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Redpill, Blackpill, Pinkpill Was sind eigentlich „Femcels“?

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(Quelle: Unsplash)

Die weibliche Adoleszenz ist die Hölle. Noch vor der ersten Monatsblutung wird jugendlichen Mädchen von (sozialen) Medien, Mitschüler*innen, Eltern, einer gesamten Gesellschaft mitgeteilt, dass ihre Körper ein permanent zu optimierendes Schlachtfeld aus Imperfektionen sind. Mädchen sind immer zu haarig, zu dick, zu schmalbrüstig, zu erwachsen, nicht erwachsen genug, zu vorlaut, zu altklug, zu schüchtern, zu freizügig, zu prüde, zu peinlich – kurz, die herrschenden Ansprüche an adoleszente Weiblichkeit sind unmöglich zu erfüllen. Und trotz der Unmöglichkeit der gesellschaftlich abverlangten – und regelmäßig internalisierten – Perfektion, werden Mädchen regelmäßig für ihr Scheitern daran sanktioniert.

Deswegen wäre der seit einigen Monaten auf Plattformen wie Tumblr, TikTok und Instagram präsente Trend des „Femcels“ eigentlich zu begrüßen, vor allem da diese Portale extrem großen Einfluss auf weibliche Schönheitsideale haben. Der „Female Incel“ umarmt das, was Mädchen und Frauen lange Zeit verweigert wurde: weibliches Scheitern. Mit der klassischen – und traditionell heterosexuell-männlichen – Incel-Community, die auf Misogynie, Selbsthass und Fatalismus basiert, haben die „Femcels“, die auf diesen Plattformen aktiv sind, recht wenig zu tun.

Auf Bildern und in Videos präsentieren sich die Mädchen ungeduscht an vermüllten Schreibtischen, umringt von leeren Energydrink-Dosen und übervollen Aschenbechern, während sie die achte Stunde in Folge Videospiele spielen. Ihre Inspirationen sind Charaktere wie die Protagonistin aus der britischen Comedyserie „Fleabag“, Literatur von Sylvia Plath und Ottessa Moshfegh, Filme wie „Gone Girl“, „Jennifer’s Body“ und „Girl, Interrupted“, und die Musik von Mitski, Lana del Rey, Hole und Fiona Apple. Sie zelebrieren „toxische Weiblichkeit“ und verbringen ihre Zeit mit Shitposting im Internet. Mit gleichaltrigen Jungen wollen sie nichts zu tun haben, stattdessen malen sie sich Dates mit den Helden ihrer liebsten Anime-Serien aus oder lesen „Yaoi“ – Manga, in denen es um die romantischen Beziehungen zwischen hübschen jungen Männern geht. Sie sind neurotisch und depressiv, und haben keinerlei Interesse daran, in Therapie zu gehen. Stattdessen zelebrieren sie ihre psychischen Krankheiten und ihre Traurigkeit, vor allem in Form von selbstironischen Memes.

Wer sich ein wenig mit Online-Kultur und vor allem -Ästhetiken auskennt, kommt nicht darum herum, starke Parallelen zu der „Sad Girl“-Kultur zu erkennen, die um 2014 sämtliche Tumblr-Dashboards der Welt dominiert hat. Denn: Trotz den Transgressionen gegen patriarchale Anforderungen an Weiblichkeit sind die Femcels auf TikTok, Tumblr und Instagram dann doch meistens konventionell attraktive und weiße E-Girls. Die Selbsteroberung von weiblichem Scheitern ist auf Social Media nur dann akzeptabel, solange sie gesellschaftliche Normen nur oberflächlich herausfordert, anstatt sie radikal zu kritisieren.

Quelle: Reddit

Auf den zweiten Blick entpuppt sich die „Femcel“-Subkultur also als weniger subversiv, als es den Anschein macht. Anstatt Bewusstsein für psychische Krankheiten zu schaffen, werden diese anhand ästhetischer Schwarzweißbilder romantisch verklärt und somit gleichzeitig bagatellisiert. Es handelt sich – und das ist auch ganz klar den Logiken audiovisueller Plattformen geschuldet, auf denen sich die Szene bewegt – weniger um eine Identität, denn um eine auf Ästhetik basierende Subkultur von Jugendlichen und jungen Erwachsenen.

