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Nach Videostatement Naidoo will aussteigen, die Verschwörungsblase will Antworten

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Von weinenden Adrenochrome-Videos zum Hochglanz-Austiegsstatement: Xavier Naidoo
Von weinenden Adrenochrome-Videos zum Hochglanz-Austiegsstatement: Xavier Naidoo (Quelle: Screenshot/Instagram)

Im Frühjahr 2020 weinte Xavier Naidoo, während er sichtlich aufgelöst in die Kamera von Adrenochrom, satanistischen Pädophileneliten und entführten Kindern schwadronierte. Doch heute ist es sein enger Verschwörungsverbündeter, der „QAnonfluencer“ Oliver Janich, der die Tränen zurückhalten muss. Der Grund dafür ist die überraschende Kehrtwende des Soulsängers und „Sohn Mannheims“: In einem dreiminütigen Instagram-Video bittet Naidoo um Verzeihung, behauptet, er habe sich verrannt, will sich von „allen Extremen, insbesondere von rechten und verschwörerischen Gruppen“ distanzieren.

„Ich stehe für Toleranz, Vielfalt und ein friedliches Miteinander. Nationalismus, Rassismus, Homophobie und Antisemitismus sind mit meinen Werten nicht vereinbar. Und ich verurteile diese aufs Schärfste“, so Naidoo im professionell produzierten PR-Clip, der im starken Kontrast zu seinen hysterischen Nahaufnahmen seit Pandemiebeginn steht. Naidoo war über Jahren hinweg durch antisemitische Metaphern und Dog Whistles, durch Reichsbürger-Nähe und QAnon-Wahn aufgefallen, wie Belltower.News mehrfach berichtete. Auf seinen Telegram-Channel hat Naidoo ab 2020 praktisch alle antisemitischen Verschwörungserzählungen verbreitet, die es gibt. 2021 lieferte er den Refrain zu der Impfgegnerhymne „Ich mach da nicht mit“ von den Rapbellions, im Musikvideo wird ein Anschlag auf ein Impfzentrum angedeutet.

Vor diesem Hintergrund dürfte sein plötzliches Zurückrudern mehr als fraglich erscheinen, auch wenn es in letzter Zeit still um Naidoo geworden ist. Er begründet seinen Sinneswandel mit dem Krieg in der Ukraine. Seine Frau sei Ukrainerin, die russische Invasion habe ihn „bestürzt und aufgerüttelt“ – und ihm zum Nachdenken gezwungen. Doch er bleibt vage und im Ungefähren, distanziert sich nicht von konkreten Verschwörungsideologien, Gruppen oder Personen.

Zweifel am Statement gibt es auch in der Verschwörungsblase, wenn auch aus anderen Gründen. Naidoos Entschuldigungsvideo war der Anlass für einen hektisch anberaumten Livestream mit Oliver Janich sowie den rechtsalternativen und verschwörungsideologischen Medienaktivisten Sebastian Verboket („Fakten Frieden Freiheit“) und Miró Wolsfeld („Unblogd“). „Was ist da los?“, hieß die Diskussion, die auf dem Rechtsaußen-Twitterklon Gettr sowie der rechtslibertären Streamingplattform Odysee übertragen wurde.

„Was mir aufgefallen ist an dem Statement, ist A, dass er abliest, und B, dass das never ever seine Worte sind“, beginnt Janich im üblich skeptischen Ton. Naidoo verwende zum Beispiel den Begriff „Verschwörungserzählung“, so Janich – ein Begriff, den die „Lügenpresse“ und vor allem „linksextreme“ Vereinigungen wie die Amadeu Antonio Stiftung verwenden würden. Es dauert nicht lange, bis Janich seine Worte unterbrechen und tief einatmen muss, den Tränen nahe. „Sorry“, sagt der kettenrauchende Janich mit zittriger Stimme. Das Statement sei von Naidoo verlangt worden, so Janich, und er habe möglicherweise nur versucht, seine Familie aus der Ukraine herauszuholen.

