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Ohne Wenn und Aber Solidarität mit Jüdinnen*Juden und Israel?

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(Quelle: AAS)

Solidarität mit Israel ist nicht erst seit dem 7. Oktober angebracht. Denn den Kampf gegen Antisemitismus führt man solidarisch mit Betroffenen, egal wo sie leben. Und das beinhaltet nun mal auch, sich solidarisch mit dem einzigen jüdischen Staat weltweit zu zeigen. Israel ist ein Schutzraum vor globalem Judenhass. Als solcher ist das Land ein Versprechen für alle von Antisemitismus Betroffenen und wird gerade deshalb auch immer wieder angegriffen. Mit Waffengewalt und Terror vor Ort. Im Internet und auf den Straßen in Europa und den USA mit Hass, Desinformation und Dämonisierungen. Jüdinnen*Juden gelten Antisemit*innen und Israelhasser*innen als Vertreter*innen des jüdischen Staates und damit als legitime Ziele. Der 7. Oktober ist hier keine Zäsur, er fungiert vielmehr als Katalysator für neuen Judenhass. Dem müssen wir eine klare Haltung entgegenstellen

Egal wie brutal die Tat war, es wird immer jemanden geben, der sie zu erklären versucht und dabei einen Teil der Schuld beim Opfer sucht. Das gilt für Gewalt gegen FLINTA*, gegen queere Menschen, gegen BIPoC und es gilt bei Gewalt gegen Jüdinnen*Juden. Täter-Opfer-Umkehr gehört zum Standard-Repertoire in der Verzerrung von Gewalttaten.

Bezogen auf Antisemitismus zeigte sich das selbst nach dem 7. Oktober. Selbst? Man könnte ja denken, der brutale Massenmord, das Foltern, die systematischen Vergewaltigungen dieses Tages würden diese Art Täter-Opfer-Umkehr verunmöglichen. Denn es liegt doch auf der Hand, dass die in Kibbuzen lebenden Zivilist*innen oder die auf einem Musikfestival Tanzenden keine, aber auch gar keine Mitschuld hieran tragen. Oder? Weit gefehlt. Mehr als genug bejubelten die Taten und hielten sie für einen legitimen Befreiungsschlag, für gerechtfertigten Widerstand. Es gab auch moderatere Stimmen, die zwar Gewalt ablehnen, aber auf perfide Weise eine Teilschuld bei den Opfern suchten, die auf den 7. Oktober mit einer „ja, aber”-Argumentation reagierten.

Auf dieses „ja, aber” hat die Amadeu Antonio Stiftung mit einem Plakat reagiert. Darauf steht, „Jüdisches Leben und Israel – ohne Wenn und Aber. Gemeinsam gegen Antisemitismus: Jetzt Haltung zeigen.” Das Plakat fordert also dazu auf, der aktuellen globalen Welle des Antisemitismus mit einer eigenen, klaren Positionierung zu begegnen, mit einem Bekenntnis zu Jüdinnen*Juden und damit eben auch mit einem Bekenntnis zum jüdischen Staat. Die ersten 1000 Plakate ließen sich über die Stiftungswebsite bestellen. Das hat insbesondere auf Social-Mediazu lautstarkem Widerspruch geführt, was nicht überraschend ist, aber doch eine Antwort wert. Dabei kristallisieren sich zwei Kritiken heraus.

Behauptung 1: „Ohne wenn und aber für Genozid und Apartheid”

Der erste Vorwurf ist eine Unterstellung. Behauptet wird, die Formulierung „ohne Wenn und Aber” sei ein Bekenntnis zu den „Untaten” des jüdischen Staates. Ohne Wenn und Aber stehe die Stiftung also hinter „Genozid” und „Apartheid”. Zuerst einmal: Die israelische Antwort auf den 7. Oktober, die Bombardierungen des Gaza-Streifens und die Bodenoffensive sind kein Genozid. Sicher, mittlerweile sind mehr als 20.000 Palästinenser*innen dabei gestorben, darunter viele Unschuldige, nicht zuletzt Kinder. Das bringt unfassbares Leid über den Gazastreifen. Ein Genozid ist es dennoch nicht. Diesen Begriff hat Raphael Lemkin in den frühen 1940er-Jahren entwickelt, also zeitgleich zur Shoah. In einem Buch von 1944 schreibt er: Ein Genozid ist „ein koordinierter Plan verschiedener Aktionen, der auf die Zerstörung essenzieller Grundlagen des Lebens einer Bevölkerungsgruppe gerichtet ist, mit dem Ziel, die Gruppe zu vernichten.” Zu behaupten, Israel bombardiere den Gazastreifen mit einem solchen Ziel und nicht etwa, um die Terrororganisation Hamas zu entmachten und die letzten Geiseln zu befreien, ist eine perfide Unterstellung, die den Tatsachen nicht entspricht. Niemand kann leugnen, dass die Offensive eine Antwort auf die Gewalt des 7. Oktober ist. Und eben diese war die eigentlich genozidale Gewalt: Das sagen Hamas und die anderen beteiligten Terrororganisationen immer wieder in aller Deutlichkeit. Ihnen geht es um die Vernichtung Israels und seiner Bevölkerung. Nicht nur das: Der Aufruf der Hamas zu einem globalen Tag des Hasses am Freitag nach dem 7. Oktober zeigt, dass sich ihr Angriff gegen Jüdinnen*Juden weltweit richtete.

