Weiter zum Inhalt Skip to table of contents

Krieg gegen die Ukraine Wieso „Querdenken“ zu Putin hält

Von|
Gegner:innen der Corona-Maßnahmen haben bei einer Demonstration in Berlin am 12. März 2022 auch Plakate gegen die NATO dabei.
Gegner:innen der Corona-Maßnahmen haben bei einer Demonstration in Berlin am 12. März 2022 auch Plakate gegen die NATO dabei. (Quelle: Flickr / RechercheNetzwerk.Berlin)

Dresden, 20. März 2022. „Querdenker:innen“ und andere Verschwörungsgläubige gehen auf die Straße. Sie fordern ein sofortiges Ende sämtlicher Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie, deren Existenz und Ausmaß sie in Frage stellen. Mit dabei ist etwa ein Transparent mit der Aufschrift, „Coronamaßnahmen beenden: Kretschmer verhaften“. Dass die Corona-Leugner:innen Sachsens Ministerpräsidenten Michael Kretschmer als vermeintlichen Volksfeind diffamieren, überrascht indes ebenso wenig wie das Schwenken kanadischer Fahnen – eine Bezugnahme auf die impfgegnerischen Trucker-Convoys vom Februar 2022. Für etwas mehr Verwunderung sorgte hingegen eine andere Demorequisite. Denn Teilnehmende des Aufzugs hatten auch Russland-Fahnen im Gepäck (vgl MDR, Twitter).

Der Zeitpunkt für Solidaritätsbekundungen mit Russland mag ungünstig erscheinen. Schließlich führt das Land seit Februar 2022 gegen die Ukraine einen brutalen Angriffskrieg. Überraschend ist dieser Schulterschluss deutscher Verschwörungsideolog:innen mit Russlands autoritären Präsidenten Wladimir Putin unterdessen nicht. Denn hier zeigt sich nur das jüngste Kapitel einer langjährigen ideologischen Verbundenheit. Damit ist nicht gemeint, dass Russland derartige Bewegungen gezielt gestartet hätte. Doch bei der Ablehnung liberaler Werte und der USA findet der Kreml eine gemeinsame Sprache mit Verschwörungsgläubigen und Rechtsextremen.

Ken Jebsen darf nicht fehlen

Bei der Verbreitung von Verschwörungsideologien ist beispielsweise der ehemalige Radiomoderator Ken Jebsen nicht erst seit gestern federführend. Jebsen, der zu einem der Sprachrohre der deutschen Verschwörungsszene aufgestiegen ist, profiliert sich spätestens seit 2014 als überzeugter Verteidiger der russischen Außenpolitik. Nachweislich besuchte er gemeinsam mit Politiker:innen von der AfD und „der Linken“ 2018 eine Wirtschaftskonferenz auf der völkerrechtswidrig von Russland annektierten Krim (vgl. Die Zeit). Auch im Zuge der Corona-Pandemie glänzte der einstige Radiomoderator ungebrochen mit kruden Falschbehauptungen. Nachdem YouTube im Januar 2021 seinen Kanal deswegen sperrte, kehrte Jebsen im November desselben Jahres mit einem neuen Medienangebot zurück.

Als Jebsen also am 21. März 2022 bei einem „Spaziergang“ in Bautzen das erste Mal seit längerer Zeit öffentlich in Erscheinung tritt, kann er seine verschwörungsideologische Sicht auf das Pandemiegeschehen problemlos mit Lügen über den Ukraine-Krieg in Verbindung bringen. Innerhalb weniger Sätze vergleicht der Demagoge die aktuelle Lage in Deutschland beispielsweise mit der Nazi-Diktatur, bezeichnet die Corona-Beschränkungen als kriegsvorbereitende Maßnahme zur Einschränkung der Versammlungsfreiheit und wiederholt die russische Falschbehauptung, es gäbe über 26 Biowaffenlabore in der Ukraine. Im Großen und Ganzen gehe es „uns“ bei diesem Konflikt sowieso nur ums Geld. Ganz auf Linie der Kreml-Propaganda behauptet Jebsen, der Westen würde gemeinsam mit ukrainischen Rechtsradikalen seit Jahren in der Ostukraine einen Bürgerkrieg gegen die russischsprachige Bevölkerung anheizen. Da die NATO in der Ukraine Atomraketen aufstellen wolle, habe Putin zudem sowieso nur aus reinem Selbstschutz reagiert.

Die unmittelbare Reaktion auf diesen Auftritt ist bezeichnend. Ein Veranstalter der Corona-leugnerischen Kundgebung bedankt sich bei Jebsen für dessen „langjährige Arbeit, die letztlich auch viele, die hier stehen, zum Aufwachen gebracht hat“. Der verschwörerische Blick auf die Pandemie entpuppt sich so aber als aktuellster Baustein eines seit langem fabrizierten Denkgebäudes, zu dessen festem Fundament die Ablehnung der USA und „des Westens“ zählt. Schon im Jahr 2011 behauptete der damalige rbb-Moderator Jebsen in der Öffentlichkeit, die Anschläge vom 11. September 2001 seien von der US-Regierung inszeniert.

