Kubitscheck und Jürgen Elsässer, Chefredakteur des ebenfalls vom Verfassungsschutz beobachteten Compact-Magazins, wird aus ähnlichen Gründen beobachtet: „Die vertretenen und propagierten Positionen beinhalten nachweislich völkisch-nationalistische Ideologeme, sind migranten-, fremden- und- muslimfeindlich sowie rassistisch“, außerdem vertrete der Verein ebenfalls „einen auf ethnischen Abstammungsprämissen beruhenden Volksbegriff.“

Laut Verfassungsschutz hat sich die JA, genau wie auch “Ein Prozent”, im bisherigen Beobachtungszeitraum radikalisiert. Die Behörde spricht von einer „Verschärfung der extremistischen Positionen“. Das Volksverständnis der AfD Jugend widerspreche dem Grundgesetz und sei „geeignet, Angehörige vermeintlich anderer Ethnien auszugrenzen und deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund als Deutsche zweiter Klasse abzuwerten.“

Allen drei Organisationen wird vorgeworfen, unter dem Schirm ihres Blut-und-Boden-Volksbegriffs Rassismus und Islamfeindlichkeit voranzutreiben und politische Gegner*innen und staatliche Repräsentant*innen zu diffamieren. Feindlich seien die Gruppen vor allem auch der Demokratie gegenüber eingestellt. Mit Blick auf die JA stellt der Verfassungsschutz fest, dass es „nicht um eine Auseinandersetzung in der Sache geht, sondern um eine generelle Herabwürdigung des demokratischen Systems der Bundesrepublik Deutschland.“

Die „Junge Alternative”, „Ein Prozent” und IfS sind eng miteinander verbunden. Auf den „Akademien“ des Instituts werden die Nachwuchskader der Partei geschult, neue reaktionäre Literatur liefert der angeschlossene Antaios-Verlag. „Ein Prozent” dient währenddessen als Kampagnenmaschine, die auf Abruf Gegner*innen markiert, Spendenkampagnen oder anderen Unterstützung der Szene organisiert. Dementsprechend ist die Beobachtung durch den Verfassungsschutz ein Schlag gegen das Milieu. Doch aktuell gilt für die Reaktionen Rechtsaußen vor allem: Nichts anmerken lassen.

Die wichtigen Akteur*innen der Szene geben sich möglichst lässig und sorgenfrei. Götz Kubitscheck, Chef des IfS, veröffentlicht am Folgetag des Bekanntwerdens der Beobachtung einen Text auf seinem Blog, der demonstrativ schulterzuckend wirkt. Die selbsternannten „Vordenker*innen“ der Szene in Schnellroda geben sich abgebrüht. Das Narrativ lautet: Der Verfassungsschutz ist eine ideologisch instrumentalisierte Behörde, die „Feinde“ ausmacht. Für IfS und Umfeld die perfekte Gelegenheit, als mutige Kämpfer gegen einen angeblichen Mainstream aufzutreten und immer wieder die eigene Gleichgültigkeit zu betonen: Kubitschek schreibt in Bezug auf die Beobachtung: „Fast immer wars denen, die es traf, egal. Denn es gibt deutlich wichtigere Probleme als das, von Geheimagenten beobachtet zu werden.“

Screenshot von Twitter

Aber eines ist trotz aller Lässigkeit und betonter Sorglosigkeit klar: Eigentlich handelt es sich um eine Verschwörung. Denn eigentlich geht es Regierung und Behörden laut dem Narrativ von Rechtsaußen nur darum, die AfD zu schwächen. Deswegen auch jetzt die Bekanntgabe der Beobachtung, denn gerade wurden mehrere Umfragen veröffentlicht, laut denen die Partei in mehreren ostdeutschen Ländern – darunter Thüringen, wo zum nächsten mal 2024 gewählt wird – stärkste Kraft werden könnte. Auch im Bund ist die AfD etwas stärker geworden. Momentan würden 16 Prozent der Befragten für die Partei stimmen. Kubitschek und Co. sind sich sicher: „Gegen bald rund 30 Prozent Wählerstimmen in den Ostländern und stabilen 16 Prozent bundesweit für die AfD gibt es wohl keine inhaltlichen und politischen Argumente mehr. Der Staat zieht also seine Samthandschuhe aus“, sagt der Kleinstverleger in einem auf seinem Blog veröffentlichten Gespräch.