Der Vorwurf an das Plakat ist ein absichtliches Missverständnis. Dennoch eine Erklärung: Die Formulierung „ohne Wenn und Aber” meint eine Solidarität, die nicht an Bedingungen geknüpft ist. Der jüdische Staat hat ein Recht zu existieren. Jüdinnen*Juden haben ein Recht dazu, in Deutschland zu leben. Zwei Sätze, so banal, dass sie merkwürdig klingen. Dazu darf es keine Einschränkung geben. Das gilt also ohne Wenn und Aber – und unabhängig davon, wie dieser Staat sich konkret verhält. Eine einfache Idee, die offensichtlich aber Leute in Rage bringen kann.

Behauptung 2: „Die Gleichsetzung von Juden und Israel ist selbst antisemitisch”

Der zweite Vorwurf an das Plakat besagt, es setze Jüdinnen*Juden mit Israel gleich und reproduziere damit selbst Antisemitismus. Denn steht es nicht so in der IHRA-Arbeitsdefinition von Antisemitismus? Irritierenderweise fragen das gerade diejenigen, die diese Definition sonst für „zionistische Propaganda” halten. Dort steht nämlich als Beispiel für Antisemitismus: „Das kollektive Verantwortlichmachen von Jüdinnen und Juden für Handlungen des Staates Israel.” Ein antisemitischer Vorfall dieser Art war z.B. die antiisraelische Demonstration vor der Synagoge in Gelsenkirchen im Mai 2021 oder der Brandanschlag auf die Wuppertaler Synagoge 2015 oder der auf die Berliner Gemeinde 2023. Hierbei wurden jüdische Einrichtungen in Deutschland verantwortlich gemacht für Ereignisse in Israel.

Der Vorwurf an das Plakat wiegt schwer, behauptet es doch gerade, etwas gegen Judenhass tun zu wollen. Aber setzt das Plakat Jüdinnen*Juden und Israel gleich? Nein, aber es verweist auf einen Zusammenhang, denn selbstverständlich lassen sich jüdisches Leben in der Diaspora und Israel nicht trennen. Wie auch? Eretz Israel spielt im Judentum eine zentrale, religiöse Rolle, als Verheißungsort und Teil der eigenen Geschichte. Und der Staat Israel bietet seit 1948 Schutz. Er löst das Versprechen ein, wenigstens in einem Land dieser Welt keine Minderheit, wenigstens an einem Ort wirklich wehrhaft gegen Antisemitismus zu sein. Die genozidale Gewalt des 7. Oktober richtete sich auch gegen dieses Versprechen. Jüdinnen*Juden in der Diaspora hat sie damit aber enger an Israel geknüpft. Das klingt paradox, ist es aber nicht. In einem Leitartikel für die Jüdische Allgemeine schreibt der WDR-Journalist Lorenz Beckhardt am 4. Januar: „Jude bin ich schon lange, aber seit dem 7. Oktober 2023 bin ich Israeli, ich reise jeden Tag aufs Neue mit dem Herzen und in Gedanken zu meiner Familie.” Vielen jüdischen oder antisemitismuskritischen Menschen geht es so. Noch immer werden über 100 Menschen als Geiseln in Gaza festgehalten, darunter Kinder, sogar Säuglinge. Kfir Bibas hat vor wenigen Tagen dort seinen ersten Geburtstag erlebt. Wie kann man da nicht mitfühlen? Wie kann man angesichts dessen nicht sehen, dass die Schicksale jüdischen Lebens hier und des jüdischen Staates dort verwoben sind?

Daueraufgabe Antisemitismuskritik

Beide Vorwürfe treffen das Plakat also nicht. Eine Entgegnung schien mir dennoch angemessen. Die kritischen Israelkritiker*innen wird eine solche weder erreichen noch überzeugen. Geschrieben ist sie auch vielmehr für diejenigen, die die perfiden Vorwürfe in den sozialen Medien sehen und glauben könnten, sie träfen einen Punkt, würden sie nicht entgegnet.

Dass gerade in Zeiten, in denen israelbezogener Antisemitismus Konjunktur hat, die kritischen Kritiker*innen auch versuchen, die Antisemitismusbekämpfung zu torpedieren, indem sie diejenigen in Misskredit bringen, die sich engagieren, ist nicht neu. Haltung zu zeigen, ist leider kein einmaliger Akt. So mühsam ist die antisemitismuskritische Maulwurfsarbeit. Sie ist eine Daueraufgabe.

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