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Menschenfeindlichkeit August 2015 Rassismus und Feindlichkeit gegen Flüchtlinge

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Detailaufnahme von Willkommensfest in Heidenau am 29.08.2015. (Quelle: Caruso Pinguin / flickr / Creative Commons)

Die rassistisch motivierte Feindlichkeit gegen Flüchtlinge in Deutschland führt seit Monaten zu unzähligen Übergriffen gegen Flüchtlinge und Flüchtlingsunterkünfte (vgl. Chronik auf Mut-gegen-rechte-Gewalt.de). Einige Orte werden Synonyme für diese Stimmungen: Tröglitz etwa (April 2015, hier gab es einen Brandanschlag noch wochenlanger Bedrohung von Aktivist_innen, quasi mit Vorankündigung) oder das sächsischen Freital (Juli 2015, tagelanger rassistischer Mob). Im August kam ein weiterer hinzu: Heidenau.

Feindlichkeit gegen Flüchtlinge

Heidenau qualifiziert sich als Symbolstadt, weil das ebenfalls in Sachsen liegende Örtchen ab Mittwoch, den 19. August 2015, nicht nur einen tagelang auf der Straße aktiven Mob rassistischer Bürger_innen zu bieten hatte (wie Freital), sondern erstmals einen offen rechtsextrem motivierten Mob, der auch die ideologiezugehörige Gewaltbereitschaft mitbrachte, die sich am Freitag, den 21. August 2015, entlud – nach einer von der NPD angemeldeten Demonstration formierten sich 600 Rechtsextreme zu einer Sitzblockade, um zu verhindern, dass Flüchtlinge in den Baumarkt gebracht werden können. Dies war zuvor in Sozialen Netzwerken angekündigt worden. Die Rassist_innen warfen mit Steinen, Flaschen, Straßenabsperrungen und Böllern. Die Polizei war zahlenmäßig massiv unterlegen, zog sich zurück – 31 Beamte wurden verletzt, einer davon schwer (vgl. mdrSächsische Zeitungngn). Am Samstag wiederholten sich die Ausschreitungen, nur dass die Demonstration diesmal nicht angemeldet war. Neonazis machten Stimmung gegen Flüchtlinge, lauerten Flüchtlings-Unterstützer_innen auf und griffen erneut mit Bauabsperrungen, Böllern und Flaschen die Polizist_innen an, die die Flüchtlinge zu schützen versuchten (letztendlich auch erfolgreich). Diesmal gab es offiziell 2 Verletzte (vgl. publikative.orgDie ZeitMDRSächsische Zeitung).

Dies führte bundesweit zu viel Empörung – nicht so sehr allerdings in Heidenau, wo der Rassismus gegen Flüchtlinge eben auch von Teilen der Heidenauer Bürger_innen getragen wird – zahlreiche Interviews belegen das (vgl. Welt). Nur endeten in Heidenau die Bemühungen, zu verschleiern, dass Neonazis die Organisatoren hinter der flüchtlingsfeindlichen Stimmungsmache sind. Die Tarnung der „besorgten Bürger_innen“ bröckelt. Aufgegeben wurde sie allerdings nicht bewusst: Die organisierende Facebook-Gruppe hieß natürlich harmlos – „Heidenau hört zu„. Die lokale NPD rief zwar zu Demonstrationen vor dem Baumarkt, der zur Flüchtlingsunterkunft wurde, auf, distanzierte sich aber (hinterher und nur taktisch) von der Gewalt. Doch die Teilnehmer_innen und ihr Handeln sprechen eine deutliche Sprache – die des demokratie- und menschenverachtenden Rechtsextremismus, der mit Ängsten und Besorgtheiten nichts mehr zu tun hat.

Wieder einmal gelang es auch dem Land Sachsen, sich angesichts der Ereignisse in Heidenau nicht mit Ruhm zu bekleckern: Als wenigstens ein Willkommensfest für die Flüchtlinge in Heidenau organisiert wurde, wurde dies von Landratsamt zunächst verboten – ebenso wie eine zeitgleiche Neonazi-Veranstaltung. Erst das Dresdner Verwaltungsgericht kippte die Kapitualtion vor den Demokratiefeinden, das Fest fand statt (vgl. Die ZEITMut-gegen-rechte-gewalt.de). Wie die Prosteste gegen Flüchtlinge Rechtsextreme und Alltagsrassist_innen zusammenbringt, zeigte auch die Reaktion der Demonstrant_innen, als Vizekanzler Sigmar Gabriel sie – wenig diplomatisch, aber emotional bewegt – als „Pack“ bezeichnete. Seither werden „Wir sind das Pack„-Schilder auf flüchtlingsfeindlichen Demonstrationen mitgeführt, die Stigmatisierung als nicht zur demokratischen Gesellschaft gehörig wird als Auszeichnung vor sich her getragen.  