Gleichzeitig stellen die TikToks und Memes über die Frustration von weiblicher Adoleszenz paradoxerweise dennoch eine Form der zumindest oberflächlichen Verarbeitung der thematisierten Probleme dar. Da diese jedoch nur anhand von Memes und TikToks erfolgt und keine tiefgründige Auseinandersetzung mit der eigenen Person oder den äußeren Umständen ist, sind diese nur eine Scheinlösung für die eigene Unzufriedenheit. Die Femcel-Szene auf sozialen Medien muss als Ausdruck einer hyperindividualisierten und sehr internet-affinen Jugend begriffen werden, deren Gefühl der Entfremdung sich in dieser Scheinbefriedigung artikuliert, anstatt in feministischer Kritik und Organisation aufgefangen zu werden.

Von „Moids“ und Transfeindlichkeit

Eigentlich sollte der Begriff „Femcel“ redundant sein. Bevor die Incel-Community zu dem misogynen Sumpf wurde, der sie heute ist, handelte es sich um eine Selbsthilfegruppe, die Menschen unabhängig von Geschlecht oder sexueller Orientierung offenstand. Der Begriff selbst wurde Anfang der Neunzigerjahre von einer bisexuellen Frau geprägt und sollte eine Alternative zu dem gerade bei Männern stigmatisierten Begriff der „Jungfrau“ bieten. In einer besseren Welt hätte „Incel“ schlicht seine ursprüngliche Bedeutung beibehalten: ein Mensch, der gerne eine (sexuelle) Beziehung hätte, aber über einen längeren Zeitraum keine hatte.

Nun leugnen männliche Incels jedoch, dass Frauen überhaupt Teil der Community sein können, denn: Jede Frau hat immer Lust auf und Zugang zu Sex.

Quelle: „Incel Wikipedia“

Dem würden die User*innen des inzwischen geschlossenen Subreddits r/trufemcels, des Subreddits r/foreveralonewomen oder des Imageboards Crystal Cafe vehement widersprechen. Diese Frauen haben wenig mit den traurig dreinschauenden E-Girls auf TikTok gemein. Ähnlich wie ihre männlichen Pendants zeichnen sie sich durch eine obsessive Beschäftigung mit dem eigenen Äußeren, Selbsthass und Frustration ob der eigenen Sexlosigkeit aus. Männer nennen sie herablassend „Moid“, eine Anlehnung an den Begriff „Femoid“ oder „Foid“, den Incels für Frauen benutzen. Mit männlichen Incels lassen sie sich jedoch trotzdem nicht vergleichen.

Femcels – laut Selbstangaben meistens zwischen 18 und 25 Jahre alt – üben harsche Kritik an Incels und deren Ansprüchen. Sie amüsieren sich über die unrealistischen Anforderungen, die Incels an Frauen haben: Diese wünschen sich eine unterwürfige und jungfräuliche Partnerin, da der Kontakt zu realen Frauen sie verunsichert und kränkt, haben aber selbst als potentieller Partner nicht viel zu bieten. Eine Userin auf r/foreveralonewoman teilt einen Post auf einem Incel-Forum, in dem sich über unattraktive Frauen echauffiert wird. „Warum existieren hässliche Mädchen überhaupt?“ fragt der Incel. „Hübsch zu sein ist ihr einziger Existenzgrund. Ein hässliches Mädchen ist ungefähr so nützlich wie ein Stuhl ohne Beine. Sie sind eine Sünde wider die Natur. Ich hasse hässliche Mädchen einfach. Unattraktive Männer können immerhin Sachen erfinden und einen Beitrag zur Gesellschaft leisten. Aber ein hässliches Mädchen? Sie ist einfach schlecht in der einzigen Sache, die Frauen bieten können.“ Der lakonische Kommentar der Reddit-Nutzerin dazu lautet: „Sie sagen uns, wir sollen mit unattraktiven Männern flirten. Das sind diese unattraktiven Männer.“

Quelle: Reddit

„Ich hasse Männer inzwischen einfach“, schreibt eine Userin von Crystal Cafe, einem auf Femcels ausgerichteten Forum im Stil von 4chan. „Jeder von ihnen hat mich bisher enttäuscht. Jeder Moid, mit dem ich bisher zusammen war, hat einen Vergewaltigungs-Kink oder mich vergewaltigt. Sie waren Porno- oder Hentaiabhängig und haben mich für meinen Körper benutzt. Sie hatten immer niederträchtige Motive und mich in den Wahnsinn manipuliert. Sie haben mich missbraucht, wenn ich nicht das getan habe, was sie wollten. Selbst mein eigener Vater hat mich hintergangen.“ Sie ist nicht die einzige in dem Forum: zahlreiche Userinnen schreiben von ihren Leidenserfahrungen mit Männern und unter dem Patriarchat, vielen von ihnen wurde sexuelle Gewalt zugefügt.

