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Langzeitfolgen der Anti-Covid-Proteste Wie gefühlte Opfer die Demokratie bedrohen

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Im April 2021 kommt es im Rahmen einer "Anti-Maßnahmendemo" im Berliner Tiergarten zu Ausschreitungen. (Quelle: Belltower.News)

Noch Anfang 2022 brachten Proteste gegen Lockdowns, Kontaktbeschränkungen und Impfmandate deutschlandweit regelmäßig tausende Menschen auf die Straße. Während rechte Akteure wie Björn Höcke, Vorsitzender der rechtsextremen AfD Thüringen, weiterhin zum Widerstand gegen noch verbleibende Corona-Maßnahmen aufrufen, zieht inzwischen nur noch der harte Kern der Verschwörungsgläubigen ab und an durch die Straßen. Dies liegt wohl zum einen daran, dass die Covid-Pandemie in den letzten Monaten – vor allem seit Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine – nur noch eine untergeordnete Rolle auf der Nachrichtenagenda spielt. Zum anderen dürften die zurzeit weitgehend gelockerten Maßnahmen die gefühlte Notwendigkeit der Proteste geschmälert haben.

Während also Corona-skeptische Massenproteste zumindest für den Moment der Vergangenheit angehören, kann die massive verschwörungsideologische Mobilisierung der letzten zwei Jahre schwerwiegende Langzeitfolgen haben. Der Erfolg der Anti-Covid-Proteste stellt eine nachhaltige Gefahr für eine pluralistische und demokratische Gesellschaft dar: Denn die Gefühle, die im Rahmen dieser Proteste mobilisiert wurden sind anschlussfähig an affektive Dynamiken die rechtsextremen Radikalisierungsprozessen zugrunde liegen und können somit zum Ausgangspunkt für (rechts)extremistische Gewalt werden.

Corona-Proteste und die rechte Szene

Kritik an den Corona-Maßnahmen wurde bereits kurz nach Beginn der ersten bundesweiten Maßnahmen im März 2020 laut. Seitdem manifestierte sich eine amorphe Protestbewegung aus Esoteriker:innen, selbsternannten „Querdenkern“, Impfgegner:innen,  (selbsterklärten) Libertären, Rechtsextremen und scheinbar ganz ‚normalen’ Bürger:innen. Während die Grenzen zwischen den verschiedenen Gruppen mehr und mehr verschwammen, wurde die Bewegung von einem Amalgam aus oftmals antisemitischen Verschwörungsmythen und Desinformationen zusammengehalten. In diesem Verschwörungs- und Desinformationsbiotop wurden rechte und rechtsextreme Akteure, zum Beispiel die Kleinstpartei Freie Sachsen und die AfD, schnell zur treibenden Kraft hinter den Corona-Protesten und verbreiteten aktiv Verschwörungserzählungen, insbesondere über den Messenger-Dienst Telegram. Die Synergien zwischen rechtsextremen Ideologien und Covid-bezogenen Verschwörungsmythen und deren Gewaltpotential werden deutlich, wenn man die gefühlspolitische Dimension beider betrachtet.

Verschwörungserzählungen in der Gefühlsgemeinschaft

Um die affektiven Implikationen rechter und verschwörungsideologischer Mobilisierung während der Corona-Pandemie zu verstehen, muss das bunt zusammengewürfelte Potpourri der Covid-Gegner:innen in erster Linie als Gefühlsgemeinschaft verstanden werden. Rechte Ideologien und Verschwörungsnarrative reproduzieren nicht nur rassistische und antisemitische Stereotype um einfache Antworten auf komplexe Fragen und Herausforderungen zu liefern, die zum Beispiel eine Pandemie mit sich bringen. Sie bieten ihren Anhänger:innen auch ein Lebensgefühl an, dass zum einen Angst vor und Hass auf rassifizierte Minderheiten, Vertreter des angeblich linken politischen Mainstreams oder Jüdinnen:Juden mobilisiert. Dazu gehört immer das subjektive Empfinden, selbst zugleich bedrohtes, ausgegrenztes Opfer und mutige:r Widerstandskämpfer:in zu sein. Ganz ähnlich sieht es bei Verschwörungsmythen rund Covid-19 aus. Ganz gleich, ob es um die angeblichen Gefahren der Corona-Impfungen oder um die zutiefst antisemitische Behauptung geht, die Covid-Pandemie sei ein von globalen jüdischen Eliten inszenierter Schwindel, der auf das Errichten einer „neuen Weltordnung“ abziele: Im Mittelpunkt all dieser Erzählungen steht die Position des unterdrückten, aber aufgeklärten und mutigen Opfers, die jedem und jeder angeboten wird, der oder die an diese Mythen und Erzählungen glaubt.

