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Rechtsextreme „Artgemeinschaft“ „Art“ statt „Rasse“

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Am 13. Februar 2022 entzündete Alexander Donninger aus Kupferzell (Baden-Württemberg) die Fackeln im Rahmen des Neonazi-Gedenkens von Dresden. (Quelle: Recherche Nord)

Am 11. Februar 2023 marschierten rund 1.000 Neonazis durch die sächsische Landeshauptstadt. Der „Trauermarsch“ fand anlässlich des 78. Jahrestages der Bombardierung Dresdens im Zweiten Weltkrieg (13.-15. Februar 1945) statt. Am Ende der Demonstration rief Lutz Giesen ins Mikrofon: „Wir werden nun mit unserer Gedenkkundgebung beginnen!“ Giesen, der seit Jahrzehnten in der Neonazi-Szene aktiv ist, leitete das Programm. Er kündigte an, dass die Städte des Deutschen Reiches, „die von angloamerikanischen Terrorbombern heimgesucht wurden“, verlesen werden.

Neonazis instrumentalisieren die Bombardierungen, um eine Täter-Opfer-Umkehr zu betreiben. Die Umkehr wird im Begriff „Bombenholocaust“, der seit Jahren im Kontext der Bombardierung Dresdens genannt wird, besonders deutlich. Die Behörden untersagten die Nutzung des Begriffs in diesem Jahr. Nichtsdestotrotz deutete die Neonazi-Szene an, nicht die Deutschen, sondern die Amerikaner und Briten hätten einen Völkermord begangen. So schrieben Neonazis in einem Bericht, der nach dem Gedenken veröffentlicht wurde, der „Bombenterror über Dresden“ habe „das größte Menschenfeuer der Menschheitsgeschichte entfacht“.

Die Neonazi-Szene kündigte ihren „Trauermarsch“ in den Sozialen Netzwerken an. (Quelle: Screenshot Telegram)

Die „Artgemeinschaft“

„Aachen“ – in alphabetischer Reihenfolge begann Jens Bauer die Verlesung der Städtenamen. Bauer, der in der Gemeinde Elsteraue (Sachsen-Anhalt) lebt, ist Vorsitzender der „Artgemeinschaft – Germanische Glaubensgemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung“. Die „Artgemeinschaft“, die 1951 gegründet wurde, ist ein antisemitischer und rassistischer Verein mit Sitz in Berlin. An der Verlesung war 2021 und 2022 neben dem Vorsitzenden auch der Schriftführer der „Artgemeinschaft“ beteiligt: Alexander Donninger. Dieses Jahr blieb Donninger eher im Hintergrund. Der Österreicher, der zwischenzeitlich im Berchtesgadener Land (Bayern) wohnte und heute in der Gemeinde Kupferzell (Baden-Württemberg) lebt, trug lediglich eine weiße Ordnerbinde.

Die „Artgemeinschaft“ betreibt einen „Buchdienst“. Im Impressum wird ein Postfach in Kupferzell genannt. Der „Buchdienst“ vertreibt die „Nordische Zeitung“ – die Mitgliedszeitschrift des Vereins – und Musik der völkischen Szene. Zudem vertreibt er zahlreiche Schriften von Wilhelm Kusserow (1901-1983) und Jürgen Rieger (1946-2009). Kusserow hatte 1927 die „Nordische Glaubensgemeinschaft“ und 1951 die „Artgemeinschaft“ gegründet. Rieger hatte ab 1989 die „Artgemeinschaft“ geleitet. Der NPD-Funktionär und Hamburger Rechtsanwalt hatte die Rassenkunde des NS-Rassenideologen Hans F. K. Günther vertreten. Schriften von Kusserow und Rieger zeigen das Symbol der „Artgemeinschaft“: eine blau-goldene Irminsul.