Hier offenbart sich der eklatante Unterschied zwischen Incels und Femcels: während der Hass, den Incels auf Frauen haben, auf gekränktem patriarchalen Anspruchsdenken und Misogynie basiert („Frauen wollen nicht mit mir schlafen, deswegen habe ich das Recht darauf, sie zu hassen“), hat die Frustration und die Wut, die Femcels auf Männer haben, eine reale gesellschaftliche Grundlage: die Omnipräsenz männlicher Gewalt. Auch finden sich unter Femcels, anders als in Incel-Foren, keine elaborierten Fantasien über Vergewaltigungen oder Amokläufe, auch auf die Glorifizierung von Terroristen wird verzichtet. Stattdessen gibt es – genau wie auf den Plattformen männlicher Incels – intensive Auseinandersetzungen mit der eigenen Unattraktivität, mit Einsamkeit und Frust. Dies ist auch darin begründet, dass Jungen und Männer eher dazu sozialisiert werden, Aggressionen nach außen zu wenden, Mädchen und Frauen hingegen autoaggressiv handeln, da ihnen weit weniger gestattet wird, ihre Wut gegen andere zu richten.

Ein Überblick über die Themen in dem Femcel-Imageboard. Quelle: Crystal Cafe

Mit dem Hass auf sich selbst geht oftmals Hass gegen andere Frauen einher. Viele Femcels verachten die attraktiven „Stacys“, denen aufgrund ihres konventionell schönen Äußeren die Welt zu Füßen liegen würde. Denn genau wie Incels gehen Femcels davon aus, dass Schönheit die Ursache von Glück, Erfolg und Anerkennung sei. Ebenfalls abgelehnt werden die sogenannten „Beckys“, also durchschnittlich attraktiven Frauen, die dennoch eine*n Partner*in ergattern konnten – und Femcels so deren Einsamkeit vorhalten.

Neben cis Männern größtes Feindbild sind, vor allem für die Userinnen von Crystal Cafe, jedoch transgeschlechtliche Menschen. Es ist nicht verwunderlich, dass es bei der Nutzerinnenbasis Überschneidungen mit der sogenannten „TERF“-Community oder Foren gibt, die sich auf das Trolling und Doxxing von trans Menschen spezialisiert haben. Sie betreiben „Terfposting“ in 30teiligen Hass-Threads und sprechen trans Frauen ihre Weiblichkeit ab. Diese Postings sind von denen auf einem Imageboard wie 4chan kaum zu unterscheiden.

Sowohl der Hass gegen andere cisgeschlechtliche, als auch der Hass gegen trans Frauen lässt sich mit internalisierter Misogynie erklären. Das eigene Leid wird zu kompensieren versucht, indem Femcels sich an Hassobjekten abarbeiten: einerseits Frauen, die es „besser“ haben als sie selbst, andererseits Frauen, die aufgrund ihrer Transgeschlechtlichkeit noch marginalisierter sind als Femcels selbst glauben zu sein.

Nichtsdestotrotz: es gibt durchaus Threads, in denen die Userinnen – anders als männliche Incels – empathisch über ihre Gefühle reden, und versuchen, sich gegenseitig Kraft und Mut zu spenden. Dies ist ein weiterer großer Unterschied zur männlichen Incel-Community.

Nein nein, das ist nicht der Feminismus

Femcels sind wohl das deutlichste Beispiel dafür, dass das Erkennen von patriarchaler Zurichtung nicht immer feministisch sein muss. Anders als Feminist*innen, die sich durch Liebe und Solidarität gegenseitig in ihren Kämpfen bestärken und für eine Überwindung patrarichaler Geschlechterverhältnisse eintreten, suhlen sich Femcels in Hoffnungslosigkeit und Elend, die höchste Form der Organisation stellt das Anfertigen oder Teilen von – stellenweise wirklich lustigen – Memes dar. Nun haben sie in einigen Punkten ihrer Kritik nicht Unrecht: attraktive Frauen haben es sicher in einigen Aspekten ihres Lebens leichter – aber dies ändert nichts an der Tatsache, dass sie permanent von Männern objektifiziert werden. Männer sind strukturell sexistisch und misogyn, und wir leben in Verhältnissen, in denen Frauen systematisch unterdrückt und ausgebeutet werden.

Aber: so wie es ist, muss es nicht bleiben. Um jedoch das Geschlechterverhältnis, das Femcels zumindest ansatzweise als Ursache ihrer Probleme erkannt haben, zu überwinden, bedarf es vor allem einer Sache: intersektionaler feministischer Organisation und Solidarität. Und davon sind Femcels leider noch meilenweit entfernt.

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