Immerhin: Nun wurde der gesellschaftiche und mediale Druck offenbar so groß, dass selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel sich endlich einmal positioniert hat: „Es gibt keine Toleranz gegen die, die die Würde anderer Menschen infrage stellen“, wendet sie sich an alle, die in den vergangenen Wochen Brandsätze auf Flüchtlingsheime geworfen oder davor demonstriert haben.“ Es gehöre dazu, dass man als Politiker mal beschimpft werde, „das ficht mich nicht weiter an“, sagte Merkel. „Was mich anficht, ist, dass es diesen Hass gibt. Hier muss es eine ganz klare Abgrenzung geben. Es geht darum, dass man nicht die Spur von Verständnis zeigt.“ (vgl. Die ZEITSpiegel online).

Und danach hat es sogar der sächsischen Ministerpräsident Stanislaw Tillich geschafft, sich zum gewalttätigen Rassismus in seinem Land zu äußern. Allerdings nicht mit Verantwortungsübernahme, sondern mit einem Wegschieben des Rassismus-Problems in eine „Minderheit“: „Eine enthemmte Minderheit besudelt und beschämt unser ganzes Land. Rassisten und Staatsfeinde haben Mitmenschen angegriffen, terrorisiert und verängstigt.“ Leider ist es offenbar mancherorts mehr als eine Minderheit.

Weitere Übergriffe im August, die besondere Aufmerksamkeit erhielten:

Salzhemmendorf (Niedersachsen): Brandanschläge auf unbewohnte Flüchtlings-Unterkünfte oder vor bewohnten Unterkünften sind aktuell traurige Realität – hier allerdings wurde am 28.08.2015 ein Molotowcocktail in die bewohnte Unterkunft geworfen, der Tod von Menschen also explizit gewollt. Eine 34-jährige Mutter und ihre drei Kinder (11, 10, 4) waren zum Glück gerade im Nebenraum, blieben so durch Zufall unverletzt. Einer der drei Täter war Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr, half hinterher noch ganz ungerührt beim Löschen. In Sozialen Netzwerken war seine Neigung zur rechtsextremen Szene allerdings deutlich zu sehen – ebenso wie übrigens beim Jugendwart der Freiwilligen Feuerwehr, wie sich später herausstellte. Er wurde vom Dienst suspendiert (vgl. SpiegelNDR).

In Meißen (Sachsen) zeigte sich das ganze Ausmaß eines organisierten Rechtsterrorismus am 14.08.2015: Da wurde eine Flüchtlingsunterkunft am 14.08.2015 durch Wasser beschädigt, die bereits im Juni 2015 in Brand gesteckt worden war. Der Vermieter hatte nach dem Brandanschlag von Ende Juni erklärt, dieser sei „keine kriminelle Tat eines Einzeltäters, sondern ein gezielter Akt mit klar terroristischem Hintergrund“. Er berichtete damals weiter, seit der Brandnacht Ende Juni sei der Terror ständiger Begleiter mit „inszenierten Fehlalarmen, Drohanrufen, Hetze im Internet, Drohmails mit dem klaren Aufruf mich, meine Familie und vor allem meine Firma ,zur Strecke zu bringen'“. Dies gipfelte laut Brumm in einer Mitteilung, dass ein Kopfgeld auf seine Person ausgesetzt worden sei. Die Initiative „Heimatschutz“ hat in Meißen seit dem Anschlag mehrere Anti-Asyl-Demonstrationen organisiert, an denen zuletzt etwa 700 Personen teilnahmen (TagesspiegelMDR).

Perfide: In Bochum (NRW) feuerten Unbekannte am 26.08.2015 aus einem Auto auf drei Flüchtlinge – zwar mit Platzpatronen, aber wie schlimm muss das für kriegstraumatisierte Flüchtlinge sein? (Der Westen

In Torgelow (MV) beschossen Unbekannte am 17.08. eine Flüchtlingsunterkunft mit Feuerwerkskörpern und schossen mit einer Schreckschusspistole in die Luft (Neues Deutschland).

Alle Übergriffe auf Flüchtlinge – der August war im Jahr 2015 der Monata mit den meisten bisher – finden sich auf Mut gegen rechte Gewalt. Auch lesenswert dort die Analyse „Wenn aus Worten Brandsätze werden„.

Rassismus

Neben den flüchtlingsfeindlichen Übergriffen gab es im August auch noch einen besonders widerwärtigen rassistischen Übergriff, und zwar in S-Bahn von Berlin nach Brandenburg: Dort beschimpften zwei Neonazis im Alter von 32 und 37 Jahren eine Frau und ihre etwa 15 und fünf Jahre alten Kinder, pöbelten „Heil Hitler“, zeigten den Hitlergruß und riefen: „Wir sind die Herrenrasse, ihr seid keine Arier.“ Dann entblößte sich der 32-jährige Christoph Sch. vor den Kindern und urinierte auf sie. Zahlreiche Zeugen beobachteten die Tat und riefen die Polizei. Die Bundespolizei konnte die betrunkenen Neonazis festnehmen. Hinterher stritten die Neonazis alles ab, sie sind aber einschlägig bekannt (vgl. Berliner ZeitungB.Z.Märkische Allgemeine Zeitung).

 

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