Die Livestream-Runde mit Janich, Verboket und Wolsfeld bleibt vor allem verständnisvoll: Naidoo habe seine Leute nicht „angekackt“, habe keine Namen genannt, seine Aussagen oft mit dem Wort „teilweise“ abgeschwächt. Und vor allem habe er unter enormen Druck gestanden – von der Linkspresse, seinem Label, seinem Management, seiner Band. Er habe lediglich das Nötigste getan – für den ominösen „Mainstream“.

Die drei Männer reagieren bestürzt, sehen aber in dem Statement keine großen Schäden für „die Szene“ und drücken vor allem ihr Mitleid aus: „Von dem, was möglicherweise dahintersteckt, kann es sein, dass er in einer sehr prekären Situation ist und ich drücke ihm alle Daumen“, sagt Janich etwa. Und sie bleiben offenbar optimistisch, dass das Statement nicht das Ende von Naidoo ist. „Ich glaube, wenn du einmal so drauf bist, wenn du einmal die rote Pille geschluckt hast…würdest du freiwillig niemals wieder die blaue Pille schlucken. Das geht einfach nicht“, sagt Wolsfeld überzeugt. Er schlägt vor: „Vielleicht sollten wir den Text mal runterschreiben und dann finden wir irgendwie eine Codierung von Xavier, wo man dann zwischen den Zeilen liest, was er eigentlich sagt.“ Janichs Botschaft an Naidoo zum Schluss: „Halt die Ohren steif, Xavier. Ich denke, wir sehen uns mal wieder“.

Weniger gelassen reagiert hingegen „der Wendler“: „XAVIER SCHOCKIERT DIE FREIHEITSBEWEGUNG MIT AUSSAGEN IN SEINEM VIDEO“, schreibt der Schlagersänger und ehemaliges Jurymitglied bei „Deutschland sucht den Superstar“, der während der Pandemie in die Verschwörungswahnbranche gewechselt war. „DIE WAHRHEIT IST NICHT VERHANDELBAR“, so Michael Wendler weiter mit Faust- und Explosionemojis. Naidoos versuchter Ausstieg dürfte für Wendler unbequem sein. Denn der Sänger hat in der Musikbranche etliche Brücken verbrannt, seit November 2021 betreibt er zusammen mit seiner Frau einen Kanal auf der Erotikabo-Plattform Onlyfans. Dabei diente Naidoo offenbar zunächst als Vorbild für den Berufswechsel vom Schlager zur Verschwörung. Nun steht Wendler alleine da.

Auch Attila Hildmann, ehemals veganer Kochbuchautor, heute antisemitischer Justizflüchtling, zeigt sich schockiert, als er in einem 35-minütigen Video Naidoos Aussagen mit Fassungslosigkeit und verwunderten Pausen wiedergibt. „Da könnte ich an einem Tisch sitzen mit einem Böhmermann, mit einem Hofreiter, mit einer Baerbock“, kommentiert er Naidoos Worte. Ein ganz großer Standhafter sei eingeknickt, von dem Hildmann einiges gehalten habe. Und das trotz Albencover mit Davidsternen und Freimaurersymbolik, trotz der Tatsache, dass die ganze Musikindustrie satanistisch sei, so Hildmann. Naidoo sei erbärmlich und ehrenlos, sein Statement ein Dolchstoß.

Vor allem stört sich Hildmann daran, dass Russlands Krieg in der Ukraine eine Rolle für Naidoos vermeintliches Umdenken gespielt haben soll. Hildmann spricht von einem „inszenierten Krieg“, vom eigentlichen Plan, so den „Great Reset“ schneller einzuführen, vom geheimen Projekt des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, nach dem Krieg ein „Großisrael“ zu etablieren. Naidoo sei plötzlich „komplett auf BRD-Linie“, beklagt Hildmann, der sich immer wieder für die Verschwörungsideologien der Reichsbürger-Szene offen zeigt, die die Souveränität Deutschlands anzweifeln. Er wolle den Weg ebnen zurück in „diese kranke, völlig geistesgestörte Gesellschaft“, so Hildmann. Naidoo wolle wieder Star werden. „Brav, sehr brav“, kommentiert er sarkastisch.