Geschichtsrevisionismus als Viktimisierungsmaschine

Rechtsextreme Akteure und Verschwörungserzähler:innen reproduzieren dieses Lebensgefühl ständig. Dies geschieht zum Beispiel durch das Verbreiten (falscher) historischer Vergleiche zwischen der aktuellen politischen Situation und früheren totalitären Systemen. In der gegenwärtigen Bundesrepublik sind die Abgrenzung vom Nationalsozialismus und das Gedenken an den Holocaust Dreh- und Angelpunkt der offiziellen Erinnerungskultur und nationalen Identität. Gleichzeitig sind Schuldabwehr und das Verlangen nach einem „Erinnerungs-Schlussstrich“ weit in der Bevölkerung verbreitet und somit auch ein zentrales Element deutscher Vergangenheitsbewältigung.

Rechte Akteure wie die AfD und PEGIDA vergleichen bereits seit Jahren die deutsche Regierung, vor allem unter der Führung von Angela Merkel, mit dem Nationalsozialismus oder dem DDR-Regime. Dabei versetzten sie ihre Anhänger:innen in die Rolle von rechtschaffenen Verteidiger:innen des Vaterlandes, die gegen Einwanderungspolitik und einen angeblichen Mangel an Meinungsfreiheit kämpfen, indem sie sie mit Dissidenten und Widerstandskämpfern der 1930/40er Jahre oder jenen von 1989 gleichsetzen. Solche Analogien und die noch schockierenderen Vergleiche zwischen ungeimpften Menschen und den Opfern des Holocausts, die von Deutschen brutal ermordet wurden, sind zentrale Elemente der Corona-Proteste. Das berüchtigtste Beispiel für solche Vergleiche sind Bilder von Demonstrant:innen, die einen gelben Stern tragen, der wie das von den Nazis als „Judenstern” bezeichnete Abzeichen aussieht, das ab 1941 zur Zwangskennzeichnung von Jüdinnen:Juden verwendet wurde: eine antisemitische Verharmlosung des Leids von Millionen Jüdinnen:Juden und anderen Opfern des Holocausts. Zudem bieten deutsche Rechtsextreme und andere Covid-Verschwörer:innen ihren Anhänger:innen durch diese Vergleiche die Subjektposition des wehrhaften und widerständigen Opfers an: Die Gleichsetzungen ermöglichen Verschwörungsgläubigen die historische Täterschaft Deutschlands zu relativieren. Das Verlangen nach dem Schlussstrich unter das offizielle Holocaustgedenken und eine auf historischer Schuld basierende nationale Identität wird auslebbar. Zudem wandeln sich Verschwörungsgläubige durch Vergleiche mit tatsächlichen Dissident:innen von bedrohten Opfern zu mutigen Widerstands- und Freiheitskämpfer:innen, die, wie ihre angeblichen Vorgänger:innen, auf der richtigen Seite der Geschichte stehen. Man denke hier beispielsweise an „Jana aus Kassel“, die sich auf einer Corona-Demonstration im November 2020 mit Sophie Scholl verglich. Oder daran, dass rechte und verschwörungsideologischen Veranstalter:innen ihre Demonstrationen oft als „Montagspaziergänge“ bezeichnen, um eine Kontinuität zwischen ihrem Protest und den friedlichen Demonstrationen in Leipzig und anderen Städten der DDR im Jahr 1989 zu suggerieren.

