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Ramadan und Coronavirus Wie Rechtsradikale die Angst vor Muslim*innen schüren

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(Quelle: picture alliance)

Schon Ende März wusste die extrem muslimfeindliche Website PI-News mehr als alle anderen. Die Ausgangsbeschränkungen wegen der Pandemie würden anlässlich des Ramadans mit Sicherheit gelockert werden. In den sozialen Netzwerken kursierten ähnliche Meldungen. Das „Krisenzentrum für Berlin und Brandenburg“ hätte angeblich Sonderregelungen ausschließlich für Menschen muslimischen Glaubens erlassen und ihnen damit erlaubt, Ramadan zu feiern. Ein „Krisenzentrum“, das überhaupt nicht existiert, wie der Faktenfinder der Tagesschau berichtet. Der AfD-Abgeordnete Jens Maier setzt das Niveau noch etwas tiefer an und verbreitet bereits im ersten Satz seiner Facebook-Umfrage zu Ramadan Fake News: „Ostern fällt aus!“, um dann zu fragen, ob die eigenen Fans glauben, dass die Ausgangbeschränkungen zu Ramadan aufgehoben werden.

Screenshot des Twitteraccounts von Jens Maier

Nachdem Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier auf Twitter ein Bild postete, dass sich mit den virusbedingten Einreisebeschränkungen in das Bundesland befasst – zu sehen ist ein Autobahnschild auf dem steht, dass touristischer Verkehr gesperrt ist – reagiert Gunnar Lindemann (AfD), Mitglied im Abgeordnetenhaus in Berlin und fragt „Ob die Tsfeln such noch zu Ramadan da stehen?“ (sic!) Was genau der muslimische Fastenmonat mit den Autobahnen in Mecklenburg-Vorpommern zu tun hat, wird nicht ganz klar. Bisher sind Ostseestrände nicht als besonders beliebte Ramadan-Destination aufgefallen.

Screenshot des Twitteraccounts von Gunnar Lindemann

Die AfD-Fraktion des Landtages in Nordrhein-Westfalen benutzt ein andere Strategie, die eher in Richtung „Wenn wir nicht dürfen, dürfen die auch nicht“ geht und suggeriert, dass der NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) nur wegen des Ramadans plant, Gottesdienste wieder zu erlauben, während Ostern und der weiße Sonntag nicht gefeiert werden durften.

Screenshot vom Twitteraccount der AfD-NRW

Ähnlich argumentiert David Berger, der hinter dem islamfeindlichen Blog Philosophia Perennis steht. Die Stadt Berlin hatte angekündigt, religiöse Veranstaltungen ab dem 3. Mai unter Auflagen wieder zuzulassen. Für Berger ist das ein „eindrückliches Zeichen davon, welcher Glaubensgemeinschaft die Zukunft in Deutschland gehört“. Die nicht ganz leicht zu erkennende Logik hinter dem Argument: Religiöse Zusammenkünfte werden während des Ramadans wieder erlaubt. Christ*innen durften an Ostern keine Gottesdienste feiern. Deutschland wird ein muslimisches Land.

Beatrix von Storch, AfD-Abgeordnete im Bundestag, bleibt lieber bei Panikmache. Sie twittert einen Bild-Plus-Artikel, der suggeriert, dass Kirchen „geschlossen“ blieben, weil die Regierung Angst vor einem „Ramadan-Chaos“ hätte. Laut des Artikels, der sich auf anonyme Quellen um die „Schalte von Bundeskanzleramt und Länderchefs“ beruft, „sieht die Politik bei den Muslimen in Deutschland keine zentralen Ansprechpartner, die verlässlich Regeln (Abstand, Hygiene et cetera) in den Moscheen flächendeckend durchsetzen könnten.“ Für von Storch ist das alles die „Selbstaufgabe unserer christlichen Kultur“.

Screenshot des Twitteraccounts von Beatrix von Storch

Abgesehen davon, dass viele Kirchen und auch Moscheen überhaupt nicht geschlossen sind, sondern für stille Einkehr offenstehen, während Gottesdienste aktuell nicht stattfinden, passt die Erzählung von Bild perfekt zur AfD-Sicht auf Muslim*innen. Die Watch-Seite Bildblog kommentiert: „Warum es mit Blick auf die Corona-Pandemie jetzt weniger gefährlich sein soll als noch vor ein paar Tagen, wenn vorwiegend ältere Menschen in einem geschlossenen Raum dicht beieinander sitzen und christliche Lieder schmettern, wobei sicher auch das eine oder andere Speicheltröpfchen durch die Luft fliegen dürfte, erklärt ‚Bild‘ nicht. Stattdessen der Tenor: Die wilden Muslime, die in ihren Schmuddelmoscheen aufeinanderhocken und sich nicht mal richtig die Hände waschen, sind schuld, dass wir Christen nicht zum Gottesdienst in unsere Kirchen dürfen.“

Screenshot des Twitteraccounts von Martin Sellner

Martin Sellner, Kopf der rechtsextremen „Identitären Bewegung“, geht gleich noch einen Schritt weiter und malt – nicht zum ersten mal – den Bürgerkrieg an die Wand. In seinem verlinkten Video dominiert eine rassistische Sicht auf Muslim*innen, als offenbar vollständig unkontrollierte, homogene Masse, von der immer wieder große Gefahr ausgeht. Um diese Erzählung zu verstärken, funktioniert Ramadan perfekt. Der Fastenmonat wird schon seit Jahren immer wieder zur Stimmungsmache gegen Muslim*innen genutzt.

