Weiter zum Inhalt Skip to table of contents

Rechtsextreme Aktivitäten Das war 2012

Von|

Januar

Im Januar treffen sich auf Einladung des Bundesinnen- und Familienministeriums jedoch erstmal Vertreter von Staat und Zivilgesellschaft, um über Engagement gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus zu sprechen. Statt einem konstruktiven Dialog demonstrierten Kristina Schröder und Hans-Peter Friedrich ihre fachliche Unkenntnis und lobten die eigene Symbolpolitik und beschließen die Einrichtung eines neuen Informations- und Kompetenzzentrum gegen Rechtsextremismus“.

Auch im neuen Jahr marschieren Neonazis durch deutsche Städte und verbreiten ihre menschenverachtenden Parolen, beispielsweise in Magdeburg oder Dessau. Zum Glück nicht ohne zivilgesellschaftlichen Protest dagegen.

Februar

Erneut wollen Neonazis das Gedenken an die Kriegsopfer in Dresden für sich vereinnahmen. Erfreulicherweise konnte in diesem Jahr der „Trauermarsch in Gedenken an die deutschen Opfer“ der Neonazis in erheblichem Maße gestört werden. Das ist nicht nur allein den rund 5.000 Gegendemonstrant*innen zu verdanken, die aktiv durch Blockaden gegen Rechtsextremismus und Rassismus protestierten, sondern auch den Teilnehmer*innen der Menschenkette, die sich den Blockaden teilweise anschlossen. Während sich viele Gegendemonstranten noch ärgern, dass der Naziaufmarsch nicht vollständig blockiert werden konnte, sprechen dessen Teilnehmer in einem bekannten rechtsextremen Onlineforum schon von „ENTTÄUSCHUNG“ und „SCHANDE“. ns-renegade ist geradezu verbittert: „Dresden ist gestern ein zweites mal untergegangen. Für die Zukunft sollten wir uns wohl überlegen, ob es nicht sinnvoller wäre den 13.02. in Dresden einfach sein zu lassen“. Kein geschichtsrevisionistisches Gedenken mehr? Opfermythos aufgegeben? Das wäre zu schön um wahr zu sein.

Am 23. Februar finden in Berlin die Zentralen Gedenkfeierlichkeiten für die Opfer der NSU- Mordserie statt. Bundeskanzlerin Angela Merkel bat dabei die Familien der Opfer um Verzeihung. Zeitgleich gab es bundesweit eine Schweigeminute, bei der alle Räder stillstanden. Dennoch kommt es jetzt darauf an, dass es nicht nur bei diesem symbolträchtigen Signal bleibt, sondern es eine wirkliche, konsequente Aufarbeitung der Taten gibt und sich die Gesellschaft mit dem Kernproblem auseinandersetzt, welches Rassismus heißt.

März

Die Stadt Kiel wird mit Unterstützung der Amadeu Antonio Stiftung „Kein Ort für Neonazis“. Mit 500 Blechschildern an öffentlichen und privaten Gebäuden in der ganzen Stadt wird dauerhaft ein deutliches Zeichen gegen Neonazis gesetzt. Am 2. März wurden die Blechschilder von dem damaligen Oberbürgermeister Torsten Albig (SPD) der Öffentlichkeit präsentiert. Das erste „Kein Ort für Neonazis – Kiel gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus“-Schild hat der Oberbürgermeister persönlich am Rathaus befestigt. Er sprach von einem starken Zeichen für Demokratie und gegen Neonazis und appelierte an die Kieler Bürgerinnen und Bürger „Stärkt unsere Demokratie!“ Mit den dauerhaft an Gebäuden angebrachten Blechschildern will sich die Stadt gegen rechtsextremes Gedankengut wenden, dass junge Menschen auf Abwege führe.

April

Am 25. April verhandelte das Dresdner Verwaltungsgericht die Klage des „Alternativen Kultur- und Bildungszentrums Sächsische Schweiz e.V.“ (AKuBiZ) gegen die sogenannte Extremismusklausel. Das Gericht kommt dabei  zu dem Schluss, dass die Klausel rechtswidrig ist. Das Urteil ist damit ein erster Teilerfolg für alle Initiativen und Projekte, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren.

Bei den Landtagswahlen im Saarland verliert die NPD weiter an Stimmen und kommt lediglich auf 1,2 Prozent.

Mai

In Geithain, einer Kleinstadt in Sachsen, wird auf das Restaurant von Mohamed Abid Sayal ein Sprengstoffanschlag verübt. Obwohl Neonazis im Internet sich offen über den Anschlag freuen und darauf spekulieren, dass der Besitzer die Stadt verlassen wird, ermittelt die Polizei zunächst nicht in eine rechtsextreme Richtung. Auch in der Vergangenheit war das Lokal bereits mehrfach Ziel von rechten Anschlägen.