Anders als die Geschehnisse von 1989 blieben viele Corona-Proteste allerdings nicht friedlich. Und es muss wohl kaum erwähnt werden, dass jeder Vergleich zwischen Corona- Skeptiker:innen und den Opfern des deutschen Faschismus faktisch und historisch falsch ist. Aber solche Analogien sollen auch gar keinen rationalen Sinn ergeben, sondern haben eine gefühlspolitische Funktion. Denn das Tragen von gelben Sternen und andere (antisemitische) Relativierungen des Holocausts oder Vergleiche der heutigen Regierung mit der DDR-Diktatur sind vor allem Praktiken, die kollektive (Opfer-)Gefühle reproduzieren.

Gefühlte Opfer können zu Gewalttäter:innen werden

Diese gefühlspolitische Dimension von rechtsextremen und verschwörungsideologischen Bewegungen zu verstehen, bedeutet keinesfalls ihr Gefahrenpotential kleinzureden. Das Gegenteil ist der Fall. Aus der Position des bedrohten aber wehrhaften Opfers heraus fühlen sich antidemokratische Handlungen, wie beispielsweise der erfolglose Versuch im August 2020 den Reichstag „zu stürmen“, nicht wie staatsgefährdende Gewalt an, sondern wie notwendige Akte zur Verteidigung persönlicher und individueller Freiheiten. Dies trägt zur Radikalisierung der Szene bei, denn es rechtfertigt Gewalt als angemessenes Mittel des Widerstands. Zudem fördert es die Gewaltbereitschaft von Personen ohne extremistischen Hintergrund, da verbale und physische Gewalt als Notwehr gegen einen angeblich totalitären Staat konstruiert wird. Ein trauriges Beispiel dafür ist der Mord an Alex W., einem 20-jährigen Tankstellenangestellten in Idar-Oberstein, der im August 2021 erschossen wurde, nachdem er einen „Maßnahmengegner“ aufgefordert hatte einen Mundnasenschutz zu tragen. Dieser Vorfall zeigt auf tragische Weise das (lebens)gefährliche Potential für gewalttätige Eskalationen eines rechtsextremen, verschwörungsideologischen Lebensgefühls.

Die Folgen der Mobilisierung rechtsextremer und verschwörungsideologischer Gefühle können über den unmittelbaren Kontext der Covid-19-Pandemie hinausgehen. Denn ein verschwörungsideologisches Lebensgefühl kann ein Einstieg in eine umfassendere rechtsextreme Gefühlswelt sein. Menschen, die sich während der Pandemie als unterdrückte Opfer und Widerstandskämpfer:innen fühlten und gelernt haben den Staat, etablierte Medien und Wissenschaftler:innen als Feinde wahrzunehmen, werden möglicherweise weiterhin so fühlen, denken und handeln. Dementsprechend können deutschen Rechtsextreme die Paranoia, die sie in den letzten zwei Jahren geschürt haben, dazu nutzen, Impfgegner und Covid-Skeptiker weiter zu radikalisieren — auch solche, die vor der Pandemie nicht rechtsextrem eingestellt waren. Dabei kann ein verschwörungsideologisches Lebensgefühl auf andere Kontexte und imaginierte Bedrohungsszenarien übertragen werden und somit eine umfassendere, rechtsextreme Identität fördern, die sich nicht nur durch Corona-Skepsis auszeichnet, sondern auch antisemitische, rassistische, trans- und homofeindliche sowie frauenfeindliche, ableistische und andere Formen politischer Gewalt als Notwehr legitimiert. Auch das Schwenken russischer Flaggen auf Anti-Lockdown-Protesten in Dresden und anderswo zeigt, wie leicht sich durch Covid-Verschwörungen mobilisierte Gefühle mit anderen Desinformationen verbinden, auf andere (politische) Kontexte übertragen lassen und in Solidaritätsgefühle gegenüber den Initiatoren eines Angriffskrieges übersetzt werden können.

Auch nach der Corona-Pandemie geht die Gefahr für eine plurale Gesellschaft und die (körperliche) Unversehrtheiten derer, deren Leben durch (rechts)extreme Gewalt bedroht sind, also nicht nur von bekennenden Neonazis und berüchtigten Rechtsextremen aus. Sondern auch von den oft beschworenen „normalen“ oder „besorgten“ Bürger:innen, denen das Gefühl vermittelt wurde, ihre Freiheiten und gewohnte Lebensweise müssten gegen politische Feinde und religiöse oder rassifizierte Minderheiten verteidigt werden.

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