Screenshot von Twitter

Mit dramatischem Pathos versucht auch der Verleger Philip Stein, der „Ein Prozent” leitet, die Verfassungsschutzbeobachtung für seine Klientel zu normalisieren. In einem Statement heißt es: „Wir streiten für den Erhalt unserer Heimat, sie kämpfen dagegen. Daraus folgt unweigerlich, dass der sogenannte Verfassungsschutz uns bekämpft. (…) Wir werden bekämpft, weil wir nicht leugnen, eine Heimat und eine Geschichte zu besitzen. Wir sind Gedankenverbrecher – und dafür werden wir verfolgt“. Aber trotz Pathos und Dramatik darf auch bei Stein das Schulterzucken nicht fehlen, mit dem die Unterstützer*innen beruhigt werden müssen: „Wen juckt es? Uns nicht.“

Screenshot von Twitter

Der Tenor bei der JA ist sehr ähnlich. Der Verfassungsschutz ist in den Augen des rechtsextremen Nachwuchses ein politisches Instrument der Regierung, dessen Zweck es sei, „die Opposition hierzulande zu unterdrücken.“ Dabei fühlt sich die JA in bester Gesellschaft: „Egal ob Migrationskritiker, Coronamaßnahmenkritiker oder Friedensbefürworter – jede Form der authentischen Opposition in diesem Land wird von dieser Behörde systematisch stigmatisiert.“ Von den drei Gruppierungen, ist die JA die einzige, die juristisch gegen die Einstufung des Verfassungsschutzes vorgehen will.

Martin Sellners Gähn-Tweet zur Beobachtung durch den Verfassungschutz. Screenshot von Twitter

Trotz dieser Ankündigung versucht sich auch die JA vor allem im Schulterzucken. Martin Sellner, Kopf der rechtsextremen Identitären Bewegung, und eng mit allen drei Organisationen verbunden, twittert deswegen einen gähnenden Emoji als die „richtige Antwort“ auf die Beobachtung.

Doch nicht überall kommt die betonte Lässigkeit Rechtsaußen gut an. Die “Junge Freiheit”, das wöchentlich erscheinende Sprachrohr der sogenannten „neuen“ Rechten, befürchtet ein „schleichendes Gift“. Die AfD könne durch die Beobachtung durch den Verfassungsschutz massiv geschwächt werden: „Sie kann Karrieren und Lebensläufe zerstören und insbesondere für junge Menschen, die eine Laufbahn im Staatsdienst oder bei den Sicherheitskräften anstreben, in ein faktisches Berufsverbot münden.“ Die Zeitung fordert die Partei dazu auf, juristisch gegen die Beobachtung vorzugehen.

Daniel Fiß, ein Aktivist aus dem Umfeld der IB, der mittlerweile eine Agentur betreibt, mit der er für das AfD-Umfeld tätig ist, fordert ebenfalls mehr als Schulterzucken: „Die VS-Beobachtung als ‚Ritterschlag‘ oder ‚Auszeichnung des Systems‘ zu werten, ist eigentlich eher Ausdruck szeneinterner Masturbation und Selbstvergewisserung.“ Die Lässigkeit der Szenegrößen überträgt sich laut Fiß nämlich nur bedingt auf das Umfeld: „Ein mit Stolz getragenes Etikett der ‚Verfassungsfeindlichkeit‘ löst beim Normalbürger eher Befremden aus und verspielt mögliche Sympathien, wo die Beobachtung selbst eigentlich mit Skepsis gesehen worden wäre.“

Ob sich diese Beobachtung tatsächlich so auswirkt, wie Teile der rechtsextremen Szene befürchten, bleibt allerdings abzuwarten. Denn die Geschichte der AfD und ihres Umfeldes ist vor allem eine Geschichte der Radikalisierung. Die Partei und ihr gesamtes Umfeld, zu dem auch JA, IfS und “Ein Prozent” gehören, macht von Anfang an Wahlkampf und Politik mit rassistischen Ausfällen, Rechtsextremismus und Demokratiefeindlichkeit, heute lediglich offener als zuvor. Seit ihrer Gründung 2013 scheint das die AfD-Unterstützer*innen nicht zu stören.

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