Die blau-goldene Irminsul ist das Symbol der „Artgemeinschaft“. (Quelle: Screenshot „Artgemeinschaft“)

Das „Artbekenntnis“ und „Sittengesetz unserer Art“

Blau und Gold sind in der völkischen Szene die Farben der „arischen Rasse“. Das Blaue symbolisiert den Himmel, das Goldene die Sonne. So sollen blaue Augen und blonde Haare die Kennzeichen einer (angeblich) „arischen Rasse“ sein. Die Irminsul ist laut „Artgemeinschaft“ ein „heiliges Zeichen“. Im Nationalsozialismus war sie das Symbol der „Forschungs- und Lehrgemeinschaft Das Ahnenerbe“, eine Einrichtung der SS. Vordergründig pflegt die „Artgemeinschaft“ ein recht unscheinbares Selbstbild. Der Verein schreibt, er sei eine „Religionsgemeinschaft“ und die „größte heidnische Gemeinschaft Deutschlands“. Hinter der Fassade steckt eine rassistische Organisation. Nur „Menschen unserer Art“, die das „Artbekenntnis“ und das „Sittengesetz unserer Art“ anerkennen, können Mitglied des Vereins werden.

„Art“ bedeutet hier „Rasse“. Es heißt, die „Menschen unserer Art“ seien „Menschen nordischer Rasse“ und „fälischer Rasse“. Das ist eine Rassenlehre der nationalsozialistischen und der völkischen Bewegung des 20. Jahrhunderts. Die Rassenlehre tritt im „Artbekenntnis“ und im „Sittengesetz unserer Art“ besonders stark hervor. Das „Artbekenntnis“ beginnt folgendermaßen: „Die Menschenarten sind verschieden in Gestalt und Wesen.“ Und: „Wir bekennen uns zur Erhaltung und Förderung unserer Menschenart als höchstem Lebensziel.“ Das „Sittengesetz“ fordert „gleichgeartete Gattenwahl“ und „gleichgeartete Kinder“. So wird eine Ehe zwischen „Menschen nordischer Rasse“ und Menschen anderer Herkunft, Religion oder sexueller Orientierung zur „Rassenschande“.

„Todesverachtung gegen jeden Feind“

Die „Artgemeinschaft“ deutet im „Sittengesetz“ ihre Gewaltbereitschaft zum Schutz der eigenen „Rasse“ an. Es fordert „Wehrhaftigkeit bis zur Todesverachtung gegen jeden Feind von Familie, Sippe, Land, Volk, germanischer Art und germanischem Glauben“. Kein Wunder, dass der Neonazi Stephan Ernst, der den CDU-Politiker und Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke im Juni 2019 auf der Terrasse seiner Privatwohnung erschoss, auf einer Mitgliederliste der Artgemeinschaft stand. Einst war Lübcke durch sein Engagement für Asylsuchende in den Fokus der extremen Rechten geraten. Jens Bauer, der Vorsitzende der „Artgemeinschaft“, unterstützte die Solidaritätskampagne „Freiheit für Wolle“. Damals saß Ralf „Wolle“ Wohlleben in Untersuchungshaft. Wohlleben soll den „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) unterstützt haben. Der NSU hat mindestens zehn Menschen, größtenteils aus rassistischen Motiven, ermordet. Im Münchener NSU-Prozess erhielt Wohlleben eine zehnjährige Haftstrafe. Nach seiner Haftentlassung nahm Bauer den NSU-Unterstützer zu Hause auf.

Zurück nach Dresden: „Ich bitte nun die Kameradin Edda Schmidt nach vorne“, sagt Lutz Giesen, der Anmelder des Neonazi-Gedenkens, nach dem Verlesen der Städtenamen und der internationalen Grußworte. Die NPD-Funktionärin aus Bisingen (Baden-Württemberg), die in ihrer Rede über die angeblich hunderttausenden Opfer der Bombardierung Dresdens spricht, ist schon in den 1980er-Jahren in der „Artgemeinschaft“ aktiv gewesen. Erst kürzlich, am 30. Dezember 2022, soll sie an einem Ausflug des Vereins teilgenommen haben. Die „Artgemeinschaft“ schrieb in den Sozialen Netzwerken, „einige unserer Freundeskreise und Gefährtschaften aus dem Süden“ hätten eine Ausstellung in Mannheim besucht. Edda Schmidts Vater, Sepp Biber, wurde 1986 in den Vorstand der „Artgemeinschaft“ gewählt. Biber, der Freiwilliger der SS-Panzer-Division „Hitlerjugend“ und später NPD- und „Wiking Jugend“-Anhänger war, starb 2016. Nach der Rede von Edda Schmidt folgte eine Schweigeminute und das Singen des Deutschlandliedes. Und zwar in allen drei Strophen.

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