Dass Naidoos Entschuldigungsvideo ein „Dolchstoß“ war, kann auch der rechtsextreme Holocaustleugner Nikolai Nerling nachvollziehen, wie er in einem Video auf seinen Telegram-Kanal sagt. „Denn Xavier Naidoo war für viele wirklich der Führer, der fast schon Messias. Er hat ganz früh die Menschen zum Aufwachen gebracht“, heißt es weiter in der fast nachrufartigen Videobotschaft. Aber Naidoo sei offensichtlich nicht „der Führer“, den sich viele gewünscht hätten, führt Nerling fort. „Denn sonst wäre er nicht eingeknickt, ob als Theater oder in Echt“. Naidoo sei eine große Gefahr eingegangen, spekuliert Nerling als Möglichkeit für den Sinneswandel des Sängers: „Er hat sich mit dem Zentralrat der Juden angelegt, Zentralrat der Lügen, wie er es damals nannte“. Das Statement sei ein Schock, aber auch nicht schlecht, resümiert er. Denn es sorgt für mediale Aufmerksamkeit, was auch andere Menschen zum „Aufwachen“ bringen könnte.

Die Naidoo-Krise begreift die Coronaleugner-Szene allerdings nicht als Chance, sondern sie zeigt sich vor allem verblüfft. Der Stuttgarter „Querdenken“-Anführer Markus Haintz macht auf Investigativjournalist und verfasste eine Liste von zehn Fragen an Naidoo. „Warum werden in seiner Nachricht ‚Verschwörungen‘…mit negativ besetzten Begriffen wie Nationalismus, Rassismus, Homophobie und Antisemitismus ‚verknüpft‘?“, fragt er sich etwa. Auch die rechtsextreme Impfgegnerpartei „Freie Sachsen“ sucht nach Antworten: „Ist das Geld ausgegangen? Wird der Mann oder seine Familie bedroht? Wurde ihm etwas für solche Äußerungen versprochen?“, so die Kleinstpartei auf Telegram. „Hier ist etwas faul!“

Der österreichische IB-Chef und neurechte Posterboy Martin Sellner meldete sich nach Naidoos Statement auch schnell, dafür aber kritisch zu Wort. In einem Telegram-Video erzählt er, er habe den Sänger nie idolisiert und sei deshalb weder enttäuscht noch überrascht. Sellner spricht von einem „Triumph der Verschwörungskritik“ in den vergangenen zwei Jahren, inklusive „Great Reset“, Coronapandemie und „Bevölkerungsaustausch“. Doch er bezweifelt, wie viel von dem „QAnon-Kram“ stimme. Und für Sellner sei nur sekundär, wer tatsächlich hinter der globalistischen Weltverschwörung stecke, auch wenn er einräumt, dass vieles davon richtig sei.

Vor allem dient Sellners Reaktion als Warnung vor Figuren wie Naidoo. Er mahnt seine Anhänger:innen, aus der Geschichte zu lernen: „Passen wir darauf auf, dass wir uns nicht leiten, blenden oder falsche Hoffnung geben lassen von durchlauferhitzten Leuten, die von einem Extrem zum anderen und wieder zurück kippen“.

Es bleibt abzuwarten, auf welches Narrativ über Naidoos angeblichen Abgang sich die Verschwörungsszene einigt: Maulwurf, Verräter, unschuldiges Opfer? Mit seiner halbherzigen PR-Distanzierung, die nicht mal in der Szene ernst genommen wird, hat er zumindest bis jetzt noch dafür gesorgt, dass ihm alle Türen weiter offen stehen.

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