Innerhalb weniger Tage werden in Mecklenburg – Vorpommern mehrere jugendkulturelle Einrichtungen angegriffen. Beim Peter- Weiss- Haus in Rostock werden Fenster eingeschmissen und Buttersäure verspritzt. Auf den Demokratieladen in Anklam wird ebenfalls ein Buttersäureanschlag verübt. Die Fassade des Interkulturellen Wohnprojekts in Greifswald wird mit brauner Farbe beschmiert. Den ganzen Sommer über häufen sich in dem Bundesland koordinierte Anschläge auf Imbissbuden und Einrichtungen politisch Aktiver, erschreckende Belege für die enorme Gewaltbereitschaft der Neonaziszene.

Juni

Der Sänger Udo Lindenberg veröffentlicht einen offenen Brief „An die Nazis“, in dem er sich über die Verharmlosung des Rechtsextremismus aufregt und engagierte Initiativen in ihrem Kampf gegen Rechts ermutigt und bestärkt.

Das „Bündnis gegen das Schweigen“, welchem die Amadeu Antonio Stiftung von Beginn an angehört, veranstaltet in Berlin ein öffentliches Hearing, bei dem unter anderem mit Anwälten und Betroffenen über die die rassistische Mordserie des NSU diskutiert wird.

Im Juni startet die Fußball-Europameisterschaft  in der Ukraine und Polen und zieht massenhaft begeisterte Fans an. In den Stadien offenbaren sich aber auch wieder die Schattenseiten des Fußballs: Rassismus, Homophobie und Chauvinismus. Und obwohl neonazistische Ultras  bei vielen Spielen den Ton in den Fankurven angeben, wird das Thema in der deutschen Berichterstattung weitestgehend ausgeklammert.

Der Innenminister von Brandenburg Dietmar Woidke (SPD) verbietet die völkisch-rassistische Vereinigung „Widerstandsbewegung in Südbrandenburg“. Diese soll hinter den „Spreelichtern“ und den „Unsterblichen“ stehen, die flashmobartige nächtliche Fackelmärsche als neue Aktionsform in die Neonaziszene einführten. Laut Woidke habe die Vereinigung eine Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus aufgezeigt und die freiheitlich-demokratische Grundordnung bekämpft.

Juli

Die Debatte um das Gedicht „Was gesagt werden muss“ von Günter Grass verdeutlicht, wie sehr die Frage, wo Israelkritik aufhört und antisemitische Ressentiments anfangen, für hitzige Debatten sorgt. Die Amadeu Antonio Stiftung veröffentlicht eine Broschüre mit dem Titel „Man wird ja wohl Israel noch kritisieren dürfen …?!“ – Über legitime Kritik, israelbezogenen Antisemitismus und pädagogische Interventionen und nimmt sich diesem Problemfeld an.

In Leipzig und anderen Städten entfacht eine emotional aufgeladene Debatte um die Unterbringung von Asylbewerbern. Dabei treten rassistische Ressentiments und Vorurteile zutage, die einen gruseln lassen. Der Initiativkreis Menschen.Würdig in Leipzig versucht die Menschen aufzuklären und unterstützt die Flüchtlinge in ihren Forderungen.

August

Die Amadeu Antonio Stiftung stellt auf einer viel beachteten Pressekonferenz den Report „Das Kartell der Verharmloser- wie deutsche Behörden systematisch rechtsextremen Alltagsterror bagatellisieren“ vor. Darin prangert die Autorin die verbreitete Taktik vieler Städte an, rechte Gewalt nicht als solche zu benennen und stattdessen zu verharmlosen. Auch die vielerorts fehlende, oder nicht ausreichend unterstützte Zivilgesellschaft wird beschrieben.

Die Stadt Eberswalde streitet weiter um ein würdiges Gedenken für Amadeu Antonio, welcher am 12. August seinen 50.Geburtstag gehabt hätte. In der Debatte zeigt sich wieder einmal, dass der Rassismus in der Mitte der Gesellschaft weit verbreitet ist. Denn unverhohlen werden selbst von Politikern rassistische Aussagen getätigt und offen an einer Legitimation für eine Straßenumbenennung gezweifelt.

Im August jähren sich die rassistischen Brandanschläge von Rostock- Lichtenhagen zum 20.Mal. Als die Neonazis 1992 im Asylbewerberheim wüteten, schockierte vor allem der jubelnde Applaus tausender Bürger. Bis heute feiern Rechtsextreme die Vorfälle von Lichtenhagen als einen ihrer größten Erfolge. So auch bei einem Anschlag auf ein Asylbewerberheim im brandenburgischen Waßmannsdorf im Oktober, bei dem die Drohung „Rostock ist überall“ auf die Fassade gesprüht wurde.

Die NPD verlagerte ihr obligatorisches Pressefest in diesem Jahr von Sachsen nach Mecklenburg- Vorpommern, hoffte sie doch in diesem Bundesland aufgrund der hohen Wählerstimmen für die Partei, auf wenig Widerstand zu stoßen. Doch den Anwohnern und Vereinen der Region Pasewalk gelang es innerhalb kürzester Zeit über 2.000 Menschen für Gegenproteste und vielfältige Aktionen auf der „Demokratiemeile“ zu mobilisieren. Das neugegründete Bündnis „Vorpommern- weltoffen, demokratisch, bunt“ will sich auch in Zukunft gegen rechte Umtriebe stemmen und demokratische Kräfte in der Gegend bündeln.