Mittlerweile hat Thüringen angekündigt, ab dem 23.04. Versammlungen unter Auflagen wieder zu erlauben. Auch Gottesdienste können mit beschränkter Teilnehmendenzahl wieder durchgeführt werden. Darauf weist zum Beispiel Ellen Kositza hin, Ehefrau des Kleinstverlegers und „neurechten“ Vordenkers Götz Kubitschek, natürlich in Ironie verpackt.

Screenshot des Twitteraccounts von Ellen Kositza

Ausgerechnet Kubitschek, dessen „Institut für Staatspolitik“ mittlerweile vom Verfassungsschutz als „Verdachtsfall“ beobachtet wird, hatte kürzlich auf dem hauseigenen Blog noch von einer konspirativen Ostermesse berichtet, an der er mit Gattin teilgenommen haben will. Ausnahmen macht man also offenbar am besten für sich selbst.

Ohnehin ist Thüringen kein Hotspot in Sachen Islam. Genaue Zahlen dazu, wieviele Menschen in Thüringen Muslim*innen sind, liegen nicht vor. Das Bundesland hat aber einen der geringsten Anteile von Migrant*innen in ganz Deutschland. Das reicht Björn Höcke allerdings nicht. Der Fraktionsvorsitzende der AfD im Erfurter Landtag wittert auch in seinem Bundesland die angebliche „Islamisierung“. Laut Höcke sind die geänderten Verordnungen eine „offensichtliche Ausnahme für Muslime“. Ähnliche Gedanken macht sich die AfD in Sachsen – der Anteil von Migrant*innen an der Bevölkerung ist hier noch niedriger als in Thüringen – findet Ramadan offenbar sehr wichtig für den Freistaat und veröffentlicht einen Beitrag des kirchenpolitischen Sprechers der Landtagsfraktion. Argumentation ist auch hier: Wenn Christ*innen nicht dürfen, dürfen Muslim*innen schon gar nicht: „Für alle Christen war es sehr schwer, aufgrund der Corona-Pandemie ein Ostern ohne Gottesdienste verbringen zu müssen. Mit hoher Selbstdisziplin wurden die aufgestellten Regeln jedoch befolgt, auch wenn sie als schmerzhaft empfunden wurden. Das erwarten wir nun auch von allen Muslimen in ihrem heiligen Monat Ramadan. In den deutschen Moscheen dürfen keine Ramadan-Zeremonien mit großen Menschengruppen stattfinden.“

Tatsächlich ist die merkwürdige Besessenheit von AfD, Identitären und allen anderen aus der rechstalternativen Politikblase ziemlich absurd. Bei den Versammlungsverboten, den Einschränkungen der Grundrechte und eben auch beim Verbot von Gottesdiensten geht es nur um eins: Den Kampf gegen das neuartige Coronavirus. Es handelt sich nicht um eine Verzichtsolympiade, bei der die religiöse Gruppe gewinnt, die am ehesten auf die öffentliche Wahrnehmung ihrer Feste besteht. Sondern es geht darum, sowenige Menschen wie möglich mit dem Virus zu infizieren. Vor allem ist das auch Muslim*innen in Deutschland und auf der ganzen Welt bewusst. Aiman Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland hatte schon zu Beginn des Versammlungsverbotes auf die Gefahren des Virus und der Ansteckung hingewiesen und hat sich zu Beginn des Ramadan erneut geäußert: „So sehr uns jeder Tag ohne den Gang zur Moschee schmerzt, ist jeder dieser Tage gleichsam ein gewonnener Tag im Kampf gegen die Ausbreitung der durch den Corona-Virus verursachten lebensbedrohlichen Krankheit. Dies ist derzeit unsere große Prüfung, unser Djihad. Wir sehen diesen Kampf als unsere religiöse und zugleich bürgerliche Pflicht.“

Mirza Masrur Ahmad, das Oberhaupt der Ahmadiyya-Muslim-Gemeinschaft hatte ebenfalls Gläubige dazu aufgerufen, sich an die Vorschriften zu halten: „Darüber hinaus hat die Regierung für das Wohlergehen und für die Gesundheit der Bevölkerung – wie bereits erwähnt – verschiedene Anweisungen und Gesetze festgelegt. Halten Sie sich voll und ganz daran.“ Saudi-Arabien hatte bereits Ende Februar die Grenzen für Pilgerreisen nach Mekka und Medina geschlossen und rät mittlerweile davon ab, die religiöse Reise nach Mekka in diesem Jahr überhaupt zu planen.

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