Prorussische Propaganda seit 2014

Andererseits gehörten Falschmeldungen auch vor 2022 fest zum Waffenarsenal des Kremls. Spätestens seit 2014 bespielen Putin-treue Medien das westliche Ausland mit prorussischer Desinformation. Unter Bruch des Völkerrechts annektierte Putin damals die Krim, in der Ostukraine begann der von Russland angeheizte „Bürgerkrieg“. Dem Narrativ der westlichen Medien, wonach Russland im Konflikt mit der Ukraine der Aggressor sei, galt es von da an die Mär von der existenziellen Bedrohung Russlands durch die NATO-Osterweiterung und „den Westen“ entgegenzusetzen. Formuliert wurde hier also genau dasselbe Argument, das auch die russische Invasion der Ukraine im Jahr 2022 zu einem Verteidigungsakt umdeuten soll. Exemplarisch für diese Bemühungen steht der kremlfinanzierte Auslandssender Russia Today (RT), dessen deutschsprachiger Arm RT DE ausgerechnet im November 2014 den Betrieb aufnahm. Erst als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg verbot die EU im Februar 2022 den Putin-treuen Internetkanal.

Ab März 2014 fanden in Deutschland aber auch die sogenannten „Friedensmahnwachen“ statt. Im Zuge der Krim-Annexion warben deren Teilnehmer:innen für Verständnis mit Putin. Nach der Einverleibung von ukrainischem Staatsgebiet durch Russland warnten sie also vor einer Eskalation seitens des Westens und der USA. Neben Jebsen, der dort oft als Redner auftrat, nutzte etwa auch der rechtsextreme Publizist Jürgen Elsässer diese Mahnwachen als Plattform für seinen Antiamerikanismus. Die Veranstaltungen entwickelten sich zu einem Sammelbecken für Reichsbürger:innen, Rechtsextreme und Verschwörungsgläubige jeglicher Couleur. Die dort verbreitete, zutiefst antisemitische Vorstellung von einer kleinen kriegstreibenden „Elite“, die insbesondere in den USA das Sagen hätte, lockte also eine ganz bestimmte Klientel.

Die Mahnwachen zeichnete zudem bereits jene „Querfront“ mit Esoteriker:innen und vergleichbaren „Friedensbewegten“ aus, die auch für das pandemieleugnerische „Querdenken“ bezeichnend bleibt. Zahlreiche Akteur:innen, die heute tonangebend sind, traten 2014 schon in Erscheinung. Bei den Mahnwachen aktiv war etwa der Sänger und Antisemit Xavier Naidoo, der sich bei Covid-19 mit kruden Verschwörungsmythen über Kinderblut trinkende Eliten nicht gerade zurückgehalten hat.

RT als Alternative zur „Lügenpresse“

Ein Schlüsselelement, das die damaligen Mahnwachen mit dem rassistisch-islamfeindlichen Pegida und den verschwörungsideologischen Demonstrationen gegen die Covid-19-Maßnahmen verbindet, bleibt die Ablehnung der sogenannten „Lügenpresse“. Unabhängige Medien, die weder russische Lügen noch rechtsextreme Verschwörungserzählungen verbreiteten, stemplen all diese Protestbewegungen als „gleichgeschaltet“ und „systemtreu“ ab.

Kremlfinanzierte Informationskanäle wie Russia Today oder Sputnik genießen in solchen Kreisen demgegenüber ein hohes Standing. Sie gelten dort als ähnlich seriös wie die verschwörungsideologischen Nachrichtenportale von Jebsen, Elsässer und Co. Das hängt damit zusammen, dass die antiwestliche Haltung europäischer Rechtsradikaler und Verschwörungsgläubiger Putin augenscheinlich in die Hände spielt.

Um die politische Lage in Europa zu destabilisieren, befeuerten kremltreue Auslandsmedien seit März 2020 deshalb die Perspektive der „Corona-Skeptiker:innen“. Dabei behaupteten sie unter anderem, die USA hätten Covid-19 ursprünglich als Biowaffe kreiert. Kamerateams von RT begleiteten kommentarlos „Querdenken“-Aufmärsche, schon bei Pegida ging der Sender in seiner Berichterstattung ähnlich vor. Das sicherte RT in dieser Szene einen Vertrauensbonus und den Ruf eines „neutralen“ Mediums. Zur Nebensächlichkeit geriet hierbei, dass Putin selbst starke Angst vor einer Infektion mit Covid-19 hat (vgl. FAZ, FocusKurier).

„Querdenken“ im Ukraine-Krieg

Dass die Corona-Leugner:innen jetzt auf Seiten des Kreml stehen, ist folglich kaum verwunderlich. Einschlägige Telegram-Kanäle beschreiben den Krieg als westlich inszeniertes Manöver, um von der „Corona-Lüge“ abzulenken. Eine Analyse der Amadeu Antonio Stiftung hat gezeigt, dass sie in ihrer Sicht auf das Kriegsgeschehen die Propaganda des Kremls teilen. Der „Querdenker“ Bodo Schiffmann streamte gar Russia Today in den ersten Kriegswochen live über seinen Telegram-Kanal. Das unabhängige Institute for Strategic Dialogue (ISD) zeichnete für verschwörungsideologische, deutschsprachige Gruppen auf Facebook ein ähnliches Bild. „COVID-19-Skeptiker, Anti-Vaxxer, Rechtsextreme und Rechtspopulisten“ gehören laut ISD in Deutschland zu den Gruppen, die für russische Desinformation am anfälligsten sind.

An dieser Stelle zeigt sich also einmal mehr, der Kampf gegen menschenverachtende Verschwörungsideologien ist stets auch ein Kampf gegen ungeprüfte Fakten und Desinformation.

Weiterlesen

Eine Plattform der