September

Flüchtlinge aus Würzburg machen sich zu Fuß auf den Weg nach Berlin, um dort ihre Forderungen an die Politik zu verkünden: Abschaffung der Residenzpflicht, Abschaffung des Gutscheinsystems, bessere Lebensbedingungen. Auf dem Protestmarsch kommt es zu vielen Solidaritätsbekundungen durch interessierte Bürger und Asylaktivisten. Höhepunkt des Marsches ist eine große Demonstration in Berlin, bei der Tausende das Anliegen der Flüchtlinge unterstützen. In der Hauptstadt gibt es bereits seit Wochen ein Protestcamp, welches die Lebensbedingungen der Flüchtlinge anprangert.

Der Berliner Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky veröffentlicht sein Buch „Neukölln ist überall“ und löst damit – ähnlich wie sein Parteigenosse Sarrazin – einen Sturm der Entrüstung aus. In dem Buch wimmelt es von Verallgemeinerungen und Pauschalisierungen. Kritische Anwältinnen Anwälte versehen das Buchcover bei einer Aktion in Berlin im November mit „Das Problem heißt Rassismus“- Aufklebern.

Oktober

In Berlin wird zum wiederholten Mal das Anton Schmaus Haus der Falken von Rechtsextremen angegriffen. Bereits im vergangenen Jahr kam es zu zwei Brandanschlägen durch Neonazis. Diesmal werden rechte Parolen, Zeichen und konkrete Drohungen an den Zaun der Jugendeinrichtung gesprüht. Dabei legen die Schriftzüge den Verdacht nahe, dass die rechtsextreme Vereinigung „Nationaler Widerstand Berlin Brandenburg“ hinter den Anschlägen steckt. Eine Gruppierung die bereits seit 2005 für zahlreiche Anschläge verantwortlich gemacht wird und auf ihren Internetseiten auch sogenannte „Feindeslisten“ führt.

In Berlin wird endlich das Mahnmal für die ermordeten Sinti und Roma während der Zeit des Nationalsozialismus eingeweiht. Zeitgleich schürt Innenminister Friedrich Ressentiments gegenüber den Nachkommen der Verfolgten – Roma und Sinti aus Osteuropa. Er schwadroniert von einem Ansturm nach Deutschland und befeuert damit erneut eine meist unwürdige Asyldebatte.

Nach den deutlichen Protesten verschiedener Organisationen wird die geplante Änderung der Abgabenordnung gekippt: Der Verfassungsschutz wird zukünftig nicht über die Gemeinnützigkeit von zivilgesellschaftlichen Initiativen entscheiden.

November

Die NPD will die aufgeheizten Debatten um Asylsuchende und deren Unterbringung für sich nutzen und plant ausgerechnet am 9. November einen Fackelmarsch vor einem Asylbewerberheim in Wolgast. Durch engagierte Bürger und Initiativen welche auf  Kundgebungen und Demonstrationen zahlreiche Plätze in der Stadt blockieren, kann das verhindert werden. Dennoch bleibt ein fahler Beigeschmack, nicht zuletzt durch einen Fernsehbeitrag in dem der Bürgermeister die vage Hoffnung äußert, dass sich „Rostock Lichtenhagen nicht wiederholen wird, hoffentlich“.

Am 9. November wird in Dresden zum sechsten Mal der Sächsische Förderpreis für Demokratie verliehen. Die Hauptpreisträger sind der Initiativkreis Menschen.Würdig und das Bündnis Nazifrei! Dresden stellt sich quer.

Toleranz, Fairness und Respekt sind auch im Fußball elementar für den Umgang miteinander. Deshalb haben Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus, Sexismus und Homophobie in diesem Sport nichts verloren. Leider gibt es nach wie vor entsprechende Vorfälle in den Stadien und drumherum. Doch gute Projekte, die Aufklärungs- und Präventionsarbeit leisten, den Nazis im Stadion etwas entgegensetzen und den Jugendlichen nicht-rechte Alternativen bieten, müssen häufig aus finanziellen Gründen eingestellt werden. Ideen, Erfahrungen und Ergebnisse gehen so verloren. Was fehlt, ist ein Ort, an dem diese gesammelt und zur Diskussion, Motivation und Nachahmung öffentlich gemacht werden. Die Amadeu Antonio Stiftung hat mit der Seite fussball-gegen-nazis.de nun solchen einen Ort geschaffen.

Die NPD will einem möglichen Parteiverbotsverfahren zuvorkommen und stellt daher selbst einen Antrag beim Bundesverfassungsgericht, um ihre Verfassungstreue überprüfen zu lassen.

Diana Buhe, Ulla Scharfenberg

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

Weiterlesen

Eine Plattform der